S21-Brandschutz nach Gutsherrenart

Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, gehalten von Wolfgang Kuebart, Ingenieure22, auf der 454. Montagsdemo am 25.2.2019

Liebe Mitstreiter,

jetzt haben auch unsere Stadtväter den Brandschutz als stadtpolitisches Handlungsfeld für sich entdeckt. Vor fünf Jahren hatte OB Kuhn den Fernsehturm sperren und dort den Brandschutz nachbessern lassen. Der Turm wurde vor über 60 Jahren erbaut; erst jetzt ist man darauf gekommen, dass dort der Brandschutz unzureichend war.

Erst kürzlich hat man auch erkannt, dass die vor vierzig Jahren erbauten, unterirdischen Stadtbahn-Haltestellen den Anforderungen an den Brandschutz nicht genügen, deshalb müssten diese alle umgebaut und brandschutzmäßig ertüchtigt werden. Dazu sollen die Rolltreppen der Haltestelle ‚Schloßplatz ausgebaut und durch feste Treppen ersetzt werden, damit im Brandfall dort die Menschen schnell genug herauskommen. Als Fluchtwege sind Rolltreppen unzulässig!

Für die Bahn gilt das beim Vorhaben Stuttgart 21 allerdings nicht – dort sind die Rolltreppen ausdrücklich als Fluchtwege in das Rettungskonzept mit einbezogen – das Eisenbahn-Bundesamt hat dem zugestimmt. Die für die S21-Tiefbahnsteighalle geplanten Festtreppen mit einer nutzbaren Breite von nur 2,35 m sind auch nicht breiter als die der Stadtbahn-Haltstelle Schloßplatz‘ – aber die Anzahl der Flüchtenden aus der Tiefbahnsteighalle ist um ein Vielfaches größer. Wie kann es angehen, dass Sicherheitsbestimmungen so unterschiedlich gehandhabt werden? Doch die Bahn nimmt sich nach Gutsherrenart großzügig weitere Abweichungen von geltenden Regelwerken heraus – gerade beim Brandschutz. Und das EBA segnet alles ab.

So sollen die Fluchtwege in den Tunnel-Vorköpfen nur 80 cm breit ausgeführt werden – „wegen baulicher Zwänge“. Deutlicher kann man die nicht heilbare S21-Fehlplanung der Bahn nicht umschreiben. Die „Tunnelrichtlinie“ des EBA fordert eine Mindestbreite von 1,20 m. 80 cm Breite reichen nicht aus, um einen Rollstuhl aus dem Zug herauszuheben. Den Einspruch der Behindertenverbände hat das Eisenbahn-Bundesamt abgebügelt mit den Worten: „Zu berücksichtigen ist auch, dass eine Selbstrettung von rollstuhlgebundenen Personen in Eisenbahntunneln ohne Unterstützung von Mitreisenden oder Zugpersonal ohnehin nicht möglich ist. Dies betrifft auch schon das Verlassen der Züge.“ Soll heißen: Pech für dich, wenn du im Rollstuhl sitzt! Das ist menschenverachtend und ein klarer Verstoß gegen die UN-Behinderten-Konvention. Doch auch für Nicht-Behinderte ist die auf 80 cm verringerte Fluchtwegbreite im Tunnel unzumutbar und im Ernstfall tödlich.

Unfassbar, wie der Anwalt der Bahn in seiner Erwiderung auf meine Klage dem Gericht gegenüber diese verringerte Fluchtwegbreite sogar noch zu einem „Gewinn an Sicherheit“ erklärt. Er vergleicht dazu die Längen der eingeschränkten Fluchtwege (237 m im Südkopf, 136 m im Nordkopf) mit dem nach Regelwerk zulässigen Abstand von 500 m bis zu einem „Sicheren Bereich“ und zieht daraus den widersinnigen Schluss, „dass die Verringerung der Wegstrecke, die zu einer Verkürzung der Evakuierungszeit führt, einen deutlichen Sicherheitsgewinn gegenüber den Regelwerksanforderungen bietet. Die kürzeren Rettungswege gleichen die gegenüber dem Regelwerk verminderte nutzbare Breite des Fluchtwegs im Bereich stehender Fahrzeuge aus.

