Rede von Dr. Christoph Engelhardt, Faktencheck-Portal WikiReal.org, auf der 418. Montagsdemo am 4.6.2018
Liebe Mitstreiter!
ich trage heute Ergebnisse vor, die zum Großteil der von uns allen hoch geschätzte Hans Heydemann zusammengetragen hat. Hans hat schon so oft die Planungen der Bahn mit profundem Wissen als unverantwortlich überführt – wir alle verdanken Hans unheimlich viel! Er war es, der hier auf der Montagsdemo vor fünf Jahren, am 17. Juni 2013, als erster vor dem durch Stuttgart 21 steigenden Hochwasserrisiko warnte.
Ich durfte einzelne Aspekte zu Hansens neueren Analysen beisteuern und mithelfen, die Stadtverwaltung spezifisch mit der Problematik zu konfrontieren, nachdem sie zuvor kritischen Fragen zum Thema immer wieder ausgewichen war.
Es ist nämlich bemerkenswert, wie die Stadt Stuttgart ihr vielleicht größtes Risiko verdrängt. Die oft verheerenden Sturzfluten nach Starkregen sind wenig präsent im Bewusstsein der Politik und der Bevölkerung – und das hat eine sehr lange Tradition. Über alle Zeiten wurde die Stadt von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht, mehrmals starben viele Menschen, Häuser wurden weggeschwemmt, Keller geflutet, Vorräte vernichtet. Ja, die Stuttgarter verbrannten sogar ältere Mitbürgerinnen als Hexen in der Folge. Aber die Mühe, größere Kanäle anzulegen, machten sie sich damals nicht.
Das Wasser stand dann mannshoch auf dem Marktplatz oder hüfthoch in den Straßen. Und auch vor dem Hauptbahnhof stand das Wasser schon wie ein See und flutete bis zur Treppe in der Empfangshalle. Bei solchen Gelegenheiten war auch regelmäßig der mittlere Schlossgarten überschwemmt, die engste Stelle des Stuttgarter Tales. Archäologische Befunde belegen, dass hier „vielfach katastrophale Überflutungen des Nesenbachs“ stattgefunden hatten. Es wundert uns nicht, dass die DB über Jahre derartige Untersuchungen zu verhindern suchte, indem sie „große Schwierigkeiten“ machte und sich „unwillig“ zeigte.
Diese Heimsuchungen durch Starkregen sind keine Strafe Gottes. Heute wissen wir, welche meteorologischen und geographischen Besonderheiten in Stuttgart das Risiko von Starkregen potenzieren: Zunächst ist Stuttgart die deutsche Großstadt mit dem größten Starkregen-Risiko. Das ist eine unmittelbare Folge des Stuttgarter Kessels. Als Wetterfalle und Windkanal ist er selbst häufig Auslöser starker Gewitter, die in den „Häusermassen gespeicherte Wärme“ treibt diese zusätzlich an.
Hinzu kommt nun die Trichterwirkung des Kessels, die Wasser- und Hagelmassen spülen die Hänge hinunter und konzentrieren sich in der Innenstadt. Und der engste Abfluss dieses Trichters ist der Bereich des mittleren Schlossgartens.
Im Zuge des Klimawandels nimmt die Häufigkeit und Intensität von Starkregenereignissen weiter zu. Und wieder überproportional hier in Stuttgart, wo die Zahl sehr heißer Tage sich doppelt so stark erhöhen soll, wie in anderen Städten. Und mehr Hitze heißt mehr Feuchtigkeitsaufnahme der Luft und damit stärkere Niederschläge.
Es sollte also Stuttgart mit größter Aufmerksamkeit und mit den höchsten Sicherheitsreserven Vorsorge für Starkregen-Sturzfluten treffen. Was aber geschieht tatsächlich? An der engsten Stelle des Ausflusses aus dem Stuttgarter Talkessel baut man sich mit dem Stuttgart-21-Tiefbahnhof einen Riegel, der den Hochwasser- und übrigens auch den Grundwasserabfluss weitgehend abriegelt.
