Rede von Karlheinz Rößler, Verkehrsberater, auf der 448. Montagsdemo am 14.1.2019
Liebe Freundinnen und Freunde des Stuttgarter Kopfbahnhofs,
vor ein paar Tagen wurde ich auf ein Buch aufmerksam, das den Titel trägt „Change! Warum wir eine radikale Wende brauchen“. Es ist ein alarmierendes, ein schockierendes Buch. Geschrieben wurde es von dem Schotten Graeme Maxton, der viele Jahre als Generalsekretär des Club of Rome tätig war. Maxton weiß also über das Thema bestens Bescheid, über das er schreibt: die Klimakatstrophe, die uns wegen der von uns Menschen verursachten Erdüberhitzung als Folge der ungebremsten Treibhausgasfreisetzung droht.
Schockierend ist die Aussage Maxtons, dass die Klimakatastrophe nicht mehr zu verhindern sei. Sie lasse sich allenfalls abmildern. Denn schon der jetzige Anteil von CO2, Methan, Stickoxiden und anderen Treibhausgasen in der Luft ist bereits zu hoch. Selbst wenn es gelingen sollte, die durchschnittliche Temperaturerhöhung weltweit auf 1,5°C zu begrenzen, wird der Meeresspiegel auf der Erde um rund 15 Meter ansteigen, so der berühmte Klimaforscher Hartmut Graßl aus Hamburg. Bei einem Temperaturanstieg um 2°C, was ein realistischeres Szenario ist, wird der normale Meeresspiegel sogar um 20 Meter höher liegen als heute. Bei schweren Sturmfluten, die als Folge der Erdüberhitzung immer häufiger auftreten und zugleich immer höher ausfallen, kann das Meeresniveau sogar noch um zusätzliche 5 bis 10 Meter höher sein.
Großstädte wie Hamburg, Bremen oder Amsterdam liegen bekanntlich bei Null Meter über Normalnull und werden deshalb auch ohne Sturmflut früher oder später im Meer versinken. Alle Flüsse, Kanäle und Hafenbecken in den gefährdeten Städten mit 15 oder sogar 30 Meter hohen Deichen zu versehen und alle Brücken über diese Wasserläufe und Wasserarme entsprechend anzuheben, ist utopisch.
Maxton fordert deshalb, SOFORT drastische Schritte gegen jeglichen Ausstoß von Treibhausgasen zu ergreifen, u.a. durch einen Benzinpreis von 100 Euro pro Liter. Aber laut Maxton muss auch möglichst viel an CO2, dem wichtigsten Treibhausgas, aus der Atmosphäre zurückgeholt werden. Doch wie soll dies geschehen?
Die ingenieurtechnische Lösung heißt CCS und bedeutet „Carbon Capture and Storage“, auf Deutsch: „CO2-Abscheidung und Speicherung“, wobei die Speicherung tief unter der Erde erfolgen muss. Doch dies ist eine höchst umstrittene Technik, welche ausgerechnet den Unternehmen einen gewaltigen Reibach verspricht, die sich zuvor an der Gewinnung von fossilen Energieträgern wie Kohle und Erdöl und der damit verbundenen Treibhausgasfreisetzung bereits goldene Nasen verdient haben. Denn geplant ist, zur CO2-Speicherung bereits vorhandene, aber nun leere Stollen und andere Hohlräume zu nutzen, wo zuvor die längst abgebauten Kohle- und Erdölmassen lagerten. Und wer hier CO2 speichern will, muss dafür riesige Geldsummen an die Kohle- und Erdölkonzerne bezahlen, damit diese das Kohlendioxid unter der Erde einlagern.
Der Vorgang des Kohlendioxid-Abscheidens, der in den Kraftwerken stattfinden soll, benötigt sehr große Mengen an Energie und ist wiederum sehr kostenintensiv, so dass die Strompreise steigen werden. Und es ist vollkommen ungewiss, wie lange CO2 überhaupt in den unterirdischen Hohlräumen eingeschlossen bleibt, bis es allmählich durch die Erdschichten nach oben entweicht und sich wieder in der Atmosphäre anreichert. Der Treibhauseffekt könnte somit allenfalls für einige Jahre und Jahrzehnte aufgeschoben werden – und zwar mit einem gigantischen Aufwand, der jedoch auf die Dauer vergeblich wäre.
Die einfachste und wirksamste Methode, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, existiert hingegen seit Millionen von Jahren, ist sicher und hat sich bestens bewährt, aber man kann daran nichts verdienen: Es handelt sich um Bäume – möglichst viele, möglichst große und möglichst alte Bäume, weil diese eine ausreichende Anzahl von grünen Blättern oder Nadeln haben, mit denen sie aus Sonnenlicht, Wasser und dem CO2 eine Vielzahl von Kohlehydraten herstellen, u.a. Cellulose, den Hauptbestandteil von Holz. So lange diese großen Bäume nicht gefällt werden und so lange das Holz von gefällten Bäumen weder verfault noch verbrannt wird, sondern beispielsweise als Baumaterial Verwendung findet, bleibt der im Holz enthaltene Kohlenstoff von der Atmosphäre sicher abgeschieden und kann nicht in CO2 umgewandelt werden.