Die abweichend von der Tunnelrichtlinie auf 80 cm verringerte Fluchtwegbreite rechtfertigt die Bahn mit Verweis auf das Internationale Regelwerk der TSI (Technische Spezifikation für die Interoperabilität), die eine Mindestbreite von 80 cm für Fluchtwege im Tunnel fordert, verschweigt aber geflissentlich den Zusatz: „Stellen nationale Regelungen höhere Anforderungen, so gelten diese.“ Die Bahn hält sich nicht an die Regelwerke, nicht einmal an die eigenen, sobald deren Einhaltung Schwierigkeiten macht, und will das mit einer „UIG“, einer Unternehmens-internen Genehmigung regeln, genehmigt sich also Abweichungen von geltenden Regelwerken selber – nach Gutsherrenart eben. Und das EBA segnet das alles ab, anstatt der Pflicht als Aufsichtsbehörde nachzukommen und es als unzulässig zurückzuweisen.

Nicht anders bei der für die Evakuierung im Brandfall maßgebenden Personenzahl, die im Brandschutzkonzept ebenfalls heruntergerechnet wurde. Darin wird jeweils nur ein voll besetzter Doppelstockzug mit 1.757 Personen an jeder Bahnsteigkante zuzüglich 15 % Wartende auf dem Bahnsteig zugrunde gelegt. Das ergibt 4041 Personen je Bahnsteig und 16.164 Personen insgesamt, die im Brandfall schnellstens aus der Tiefbahnsteighalle heraus müssen, bevor diese vollständig verraucht.

Nun fordert der EBA-Leitfaden zur Sicherheit im Brand- und Katastrophenfall aber die Berücksichtigung aller Zugeinheiten, die gleichzeitig an einem Bahnsteig halten können. In der 440 m langen Tiefbahnsteighalle können ohne weiteres zwei Doppelstock-Züge hintereinander am Bahnsteig halten. Solche Doppelbelegungen waren auch im sogenannten „Stresstest“ von 2011 ausdrücklich vorgesehen; anders wären die 49 Züge je Spitzenstunde gar nicht zu schaffen gewesen und der Stresstest damit durchgefallen, die Planrechtfertigung von Stuttgart 21 wäre nicht gegeben. Doch für die Bahn gilt das alles nicht.

Doppelbelegungen bedeuten nämlich auch eine Verdoppelung der zu evakuierenden Personen – dafür reichen dann aber die Fluchtwege nicht aus; die Evakuierungszeiten verlängern sich, die Leute kämen nicht schnell genug aus der verrauchenden Bahnsteighalle heraus – viele würden eine Rauchvergiftung erleiden oder gar im Rauch umkommen. Der Brandschutz-Beauftragte der Bahn, Herr Bieger, spielt das so herunter: „Wenn mehr Züge fahren, heißt das nicht, dass die auch alle voll sind“. Wiederum setzt sich die Bahn nach Gutsherrenart kurzerhand über geltende Regelwerke hinweg.

Auch mit der Rauchfreihaltung der Fluchtwege trickst die Bahn. Anstatt „rauchfrei“ sieht das Brandschutzkonzept nur „raucharm“ vor mit einer zulässigen optischen Dichte von 0,13 m-1 – was kein Mensch versteht! Eine derartige Rauchdichte bedeutet eine verringerte Sichtweite von nur noch 10 m. Das ist nicht mehr raucharm, sondern bereits stark verraucht und völlig unzumutbar; man kann dabei nicht einmal mehr die andere Bahnsteigseite erkennen! Die Betroffenen werden in Angst und Panik geraten; statt einer geordneten Evakuierung, wie im Brandschutzkonzept vorgesehen, wird es ein heilloses Durcheinander geben – womöglich gar mit Folgen wie bei der Love-Parade!

Bei dieser Rauchdichte von 0,13 m-1 werden die zu Evakuierenden einer Rauchkonzentration von 32 mg/m³ ausgesetzt; das sind 32.000 Mikrogramm je m³ Luft – 800mal so viel wie der Feinstaub-Grenzwert aus Kfz-Abgasen. Dazu kommen dann all´ die anderen giftigen Brandgase, die z.T. schon in sehr geringen Mengen tödlich wirken. Die Bahn hält dies aber für unbedenklich und beruft sich auf den vfdb-Leitfaden. Dieser bezieht sich jedoch auf eine Rauchdichte von 0,1 m-1; die Bahn packt hier einfach 30 % drauf und meint, das würde eh keiner merken. Das ist schlicht kriminell!

Es gibt noch viele weitere Tricksereien und Regelverstöße beim Brandschutz, die in unserem Brandschutz-Gutachten vom letzten Oktober behandelt werden und die ich in meine Klage gegen die 18. Planänderung eingebracht habe. Diese soll zur Jahresmitte vor dem VGH in Mannheim verhandelt werden. Ich lade ein, mich dabei zahlreich zu begleiten; es wird sicher spannend!