Und nicht nur das, man baut hier auch den vielleicht weltweit größten Gully, eine einzigartige Konzentration unterirdischer Verkehrsanlagen, in die das aufgestaute Wasser hineingeleitet wird. 1976 eröffnete die Klett-Passage, seither genügt schon ein starker Gewitterschauer, dass Wasser und Schlamm herunterfluten bis in die Stationen von Stadt- und S-Bahn am Hauptbahnhof. Dieser Abflussschacht wurde gebaut, obwohl Stuttgart erst am 15. August 1972 mit der schwersten Starkregen-Sturzflut der jüngeren Vergangenheit – mit 6 Toten und 31 Verletzten – noch einmal eine deutliche Warnung erhalten hatte.
Und mit dem Milliardenbahnhof Stuttgart 21 wird nun noch einmal eins draufgesetzt. Wenn in diese ausgedehnten Anlagen das Hochwasser vor allem über die Personenausgänge hineinflutet, dann sind nicht nur hunderte Menschen in Lebensgefahr, dann werden auch Schäden in dreistelliger Millionenhöhe verursacht. Und noch schlimmer, dieser vielfache Verkehrsknotenpunkt ist dann lange Zeit außer Betrieb genommen. So wie 2002 die Prager U-Bahn, die, nachdem sie vom Hochwasser geflutet worden war, erst nach rund drei Monaten wieder fahren konnte. Eine solche Sperrung bewirkt volkswirtschaftliche Schäden in vielfacher Höhe der unmittelbaren Schäden.
Die Stadt optimiert am Hauptbahnhof also nicht nur die Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt, sondern es wird auch das Schadensvolumen in Milliardenhöhe getrieben.
Hans Heydemann hat im Detail nachgerechnet, dass die bisherigen Abwasserkanäle durch die Dükerung unter dem Stuttgart-21-Bahnhofstrog hindurch in ihrer Leistung abnehmen. Fraglich sind die Annahmen der Stadt für die bisherige Leistung der Kanäle, fragwürdig sind die Ansätze der Stadt für die Soll-Abflussleistungen und für die kritischen Geländetiefstpunkte. Wenn es um den Nachweis der oberflächlichen Abflussleistung geht, verlässt sich die Stadt auf einen Modellversuch, der nicht einmal maßstäblich ausgeführt wurde. Hans' ingenieurtechnische Standardrechnungen stellen sämtliche Annahmen der Stadt in Frage.
Auf unsere kritischen Nachfragen musste die Stadt zuletzt einräumen, dass sie die Vorgaben der Regelwerke für Überflutungssicherheit verfehlt. Sie behauptet sogar in grenzenloser Selbstüberschätzung, mit Stuttgart 21 sei kein erhöhtes Risiko gegeben. Dabei wird selbst laut ihrer Planung die verbleibende Flutrinne über den Bahnhofsrücken bei einem 100-jährigen Hochwasser schon maximal ausgereizt. Bisher bestand im mittleren Schlossgarten aber ein Sicherheitspuffer, der rund 9 bis 20-mal größer war. Das Restrisiko, wenn das Hochwasser geringfügig stärker ausfällt, erhöht sich also durch Stuttgart 21 exorbitant.
Und die Stadt trifft keinerlei Vorsorge für den Klimawandel, für den selbst die Landesregierung einen deutlichen Sicherheitszuschlag fordert. In Stuttgart müsste man sogar auf diesen noch eine ordentliche Schippe drauflegen, weil der Stuttgarter Kessel auch im Klimawandel überproportional an Risiko zulegt.
Welch‘ ein Wahnwitz, ausgerechnet in Stuttgart – der Stadt mit dem höchsten Risiko und mutmaßlich dem höchst anzunehmenden Schadensvolumen – plant die Stadt den denkbar drastischsten Rückbau der Starkregenvorsorge. Das Tiefbauamt gibt „wirtschaftliche Gründe“ an. Man fragt sich, welche Wirtschaft von diesen Planungen profitieren soll, sind es die Schlamm-Abpumper oder ist es die Bestattungsindustrie? Oder sind es die Autobauer, wenn der öffentliche Verkehr auf Monate stillgelegt wird?
