Der Rosensteinpark steht derzeit im Fokus von Medien und auch auf BAA. Nach sechs Jahren sind die Bäume wieder aktuelles Gesprächsthema. Leider, muss man sagen. Am vergangengen Mittwoch, 14.2., wurde bei einer Kundgebung der Parkzerstörung im Mittleren Schlossgarten gedacht. Es gab Reden, Lieder, Zitate, Parolen, einen Demozug durch die Königstraße bis zur Mahnwache und die Begleitung der Trommler und von Capella. In den nächsten Tagen wird noch ein zusammenfassender Bericht auf BAA erscheinen. Heute soll eine Rede zum Thema "Landraub" abgedruckt werden, die am Schillerdenkmal gehalten wurde und den Raubbau am Mittleren Schlossgsarten und am Rosensteinpark in einen internationen Zusammenhang von Landraub und Flächenvernichtung stellt. Hier die Rede:
"Es ist immer wieder wichtig, darauf hinzuweisen, dass Stuttgart 21 nicht ein einfacher neuer Bahnhof ist - statt längs nun quer -, sondern dass wir auch an diesem Projekt exemplarisch vor Augen geführt bekommen, wie das System von Enteignung und Vernichtung von Land zugunsten von Investitionsprojekten funktioniert. Land, das den Bürgern - der Allgemeinheit - gehört, wird umgewandelt in Privatland. Und mit diesem Privatland wird dann das Maximale an Profit herausgeholt. Ein Profit, der aber diesen Bürgern gar nicht von Nutzen ist im Sinne von Steigerung ihrer Lebensqualität.
Ich denke, es gehört dazu, angesichts der Erinnerung an den 14.2.2012 und an die derzeitige Vernichtung von Bürgerland im Rosensteinpark, auch an einem 14.2. (2018), dass wir über den Tellerrand bzw. den Stuttgarter Kesselrand hinausblicken. Denn überall geschah und geschieht immer noch das, was wir am 14.2.2012 in Stuttgart erlebt haben und jetzt am 14.2.2018 erleben: Dass Landschaft, dass wertvolles Agrarland, beste Mutterböden, dass Parks und ganze Wälder, auch Ur-Wälder, gegen den Willen der Bevölkerung oder von Bevölkerungsgruppen durch zwielichtige Verträge der Öffentlichkeit weggenommen werden und einer anderen Bestimmung zugeführt werden. Das ist „Landraub“.
Der Begriff „Landgrabbing“, zu deutsch „Landraub“ oder „Landnahme“, steht heutzutage für die massenhafte Landübernahme von Konzernen und Investoren. In Asien, Afrika und Südamerika ist ein Großteil dieser Übernahme illegal und gegen den Willen der Bevölkerung. Immer stärker betroffen ist auch Osteuropa, und auch in manchen Regionen Deutschlands wird von „Landgrabbing“ gesprochen.
Bei Landgrabbing – Landraub – sind zwei Phänomene zu beobachten. Einmal geht es darum, Ackerland, wertvollen Mutterboden und auch Waldflächen für Projekte zu nutzen, die angeblich der Allgemeinheit nutzen sollen, die angeblich Arbeitsplätze schaffen sollen, die aber dieses Land missbrauchen, indem es versiegelt wird mit Beton und großen Industrieanlagen. Flächen werden für die industriellen Bedürfnisse von Investoren genutzt und der Landwirtschaft, d.h. den Agrarbauern entzogen.
Es gibt sogar Kritiker, die sagen, der Flächenverbrauch sei das größte Umweltproblem Deutschlands. Denn Land ist eine begrenzte Ressource in Deutschland, und Boden, der einmal versiegelt wurde, lässt sich kaum in wertvollen Ackerboden oder einen Park zurückverwandeln. Wälder, die einmal gerodet wurden, lassen sich nicht mehr in den Ur-Zustand zurückversetzen. Für unsere Nachkommen gibt es dann nur noch Rest-Wälder, Rest-Wiesen und Rest-Parks. Ich werde nie vergessen, was mir einmal ein junger Polizist bei der Fällung der Trauerweide in Feuerbach sagte, als ich ihn fragte, ob es ihm denn nicht weh tue, diesen prachtvollen Baum fallen zu sehen. Er antwortete: „Wenn ich Bäume sehen will, gehe ich in den Schwarzwald.“ Nein, wir brauchen keine Alibi-Wälder für den Wochenendausflug, wir brauchen Parks und Bäume mitten in der Stadt.