Holz ist ein hervorragender, seit Jahrtausenden bewährter Baustoff, der sich selbst für Hochhäuser, aber auch für Brücken eignet. In Nordamerika gibt es selbst noch heute eine Vielzahl von Eisenbahnbrücken, die aus Baumstämmen zusammengesetzt sind, die sogenannten „Timber Trestle Bridges“ oder deutsch „Holzgerüstpfeilerviadukte“, wie wir sie aus vielen Wildwestfilmen kennen. Ich selbst habe solche Brücken mitten in Chicago gesehen, wo schwerste Güterzüge, doppelstöckig mit Containern beladen und mehr als drei Kilometer lang, über diese hölzernen Bauwerke fuhren.
Sie fragen spätestens jetzt: Was hat das alles mit Stuttgart 21 zu tun? Meine Antwort lautet. Sehr viel!
Im Herbst 2010, nach den von brutaler Polizeigewalt überschatteten Demonstrationen in Stuttgart, wurde im Schloßgarten eine Vielzahl von riesigen, uralten Platanen gefällt. Diese wertvollen Bäume sind nun für immer als CO2-Filter verloren. Sie können keinen Beitrag mehr gegen die Erdüberhitzung leisten, ihre sinnlose Vernichtung ist ein verantwortungsloser Schritt, der uns tiefer in die Klimakatstrophe hineinführt. Es ist ein Baum- und Klimafrevel ohnegleichen, der nicht wieder gutzumachen ist.
Stuttgart 21 soll bekanntlich dazu dienen, dass die heutigen Gleisflächen im Stuttgarter Talkessel zugebaut, zubetoniert, zugepflastert werden, und zwar mit Wohnhäusern, Büro- und Gewerbebauwerken, Straßen, Parkplätzen, Parkhäusern usw. Hierfür werden riesige Mengen an Stahlbeton verbaut, was dem Treibhausgasausstoß einen kräftigen Schub gibt. Denn Zement und Stahl, die beiden wichtigsten Bestandteile der genannten Bauwerke, führen bei ihrer Herstellung aus chemischen Gründen zur Freisetzung von großen Mengen an Kohlendioxid.
Doch bei der erst kürzlich stattgefundenen Klimakonferenz in Kattowitz war der Beitrag der Zement- und Stahlwerke zur Erdüberhitzung kein Thema. Dieses Defizit in der Betrachtungsweise erstaunt sehr, weil die Zement- und Stahlindustrie als Treibhausgasquelle weltweit einen Anteil von rund 20 % hat. Dieser ist ungefähr so groß wie der Anteil aller Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke der Welt zusammen und kaum weniger groß wie der Anteil der falschen Land- und Forstwirtschaft, zu der auch das Abbrennen der Tropenwälder gehört. Die Treibhausgasmengen, die aus Zement- und Stahlwerken stammen, sind ungefähr zweimal so groß wie die Emissionen aus sämtlichen Verbrennungsmotoren im Verkehr, also aus den Motoren der Autos, Flugzeuge, Schiffe und Dieselloks.
Wieviel CO2 am Ende durch die Bebauung der Gleisflächen im Rahmen von Stuttgart 21 anfällt, kann nur durch eine Analyse der endgültigen Baupläne ermittelt werden. Aber noch ist zu hoffen, dass dieses Wahnsinns- und Unsinnsprojekt nicht zu Ende geführt wird.
Relativ genau steht hingegen fest, wieviel an Treibhausgas durch den Bau und Betrieb der fast 60 Kilometer langen Tunnelröhren und der dazu gehörenden Tunnelbahnhöfe des Projekts Stuttgart 21 anfällt, vor allem durch die Produktion des benötigten Zements und Stahls. Zu diesem Thema habe ich im Sommer 2017 im Auftrag des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 eine ausführliche Studie mit dem Titel „Quantifizierung der Treibhausgasemissionen des Projekts Stuttgart 21“ erarbeitet – viele von Ihnen kennen diese Untersuchung.
Das Ergebnis lautet: Der Bau aller Komponenten von Stuttgart 21, der Betrieb dieser Anlagen und der Zugverkehr in den Tunnels sind zusammen für fast 2 Millionen Tonnen an Treibhausgas verantwortlich. Dies ist das genaue Gegenteil dessen, was angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu tun wäre, nämlich Treibhausgas aus der Luft zu entfernen, indem man den Baumbestand rettet und jede Menge an Bäumen neu pflanzt.
