Rede von Jürgen Klaffke, Kaktus-Gruppe in der IHK, auf der 451. Montagsdemo am 4.2.2019
Liebe Anwesende, die Ihr so unermüdlich Verstand und Vernunft aufrecht erhaltet, die Ihr damit Hoffnungsträger seid für eine bessere Stadt Stuttgart – für eine lebenswerte Stadt mit Kopfbahnhof!
Und ich möchte auch nicht versäumen, alle die anzusprechen und einzuladen, die an diesem Orte in diesem Moment vorbeieilen; bitte einfach stehenzubleiben und einige Minuten zuzuhören, was in dieser Stadt Wichtiges passiert. Denn was wichtig ist, geht alle an!
Nun fragt Ihr: hallo – Feudalismus, das hatten wir doch schon mal und jetzt schon wieder? Richtig, am 23. Juli 2018 hatte ich die Gelegenheit, zu Euch sprechen zu dürfen. Es ging damals um die merkwürdige Gründung einer IHK-Initiative, getragen von einigen Damen und Herren, die eh schon im Präsidium der IHK Stuttgart sitzen. Sie wollen die IHK retten vor dem unseligen Treiben einer Kaktus-Initiative, die immer unbotmäßig nach Transparenz und Demokratie fragt. Ein lästiger Störfaktor halt!
Und um die Bekämpfung dieses „Störfaktors“ soll es in der heutigen Rede gehen: um eine neue Wahlordnung und wichtige Gerichtsurteile und um die Sinnhaftigkeit unseres Widerstandes gegen die unsinnigen Handlungen von Damen und Herren, die meinen, sie seien einfach besser und wichtiger als andere! Und da nähern wir uns in drei Kapiteln der Gewissheit, dass unser Handeln – hier schon heute zum 451. Mal – einen Sinn hat und richtig und wichtig und nützlich und erforderlich ist. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Enkelkinder!
Kapitel 1: Die Wahlordnung
2012 kandidierte bei der Wahl zur Vollversammlung der IHK Region Stuttgart die neu gegründete Kaktus-Initiative zum ersten Mal: Zwangsmitgliedschaft, unsinnige Unterstützung von Projekten wie S21, unnötige Rücklagen in zweistelliger Millionenhöhe waren unsere Themen. Ergebnis: von null auf 22 von hundert Sitzen.
2016 zur nächsten Wahl wurde die Wahlordnung geändert. Dazu ist wichtig zu wissen, dass die Wahlen bei den IHKs die Aufgabe haben, die unterschiedlichen Wirtschaftsgruppen (Banken, Versicherungen, Handel, Verkehrsgewerbe, sonstige Dienstleister etc.) in die Vollversammlung zu bringen, d.h. es wird in unterschiedlichen Wahlgruppen gewählt, um ein möglichst breites Spektrum der Firmen/der Wirtschaft abzubilden. Da gibt es IHKs mit bis zu 22 Wahlgruppen, Stuttgart hatte damals sechs. Doch die Damen und Herren der IHK hatten da so eine Idee: wenn wir die Gruppe sechs (sonst. Dienstleister) aufteilen in eingetragene Firmen und Einzelunternehmer, dann kriegen wir die Kaktus-Initiative. Denn das sind ja bestimmt alles kleine Einzelunternehmer, die ja so richtig wichtig nun auch nicht sind. Gesagt getan. Nun gab es sechs Wahlgruppen. Wahlergebnis 2016: für die Kakteen 33 Sitze statt 22 von 100, mittlerweile durch Nachrücken 34.
Das tat weh. Nicht den Kakteen, nein, aber den Oberen in der IHK.
Was tun? Ganz einfach: die Wahlordnung wieder ändern, aber so, dass nun wirklich die Kaktus-Initiative keine Chance bei den Wahlen 2020 hat.
Und Dezember 2018 wurde die neue Wahlordnung beschlossen, gegen die Stimmen der Kaktus-Initiative. Ich stelle das Ganze einmal verkürzt dar, sonst wird der Abend zu lang und besser auch nicht. Ich beschränke mich auf die beschränkte Sicht der Agierenden.
Sie streichen bei der nächsten Wahl 2020 2 Gruppen und führen die Betriebsklassengrößen ein – die sonstigen Petitessen lasse ich mal einfach weg. Das heißt: es wird unterschieden zwischen Betrieben mit bis zu neun Beschäftigten und Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten. Begründung: Statistisch lässt sich nachweisen, dass in der Region Stuttgart Betriebe ab zehn Beschäftigten 99 Prozent der Exporte durchführen, 81 Prozent der Auszubildenden und 90 Prozent der Beschäftigten stellen und ebenso hoch den Umsatz generieren. Konkret ausgedrückt: Bei diesen Unternehmen handelt es sich um rund 14 Prozent aller Unternehmen.