Und damit nicht genug. Stuttgart 21 trifft sogar Vorsorge, dass der Tiefbahnhof auch bei dem ganz anderen Regenextrem absäuft. Denn, wenn es nicht um kurzfristigen Starkregen geht, sondern um längere ergiebige Regenfälle, dann werden der Tiefbahnhof und seine Zulauftunnel sogar planmäßig geflutet. Auch diese Dauerregen sollen mit dem Klimawandel zunehmen. Steigt dann das Grundwasser, füllen sich Bahnhofshalle und Tunnel über sogenannte „Notflutöffnungen“ selbstständig mit Wasser. Und wir haben wieder große Schäden und langfristige Sperrungen.
Die Notflutung soll verhindern, dass das Gebäude aufschwimmt, wie es 1993 der Schürmann-Bau in Bonn tat. Andernorts werden solche Öffnungen vor Bauabschluss geschlossen, sobald das Gebäude schwer genug ist, um nicht mehr aufzuschwimmen. Das erlaubt die S21-Architektur jedoch nicht, und so hatte auch der Architekt Frei Otto, der die Stuttgart-21-Kelchstützen entworfen hatte, dies als Achillesverse des Projekts erkannt. Damit wird das milliardenteure „Jahrhundertprojekt“ zum Wegwerfartikel, sobald es einmal ergiebig regnet.
Stuttgart, die Stadt mit dem größten Sturzflut-Risiko, verdrängt auch heute noch – so wie im ausgehenden Mittelalter – beständig seine größte Bedrohung. Und noch viel mehr: Mutwillig werden mit S21 die Risiken um astronomische Faktoren erhöht.
Die Stuttgarter machen sich nicht nur ein wunderbares Geschenk des weltweit ersten Wegwerfbahnhofs,
- sie liefern auch mit dem Thema Überflutungsrisiko eine eindrucksvolle Probe ihrer Lernfähigkeit,
- wie schon mit dem vermeintlichen Leistungszuwachs für die Züge bei halber Gleiszahl,
- oder bei der Unterdimensionierung der Fußgängeranlagen im Bahnhof,
- oder bei der gefährlichen sechsfach überhöhten Gleisneigung,
- oder dem fehlenden Brandschutz für die geplanten Bahnsteigbelegungen,
- oder der Minimal-Auslegung der Stuttgart-21-Tunnel, vielfach gefährlicher als alle internationalen Vergleichsprojekte,
- oder dem hochriskanten und teuren Bau durch den gefährlichen Anhydrit
- oder bei der absehbaren astronomischen Kostenexplosion, die schon lange über jedes wirtschaftlich vertretbare Maß hinausgeht.
Stuttgart 21 bleibt also auch bei der Hochwassergefahr der größte Schildbürgerstreich aller Zeiten!
Rücksichtslos und unverantwortlich, wie gehabt.
War auch 2012 mein ähnliches Thema. Machen wir auf dem Plakat aus 2015 = 2025 und es passt (fast) wieder:
[img]https://up.picr.de/32899970pe.jpg[/img]
Ich lebe seit 67 Jahren in S und habe eine solche Katastrophe noch nie erlebt.
An eine einzige nicht ganz so heftige Überflutung kann ich mich erinnern:
Es dürfte so 1971/72 gewesen sein, als die B14-Unterführungen vollliefen. Ich war zu diesem Zeitpunkt im Urlaub.
Als ich nachhause kam, fand ich einen Baum
aus meinem Garten abgebrochen auf dem Nachbargrundstück vor.
Das war’s aber auch.
Ich würde mich aber diebisch freuen, wenn sich – möglichst bald – ein Jahrhundert-Unwetter ereignen und die S21-Baugruben bis zum Rand füllen würden. Das könnte S21 den
Garaus machen.
Ich werde mir für den Fall schon mal eine
Luxuszigarre und eine Flasche Freixenet-Nevada in den Keller legen.
aabel-s@gmx.de
Einem angeblichen Bauspezialisten wie Herrn Engelhardt sollte bekannt sein dass Notflutöffnungen nach dem Bau verschlossen werden. Da ich nicht glaube dass er so unwissend ist. Muss man annehmen dass er mit Absicht einen solchen Unsinn verzapft. Wer auf S21 so draufhaut sollte wenigstens seine fachlichen Hausaufgaben machen.