Gesundheit schützen – Fahrverbote durchsetzen!

Rede von Manfred Niess, KUS Klima- und Umweltbündnis Stuttgart, auf der 399. Montagsdemo am 8.1.2018

Liebe Freunde und Freundinnen des Kopfbahnhofs, liebe Mitstreiter für eine lebenswerte Stadt mit gesunder Luft!

Mein Name ist Manfred Niess, ich bin Koordinator des Klima- und Umweltbündnisses Stuttgart und Feinstaubkläger. Lebenswerte Stadt – mit S21 und Feinstaub? Geht das?

Liebe Freunde und Mitstreiter, es ist mir eine Freude, euch bei der ersten Montagsdemo 2018 begrüßen zu können. Ich wünsche euch ein gutes, gesundes und erfolgreiches Jahr. 2018 wird ein wichtiges Widerstandsjahr, wo wir unseren Zielen vielleicht ein gutes Stück näherkommen, weil es ein Jahr der nicht mehr wegzuleugnenden Wahrheiten wird. S21 wird nicht vor 2024 fertig, die Kosten werden weiter steigen, wie der Bundesrechnungshof und das Büro Rössler vorhergesagt haben. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Leipzig im Februar wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit Fahrverbote in deutschen Großstädten geben.

Als ich 2010 bei der 33. Montagsdemo zum ersten Mal gesprochen habe, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich bei der 399. Montagsdemo 2018 zum wiederholten Mal sprechen würde. Wenn ich mit Freunden z.B. aus Berlin oder Heidelberg rede, sind sie meist überrascht, dass sich in Stuttgart immer noch viele hundert Menschen jeden Montag hier auf dem Schlossplatz treffen. Vielen Dank und Respekt für eure Ausdauer und für euer Durchhaltevermögen. Der Schwabe an sich scheint in dieser sturen Hartnäckigkeit einzigartig zu sein. Das treibt vielen Politikern die Schweißperlen auf die Stirn und manchen Vorstandsvorsitzenden zur Verzweiflung oder aus dem Amt.

Von daher ist zum Jahresbeginn ein kurzer Rückblick auf unsere Erfolge eine wichtige Ermutigung in unserem Kampf für eine umweltfreundliche Stadt. Ich möchte das kurz anhand einiger Namen in Erinnerung rufen:

Ministerpräsident Oettinger wird von Merkel nach Brüssel geschickt, Ministerpräsident Mappus und seine Tanja Gönner werden abgewählt, OB Schuster tritt vor der drohenden Niederlage erst gar nicht an, die Bahnchefs Mehdorn und Grube sind abserviert worden, die Projektsprecher Drechsler und Dietrich zurückgetreten bzw. als Präsident zum VFB geflüchtet, die SPD-Tunnelpartei abgestraft, ihre Spitzen Schmid und Schmiedel in die Wüste geschickt, Projektleiter von S21, Hany Azer – die DB-Geheimwaffe – ist implodiert. 2018 wird der Aufsichtsratsvorsitzende Utz-Hellmuth Felcht einen unfreiwilligen Abgang machen und Verkehrsminister Doofbrindt, Verzeihung, Dobrindt – laut Umfrage der größte Versager in Merkels Kabinett – seinen Hut nehmen. Diese unvollständige Liste ist ein beeindruckender Erfolg, auf den die K21-Befürworter stolz sein können!

Nun zum eigentlichen Thema: Die Feinstaubproblematik und S21 haben ihren zeitlichen Ursprung in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der legendäre Hubschrauberflug fand wohl 1994 statt, die Richtlinie zu Feinstaub trat 1998 in Kraft. In beiden Bereichen sind mächtige Lobbykreise beteiligt: bei S21 die Bau- und Immobilienwirtschaft und die Tunnelbaulobby (Herrenknecht drohte in die Schweiz auszuwandern, wenn S21 nicht gebaut würde – bei 60 km Tunnelbau, einem Auftrag für ein Jahrzehnt mit satten Gewinnen ein nachvollziehbarer Erpressungsversuch). Der Rückbau der Bahn­infrastruktur z.B. des Güterverkehrs nützt indirekt der LKW-Industrie, die dann ihre Gigaliner auf den Autobahnen fahren lassen kann (drei Bahnchefs kamen von Daimler!). Bei Feinstaub und NOx ist es die mächtigste Lobby in Deutschland: Ich nenne nur Herrn Wissmann und den VDA (Verband der Automobilindustrie)!