Die „restlichen“ Unternehmen stellen zwar 86 Prozent aller Unternehmen – das macht in der Region Stuttgart so ca. 110.000 Unternehmen – aber jetzt wird es feudal: Unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.2017, das sehr genaue Anforderungen an die Wahl bei den IHKs gestellt hatte[1] wurde nun beschlossen: Summa summarum können alle Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten maximal 33 Sitze von 100 erreichen. Sie nennen das: „Wir garantieren Ihnen diese 33 Sitze.“
Sie übersehen aber den Hinweis des Bundesverfassungsgerichtes, dass neue Wahlordnungen dazu beitragen können, konstante Mehrheiten zu vermeiden.
Was steckt dahinter? Jetzt wird es richtig feudal. Der Präsident der Bezirkskammer Kruse führte sinngemäß folgendermaßen aus: wir – also die zahlenmäßige Minderheit der Unternehmen – sorgen für Beschäftigung, wir bringen die Steuern auf (da hatte er wohl noch nicht mit seinem Steuerberater gesprochen), wir – ich verkürze mal – halten ja den ganzen Laden aufrecht – also das mit unserem Wohlstand und so. Und die restlichen 86% sind folglich ??? Naja: „Kleinstunternehmer“ wie Herr Kruse formulierte, die ja sogar manchmal keinen Beitrag zahlen müssen. Kleine Beiträge – keine Stimme!
Genau: Wir sind die, die in der Hierarchie unten stehen. Wie im Feudalismus. Und die bitteschön das zu akzeptieren haben. Und die bitteschön ihre Ansprüche danach auszurichten haben. Wenn die Macher von S21 etwas machen, dann ist es gut. BASTA! Wenn die Großunternehmen etwas unternehmen, das ist das gut! Für den Gewinn, für die Aktionäre, für alles, was ihnen nützt – und den Lakaien in der Politik. Können wir das nicht einmal endlich begreifen? Ich sage nein!
Der Hauptgeschäftsführer der IHK Stuttgart, Herr Schmalzl, hatte uns mehrfach vor der Sitzung im Dezember zugesagt, dass man alles in Ruhe besprechen solle, es kann auch erst im April 2019 beschlossen werden, man solle und wolle nichts überstürzen. Und wie leitete daraufhin die Präsidentin der IHK den Tagesordnungspunkt Wahlordnung ein: „Am liebsten würde ich ja gleich abstimmen lassen, aber das geht ja wohl nicht“. Kein Kommentar.
Übrigens: Die IHK Ulm und die IHK Kassel z.B. haben auch ihre Wahlordnung geändert. Auch wie die IHK Stuttgart mit Betriebsgrößen. Doch die Zuordnung der Sitze garantiert den großen Unternehmen nur eine bestimmte Anzahl von Sitzen, nicht aber die Mehrheit. Geht doch.
Und wir gehen gelassen in den Wahlkampf 2020. Ich gehe von einer breiten Unterstützung aller Betroffenen aus. Und das sind ja schließlich wir alle, die unter diesen Wirtschaftsstrukturen Nachteile in Kauf nehmen müssen. Und dann wird die Wahl wieder spannend. Ich bin mir sicher, dass die Vernunft auch in Unternehmen mit mehr als neun Beschäftigten zu finden ist. Und dann werden die Karten neu gemischt.
Wobei der Hinweis erlaubt sei: Wahlen sind schon immer ein beliebtes Herrschaftsinstrument. Denken wir nur an die Volksabstimmung zu S21!
Kapitel 2: Die Gerichtsbarkeit
Parallel zu der Wahlordnungschose liefen die Auseinandersetzungen zu den aus unserer Sicht überhöhten Beiträgen, die als Zwangsmitglied zu errichten sind. Seit 2012 bemängeln wir, dass die IHK Region Stuttgart Rücklagen in zweistelliger Millionenhöhe – immer um rund 20 Millionen – bildet, statt sie in Form von Beitragssenkung den Mitgliedern zugute kommen zu lassen. Ja, mit dem Geld anderer Leute lässt sich vortrefflich wirtschaften!
In den Abstimmungen über die Haushalte wurden wir immer überstimmt. Feudalistisch gesehen vollkommen logisch, denn solche grundsätzliche Kritik grenzt ja an „Gotteslästerei“!
Gegen die Beitragsbescheide haben nun rund 60 Unternehmer vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart geklagt. Zuerst gegen den Bescheid von 2012, dann jedes Jahr aufs Neue. Mit Widerspruch, Ablehnung des Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid, Klageeinreichung. Alles mit Kosten verbunden. Anfragen, die Verfahren zu vereinfachen, um Kosten und Aufwand zu sparen, stießen bei den IHK-Oberen auf – na was wohl- eben: taube Ohren.
Und dann kam es zur Verhandlung. Ein ausgewähltes Pilotverfahren – es geht ja in allen Verfahren um dieselbe Sache – wurde endlich im November 2018 vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart verhandelt. Über 7 Stunden lang. Das Gericht hatte sich umfassend vorbereitet. Grundlage war ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Dezember 2015: Die IHK hat genau das Risiko zu begründen, das aus wirtschaftlicher Sicht die Rücklagen in einer bestimmten Höhe erforderlich macht, denn eine Beitragserhebung ist nur dann zulässig, wenn den Kammern keine „anderweitigen Mittel“ zur Verfügung stehen.