Ein typisches Phänomen für den Landraub ist, dass die Rechte und Bedürfnisse von Bevölkerungsgruppen, von Menschen, die das Land bearbeiten, die davon leben und die darauf leben, ignoriert werden. Menschenrechte werden verletzt, indem Menschen gegen ihren Willen umgesiedelt oder vertrieben werden. Gewohnheitsrechte werden nicht beachtet. Bauern, die seit vielen Generationen ihr Vieh auf einem Stück Stammesland haben weiden lassen, werden plötzlich daran durch einen Zaun gehindert. Typisch ist, dass die lokale Bevölkerung vor der Enteignung nicht konsultiert und informiert wird. Die Partizipation der Bevölkerung wird umgangen. Typisch ist, dass soziale und ökonomische Auswirkungen und die Umweltfolgen ignoriert werden. Typisch sind intransparente Verträge, die nicht unabhängig überprüft werden. Verträge werden zwischen Regierungsstellen und Investoren, d.h. Konzernen abgeschlossen.
In Entwicklungs- und Schwellenländern weltweit werden bereits 35 Mio. Hektar Ackerland für die Länder der Europäischen Union genutzt, um die wachsende Nachfrage nach Agrarprodukten, zu denen auch Biosprit gehört, zu decken. Das Anlegen von Großplantagen zur Produktion von sogenannten Energiepflanzen geht mit dem Landraub einher.
Länderbeispiel Äthiopien. In Äthiopien schließt die äthiopische Regierung mit saudi-arabischen Investoren einen langfristigen Vertrag über die Nutzung von Acker- oder Weideland ab, ohne dass die lokale Bevölkerung davon erfährt. Das gepachtete Stück Land mit bestem Mutterboden wird eingezäunt, es werden dort in Monokultur Produkte angebaut und exportiert – Blumen, Basmati-Reis, Agrarpflanzen für Biosprit. Der Mutterboden und Wasserressourcen werden also für den Export benutzt, die lokale Bevölkerung hat nichts davon. Länder wie China und Saudi-Arabien, aber auch Konzerne aus Europa versuchen durch den Ankauf und die Pacht von Land im großen Stil die Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung zu sichern.
Und der Bauer -, der auf dem Land, das seinem Stamm gehörte, für das es aber keine Dokumente gab, weil es traditionell immer allen gehörte - dieser Bauer kann fortan weder sein Getreide anbauen noch seine Tiere dort weiden lassen wie schon seit Generationen. Und falls er auf dem Land gewohnt hat, wird er umgesiedelt oder vertrieben. Bauern in Äthiopien gehen dann über die Grenze in den Sudan und leben nun in von der UNO eingerichteten Flüchtlingslagern. Dort bekommen sie zumindest ihre tägliche Essensration.
So oder ähnlich läuft die Landnahme in vielen afrikanischen Ländern, in Südamerika und in Asien ab. Vertreibung, Verarmung, bis zu Hungersnot ist die Folge, von den psychischen Folgen zu schweigen. Wenn Bauern protestieren, werden sie entweder im Auftrag der Investoren ermordet oder von der Polizei bzw. dem Militär des eigenen Landes wegen Aufruhr umgebracht.
Ein weiteres Beispiel von eigenmächtiger Umwidmung von öffentlichem Land bzw. Wald in Südkorea hatte ich letzte Woche in einem Artikel für unsere Plattform Bei Abriss Aufstand beschrieben. Er befasste sich mit den Parallelen der Waldvernichtung im Rahmen der Olympischen Winterspiele in Südkorea und der Parkvernichtung in Stuttgart. In Südkorea wurde auf Geheiß des olympischen Komitees ein unter Naturschutz stehender Wald auf dem Berg Gariwang gerodet. Zuvor hatte die Regierung dem Wald den Schutzstatus entzogen, eine Ausnahmeregelung. 58 000 Bäume, die es z.T. nur in Korea gibt, wurden gefällt, vielen Tieren, darunter Tiere, die auf der Roten Liste der bedrohten Tiere stehen, wurde des Lebensraum entzogen. Und das alles wegen drei Tagen Skirennen. Auch hier wieder das gleiche Prinzip von Landraub: Öffentlicher Wald wird unter kommerziellen Gesichtspunkten gerodet. Denn neben dem Sport-Event haben die olympischen Spiele natürlich einen hohen kommerziellen Wert, d.h. sie sind extrem wichtig für den sogenannten „Markt“.