Bei beiden Themen werden Mythen bzw. Unwahrheiten verbreitet, um die Bevölkerung zu täuschen bzw. zu betrügen. „Es gibt ein Kartell des Vertuschens, Verschweigens und des Ignorierens – verfilzt und zugenäht!“ sagt Franz Alt dazu.

Bei S21 wird behauptet, es sei ein Verkehrsinfrastrukturprojekt, das zu einem besseren Schienenverkehr führen würde. In Wahrheit ist es ein gigantisches Immobilienprojekt.

Bei den Stickoxiden wird das Märchen vom „Clean Diesel“ verbreitet. Leider hält der Diesel diese Werte nur mit einer Betrugssoftware auf der Rolle ein, im realen Fahrbetrieb vergiftet er die Bevölkerung in den Innenstädten. „Verschwörung zum Betrug“ nannte Richter Sean Cox dies in den USA, „a serious und troubling crime“ – ein ernstes und beunruhigendes Verbrechen. „Gottseidank hat es keine Toten gegeben“ sagt VW. Nicht gesagt wird, dass jedes Jahr ca. 10 000 Personen vorzeitig wegen NOx (Stickstoffoxiden) sterben.

Lobbyarbeit ist dann erfolgreich, wenn führende Politiker die Argumente bzw. Sprachregelungen der Konzerne übernehmen; erinnert sei an die „Atomkraft als Brückentechnologie“, seit neustem ist auch die Kohlekraft eine Brückentechnologie! Bei S21 hat Bundeskanzlerin Merkel dies übernommen. Stuttgart 21 ist der Maßstab für die „Zukunftsfähigkeit Deutschlands“ oder Stuttgart 21 müsse kommen, sonst sei „Deutschland unregierbar“ und „Europa sei in Gefahr. Beim Diesel übernimmt Kretschmann diese Funktion: „Wir müssen den Klimawandel bekämpfen, dafür brauchen wir auch den sauberen Diesel“ sagte Kretschmann im Interview mit n-tv (am 12.8.2017). Das ist die Sprachregelung der Autoindustrie, aber eine Irreführung der Bevölkerung.

Kretschmann weiß, dass mit Merkels Unterschrift unter das Klimagipfelpapier von 2015 auch das Ende des Verbrennungsmotors eingeläutet worden ist. Um das 2-Grad-Ziel einzuhalten, dürfen spätestens ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr gebaut werden. Ein Diesel, der die NOx-Grenzwerte einhalte, habe eine bessere CO2-Bilanz als ein Benzin-Fahrzeug, argumentierte Kretschmann. (n-tv, 12.8.2017). Das Problem ist, dass es kaum saubere Diesel zu kaufen gibt, der neue Audi 8 z.B. überschreitet im Fahrbetrieb die Abgaswerte um das 25fache – ein Skandal, dass solche Autos noch zugelassen werden. Dazu schweigt der Ministerpräsident. Er schweigt auch dazu, dass das UBA (Umweltbundesamt) keine bessere Bilanz für Diesel feststellen kann, weil Dieselmotoren benützt werden, um in tonnenschwere SUVs – der Spiegel spricht von Protzbrocken – eingebaut werden, um den Verbrauch erträglich zu erhalten. Auch dazu kein Kommentar des MPs.

Die Aussage von Kretschmann, dass er sich auch einen Diesel gekauft habe, weil er auf dem Lande wohne, ist einfach nur dämlich; als ob man mit einem Benziner nicht auf dem Lande überleben kann. Peinlich ist es, wenn er sich noch als Werbefigur für Diesel-Motoren zur Verfügung stellt.

Sowohl Bundeskanzlerin Merkel als auch MP Kretschmann haben einen Amtseid abgelegt: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen werde.“ Frage: Ist S21 zum Wohle von Herrn Herrenknecht und der Immobilienwirtschaft oder zum Wohle der Bevölkerung? „Schaden von ihm wenden“ heißt es weiter. Bei S21 gibt es einen immensen wirtschaftlichen Schaden: Der Kostendeckel lag bei 4,5 Mrd. €, Architekt Ingenhofen geht jetzt von deckellosen Kosten von 10 Mrd. aus, aber das ist ja kein Problem für die Befürworter von S21, das bezahlt ja der ...? Richtig: der Steuerzahler!

