Rede von Sabine Leidig, MdB LINKE und Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags, auf der 444. Montagsdemo am 3.12.2018
Liebe Freudinnen und Freunde,
ich danke euch für die Einladung und freue mich, mal wieder auf einer Montagsdemo hier in Stuttgart zu reden – und schön, dass ihr da seid auch bei Wind und Wetter!
Gerade hat in Katowice im Nachbarland Polen der Weltklimagipfel begonnen – die Lage ist dramatisch: alle Wissenschaftler sind sich einig, dass das Ziel nicht mehr erreicht werden kann, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad über der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Kein Wunder: seit Jahrzehnten läuft die Megamaschine für kapitalistisches Wachstum immer weiter. Dabei ist völlig klar: wenn dieser Planet lebenswert bleiben soll, müssen neue Maßstäbe für ein gutes Leben gelten. Warum sage ich das, wo ich doch über das „Gesetz zur Beschleunigung der Planung von Verkehrsprojekten“ sprechen soll, das vor kurzem von der Großen Koalition im Bundestag beschlossen wurde? Weil dieses Planungsbeschleunigungsgesetz dem alten Credo folgt, dass Verkehr und Verkehrswachstum der Wirtschaft und dem Wohlstand dient. Und weil die Bauindustrie, die Autokonzerne, der Onlinehandel und die Logistikunternehmen bei dieser Melodie der Takt vorgeben – aber nicht die demokratische, bürgerschaftliche Vernunft.
Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, dass besser geplant wird und dass die Bürgerinnen und Bürger besser beteiligt werden! Und zwar für die längst überfällige Verkehrswende. Es ist widersinnig, heute noch mehr Autobahnen zu bauen. Der umweltschädliche Straßenverkehr muss reduziert werden. Aber die Alternative – den sinnvollen Ausbau von Schienen und Wasserstraßen – die unterstützen wir nach Kräften.
Das wird aber mit ihrem Gesetz genau nicht gelingen; im Gegenteil. Mit dem Gesetz wird die Beteiligung von Bürger*innen und Umweltverbänden eingeschränkt – aber das ist genau der falsche Weg!
Seit 1990 sind demokratische Beteiligungsrechte beim Bau von Verkehrsprojekten und Industrieanlagen schrittweise abgebaut worden – hinter dem Rücken der Öffentlichkeit. Aber vor ziemlich genau acht Jahren, am „Schwarzen Donnerstag“ wurde im Stuttgarter Schloßgarten eine friedliche Demonstration gegen S21 mit Polizeigewalt niedergeschlagen. Da kam das Thema auf den Tisch.
Und ein Grundproblem: nämlich dass Vorschläge und Einwände erst am Ende der Planungen überhaupt eingebracht werden können: Dann, wenn das „Ob“ einer Maßnahme gar nicht mehr zur Debatte steht und nur noch wenig verändert werden kann.
Damals war das Problem so offensichtlich, dass sich sogar die Bundeskanzlerin Frau Merkel für mehr Bürgerbeteiligung ausgesprochen hat. Ein Gesetzesentwurf der Union-FDP-Regierung, der weniger Beteiligung vorsah, ist 2011 gestoppt worden. Jetzt also ein neuer Anlauf – dieses Mal mit Beteiligung der SPD.
Was steht drin im Gesetz? Es soll vorläufige Anordnungen geben können für Teilmaßnahmen, ohne ordentliches Planfeststellungsverfahren. Sogar der Erörterungstermin steht in Frage. So kann man Fakten schaffen, bevor die Öffentlichkeit überhaupt von den Plänen erfährt. Es können private Projektmanager eingesetzt werden, von denen man gar nicht weiß, welche Abhängigkeiten da bestehen.
Klagen werden generell nur vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen, was den Rechtsweg noch schwieriger macht und für Bürgerinis kaum finanzierbar ist. Und die Belastung durch Verkehrslärm soll nicht neu überprüft werden, auch wenn Jahre nach der Planung dann beim Baubeginn in Wirklichkeit viel mehr Verkehr rollt.
Die Bundesregierung hat Vertreter der Bauherren und Bauunternehmen zusammengeholt und nannte das „Innovationsforum Planungsbeschleunigung“. Die Naturschutzverbände sind ausgestiegen, weil es eine Mogelpackung ist. Bürgerinitiativen wurden überhaupt nicht einbezogen.
Sie haben gar keine Analyse vorgelegt, was eigentlich wirklich konkrete Hindernisse für die gute Fertigstellung von Infrastrukturprojekten sind. Dabei wissen wir, dass Projekte – und das gilt nicht nur für den BER – auch an Fehlplanungen scheitern oder am Chaos von Sub- und Subsub-Unternehmen … auch an schlechten Arbeitsbedingungen bei Bauunternehmen.
