Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 415. Montagsdemo am 7.5.2018
Liebe Mitstreiter,
als es im Spätsommer 2015 um die Veröffentlichung der Liste von Hany Azer mit den 121 S21-Risiken ging, hatte der Geschäftsführer der PSU (Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm), Leger, großspurig vor der IHK erklärt, diese sei doch längst überholt, man habe jetzt 1.700 Risiken beim Vorhaben Stuttgart 21. Diese Aussage ist schon erstaunlich – wer so viele Risiken auf sich nimmt, muss daran scheitern!
Wir wollten das genauer wissen und haben vor Gericht die Einsichtnahme in diese Liste der 1.700 Risiken insoweit erstritten, als dass die Bahn uns Einsicht in umweltbezogene Risiko-Sachverhalte gewähren muss. Inzwischen haben wir vier solcher Einsichtnahme-Runden bei der Bahntochter PSU hinter uns, mit durchaus bemerkenswerten Erkenntnissen. Davon möchte ich hier einiges berichten. Das Aushändigen dieser Liste – unser eigentliches Ziel – wird uns allerdings beharrlich verweigert mit der Begründung, wir könnten falsche Schlüsse daraus ziehen und in der Öffentlichkeit verbreiten.
In der ersten Runde wurde uns klargemacht, dass von den 1.700 Risiken bereits ein Drittel abgearbeitet sei und folglich nur noch 1.200 Risiken übrig seien. Von diesen entfalle ein Viertel auf die Neubaustrecke; für Stuttgart 21 verblieben nur noch 900 Risiken, von denen 2/3 unternehmerische Sachverhalte wie Ausschreibungen und Nachverhandlungen mit Unternehmen beträfen, die uns nichts angingen. Verbleibt ein Rest von 300 Risiken, über den man bereit sei, mit uns zu reden. Die Bahn erweist sich mal wieder als Weltmeister im Kleinrechnen von Risiken!
Doch allein schon aus diesen 300 Risiko-Sachverhalten, die uns nun abschnittsweise von der DB-PSU vorgestellt werden, geht deutlich genug hervor, wie unfertig die seinerzeitige Planung und die Kosten-Ermittlung des angeblich bestgeplanten Vorhabens aller Zeiten tatsächlich gewesen ist. Diese Auflistung der Risikosachverhalte stellt die unzähligen Planungsmängel und -Versäumnisse des Vorhabens einmal mehr unter Beweis.
Auch bedient man sich mitunter trickreicher Verhandlungsführungen, um vom Thema abzulenken. So haute mir in der dritten Verhandlungsrunde Herr Bitzer von der DB-PSU meinen Leserbrief in der Stuttgarter Zeitung vom 24.2.2018 zum Käferkot um die Ohren und hielt mir vor, ich hätte von Biologie keine Ahnung, wenn ich bezweifele, dass der Kot von Juchtenkäfern noch nach Jahren nachweisbar sei. Schließlich verstieg er sich zu der Forderung, ich solle gefälligst mehr Demut zeigen, Demut nämlich vor dem S21-Vorhaben und denen, die es umsetzen! Ihr habt richtig gehört: Er fordert mehr Demut vor Stuttgart 21!
Ich entgegnete nur trocken, wir seien hergekommen, um über Risikosachverhalte bei Stuttgart 21 zu reden und nicht über Leserbriefe zur Käferkot-Geschichte. Auf diese Weise war denn schon mal mehr als eine Viertelstunde von unserer zweistündigen Audienz bei der Bahn vertan – auch so eine Taktik, die Dinge zu zerreden und von der Sache abzulenken. Das zeigt aber auch, wie nervös die Bahn auf jedwede Kritik in der Öffentlichkeit reagiert.
Wie nicht anders zu erwarten, wurden uns reihenweise Eidechsen-Umsiedlungen sowie andere Umweltschutz- und Ausgleichsmaßnahmen aller Art als unerwartete Leistungen vorgetragen und auch Kosten dazu benannt – je Eidechse so um die 6.000 € – was aber in Summe doch völlig unerheblich ist gegenüber den Gesamtkosten von 8,2 Mrd.€. Nicht die Eidechsen sind schuld an diesen Kostensteigerungen, wie es Bahn und S21-Befürworter immer wieder darstellen, und es fragt sich, wieso das überhaupt als Risiko auf der Liste steht – das hätte doch von vornherein mitberücksichtigt werden müssen!
