Rede von Michael Jung, Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona, auf der 396. Montagsdemo am 4.12.2017
Liebe Freundinnen und Freunde aus dem Schwabenland, liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen für eine bürgernahe Bahn, herzliche Grüße von der Waterkant!
Ich komme von der Bürgerinitiative „Prellbock-Altona – Unser Bahnhof bleibt wo er ist“ in Hamburg. Warum gibt es uns, was wollen wir?
Die Deutsche Bahn und die Stadt Hamburg planen, den – inmitten eines lebendigen Stadtteils mit mehr als 250.000 Einwohnern im Schnittpunkt zweier belebter Fußgängerzonen gelegenen – Kopfbahnhof stillzulegen und ihn knapp zwei km nördlich in eine Einöde von Gewerbegebieten, Friedhöfen und Kleingartenanlagen zu verlagern.
Damit wird ein funktionierender Verkehrsknotenpunkt mit dem größten Busbahnhof in Hamburg und einem S-Bahnhof, der von fünf Linien angefahren wird, zerschlagen, in dem der Fern- und Regionalverkehr abgetrennt wird. Es wird der einzige ohne Aufzüge und Rolltreppen wirklich barrierefrei vom Straßenniveau gut zu erreichende Fern- und Regionalbahnhof mit kürzesten Wegen von weniger als 50 Meter zwischen Taxistand und Bahnsteig aufgegeben. Nach einer Analyse von Spiegel-online verschlechtert sich durch die Bahnhofsverlegung die Verkehrsanbindung für 269.000 Leute, und nur 130.000 können mit einer potenziellen Verbesserung rechnen!
Warum erzähle ich Euch das? Weil es erstaunliche Parallelen im Vorgehen, bei den handelnden Akteuren, in der Politik und in der medialen Begleitung zwischen Hamburg Altona und S21 gibt:
- Die Planungen für beide Projekte stammen aus den 90iger Jahren, als die DB AG glaubte, alle Kopfbahnhöfe abschaffen zu müssen. Die großen Projekte in München und Frankfurt Hbf wurden nach ersten Kostenschätzungen schnell ad acta gelegt. Leipzig als Kopfbahnhof super saniert und nur ein durchgängiges S-Bahngleis gebaut, was ihr in Stuttgart und wir in Altona schon haben.
- Leider wurde in Altona das historische Bahnhofsgebäude von 1895 schon 1979 abgerissen, in Stuttgart konntet ihr das gerade noch verhindern.
- Eine transparente Kosten-Nutzen-Analyse hat es für beide Projekte nicht gegeben.
- Die Bedeutung eines Kopfbahnhofs für den urbanen Charakter der Stadt wurde nie untersucht.
- Die Planungen sind im Detail nicht öffentlich, Verkehrsstudien und aktuelle Fahrgastzahlen hält die DB AG geheim.
- Einen öffentlich nachvollziehbaren Kosten-/Zeitplan gibt es nicht.
Damit sind wir bei dem zweiten wesentliche Aspekt: der Finanzierung: Sicher ist das Bahnhofsverlagerungsprojekt in Altona kostenmäßig eine Zehnerpotenz kleiner. Wir gehen derzeit von Gesamtkosten (Bahn und Stadt) von rund 1 Mrd. Euro aus, S21 dürfte wohl insgesamt das zehnfache kosten.
- Die Kosten in Altona wurden äußerst fahrlässig ermittelt. Die DB AG behauptet sogar, „Kosten seien nicht Gegenstand der Planfeststellung“. Warum sagt die DB AG das? Weil 80% der Kosten für die Gleis- und Brückenbaumaßnahmen aus Steuergeldern kommen. Das ist die Einladung zum vorsätzlichen Betrug am Steuerzahler!
- Es gibt keinen Plan wer die zu erwartenden Kostensteigerungen abdeckt.
- Die Stadt weiß überhaupt noch nicht, welche Kosten auf sie zukommen, denn sie hat sich auf einen äußerst fahrlässigen Deal eingelassen: Sie kauft der Bahn die Grundstücke für 38,8 Mio. EUR ab, übernimmt aber damit auch die Verpflichtung die aufgelassenen Bahnanlagen abzureißen und den hochgradig verseuchten Boden zu dekontaminieren. Um das dem Steuerzahler gegenüber zu verschleiern, werden die Grundstückgeschäfte nicht über den städtischen Haushalt, sondern über eine landeseigene Immobilien-Gesellschaft abgewickelt.
Ein weiterer vergleichbarer Aspekt ist die unhaltbare Projektbegründung:
- der Kopfbahnhof sei über 100 Jahre alt und damit unmodern,
- der neu zu bauende Durchgangsbahnhof sei leistungsfähiger,
- die Anlagen des jetzigen Bahnhofs seien nur zu 60% genutzt,
- der neue Bahnhof trägt zur Entlastung des Hauptbahnhofes bei,
- die frei werdenden Flächen sollen für den Wohnungsbau genutzt werden.