Falls es je eine Betriebsgenehmigung für die Tiefbahnhaltestelle ‚Stuttgart 21‘ geben sollte, dann kann diese wegen des unzureichenden Brandschutzes nur eine eingeschränkte sein; Doppelbelegungen müssen darin ausgeschlossen werden. Damit wäre der „Stresstest“ von 2011 krachend gescheitert und die Planrechtfertigung für S21 endgültig dahin. In Stuttgart werden 10 Mrd. € für einen neuen Bahnhof verbuddelt, der deutlich weniger kann als der bestehende – welch´ ein Schildbürgerstreich!

Es ist dringender denn je, dass sich endlich auch der Stuttgarter Gemeinderat als Projektpartner des Vorhabens Stuttgart 21 der Brandschutzmängel annimmt und rechtzeitig für deren Abstellung sorgt. Ansonsten wird S21 scheitern wie der Berliner Großflughafen BER.

Oben bleiben!

Rede von Hans Heydemann als pdf-Datei

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3 Antworten zu S21-Brandschutz nach Gutsherrenart

  1. Alexander Abel sagt:

    In seiner letzten Rede vor dem Hbf hat Arno Luik gesagt, er werde nicht mehr mit dem Zug nach Stuttgart fahren, wenn der Tiefbahnhof in Betrieb gegangen ist.
    Ich meinerseits habe auch schon Überlegungen angestellt, wie ich den Tiefbahnhof meiden
    könnte, etwa indem ich Fernzüge ganz meide und Regionalzüge erst in Cannstatt, Esslingen,Ludwigsburg besteige, wohin ich mit der S-Bahn gelangen kann.
    Meine Bahn-km werden dann insgesamt stark
    zurückgehen.
    Ich sage es hier nicht zum ersten Mal:
    S-21 hat überhaupt nichts mit Vernunft zu tun,und deshalb sind rein verbale Argumente dagegen völlig wertlos. „Lass sie doch reden,
    die demonstrieren und wir regieren“ – solange wir sie regieren lassen. Aber mit dem Wählen ist das so ’ne Sache. Goethe: „Demokratie ist
    Unsinn, Vernunft ist nur bei Wenigen stets gewesen“, und diese These hat sich noch bei jeder Wahl bestätigt.
    Die Zusammenführung aller dieser Überlegungen hat bei mir diese Idee ausgelöst:
    Wollt Ihr nicht auf Eurer Homepage eine Liste
    installieren, auf der alle unterschreiben können, die Herrn Luiks Beispiel folgen
    wollen. Wieviele Unterschriften da zusammen-
    kommen könnten, ist eine Frage des „Marketings“. Ich besitze ein Foto einer Kneipentür in Paris(!), an der der Standard-
    Aufkleber gegen S-21 prangt. Es ist vielleicht unrealistisch, aber ich träume von 1Mio. Unterschriften.
    Wenn überhaupt noch etwas die DB-Spitze um-
    stimmen kann, dann sind es massive Fahrgast-/
    Einnahmenverluste. Das sind dann keine leeren, ignorierbaren Worte mehr, das ist der höchste Druck, den wir entfalten könn(t)en.
    Und was ist eigentlich mit dem Bahnpersonal?
    Wollen die für ihre Hungerlöhne ihr Leben verkaufen?
    Die SBB haben schon verlauten lassen, sie würden ihren Lokführern die Tunnelfahrten nicht zumuten.
    Aber was ist mit den dt. Eisenbahner-Gewerk-
    schaften? Von denen ist mir noch keine Stell-
    ungnahme zu Ohren gekommen. Seht Ihr Möglich-
    keiten, die Gewerkschaften zu mobilisieren?
    Dann hätte der Nichtslutz eine zweite Front.
    Nur mit Routineprotesten + Vernunftargumenten werden wir jedenfalls keinen Stich machen.
    aabel-s@gmx.de

  2. Da darf doch sicherlich Dipl.-Ing. Hans Heydemann,
    dies zum Brandschutz genannt sein:
    BGH Urteil 14.06.2018 Amtshaftung bei Brandbekämpfung III ZR 54/17 – PM 105/2018 Auszug hier https://up.picr.de/34509500qp.pdf
    Würde dagegen für die gesamte öffentlich-rechtliche Gefahrenabwehr, soweit sie Notsituationen betrifft, ein reduzierter Haftungsmaßstab gelten, wären bedeutende Bereiche staatlicher Tätigkeit von der Haftung für einfache Fahrlässigkeit ausgenommen. Eine derartige Haftungsprivilegierung ist mit den Grundsätzen der Amtshaftung weder vereinbar noch ist sie erforderlich. ENDE Auszug

