Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 446. Montagsdemo am 17.12.2018
Liebe Freundinnen und Freunde!
Als wir den Termin zu meiner heutigen Rede festlegten, konnten wir nicht ahnen, dass uns ein Terroranschlag in Straßburg erschüttern würde. Andererseits wissen wir alle, dass Anschläge immer drohen. Schon am 26.7. 2016 haben unser Landesvater Kretschmann und sein Stellvertreter Thomas Strobl wörtlich geäußert: „Zu den ersten Pflichten des Staates gehört es, für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen, Terror zu bekämpfen und Gewaltbereitschaft einzudämmen. Auch wenn wir wissen, dass eine hundertprozentige Sicherheit nie gegeben sein kann.“ Und Strobl hat hinzugefügt: „Wir haben weiterhin eine hohe abstrakte Gefährdungslage was Terroranschläge angeht.“
Innenminister Strobl weiß also, wovon er spricht und was seine Pflichten sind. In die Pflicht nehmen und namentlich benennen müssen wir übrigens alle, die bei Stuttgart 21 für Leib und Leben der Fahrgäste, der Bahnbediensteten, der Mitglieder von Feuerwehren und Rettungsdiensten verantwortlich sind. Seien es Bahnvorstände, Bahnaufsichtsräte, Minister, Branddirektoren, Mitarbeiter des Eisenbahnbundesamtes. Sie alle stehen unter kritischer Beobachtung.
Doch nun zu Thomas Strobl, Stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU: Er ist oberster Chef im Lande für Feuerwehren, Rettungsdienste, Polizei. Sein Amtseid lautet: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“ Daran haben ihn Eisenhart von Loeper und ich mit Briefen vom Juli und November diesen Jahres nachdrücklich erinnert. Auf den Gedanken kamen wir aufgrund der Feststellungen in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Dort ging es um eine Klage der Ingenieure22 auf Einsichtnahme in die Evakuierungspläne bei S21. Diese Klage wurde abgewiesen mit der Begründung, die Kenntnisnahme der Unterlagen durch Unbefugte könne zu einem Missbrauch dieser Informationen für einen terroristischen Angriff auf den Bahnbetrieb führen.
Ausgerechnet die Deutsche Bahn als Beklagte hatte in dem Prozess unter anderem ausgeführt: „Es ist bei den Sicherheitsbehörden sowie allgemein bekannt, dass Infrastrukturanlagen wie Flughäfen und Bahnhöfe hervorgehobene Zielobjekte für Terroristen sind. Diese Anlagen sind deshalb besonders sensibel und bedürfen eines besonderen Schutzes, der bereits präventiv einsetzen muss.“
Wenn dem aber so ist, muss man endlich Vorsorge für diesen denkbar schlimmsten Fall treffen. Genau das haben wir von Innenminister Strobl eingefordert. Auf unseren ersten Brief ließ er den Landespolizeipräsidenten antworten. Der teilte uns mit, dass eine konkrete Anschlagsgefahr nur dann bestehe, wenn die Informationen über die Evakuierungsplanung herausgegeben werden. Mit anderen Worten, Terroristen würden nur dann Anschläge begehen, wenn sie die den Ingenieuren22 verweigerten Informationen bekämen. Das ist natürlich absurd. Dazu hat inzwischen der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, welcher die Berufung der Ingenieure zugelassen hat, festgestellt: „Sicherheitskonzepte im Rahmen des Bahnprojekts betreffen wesentliche, die Allgemeinheit berührende Fragen.“
Wie richtig dies ist, zeigt der Anschlag vom 7. Oktober 2018 mit einem Drahtseil auf einen ICE bei Allersberg, verbunden mit hinterlassenen Drohschreiben, in denen konkret Anschläge auf Bahneinrichtungen angekündigt wurden. Hinzu kommt der ICE-Brand bei Montabaur, der sämtliche Behauptungen der Bahn widerlegt hat, solche Züge könnten nicht in Brand geraten.
Ich füge gleich hinzu, dass nicht einmal die lückenlose Überwachung der Bevölkerung, wie sie Politiker planen, den Terror sicher verhindern kann. Und deshalb muss man fragen: Welche vorbeugenden Maßnahmen haben die Verantwortlichen ergriffen, um im Falle eines Anschlages die schlimmsten Folgen abzuwenden? Damit sind wir bei den völlig verkorksten Bau-und Rettungsplänen für den Tiefbahnhof wie auch für die S-21-Tunnel. Ihr alle kennt das aktuelle Gutachten von Hans Heydemann und Christoph Engelhardt zu diesen Fragen. Wenn man deren Feststellungen zu einem Brandgeschehen aufgreift, so wird schnell klar, dass ein Terroranschlag fatale Folgen hätte.
Von Angriffen mit chemischen, biologischen oder radioaktiven Substanzen will ich hier gar nicht reden. Zu befürchten ist das Legen von Bomben und von Brandsätzen in fahrenden Zügen oder auch irgendwo an den Gleisstrecken, vor allem natürlich im Bahnhof. Bei einem Anschlag würde das Rettungskonzept, sofern man von einem solchen überhaupt sprechen kann, völlig versagen. Bekanntlich schließt die Planung aus, dass es gleichzeitig in der S21-Tiefbahnsteighalle und in der S-Bahn-Haltestelle Hauptbahnhof zu einem Brandereignis kommt.
Was aber wäre, wenn Terroristen an beiden Orten zuschlagen? Dann sind die Zugänge von den Bahnsteigen der Tiefbahnsteighalle zur S-Bahn-Haltestelle überhaupt nicht nutzbar. Die Menschen kämen nicht mehr lebend aus dem verrauchten Bahnhof heraus.
Deshalb haben wir Thomas Strobl konkret gefragt, was er als verantwortlicher Minister zur Beseitigung der bei einem Anschlag drohenden Gefahren zu tun gedenke und welche Konsequenzen er für eine Brandbekämpfung und die Rettung von einigen hundert Menschen im Tiefbahnhof und den dazugehörigen Tunnelröhren ziehe. Wir haben gefordert, schon jetzt eine Großübung zur Rettung beim Brand eines Zuges beim Projekt Stuttgart 21 durchzuführen, notfalls unter Errichtung von Kulissen.
Leider haben wir auf unser zweites Schreiben keinerlei Antwort bekommen. Das sollte uns aber nicht beunruhigen: Der Innenminister ist gerade damit beschäftigt, aufgrund der Regierungsinitiative zur Erhaltung unseres Dialekts sein Polizeigesetz ins Schwäbische zu übertragen. Daneben befindet er sich nach unbestätigten Berichten in jeder freien Minute zusammen mit seinem Ministerkollegen Hauk auf Wolfsjagd. Das ist natürlich zum Schutz von Rotkäppchen vordringlich.
Nun bleibt mir nur noch, Euch allen für die Unterstützung und Euer Durchhaltevermögen zu danken sowie Euch eine schöne Adventszeit und ein friedliches Weihnachtsfest und uns allen – oben bleiben – zu wünschen!