Das Hauptproblem liegt in den Ämtern und Behörden selbst: dort ist zu wenig fachkompetentes Personal vorhanden. Eigentlich müssten die Genehmigungsbehörden die eingereichten Planungsunterlagen fachlich und juristisch kompetent beurteilen und dafür sorgen, dass die Maßnahmen so gut geplant werden, dass viele Einwendungen und Klagen gar nicht nötig werden.
Ich erinnere an das geplante Grundwassermanagement beim Tunnelbahnhof in Stuttgart. Die Ingenieure gegen S21 hatten sehr früh darauf hingewiesen, dass es völlig unterdimensioniert ist. Später musste der Bauherr Deutsche Bahn AG zugeben, dass mit 6,8 Millionen Kubikmeter die doppelte Menge Grundwasser entnommen werden muss. Dafür war dann ein neues Genehmigungsverfahren nötig.
Die Hälfte aller Klagen von Naturschutzverbänden würde wegfallen, wenn diejenigen, die Auto- oder Eisenbahnen planen, die geltenden Gesetze und Bestimmungen kennen und einhalten würden. Das heißt, wenn schon bei der Planung die Umweltschutzbehörde einbezogen wird, kann es besser werden und schneller gehen.
Wir sind der Meinung, dass Bürgerinnen und Bürger frühzeitig und umfassend beteiligt werden müssen, wenn vor ihrer Haustür Verkehrswege gebaut werden. Und wir wollen, dass gerade bei großen Infrastrukturprojekten Alternativen ernsthaft geprüft werden. Bei neuen Bahnstrecken werden bereits Dialogforen eingerichtet – allerdings unverbindlich. Das müsste geändert werden.
Die Abgeordneten von SPD und CDU/CSU haben mit einem Entschließungsantrag die Bundesregierung mit ein paar Prüfaufträgen versehen. Da kann ich nur sagen: wenn das meine Regierung wäre, dann hätte ich die Prüfungsergebnisse verlangt, bevor ein Gesetz verabschiedet wird.
Die Grünen haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem Richtiges drin steckt. Dem haben wir zugestimmt. Und weil auch vom Bundesrat im Vorfeld deutliche Kritik gekommen war, hatte ich die feste Hoffnung, dass dieses Gesetz im Bundesrat NICHT die notwendige Zustimmung der Länder bekommt.
Das wäre eigentlich einfach gewesen: 35 Stimmen braucht es dort für die Mehrheit; aber CDU/CSU/SPD verfügen nur über 31 Stimmen. Die Länder in denen DIE LINKE oder BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der Landesregierung beteiligt sind, hätten sich zumindest enthalten müssen …. Aber: Gegenstimmen und Enthaltungen gab es nur aus Berlin, Brandenburg und Thüringen, weil DIE LINKE das bewirkt hat. Die Grünen sind leider umgefallen und haben das Gesetz nicht gestoppt – obwohl sie in 11 Bundesländern Einfluss auf das Stimmverhalten haben. Sehr schade!
Ich will nochmal sagen, dass ich am schlimmsten finde, welche Botschaft die Regierung mit diesem Gesetz aussendet: aktive Bürgerinnen, Bürgermeister oder Umweltinitiativen werden als Störenfriede dargestellt, die staatliches Handeln erschweren. Dabei ist das Gegenteil richtig: ohne kompetente Menschen, die ihre Bedenken und Vorschläge einbringen gibt es keine lebendige Demokratie. Und keine bessere Verkehrsinfrastruktur und schon gar keine Verkehrswende.
Für Klimaschutz und Lebensqualität brauchen wir natürlich auch eine bessere Bahn für alle! Und wenn es wirklich um schnellere Umsetzung von sinnvollen Bahnprojekten gehen würde, dann muss zumindest Geld bereitgestellt wird für besseren Lärmschutz! Was bei „Baden 21“ in vielen Jahren von den Bürgerinis durchgesetzt worden ist, muss Standard werden, damit nicht immer wieder Gesundheit und Wohlbefinden der Anwohner gegen Verlagerung auf die Schiene ausgespielt wird. Wir brauchen beides!
Klar und wir brauchen überhaupt endlich eine massive Umverteilung von Investitionsmitteln und Subventionen von Straßen- und Flugverkehr hin zu Fuß, Fahrrad, Bus und Bahn!
Für die sinnvollen Ausbaumaßnahmen, die jetzt endlich in den vordringlichen Bedarf im Bundesverkehrswegeplan eingestuft wurden, sind 71 Milliarden Euro nötig. Wenn da nicht erheblich mehr Geld hingelenkt wird, dauert es mindestens 40 Jahre (bis 2060), die zu finanzieren. Und gleichzeitig sollen in den nächsten 10 Jahren über 50 Milliarden Euro in Bundesstraßen und Autobahnen fließen. Das ist völlig absurd!
Allerdings reicht es bei weitem nicht, für Umverteilung zu kämpfen. Die Misere der Deutschen Bahn-AG ist groß und leidlich bekannt. Als Stammkundin weiß ich davon auch ein eigenes Lied zu singen. Man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass das Unternehmen einen Prozess der Auflösung erlebt bzw. die Selbstzerstörung durchzieht.