Sieben Stunden lang konnten die Vertreter der IHK vor Gericht keine Frage des Gerichts zufriedenstellend beantworten. Und das, obwohl die IHK Stuttgart den Empfehlungen des DIHK in Berlin bei der Rücklagenbegründung gefolgt war. Es war einfach peinlich. Und so entschied das Verwaltungsgericht: (Ich zitiere aus der Pressemitteilung des Verwaltungsgericht) „Klagen gegen die Beitragsbescheide der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart für die Jahre 2012 bis 2017 erfolgreich. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Beitragsbescheide aufgehoben. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Festsetzung des Mittelbedarfs durch die IHK in den betroffenen Jahren nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt habe. Die von der IHK vorgehaltene Ausgleichsrücklage sei unter Missachtung des Gebots der Schätzgenauigkeit dotiert und daher jedenfalls der Höhe nach rechtswidrig gewesen.“
Und so fort. Und weil es so schön ist, weitere Zitate aus den Urteilen: „... nicht sachgerecht und vertretbar dotiert, ...willkürlich ins Blaue hinein getroffenen Ansatz, ...vermissen lassen, ...bereits in sich nicht verständlich, …noch vermag das Gericht der Vorstellung irgendeine Plausibilität zuerkennen, ... die vorgelegten nachträglichen Berechnungen sind nicht nachvollziehbar...“. Noch Fragen?
Das hindert die IHK nicht, da wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Urteile Berufung zugelassen ist, diese einzulegen. Dagegen ist zunächst auch nichts einzuwenden. Aber es kommt jetzt darauf an, welche Konsequenzen aus der Situation gezogen werden. Die IHK will das alles unter einem Tagesordnungspunkt in der nächsten Vollversammlung im April besprechen. Neben verschiedenen anderen Punkten.
Wir Kakteen haben konkrete Forderungen gestellt:
- Einberufung einer außerordentlichen Sitzung der Vollversammlung
- „Einfrieren“ der Ausgleichsrücklage in Höhe von rund 20 Millionen Euro bis zum rechtskräftigen Bescheid – außer zur Reduzierung aller Mitgliedsbeiträge
- Alle zukünftigen Beitragsbescheide unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit bis zur rechtlichen Klärung, um teure und aufwändige Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Das Einfrieren ist besonders wichtig. Eben der Herr Kammerpräsident Kruse plant einen Neubau seiner Bezirkskammer. Wir kennen das ja: Geld für seine Interessen verbraten und dann ist es weg. Nicht mit der Kaktus-Initiative Herr Kruse!
- Fazit
Was haben Hoeneß, Brauchitsch, Middelhoff, Winterkorn und andere gemeinsam? Sie alle sind als Betrüger, Steuerhinterzieher, Schmuggler aufgeflogen. Was haben Daimler, Bosch, Eberspächer, Mahle – auch diese Liste ist nicht vollständig – gemeinsam? Kartellstrafen wegen unerlaubter Preisabsprachen, Verstöße gegen und Kungeleien mit. Und mit den letzteren befinden wir uns in den Gefilden der IHK Region Stuttgart gleich sogar im Präsidium der IHK.
Was treibt einen Herrn Lutz von der Bahn AG um? Und einen Herrn Herrenknecht? Und was treibt die Dieselmanipulateure um? Was hindert diese Damen und Herren? Nichts, nicht einmal EU-Rechtsprechung. So selbstverliebt und selbstherrlich geben sie sich – wie von Gottes Gnaden eingesetzt, keinen irdischen Gerichten verantwortlich.
Echte Feudalherren eben, die ihre Untergegebenen wir früher in den Krieg führen, heute in die Dieselschlacht und in die Bahnzerstörungsschlacht, darauf hoffend, dass die ihnen zugeteilten Untergebenen knechtartig in den Krieg ziehen, früher in die Kriege, bei denen immer das Volk verlor, heute in die Dieselschlacht, wo die Gesundheitsgefährdung der eigenen Kinder weniger schlimm empfunden wird als der Besitz eines Dieselautos.
Wenn nicht – ja wenn nicht immer mehr aufstehen und sich vom Joch feudaler Herrschaft befreien wollen. Die den Feudalismus ein für alle Mal hinwegfegen wollen. Die keine Angst haben, diesen Damen und Herren eine eigene Meinung entgegenzusetzen. Unermüdlich. Immer wieder. Und am besten auf der Straße in aller Öffentlichkeit. So wie wir es hier und heute und wenn es darauf ankommt noch viele, viele Mal tun, wie es die Schüler und Schülerinnen jetzt jeden Freitag tun, so wie es die kammerkritischen Unternehmerinnen und Unternehmer tun. Immer wieder, wohl wissend: wir hören nicht eher auf, bis Stuttgart wieder lebenswert geworden ist. Und wenn Stuttgart lebenswerter wird, dann auch das Ländle und das Land und darüber hinaus. Lassen wir uns nicht das Recht und die Mehrheiten nehmen. Wir können, wenn wir nur wollen!
Wir haben allen Grund – und auf diesen Grund können wir zu Recht stolz sein – oben zu bleiben!
Vielen Dank!
[1] BVerfG, Beschluss vom 12.07. 2017 – Randnotiz 123