Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder, auf der 421. Montagsdemo am 25.6.2018
Wundert euch nicht, ich hole weit aus: In vorchristlichen Zeiten, vor 10.000 Jahren, also nach der letzten Eiszeit, entstanden unsere weltweit einzigartigen Böden auf den Fildern. Schließlich, im dritten Jahrhundert n. Chr., haben unsere schwäbischen Vorfahren die Römer verjagt und seither die fruchtbaren Lößböden bewirtschaftet.
Große Heimsuchungen der bis dahin fast ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Filderebene gab es bereits in den 1930er Jahren. 1934 zog man quer durch die Felder die Reichsautobahn und im Jahre 1939 baute man pünktlich zu Kriegsbeginn einen kleinen, zunächst nur militärisch genutzten Flughafen.
In der Nachkriegszeit kamen die hungrigen Städter auf die abgeernteten Felder, um restliche Ähren oder Kartoffeln zu sammeln. 1967, vor genau 51 Jahren – Hans Filbinger war Ministerpräsident und Arnulf Klett OB – wurde ein Planer beauftragt mit der Idee, die gesamte Filderebene durch einen interkontinentalen Großflughafen mit drei kompletten Startbahnen vollständig zu zerstören. Dies war die Geburtsstunde der „Schutzgemeinschaft Filder“, die diesen Wahnsinn verhindern konnte.
In den 90er Jahren schließlich verlängerte man die Startbahn um 1.380 Meter nach Osten und verschwenkte gleichzeitig die auf sechs Spuren erweiterte Autobahn. Über 240 Hektar (das entspricht etwa 350 Fußballfeldern) bester Ackerboden verschwanden auf alle Ewigkeit unter einem Betonleichentuch. Lothar Späth hatte damals versprochen, dass dies die letzte große Heimsuchung der Filderebene bleiben sollte. Ihr aber wisst, und er wusste es natürlich auch, dass dies niemals eingehalten würde.
Im Jahr 1994 kamen die ersten S 21-Pläne auf, kurz darauf die Pläne für eine Großmesse, die dann 2004 mit Hilfe eines neu erfundenen Gesetzes umgesetzt wurde. Das war staatlich sanktionierte Rechtsbeugung. Wieder wurden fast 200 Hektar Boden zerstört. Man baute ein überdimensioniertes Frachtzentrum, die Umfahrung Bernhausen, begann mit der Airportcity, und vieles mehr.
Dann 2006 Pläne für eine zweite Start- und Landebahn. Im Schulterschluss mit über 40 Kommunen konnte dies 2008 verhindert werden. Dazu ein obszöner Kommentar eines Filder-Bürgermeisters nach diesem grandiosen Sieg: „Jetzt können wir endlich wieder in unserer Gemeinde frei planen.“ Womit wir mitten im Thema sind.
Man stemmte sich gegen eine zweite Startbahn, argumentierte überzeugend gegen Landverbrauch und für Ökologie und macht dann im Kleinen vor Ort genau so weiter. In der Summe planen die Filderorte zurzeit einen neuen Flächenverbrauch von weit mehr als der Fläche, die durch die zweite Startbahn für immer vernichtet worden wäre, und die Messe wird erweitert, die Airportcity wächst, die Schnellbahntrasse entlang der Autobahn (Stuttgart 21) und die auf acht Spuren erweiterte BAB verschlingen erneut ca. 60 Hektar usw. usw.
Der inzwischen satte Städter fragt jetzt, was ist denn daran so schlimm? Ich zeige euch hier eine Handvoll guten Filderboden und einen kleinen Brocken Beton. Hier steht Leben gegen Tod! In dieser Handvoll Erde sind weit über 10 Milliarden Organismen (Bakterien, Pilze, Mikrofauna, …) also mehr als es Menschen auf diesem Planeten gibt.
Wir Menschen können nur überleben, wenn wir zu atmen und zu essen haben. Wir leben von wenigen Kilometern Luft über uns und von einigen Dezimetern Boden unter uns. Der Boden, und erst recht unsere gute Fildererde, ist die Grundlage unserer Ernährung. Etwa 90 Prozent unserer Nahrungsmittel stammen von Böden. Böden regulieren den Wasserhaushalt, das Klima, wirken dem Insektensterben entgegen usw. Gute Böden sind aber eben nicht vermehrbar. Der Boden wehrt sich nicht, er schreit bei Misshandlung nicht … Böden sind leicht verfügbares Gelände. Also plant man sie hemmungslos kaputt.