Richtig ist vielmehr:
- Die Gleisanlagen wurden beim Bau der Durchgangs-S-Bahn (Citytunnel) 1979 erneuert, die Elektrifizierung stammt vom Beginn der 70er Jahre, das elektronische Stellwerk gar aus 1995!
- Der neue Bahnhof wird über nur 6 Bahnsteigkanten verfügen, der alte hatte 8. Aus Platzgründen kann am Bahnhof Diebsteich noch nicht einmal ein nach Verlagerung notwendiges S-Bahn-Überwerfungsbauwerk errichtet werden, sodass damit der weitere S-Bahnausbau nach Westen blockiert wird. Ferner ist am Standort Diebsteich kein Platz für die Autoreisezuganlagen, die nach Aufgabe dieses Geschäftes durch die DB AG am Bahnhof Altona durch die Österreichische Bahn und zwei private Bahnen genutzt werden.
- Die Kapazitätsnutzung bezieht sich auf das gesamte Bahnhofsareal, einschließlich des schon lange nicht mehr genutzten Bahnbetriebswerkes und Güterbahnhofs.
- Genau das Gegenteil ist der Fall. Der ohnehin chronisch überfüllte Hauptbahnhof wird mit bis zu 10.000 Reisenden zusätzlich belastet.
- Ja, Wohnungsbau ist mehr als vordringlich, aber der Erhalt des Kopfbahnhofs steht weiterem Wohnungsbau nicht im Wege. Nach Neuordnung der Gleisanlagen, wie von der Bürgerinitiative vorgeschlagen, können mehr als 80% der geplanten Wohnungen trotzdem gebaut werden. Zudem liegen die neuen Wohngebiete fußläufig näher zum jetzigen Bahnhof als zum Bahnhof Am Diebsteich.
Nun werdet Ihr Euch fragen, was soll der ganze Unsinn dann überhaupt: Für die Fahrgäste und Pendler bringt es nur Nachteile, 67.000 Bürger Altonas verlieren einen fußläufigen Anschluss zum Bahnhof, für die Pendler werden sich die Wegezeiten durch zusätzliches Umsteigen um bis zu 10 Minuten pro Richtung verlängern, und bahnbetriebstechnisch sind nur Nachteile zu erwarten, weil die fahrplanstabilisierende Pufferfunktion des Kopfbahnhofs wegfällt.…
Ein Schuh wird draus, wenn man das Projekt als reines Grundstücksspekulationsobjekt sieht. Und siehe da, die handelnden Akteure sind dieselben wie bei S21: ECE, d.h. die Otto-Gruppe und Aurelis, letztere gehört dem weltbekannten Immobilienspekulanten George Soros!!!
Auch das Vorgehen ist gleich: Die Stadt kauft der Bahn einstmals kostenlos für den Bahnbetrieb überlassene Immobilien ab, saniert Grund und Boden, stellt das Baurecht her und verkauft die Grundstücke dann an Immobilieninvestoren. Natürlich wird über die Kaufverträge und sonstigen Nebenvereinbarungen Stillschweigen bewahrt. Angeblich sollen aus den Gewinnen der Grundstücksspekulation die erheblichen Investitionen für die verkehrsmäßige Anbindung (wobei dazu Kleingärten und Friedhöfe platt gemacht werden) genutzt werden. Ob der Deal aufgeht ist mehr als fraglich.
Und noch eine Parallel wird deutlich: Die ortsansässige Presse, insbesondere das Leib- und Magenblatt des 1. Bürgermeisters, das Hamburger Abendblatt, berichtet nicht über dieses Skandalprojekt. Und keiner wagt sich so richtig an eine Untersuchung der dubiosen Grundstücksgeschäfte.
Noch bestehen aber Chancen, das Projekt zu verhindern. Noch ist kein Bagger angerollt, noch kein Baum gefällt. Es gibt auch noch keinen Planfeststellungsbeschluss. Aber die Stadt, d.h. SPD und Grüne, und die DB AG sind wild entschlossen, das Projekt durchzuziehen, wenn es die Bürger nicht verhindern.
Kein Bahnhof am Friedhof, unser Bahnhof bleibt wo er ist, Vorfahrt für die Bürgerbahn, stoppt den Spekulanten-Wahn!
Wie Ihr sagt: Oben bleiben, sagen wir: Mittendrin bleiben!!!
Ich stimme Michael Jung in allem voll und ganz zu – nur in einem nicht: „Ein Schuh wird draus, wenn man das Projekt als reines Grundstücksspekulationsobjekt sieht.“
Dieses Bahnhofsverlegungsprojekt in HH-Altona ist m.E. genau wie S 21 AUSSER einem Grundstücksspekulationsprojekt zusätzlich ein Schienenrückbauprojekt zugunsten des Individualverkehrs. Und das ist den Verantwortlichen politischen Marionetten sicherlich genau so wichtig wie den Wirtschaftsbossen.
So schlägt man hier wie dort mindestens zwei Fliegen mit einer Klappe.
Als dritte Fliege kann man auch noch Geldwäsche in großem Stil näher untersuchen.
In den USA hat es mit großer Unterstützung von General Motors ja schließlich auch geklappt mit der Zerschlagung des öffentlichen Schienenverkehrs.