Aber das bisher Gesagte beschreibt noch längst nicht das ganze Ausmaß der Treibhausgas-Freisetzung als Konsequenz aus Stuttgart 21: Weil der für Stuttgart geplante Tunnelbahnhof mit nur 8 Gleisen weit weniger Züge bewältigen kann als der Kopfbahnhof, der ursprünglich 17 Gleise hatte, können in Zukunft im Großraum Stuttgart viele Fahrten gar nicht mehr mit dem Zug stattfinden, sondern müssen auf das Auto verlagert werden. Diese zwangsweise fahrenden Autos stoßen – je nach betrachtetem Szenario – 2 bis 4 Millionen Tonnen an Treibhausgas zusätzlich zu den bereits genannten 2 Millionen Tonnen aus, und zwar im Laufe von 30 Jahren, bis im Jahr 2050 endlich auch die letzten Autos mit Diesel- oder Benzinmotor verschrottet und durch Elektroautos ersetzt sind.
Selbstverständlich benötigen auch diese PKWs sehr viel Energie, und zwar in Form von elektrischem Strom. Aber in meinen Berechnungen habe ich unterstellt, dass ab 2050 kein Strom mehr durch fossile Energieträger erzeugt wird, sondern nur noch Sonnenenergie, Wind- und Wasserkraft sowie Geothermie verwendet werden. Doch es ist auch damit zu rechnen, dass sich die vollständige Umstellung auf Elektroautos weiter verzögert und dass der Ausstieg aus der Stromgewinnung mit Hilfe von Kohle, Öl und Erdgas länger dauert als geplant. In diesem Fall wird der gesamte Treibhausgasausstoß, für den S21 verantwortlich ist, nicht nur bei 4 bis 6 Millionen Tonnen liegen, wie ich das berechnet habe, sondern weitaus höher sein.
Noch besser wäre es allerdings, wenn innerhalb der Stadt der Großteil des Personenverkehrs und der Transport von kleinen Lasten zukünftig nicht mehr mit Motorfahrzeugen abgewickelt würde, auch nicht mit Elektroautos, sondern zu Fuß und per Fahrrad – auch mit dem Lastenfahrrad. Hierfür brauchen wir bequeme, breite, sichere Wege, ohne Behinderung und Gefährdung durch Autos. Denn die Verkehrsmittel Füße und Fahrrad sind unschlagbar, was die Einsparung von Energie, Lärm, Feinstaub und Flächen betrifft. Für bergige Strecken, wie sie in Stuttgart an der Tagesordnung sind, bieten sich auch Elektrofahrräder an, deren Energieverbrauch wegen ihres niedrigen Gewichtes, verglichen mit PKWs, verschwindend gering ist.
Durch die weitgehende Umstellung auf Fußgänger- und Fahrradverkehr können die Straßen in Stuttgart gegenüber heute stark verschmälert, die Parkstreifen am Straßenrand können beseitigt, die Stellplatzflächen können deutlich verkleinert werden. Und so entsteht mitten in der Stadt viel Platz, der nicht nur den Fußgängern und Fahrradfahrern zur Verfügung steht, sondern auf dem viele Bäume gepflanzt werden können, welche das CO2 aus der Atmosphäre entfernen und zugleich die aufgeheizte Luft abkühlen.
Alle bereits vorhandenen Bäume müssen – weil sie Klimaschützer ersten Ranges sind – konsequent geschützt werden, und zwar nicht nur vor Abholzung, sondern auch vor Verstümmelung. Diese Baumverstümmelung findet gerade im Winter massenhaft statt und oft bleiben hierbei nur noch Stümpfe aus Stamm und wenigen Hauptästen übrig. Diese Stummelbäume ohne feinverzweigtes Astwerk können keinen nennenswerten Beitrag zur Entfernung des CO2 aus der Atmosphäre leisten. Inkompetente, skrupellose Firmen haben sich da unter dem Deckmantel „Baumpflege“ ein neues Geschäftsfeld erschlossen, das eigentlich als Baumfrevel und Baumverstümmelung zu brandmarken ist und verboten werden müsste.
Generell ist die ständige weitere Bodenversiegelung und die Nachverdichtung durch immer mehr Häuser im ohnedies viel zu engen Raum Stuttgart vollkommen falsch für unser Klima. Vielmehr muss eine Ent-Siegelung, eine Ent-Dichtung, eine massive Be-Baumung der Stadt stattfinden. Zusammen mit dem dringend notwendigen Ausstieg aus der Zement- und Stahlindustrie, was den Verzicht auf Tunnels und Stahlbetonbauwerke verlangt, wäre das endlich der Schritt in die richtige Richtung, nämlich weg von der drohenden Klimakatastrophe.
Das alles bedeutet letztlich: OBEN BLEIBEN!
Jeder einzelne kann was bewirken aber keiner nimmt das so ernst. Klimawandel ist sehr ernst!!
Danke für den Beitrag.
Lg Mona