In Neuhausen z. B. werden im Moment (Akademiegärten, Ziegeleigelände) Wohnungen für ca. 1.000 Menschen mit ca. 800 Autos gebaut, am geplanten S-Bahn-Halt soll, ja muss, aufgesiedelt werden, sonst würde die S-Bahn nicht genehmigt. Filderstadt diskutiert ein Leitbild mit fast 300 Hektar Landverbrauch und ein Einwohnerwachstum von 3.000 Menschen in den nächsten zwölf Jahren und träumt vom Filder Silicon Valley. Ostfildern, das im Scharnhäuser Park – im aufgelassenen Militärgelände – Platz für fast 9.000 Menschen „geschenkt“ bekommen hat, will östlich von Nellingen ein neues Wohngebiet, südlich von Scharnhausen auf allerbesten Böden ein Gewerbegebiet. Dabei dachte ich früher ganz naiv, dass mit dem Scharnhäuser Park eine neue Stadt entstünde, die alle Wohnprobleme auf den Fildern für die nächsten 100 Jahre befriedigen würde. Echterdingen, Vaihingen überall drängen die Kommunen auf mehr, mehr, mehr.
Wir müssen grundsätzlich umdenken; wir müssen enkelverträglich arbeiten! Wir müssen uns bescheiden, auch wenn der für Wirtschaft und Marketing Zuständige über sich sagt: „Ein Wirtschaftsförderer freut sich über Wachstum“ und da meint er gewiss nicht das Wachstum von Filderkraut!
Gutachter gelten als Fachleute in Spezialgebieten, d. h. es fehlt ihnen oft der Gesamtblick. Sie beruhigen das Gewissen einfacher Entscheidungsträger und diese geben ihre Verantwortung an jene gerne ab. Gutachter schwärmen von Stuttgart 21. Nur wenn S21 käme, könne man die S-Bahn verlängern, dabei wird doch durch die Mischverkehre der S-Bahnbetrieb geschädigt. Eine einzigartige Verkehrsdrehscheibe (Flugzeug, Autobahn, Eisenbahn) entstünde und die Standortgunst nehme ins Unermessliche zu. Wann, so frage ich, wollen sie die Filderebene endlich schiffbar machen?
Nur am Rande bemerkt: Gutachter sind häufig unglaublich unfähig. Nachdem die Planfeststellung beim Abschnitt 1.3 in die Hose ging, stellte man vor drei Jahren im Handstreich eine Planfeststellung für den Abschnitt 1.3a auf. Dagegen klagen wir seit zweieinhalb Jahren. Seither ist nichts geschehen, weder beim Bau noch bei unserer Klage, und der Abschnitt 1.3 b ist noch nicht mal erörtert. Was tun die eigentlich die ganze Zeit? Warum schlägt denen, die die Bodenvernichtung mit verantworten, nicht das Gewissen? Ihr Totschlagsargument für all die Zerstörung ist: Wer Wachstum fördert, egal wodurch, fördert den Wohlstand der Menschen.
Sagt das mal unseren Enkeln, die nur noch auf trostlosen Beton starren. Die Konstruktion, wie Kommunen an die notwendigen Gelder zum Erhalt und Ausbau ihrer Infrastruktur kommen, widerspricht jeder Nachhaltigkeit! Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Straßen müssen unterhalten werden. Geld bekommt man u. a. durch Ausweisung von Bauland für Wohnen und Gewerbe. Mehr Bewohner und Gewerbetreibende liefern mehr Einkommensteuer, mehr Gewerbesteuer, mehr Grundsteuer usw., aber eben auch mehr Verkehr und mehr Bodenverlust. Für mehr Menschen muss man Kindergärten, Schulen, Straßen weiter ausbauen, d. h. man braucht erneut viel Geld und alles beginnt von Neuem, eine teuflische Wachstumsspirale, die endlich durchbrochen werden muss. Das müsste eigentlich jeder mittelmäßig begabte Grundschüler durchschauen.
