Liebe Freundinnen und Freunde,
da können wir aber von Glück sagen, dass wir uns heute hier treffen und demonstrieren dürfen! Ihr meint, das sei doch selbstverständlich, steht in unserem Grundgesetz. Wenn ihr so naiv sei, dann habt ihr vergessen, dass die Grundrechte durch Gesetze eingeschränkt werden dürfen. Und jetzt kommt Paragraf 26 des Polizeigesetzes unseres Landes ins Spiel. Hätte nämlich die Polizei gemeint, dass wir uns hier an einem besonders gefährdeten Ort versammeln, an dem Straftaten begangen werden, so hätte sie die Personalien aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer feststellen, diese und ihr Gepäck durchsuchen, ihnen das Vesper und die Getränke abnehmen, Zugangskontrollen durchführen und die Presse abweisen können. Wie ich auf diese Idee komme? Ganz einfach, ich habe die Berichte zum Durchgreifen der Polizei im Hambacher Forst gelesen und gehört. Das sind jetzt alles keine erfundenen Beispiele, sondern sie sind dokumentiert. Durch die Polizei sollen dort auch Demosanitäter mit Pfefferspray angegriffen worden sein. Das wundert einen nicht, denn wir kennen das von unserem Schwarzen Donnerstag.
Hätte man damals am 30.9.2010 den Schlossgarten als besonders gefährdeten Ort einstufen und die erwähnten Maßnahmen durchführen können, so hätten sich allerdings Probleme ergeben. Da ja, wie inzwischen auch das Verwaltungsgericht Stuttgart festgestellt hat, das Unrecht von der Polizei ausging, hätte man tatsächlich die Personalien der Polizistinnen und Polizisten einschließlich der in Zivil auftretenden Beamten und so genannter Agents Provocateurs feststellen müssen, die – so besteht zumindest der Verdacht – friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten zur Begehung von Straftaten anstacheln wollten.
Bislang habe ich nur von Angehörigen des Polizeidienstes gesprochen. Wir dürfen aber auch die wahren Drahtzieher nicht vergessen. Man muss sich das nicht so vorstellen, dass der damalige Ministerpräsident Mappus konkrete Befehle ausgegeben hätte, gegen uns brutal mit Pfefferspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken vorzugehen. Nein, in seiner Umgebung, also zum Beispiel im Staatsministerium, hatte er willige Helfershelfer, die in vorauseilendem Gehorsam das umsetzten, von dem sie ausgingen, es sei im Interesse von Mappus.
Bekanntlich gab es zu dieser Frage zwei Untersuchungsausschüsse des Landtags. Ich habe die entsprechenden Sitzungen mit meinem Wissen und meiner Erfahrung als langjähriger Staatsanwalt und Richter begleitet. Wenn man gelernt hat, auf Lügensignale zu achten und die Glaubhaftigkeit von Aussagen zu hinterfragen, so gab es genügend Alarmzeichen.
In einem Fall ging es auch um widersprüchliche Aussagen zu der Frage, ob der Termin für den Polizeieinsatz vom 30.9.2010 durchgezogen wurde, weil wenige Tage danach eine Regierungserklärung von Stefan Mappus beabsichtigt war, sowie darum, warum es kein Protokoll einer entsprechenden Sitzung gab. Diese Widersprüche waren so auffallend, dass ich gegen den damaligen Amtschef Bernhard Bauer eine Strafanzeige wegen falscher uneidlicher Aussage erstattet habe. Das Verfahren wurde allerdings vom damaligen Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler, einen Schulfreund Bauers, eingestellt.
Festzuhalten bleibt, dass trotz vieler festgestellter Verstöße gegen Recht und Gesetz von der politischen Ebene gar niemand und von der polizeilichen Ebene fast niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Viele polizeiliche Gewalttaten sind zwar gut dokumentiert, aber die vermummten Täter konnten nicht identifiziert und bestraft werden. Soweit überhaupt etwas geschah, traf es nur Polizeibeamte der unteren Chargen mit einer einzigen Ausnahme: Die Verantwortung des damaligen Polizeipräsidenten Stumpf für rechtswidrige Wasserwerfereinsätze mit vielen Verletzten war am Ende so klar, dass selbst der Stuttgarter Staatsanwaltschaft nichts anderes mehr übrig blieb, als gegen ihn beim Amtsgericht Stuttgart einen Strafbefehl zu beantragen. Und das trotz des Umstandes, dass er seine Anwesenheit im Schlossgarten bestritten hatte und bei dieser Lüge lange Zeit gedeckt worden war.
Ob man Stumpf deshalb als Bauernopfer sehen will, ist eine Frage der Einschätzung. Jedenfalls wäre es auch heute noch interessant, mit ihm einmal über die Hintergründe des Einsatzes und die handelnden Personen zu sprechen. Ein langjähriger Traum von mir, der sicher nicht wahr werden wird. Genauso wie mein Traum, dass die schon im Koalitionsvertrag von Grün-Rot vereinbarte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte endlich umgesetzt wird.
