Rede von Mike Pflugrath, ‚Stuttgart 21 ist überall‘, auf der 445. Montagsdemo am 10.12.2018
Vieles. Wenn wir über den Tellerrand von Stuttgart 21 hinaus schauen und den Widerstand gegen andere unnütze und aufgezwungene Großprojekte betrachten, dann sehen wir immer wieder die gleichen Mechanismen am Werk. Mit vollem Recht sprechen wir vom „Prinzip Stuttgart 21“. Und dieses Prinzip verletzt auch vielfältig unsere Menschenrechte. Das fängt damit an, dass zur Rechtfertigung der Projekte regelmäßig der Nutzen übertrieben und negative Folgen verheimlicht und kritische Informationen unterdrückt werden. Bei Stuttgart 21 können wir ein langes Lied davon singen.
Aber Regierungen und Konzerne lügen nicht nur das Blaue vom Himmel, versuchen Bewegungen durch Mitmachfallen (à la „Faktencheck“ oder Volksabstimmung) zu Tode zu umarmen … Wenn die Menschen trotzdem auf die Straße gehen, greift der Staatsapparat zu massiver Gewalt. Wir werden den Schwarzen Donnerstag vom 30. 9. 2010 nicht vergessen. Ähnliche und teils noch schlimmere Fälle von Polizeigewalt gab es im Susatal oder in Notre Dame des Landes und erst vor wenigen Wochen im Hambacher Forst. Ein schrecklicher Höhepunkt war der Tod des 21jährigen Rémi Fraisse am 26. Oktober 2014, der beim Protest gegen den Damm von Sivens von einer Blendgranate der Gendarmerie getroffen wurde.
Vor Gericht geht die Repression weiter. Skandalös harte Urteile („Körperverletzung“ für das Blasen in Trillerpfeifen etc.) haben wir auch in Stuttgart erlebt. Bei den Protesten im Susatal und im Baskenland gegen Hochgeschwindigkeitsstrecken wurden sogar Anti-Terror-Paragraphen hervorgeholt, um Protestierende jahrelang hinter Gitter zu bringen.
Neben dem staatlichen Vorgehen gegen Protestbewegungen verletzt auch die Durchführung der Projekte auf verschiedene Weise die Menschenrechte. Als die Erklärung der Menschenrechte 1948 verabschiedet wurde, war zwar von ökologischen Menschenrechten noch keine Rede, es ist aber längst offensichtlich, dass Klimawandel und andere Folgen der Umweltzerstörung auch die Gesundheit der Menschen bedrohen und ihre Leben verkürzen. Dass Stuttgart 21 auch ein Klimakiller ist, haben MitstreiterInnen letztes Jahr vorgerechnet. Besonders krass gilt das für die bisher nur aufgeschobene Zerstörung des Hambacher Forstes und die Braunkohle, aber auch für andere Projekte wie z.B. die Abholzung des Waldes in Kolbsheim bei Strasbourg. Deshalb haben die Bewegung im Susatal, unser Arbeitskreis und andere AktivistInnen auch die Verbindung zum ebenfalls Anfang Dezember stattfindenden Klimagipfel in Katowice in Polen hergestellt, wo die Regierenden erfahrungsgemäß versuchen werden, die Klimaerwärmung mit dem Absondern von heißer Luft zu stoppen.
Aber auch auf andere Weise bedrohen Großprojekte Umwelt, Gesundheit und Leben. Beim Goldbergbau (in Roșia Montană in Rumänien wurde das – vorerst? – gestoppt, aber anderswo nicht) entstehen Stauseen voll hochgiftigem Zyanid, die sich wie im Januar 2000 in Baia Mare in Rumänien über die Landschaft ergießen können. Im Susatal werden die Tunnel durch uran- und asbesthaltiges Gestein getrieben etc.
Wenig bekannt ist, dass in der UN-Charta der Menschenrechte auch soziale Rechte wie das Recht auf soziale Sicherheit und das Recht auf Wohlfahrt enthalten sind. Auch diese Rechte werden verletzt, wenn für unnütze Großprojekte öffentliche Gelder verwendet werden, die dann in gesellschaftlich sinnvollen Bereichen wie Bildung, Gesundheitswesen, bezahlbaren Wohnungen etc. fehlen. Befürworter dieser Projekte verweisen – wie zuletzt beim Hambacher Forst – heuchlerisch auf mit ihnen verbundene Arbeitsplätze. Aber bei der Umstellung auf eine den Bedürfnissen von Menschen und Umwelt entsprechende Wirtschafts- und Lebensweise gäbe es jede Menge Arbeit. Arbeit dafür, diesen Planten zu erhalten und lebenswerter zu machen, anstatt ihn zu zerstören!
Wir in Stuttgart, wir sagen: oben bleiben!