Die Denkweise von Entscheidungsträgern wird allerdings von teuren Gutachtern unterstützt, die so wörtlich „eine gesicherte wissenschaftliche Herleitung prognostizierter Entwicklungspotenziale“ liefern. Dabei liefern Gutachter i. a. das vom Auftraggeber gewünschte Ergebnis. Gutachter scheren sich dabei einen Dreck um unsere guten Böden!
Und es geht so weiter. Wir alle fordern einen besseren ÖPNV, z. B. eine Verlängerung der S-Bahn, um den Individualverkehr zu entlasten. Aber der Chefplaner des Verbandes Region Stuttgart sieht in der Verlängerung „viel Potenzial für die Erschließung neuer Flächen sowohl in den Bereichen Wohnen als auch Gewerbe“, ja ein breiter Gürtel Aufsiedlung entlang der Trasse ist geradezu Voraussetzung für deren Genehmigung. Das heißt, es wird aufgerüstet und von wegen, der Individualverkehr wird weniger, die Gemeinden allerdings wittern neue Geldquellen.
Die Planer, die ich kritisiere, halten sich zumeist an die bestehenden Gesetze; es sind eben, freundlich gesagt, „gesetzestreue Zerstörer“. Böden sind wertvoll und werden immer wertvoller. Reiche Länder kaufen in armen Ländern bereits riesige Flächen auf (land grabbing). Warum nur erfahren unsere Böden so wenig Respekt?
Wir von der Schutzgemeinschaft versuchen nun, mit einer Veranstaltung mit Fachleuten am kommenden Freitag in Bernhausen die Öffentlichkeit für das Bodenthema zu sensibilisieren, schließlich stehen nächstes Jahr Kommunalwahlen an, und in den Kommunen diskutiert man die Fortschreibung der Flächennutzungspläne.
Hierzu werde ich gleich einen Flyer „Beste Böden bewahren“ austeilen und eine Unterschriftenliste, in der wir wenigstens die besten Böden, d. h. solche der Vorrangstufe 1 vor weiterer Vernichtung bewahren wollen. Dies ganz im Sinne der Landwirtschaftsverwaltung des Landes Baden-Württemberg, die für die fruchtbarsten Äcker klar formuliert: „Umwidmungen, z. B. für Bauland, Verkehrsflächen, naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen u. a. m., müssen ausgeschlossen bleiben“. Bisher kümmert das unsere Gemeinderäte wenig. Wir fordern deshalb ein verbindliches Bodenschutzgesetz des Landes.
Schluss mit dem Raubbau. Blast diesen Wachstumsfetischisten den Zement aus dem Hirn. Glaubt nicht den Gutachtern. Gute Böden müssen Tabuzonen sein. Unterstützt unsere BBB-Aktion: „Beste Böden Bewahren!“ Filder kommt von Felder und Felder bestehen aus fruchtbarem Boden. Die Filder darf nicht bodenlos werden.
Unsere Böden müssen „Oben bleiben!“
Was für ein Schwachsinn! Es kommen viele Menschen nach Deutschland und es werden auch in Zukunft noch viele kommen.Diese Menschen brauchen Wohnungen Infrastruktur und vieles mehr.Also muss gebaut werden,da hilft auch kein Bodenschutzgesetz.Ausserdem brauchen wir diese Böden gar nicht.In Deutschland werden genug Nahrungsmittel produziert.Vieles davon wird ins Ausland exportiert.
Genau: Schwachsinn!
Aber ich meine damit IHRE Auslassung.
Je besser der Boden, desto weniger (Kunst-)Dünger. Kapiert?
Sind Sie einer von den Investoren, die nur an Reibach denken? Welches Orakel bedient Sie mit solchen Auskünften über die Zukunft?
Vielen Dank, Steffen,für die tolle Rede. Mag sein, dass auch gebaut werden muss, Herr Nitsche, aber bitte nicht da, wo wir wertvolle Böden haben. Es gibt genügend Baulücken, die zuerst dran sind. Und es muss auch nicht jeder sein Einfamilienhaus haben. Viele wären froh über eine zentrale Wohnung, mit kurzen Wegen.
Jeder hat ein Anrecht auf seine Meinung, er hat aber kein Anrecht darauf, das andere sie teilen.
Zitat Manfred Rommel