    Was, so nun die Frage die zu stellen ist, bringt diese höchstrichterliche Entscheidung [1] mit sich?
    Alle beteiligten am Erstellen eines Brandschutzkonzepts, einer jeglichen Baumaßnahme, sind schon aus EIGENINTERESSE sich einer möglichen Haftung für „einfache Fahrlässigkeit“ schuldig zu machen, darauf bedacht … 20. Februar 2013 – 10:02 Uhr Feuerwehr unzufrieden https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.brandschutz-bei-stuttgart-21-feuerwehr-unzufrieden.e4d0e0f4-5e6c-40aa-9c98-c90b417397dc.html
    Der Stuttgarter Branddirektor Frank Knödler hat weiter Vorbehalte gegen das Brandschutzkonzept der Bahn bei Stuttgart 21.

    [1] 16. Oktober 2010, 20:06 Uhr Schlichtung bei Stuttgart 21 | Voßkuhle: „Es muss ein Schlusspunkt gesetzt werden“ https://www.sueddeutsche.de/politik/schlichtug-bei-stuttgart-vosskuhle-es-muss-ein-schlusspunkt-gesetzt-werden-1.1012669
    … Irgendwann muss hier ein Schlusspunkt gesetzt werden, spätestens dann, wenn die höchsten Gerichte über das Projekt entschieden haben. …

    • Dipl.-Ing. Hans Heydemann,
      die gewählte Überschrift „S21-Brandschutz nach Gutsherrenart“ gibt heute eine bestehende Vorstellung wieder, die allerdings nichts mehr mit dem Ursprung von „Gutsherr“ gemein hat:
      „Der gute Herr.“ – Daraus gemacht wurde also: „Der herrische Herr!“

      Im Jahr 2002 wurde von mir der Direktor in meinem Unternehmen, der sich in der jährlich stattfindenden Mitarbeiter-Versammlung bereits im 3ten Jahr „herrisch“ gegen die versammelten Beschäftigten, deren Vertretung und Gewerkschafter Innen stellte, mit dem Begriff „Gutsherr“ bedacht.
      Beschäftigten-Vertreter und Gewerkschafter Innen gaben damit die Verantwortung für die Leitung der drei Versammlungen und Einladung der „Führungs-Kräfte“ zum „Jahres-Gespräch“ aus _ihren_ Händen!
      Niemand traute sich mehr, für die „Führungs-Kräfte“ unangenehme Gegebenheiten anzusprechen:
      Wandeln der Mitarbeiterversammlung in eine Führungskräfteversammlung – unter steter Mithilfe der Gewerkschafter und gewählten Mitarbeiter-Vertretung!!!

      Nun, es gibt ebenfalls an den Gerichten eine „Vertretung“ der dort beschäftigten:
      • LRiStAG Richtervertretungen §§ 15-45; Richterdienstgerichte §§ 62-86a; StA §§ 88-89
      • LPVG* Personalrat und… § 2 Aufgaben der Dienststelle, der Personalvertretung,
      der Gewerkschaften und der Arbeitgebervereinigungen

      Solange allerdings in Behörden, Dienststellen und Ämtern das „Hierarchie-System“ gelebt wird, anstatt die „Verantwortungs-Ebenen“, wird auch an den Gerichten das eigenverantwortliche Denken und Handeln lediglich in den Landesverfassungen und in unserem Grundgesetz geschrieben stehen, ohne sich in Anwendung zu befinden!
      *** Selbstverständlich hat jeder BVerfG-Präsident die Gewaltenteilung zu verteidigen ***

      Nicht so wie unter [1] 16. Oktober 2010, 20:06 Uhr Schlichtung bei Stuttgart 21 | Voßkuhle: „Es muss ein Schlusspunkt gesetzt werden“
      Grundgesetz Art. 114 Abs. 2 „Der Rechnungshof, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit besitzen, prüft…“
      +++ 30. Okt. 2008 Gutachten zu STUTTGART 21 https://up.picr.de/35209622vm.pdf 4 Seiten mit: Gewaltenteilung – Amtshilfe – Richterliche Unabhängigkeit alleine nur durch funktionierende Dienstaufsicht zu gewährleisten!

      LPVG* Umsetzung der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft.

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