Viel bedeutsamer sind da schon die unzähligen Zusatzmaßnahmen beim Tunnelbau im Anhydrit wie vorauseilende HD-Injektionen zur Sicherung und Gebirgsverfestigung bis hin zur vergrößerten Dicke der Tunnelschalen auf 1 Meter! Jetzt also doch 1 Meter Tunnelwanddicke im kritischen Anhydrit – Grube hatte ja zur Kosteneinsparung nur 60 cm vorgesehen.
Hinzu kommen dann Mengenmehrungen beim Tunnelausbruch und Aushub sowie dessen Entsorgung, Mehrmengen an Baustahl, Altlasten-Beseitigung auf dem Abstellbahnhof, Zusatzmaßnahmen aufgrund anderer geologischer Verhältnisse gegenüber Planung und Ausschreibung, Umlegen vorhandener, angeblich nicht bekannter Leitungen und Kabel, auch höhere Entschädigungen an betroffene Grundeigentümer als angenommen, Lärm- und Staubschutzmaßnahmen und vieles, vieles andere mehr – als ob all das nicht vorhersehbar gewesen wäre. Vom bestgeplanten Vorhaben aller Zeiten bleibt nicht mehr viel übrig. Angemessener wäre die Bezeichnung „stümperhaft“!
Auch Hebungen aufgrund von Anhydrit-Quellungen werden als Risiko angeführt, allerdings nur als sehr unwahrscheinlich mit Eintrittswahrscheinlichkeit von weniger als 1% eingestuft. Unsere Nachfrage, ob dies auch spätere Sanierungsmaßnahmen nach Betriebsaufnahme einschließe, wurde verneint.
Zu unserer Überraschung findet sich auf der Liste auch ein Risiko „Überflutungsgefahr Kreuzungsbereich Wolframstraße – Tunnelbauwerk Los 4 Süd“ – dort könnte bei einem Jahrhundertregen eine „kurzzeitige Überflutung“ entstehen, weil die bestehende Entwässerung „für wenige Minuten nicht genutzt werden kann“. Unter diesem Tunnel muss nämlich ein weiterer Düker gebaut werden, von dem bisher nirgends die Rede war, auch nicht in der Planfeststellung – wie gesagt: es handelt sich um das bestgeplante Vorhaben aller Zeiten!
Die Lichtaugen über der Tiefbahnsteighalle werden in der Liste gleich dreimal als Risiko aufgeführt. Unsere Nachfrage nach Einzelheiten dazu, insbesondere den Rauchabzugseinrichtungen konnte uns keiner der 11 anwesenden Vertreter der DB beantworten.
Und schließlich der Brandschutz an sich: Für den Abschnitt PFA 1.1 ‚Tiefbahnhof‘ heißt es lediglich „Brandschutz – 13 Sachverhalte“ – welche sind das? „Dazu können wir nichts sagen“. Dasselbe im Abschnitt 1.5 ‚Zuführung Feuerbach und Cannstatt‘; dort heißt es „Brandschutz – 15 Sachverhalte“. Auch hierzu keine Auskunft! Dabei ist der Brandschutz die Achillesferse von Stuttgart 21 – am Brandschutz wird das Vorhaben auch scheitern!
Die umfangreichen Bedenken der Branddirektion und des Regierungspräsidiums zur Entrauchung und Evakuierung hat das Eisenbahn-Bundesamt kurzerhand auf die Ausführungsplanung und die Inbetriebnahme-Genehmigung verschoben. Damit ist die Entscheidung über den Brandschutz und die Genehmigungsfähigkeit erneut vertagt, und es wird zugelassen, dass die Bahn noch mehr Geld in den untauglichen S21-Tiefbahnhof verbaut. Offen bleibt, ob und wie dieser später für viel weiteres Geld betriebstauglich hergerichtet werden kann. Nach Fertigstellung droht ein jahrelanger Stillstand wie beim Berliner Großflughafen BER.
Stuttgart 21 hat als Skandal-Bahnhof den Berliner Großflughafen BER längst überrundet. Bei unserem guten und bewährten oberirdischen Kopfbahnhof gibt es all´ diese Probleme nicht.
Die Bahn wird morgen, Dienstag, 8.5. in der öffentlichen Sitzung des S21-Ausschusses ab 14 Uhr im Rathaus, Mittlerer Saal, 4. OG das Brandschutzkonzept vorstellen. Bei der anschließenden Aussprache der Gemeinderäte wird es sicher hoch hergehen – kommt möglichst zahlreich dazu.
Oben bleiben!