Den Schaden haben aber die Anwohner: der Schlossgarten, die Lunge des Kernerviertels, ist weg. Statt der guten Filterwirkung der jahrhundertealten Bäume des Schlossgartens, die Feinstaub und Stickoxide aufnehmen konnten, müssen die Anwohner jetzt über ein Jahrzehnt die zusätzlichen Abgase der Baustellenfahrzeuge und Baulärm bis nach Mitternacht ertragen.

Laut dem Gutachten von Rössler wird das Projekt S21 auch für knapp 2 Mio. Tonnen Treibhausgase verantwortlich sein. Die Anwohner sind die Leidtragenden und Geschädigten!

Der Amtseid verlangt auch, „Verfassung und Recht wahren und verteidigen“. Wie mit dem Recht umgegangen wird, ist einer der großen Skandale in beiden Bereichen. Der Aufsichtsrat der Bahn darf ein unwirtschaftliches Projekt nicht weiter fortführen, sonst macht er sich der Untreue strafbar. Deswegen die Anzeigen von Dieter Reicherter und Eisenhart von Loeper gegen die Bahnvorstände und Aufsichtsräte. Aber die Staatsanwaltschaft bleibt trotz des umfangreichen, gut recherchierten Beweismaterials weiterhin untätig – ein weiterer Justizskandal.

Bei den Luftschadstoffen werden seit 2005 Bundes- und EU-Rechte gebrochen. Sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung ergreifen keine „wirksamen Maßnahmen“. Die Überschreitung der Grenzwerte bedeutet den vorzeitigen Tod von 46.000 Personen wegen Feinstaub und ca. 10.000 Personen aufgrund von Stickoxiden. Nach den Urteilen von Düsseldorf, München und Stuttgart würde nur ein Einfahrtverbot von Dieselfahrzeugen in die Innenstädte eine schnell wirksame Maßnahme sein. Aber die Regierungen und Behörden weigern sich auf Druck der Autoindustrie, diese Maßnahme zu ergreifen. Politiker wie OB Kuhn verteidigen in vorauseilendem Gehorsam die Nachrüstlösung mit Software-Updates, obwohl das Verwaltungsgericht festgestellt hat, dass dies keine „wirksame Maßnahme“ sei.

Es ist wohl ein einmaliger Vorgang, dass gegen eine Landesregierung und deren Behörden wegen eines „permanenten, systematischen und kontinuierlichen Rechtsbruches“ eine Zwangsvollstreckung eingeleitet werden muss. Dass eine Behörde wissentlich Recht bricht, konnten sich die Gründerväter wohl gar nicht vorstellen. In München muss sogar die Beugehaft gegen eine widerspenstige Behörde angedroht werden.

Fazit: Eine lebenswerte Stadt wird es mit S21 und Stuttgart als Feinstaub- und Stauhauptstadt Deutsch­lands nicht geben. Dazu bedarf es einer Verkehrswende mit einem gut funktionierenden Schienensystem. Mit dem Fernverkehr, Regionalverkehr, S-Bahn und Stadtbahn gibt es schon eine hervorragende E-Mobilität. Sie bilden das Rückgrat des Verkehrs in Kombination mit einer fußgänger- und fahrradfreundlichen Infrastruktur mit Leihsystemen und einem reduzierten Individualverkehr.

Wir haben viel bewegt, aber wir müssen uns das Recht gegen Widerstand erkämpfen und die Dinge auch selbst in die Hand nehmen. Die Kundgebung auf der B14 am 1. Januar 2018 war ein ermutigendes und deutschlandweit beachtetes Ausrufezeichen. Am kommenden Donnerstag werden wir mit der symbolischen Umrundung des Neckartorviertels unsere Solidarität mit den Anwohnern des Neckartorviertels zeigen. Jürgen Resch wird der Hauptredner sein.

Es kann nicht sein, dass die Stadtluft zwar allen gehört, aber die Automobilindustrie den Giftgehalt bestimmt und Politiker wie Merkel, Kretschmann und Dobrindt wegschauen!

Wir schützen die Anwohner vor den giftigen Autoabgasen. Wir machen mit schwäbischer Hartnäckig­keit weiter! Ihr werdet uns nicht los, wir euch schon!

Oben bleiben!

Rede von Manfred Niess als pdf-Datei

 

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