Es ist nicht zu übersehen, dass die jahrelangen Sparmaßnahmen besonders bei der Instandhaltung von Zügen und Infrastruktur einen desolaten Effekt hinterlassen haben. Wir haben seit Jahren gewarnt, wurden aber bislang immer belächelt. Es freut mich nicht, dass wir recht hatten, aber man sieht, dass die herrschende Bahnpolitik dringend und grundsätzlich geändert werden muss.
Immerhin reden jetzt alle darüber. Allerdings sind Vorschläge in der Debatte, die unbedingt wieder vom Tisch müssen – und da bitte ich um eure Unterstützung: Es geht um die Forderung von Prof. Eisenkopf „die Infrastruktur- und die Transportebene voneinander zu trennen“ und den „Transport auf die Prinzipien der Marktwirtschaft zu stellen“. Diese Forderung wird nun auch von den Grünen, von Toni Hofreiter wieder stark gemacht. Das verstehe ich überhaupt nicht!
Nirgendwo auf der Welt gibt es eine solche Trennung, die für Fahrgäste und Steuerzahler gut ist. Und das Paradebeispiel für eine Bilderbuch-Bahn, die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), funktioniert im Gegenteil deshalb so gut, weil im Nachbarland Infrastruktur und Transport in einer Hand sind. Und weil es da nicht einen abstrakten Wettbewerb, sondern einen konkreten, dichten Taktfahrplan gibt, weil da nicht Gewinn und Markt, sondern Kundenwohl und Steuereffizienz im Zentrum stehen.
Im Grundgesetz Artikel 87e steht eindeutig, dass „beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes“ UND bei den „Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz“ das „Allgemeinwohl“ und die „Verkehrsbedürfnisse“ im Zentrum stehen müssen. Wie verträgt sich das mit den „Marktprinzipien“?
Im Grunde geht es bei den Trennungsforderungen um die einen fatalen, neuen Anlauf zur Bahnprivatisierung. Prof. Eisenkopf war übrigens 2006 in der Mehdorn-Ära am „PRIMON“-Gutachten beteiligt („Privatisierung mit und ohne Netz“).
Es ist und bleibt ein Glück, dass wir damals – mit der Kampagne „Bahn für Alle“ Erfolg hatten und diese Bahnprivatisierung verhindern konnten. Ich war damals als Geschäftsführerin von Attac dabei aktiv beteiligt! Unser demokratisches Aufbegehren hat die Pläne verzögert und dann kam die Finanzmarktkrise …
In der Zwischenzeit haben die einschlägigen Beratungsunternehmen McKinsey & Co. nun erneut Lösungsvorschläge erarbeitet – die wieder viel Geld kosten sollen. Zur Erinnerung: Diese Berater haben vor zwei Jahren schon das Programm „Zukunft Bahn“ entwickelt, das angeblich die Probleme des inländischen Bahnverkehrs lösen und unter anderem zu mehr Pünktlichkeit führen sollte. Stattdessen ist alles bekanntlich noch viel schlimmer geworden. Ich finde es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die gleichen Berater diesmal Vorschläge machen, die tatsächlich die Probleme nachhaltig lösen. Mit diesen Top-down-konzepten muss endlich Schluss sein!
Für eine neue Bahnreform will ich, dass endlich die Beschäftigten mit ihrer konkreten Erfahrung, mit ihrer Kompetenz und ihren vielen guten Lösungsvorschlägen zum Zuge kommen! Hier liegt bahnpolitisches Potential! Und natürlich bei den Fahrgästen, den Verkehrswendeinitiativen und bei euch: Denn eine Maßnahme könnte die DB AG sofort entlasten: Der Stopp des unsinnigen Projekts Stuttgart 21! Unser Antrag für Ausstieg und Umstieg bei Stuttgart 21 liegt gut begründet dem Bundestag vor.
Noch immer lassen sich mit einem Baustopp über 4 Milliarden Euro sparen – und gleichzeitig ein besserer zukünftiger Bahnverkehr realisieren – ich erinnere an unsere Anhörung im Bundestags-Ausschuss im Frühsommer. Denn der geplante Tiefbahnhof würde einen bestens funktionierenden und ausreichend großen Bahnhof ersetzen und dabei einen neuen Engpass im Schienennetz schaffen, weil die Kapazitäten des geplanten Kellerbahnhofs einfach nicht ausreichen.
Zudem sind viele Sicherheitsfragen wie der Brandschutz noch immer nicht geklärt – der BER lässt grüßen. Und mit dem „Umstieg 21“ liegt sogar ein Konzept vor, wie die schon halbfertigen Bauleistungen sinnvoll umgenutzt werden können.
Jede Strategie zur Krisenbewältigung der DB AG bleibt unglaubwürdig, solange das Projekt Stuttgart 21 dabei weiterläuft!
Für gerechte und demokratische Verkehrsverhältnisse heißt es in jedem Fall: oben bleiben!