Es nützt aber nichts, in den bitteren Erinnerungen der Vergangenheit zu verharren, denn wir haben auch bedeutende Erfolge erzielen können. Der polizeiliche Einsatz im Schlossgarten wurde rechtskräftig als rechtswidrig festgestellt. Einige Verletzte haben Entschädigungen erhalten. Auch wenn diese hätten höher sein sollen, ist es ein wichtiges Symbol. Man mag zum Ministerpräsidenten
Kretschmann stehen wie man will, doch immerhin hat er sich für den Polizeieinsatz und seine Folgen offiziell entschuldigt, obwohl er dafür keine Verantwortung trug. Solche Worte hätte man gerne auch von den damals Verantwortlichen gehört, doch darauf wird man bis zum Sankt Nimmerleinstag warten müssen. Erst jüngst hat Stefan Mappus in einer Fernsehdokumentation wieder jede Verantwortung weit von sich gewiesen.
Welche Lehren ziehen wir aus den Geschehnissen des 30. September? Ich meine, dieser Tag hat einiges in der politischen Landschaft verändert und unsere Bewegung zusammengeschweißt. Und er hat gezeigt, dass man nicht mit staatlicher Gewalt friedliche Bürger an der Ausübung ihrer demokratischen Rechte hindern kann, und dass es auch Gerichte gibt, die Grundrechte durchsetzen.
All diese Erkenntnisse sind wichtig für unsere Bewegung und für den Kampf, der weiter vor uns liegt, bis das unsinnige Projekt S 21 gestoppt ist. Ich denke jetzt insbesondere auch an die Vorgänge im Hambacher Forst. Vieles, was dort geschieht, gleicht unseren Erfahrungen aufs Haar. Ich bewundere den Mut und die Entschlossenheit der vielen Menschen dort, für den Erhalt eines Naturdenkmals einzustehen und den weiteren Einsatz der Braunkohle, die unseren Planeten gefährdet, zu stoppen. Umso wichtiger ist es, dass wir jene Bewegung unterstützen und durch unsere Teilnahme bei der geplanten Demonstration nächsten Samstag zeigen: Wir lassen uns nicht einschüchtern!
Ebenso wenig lassen wir uns bei unserem Kampf gegen das Wahnsinnsprojekt Stuttgart 21 einschüchtern. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denen bedanken, die an der Mahnwache, in vielen Fach- und Stadtteilgruppen und in etlichen Gruppen außerhalb Stuttgarts weiterhin Seite an Seite stehen und nicht aufgeben. Denn wir haben die besseren Argumente getreu unserem Motto:
Oben bleiben!
Auch diese Behauptungen des Herrn Reicherter können nicht unwidersprochen bleiben.
Ob bei den Ereignissen im Hambacher Forst sog. Demosanitäter von der Polizei mit Pfefferspray angegriffen wurden, weiß ich nicht. Die Behauptung, dies sei auch am 30.09.2010 in Stuttgart geschehen, wird von Herrn Reicherter ohne Beleg einfach so in den Raum gestellt. Dies gilt auch für das unwahre Vorbringen zu angeblich als Agents Provokateurs tätigen Polizisten, die friedliche Demonstranten zur Begehung von Straftaten hätten anstacheln wollen. Auch mit seiner Behauptung, es seien viele polizeiliche Gewalttaten zwar gut dokumentiert worden, aber die vermummten Täter hätten nicht identifiziert und bestraft werden können, strickt Herr Reicherter an einer Mär. Absurd wird seine Meinung, der Schlossgarten sei am 30.09.2010 ein besonders gefährdeter Ort gewesen, an dem Straftaten (von Polizeibeamten) begangen worden seien, weshalb nach § 26 des Polizeigesetzes die Personalien der anwesenden Polizeibeamten hätten festgestellt werden müssen. Ungeachtet der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sind die Vollstreckungshandlungen der Polizei nach der zwischenzeitlich auch Herrn Reicherter bekannten Rechtsprechung des BGH und des OLG Stuttgart nicht per se als Straftaten zu werten.
Was den Verdacht der falschen uneidlichen Aussage des Ministerialdirektors a.D. Bauer anbelangt, weiß Herr Reicherter wiederum alles besser als die seinerzeit zur Prüfung und Entscheidung berufenen Amtsträger. Seine Insinuation, mein Beitrag zur Beurteilung seiner Anzeige hänge damit zusammen, dass Herr Bauer und ich Schulfreunde gewesen seien, ist lächerlich. Die Freundschaft beschränkte sich auf die nun bald 60 Jahre zurückliegende gemeinsame Grundschulzeit, danach brach mein Kontakt zu Herrn Bauer ab.