Nachstehend ein sehr subjektiver Bericht über die Fortführung der Berufungsverhandlung vom 28. Februar 2019 „wegen falscher Verdächtigung“.
Vorgang: Bei einem Frühstück auf der Baustelle am 22.12.2015 wurde Ernest von einem LKW-Fahrer hart angegangen, der ihn zuerst mit seinem Fahrzeug, den Ernest blockierte, weiterschob und ihn dann von seinem Fahrzeug wegzerren wollte und ihn bei diesem Vorgang an der Schulter verletzte. Ernest hatte seinerzeit noch am gleichen Tag Anzeige wegen Körperverletzung gestellt. Die Anzeige wurde jedoch nicht weiter verfolgt bzw. niedergeschlagen. Statt dessen kam es zu einer Strafverfolgung gegen Ernest und seiner anschließender Verurteilung wegen „falscher Verdächtigung“ des LKW-Fahrers, bei der Ernest vom Richter für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 Euro, insgesamt also 600,00 Euro, verurteilt wurde.
Bekanntlich wurde ein weiterer Termin festgesetzt. Noch beim ersten Verhandlungstermin am 28. Februar hatte Ernests Verteidiger die §§ 153 und 153 a ins Spiel gebracht. Deshalb sah man zwar der Fortführung dieses Prozesses mit Spannung entgegen, glaubte aber insgeheim an eine Einstellung des Verfahrens. Aber weit gefehlt: Ernest hatte seinem Rechtsanwalt eine Absage erteilt – den deal mit der Staatsanwaltschaft lehnte er ab. „Ich will nicht vom Opfer zum Täter abgestempelt werden“ sagte er. Daraufhin legte sein neuer Verteidiger das Mandat nieder. Ernest stand also ohne anwaltlichen Beistand vor Gericht.
Schon gleich zu Anfang der Verhandlung: Die Stimmungslage war eine andere als bei der Verhandlung am 28. Februar. Streng, unerbittlich, öfters auch Ernest mal die „Leviten“ lesend, oder was immer sie darunter verstand, so kam mir heute die Richterin vor. Mir schwante, wie das Verfahren enden würde. Ernest Erläuterungen und Einlassungen, die nicht einmal so weitschweifig waren, wie sonst von ihm gewohnt, kamen zwar bei den Zuhörern gut an, aber die Richterin hatte sich offensichtlich vorgenommen „Tacheless“ zu reden und ging mit unerbittlicher Strenge vor. Wehe, wenn er mal dazwischen redete, gleich wurde er ermahnt. Die Atmosphäre schien emotional aufgeladen: Da täuschten auch die betont teilnahmslosen Gesichter der Schöff*innen nicht darüber hinweg.
Aber von Anfang an: Zu Beginn erwartete Ernest und die Zuhörerschaft eine schiergar nicht enden wollende Aufzählung von zahlreichen „Straftaten“ im Zusammenhang mit Stuttgart21, die zu einer Verurteilung von Ernest geführt hatten. Einem unvoreingenommenen Zuhörer musste Ernest als ein notorischer Straftäter erscheinen. War das Kalkül der Richterin? Mir erschien es jedenfalls so. Da aber parierte Ernest brilliant und bemängelte, dass die Richterin bei ihren Aufzählungen nicht erwähnte, dass zahlreiche Verfahren auch eingestellt wurden bzw. er freigesprochen wurde und zeigte damit, auf welchen tönernen Beinen die Anschuldigungen und Verurteilungen gestanden hatten. Das ließ die Richterin wiederum nicht gelten und wies darauf hin, dass Freisprüche nicht im Strafregister aufgeführt würden. Aha! Ernest hatte dadurch aber zumindest eine gute Gelegenheit, seinen Standpunkt über das „Unrechtsprojekt Stuttgart21“ zu erklären. So ging es eine Weile hin und her.
Nach einer Pause, in der Ernest einige Anträge schriftlich formulieren konnte/sollte, kam es dann doch zu einem Zwischenspurt. Die Anträge von Ernest wurden erwartungsgemäß von der Staatsanwaltschaft und der Richterin abgelehnt (1. Neueinladung einer Zeugin, 2. neuer Termin wegen Niederlegung des Mandats und Suche nach neuem Verteidiger und Aktenstudium, 3. fehlende Begründung, weshalb die Gestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt wurde und 4. Zusatzinfo und Aktenzusatz, dass es sich bei der Körperverletzung um mehr als nur eine „Zerrung“ gehandelt habe, da eine OP erfolgte und er immer noch starke Beschwerden habe). Danach war eine Mittagspause von eineinhalb Stunden angesagt. (Zum Glück gibt es eine sehr ordentliche Kantine beim Gericht!)
Rechtzeitig zur Fortsetzung nach der Mittagspause erfolgte ein kleiner Aufmarsch von zwei Polizeibeamten, die auch bei der Verlesung des Gerichtsurteils stramm an der Seite standen. Das ohnehin disziplinierte Publikum war sehr befremdet. Allerdings strahlte „Gasmasken-Werner“ ohne Gesichtsverhüllung schon eine gewisse altersweise, vollbärtige Allmacht aus, (Karl Marx lässt grüßen!), die der Anklagevertreterin womöglich so verdächtig erschien, dass sie vorsichtshalber nach Polizeischutz rief. So hatte es jedenfalls den Anschein. (Wobei unser Werner sich aber eher als faustischen Weltenretter und Menschenfreund sah).
Die Verhandlung endete dann auch erwartungsgemäß mit der Ablehnung des Widerspruchs und einer Bestätigung der festgesetzten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro. Die Zeugenaussage vom KFZ-Fahrer wurden dabei eher als "Wahrheit" gewichtet als die Videoaufnahmen und Zeugenaussagen, die einen agressiven Fahrer erlebt hatten. In dubio pro reo? Doch nicht bei kriminalisierten äh kriminellen Stuttgart21-Gegner*innen!
Bericht von der ersten Verhandlung siehe auch im Blog der SeniorInnen gegen S21 - Der Ältestenrat