Gleiches geschah in Stuttgart im Mittleren Schlossgarten 2012 und geschieht derzeit im Rosensteinpark. Beide Anlagen gehören den Bürgern; der Mittlere Schlossgarten war eine Schenkung des württembergischen Königs an die Stuttgarter Bevölkerung. Nicht einmal im kalten Winter 1947 tasteten die Stuttgarter den Schlossgarten an. Erst Nils Schmid, seinerzeit Finanzminister im rot-grünen Kabinett Baden-Württembergs, blieb es vorbehalten, mit dem Gestattungsvertrag den Mittleren Schlossgarten zu vernichten. Was war es anderes als Landraub im Februar 2012? Was ist es anderes als Landraub im Februar 2018 im Rosensteinpark? Öffentliches Land wird der Bevölkerung entzogen, eingezäunt und von einer Parklandschaft in eine Betonwüste umgewandelt. All die Kriterien für Landraub treffen also auch auf das Gesamtprojekt Stuttgart 21 und die Einzelabschnitte wie den Umgang mit dem Mittleren Schlossgarten und jetzt dem Rosensteinpark zu.
Dieser Flächenfraß ist überall in Deutschland am Werk. Da werden z.B. riesige Ackerflächen in zubetonierte Parkplätze umgewandelt, um für Autofirmen fabrikneue Wagen abzustellen. Und es werden – trotz Bürgerbegehren – weitere Flächen von der Firma gefordert. So in der Donaumoosregion bei Ingolstadt und Audi geschehen.
In Ostdeutschland sind die Landpreise so gestiegen, dass die lokalen Bauern mit den fremden Bietern nicht mehr mithalten können. Diese ortsfremden Bieter sind Konzerne, die das Grundstücksverkehrsgesetz umgehen, das eine Landvergabe an landwirtschaftliche Betriebe und nicht an Konzerne vorschreibt. Was wird auf den riesigen Flächen der Konzerne angebaut? Vor allem Pflanzen für den Biosprit, also Ethanol E 10. Der Agrosprit besteht aus Weizen, Zuckerrüben und Mais. Der Missbrauch von Lebensmitteln als Kraftstoff darf gerne auch als unethisch bezeichnet werden.
Ein drittes Beispiel für großflächige Versiegelung und Ackerbodenverbrauch: Am Rande Frankfurts soll ein neuer Stadtteil entstehen, in einem Gebiet, das dringend als Frischluftschneise gebraucht wird. Es ist ein wichtiges Entstehungsgebiet für Kaltluft, die nachts in die aufgeheizte Innenstadt strömt. Die Stadt Frankfurt argumentiert aber, dass entscheidend sei, wie später die Gebäude angeordnet werden, um nicht den Winden den Weg abzuschneiden. Dass der neue Stadtteil auf Wiesen und Ackerflächen entstehen soll und wiederum zum Landverbrauch beiträgt, muss nochmals betont werden.
Zurück nach Stuttgart:
In einem Artikel der "Stuttgarter Zeitung" vom 30. Januar 2018 heißt es beruhigend: „Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.“ Worum geht es? Es soll ein neuer SSB-Abstellbahnhof in Weilimdorf gebaut werden. Die Stuttgarter Straßenbahnen benötigen einen vierten Stadtbahnbetriebshof. Favorisiert wird ein Areal in Weilimdorf an der Flachter Straße. Dort würde es aber wieder einmal um die Vernichtung von Ackerland bzw. Natur gehen. Denn das Stück Land an der Flachter Straße ist als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen, außerdem hat es „eine erhebliche Bedeutung für die Versorgung mit Kalt- und Frischluft.“ Zudem werden durch die Anbindung an das SSB-Netz weitere Flächen benötigt. Eingriffe in private landwirtschaftliche Flächen und Kleingärten wären nötig, was ein Änderungsverfahren zur Folge hätte. D.h. es muss der Landschaftsschutz aufgehoben werden.
Der Landraub im Mittleren Schlossgarten und im Rosensteinpark steht bei unserer heutigen Kundgebung im Fokus. Da sind wir in Stuttgart in internationaler Gesellschaft. Man würde gerne auf diese Gesellschaft verzichten."
(Petra Brixel)
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