Rede von Hans Heydemann, Ing22: Liste der 1.700 S21-Risiken und die Tunnelsimulation bei S21

Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 394. Montagsdemo am 20.11.2017

Liebe Freunde und Mitstreiter!

Erinnern wir uns: Vor der Volksabstimmung über Stuttgart 21 im November 2011 hieß es: Der Kostendeckel von 4.5 Mrd. € gilt! Dabei wusste die Bahn anhand ihrer Liste der 121 Risiken vom 25.3.2011 bereits 8 Monate zuvor sehr genau, dass dies bei weitem nicht reichen werde und mit Mehrkosten von mindestens 2,5 Mrd. € zu rechnen sei. Dies aber hat sie der Öffentlichkeit und den Parlamenten arglistig verschwiegen – ein ungeheuerlicher Kostenbetrug! Bei Kenntnis dieser drohenden Mehrkosten wäre die Volksabstimmung sicher anders ausgegangen!

Erst ein Jahr später getraute sich Bahnvorstand Kefer einzuräumen, dass S21 doch etwas teurer werde; man rechne jetzt mit Gesamtkosten von 6,8 Mrd. €. Der Aufsichtsrat der DB genehmigte daraufhin im März 2013 einen Kostenrahmen von nunmehr 6,5 Mrd. € mit der Maßgabe, Land und Stadt müssten sich an den Mehrkosten beteiligen – was bis heute ungeklärt ist.

Auf einer Veranstaltung der IHK im September 2015 verplapperte sich dann Herr Leger, Geschäftsführer der DB Projekt Stuttgart-Ulm, und erklärte auf die Frage nach der Liste der 121 Risiken, die sei doch längst überholt, man arbeite jetzt mit einer Liste der 1.700 Risiken!

Holla, statt 120 Risiken jetzt 1.700, vierzehnmal so viel innerhalb von vier Jahren – und da behauptet die Bahn immer noch, alles im Griff zu haben, den Kostenrahmen und die Inbetriebnahme 2021 einzuhalten? Wenn die Bahn bei S21 so viele Risiken eingeht, muss sie daran scheitern!

Diese Liste mit den 1.700 Risiken wollten wir jetzt sehen und forderten Einsichtnahme nach dem Umweltinformationsgesetz, was die Bahn sofort abwies mit der Begründung, es handele sich hierbei um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Daraufhin habe ich im Juli vergangenen Jahres Klage auf Dokumentenzugang nach UIG erhoben.

Die Bahn forderte die Abweisung der Klage mit der Begründung „Zudem drängt sich eine missbräuchliche Verwendung durch den Kläger auf. Der Kläger ist exponierter Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21, Teilnehmer der Schlichtung, Redner auf diversen Montagsdemos (www.bei-abriss-aufstand.de) und Mitglied der Ingenieure22 gegen S21. Ziel ist nicht der Umweltschutz, sondern die Verhinderung von S21. So warf der Kläger in seinem Beitrag „Chancen und Risiken beim Großprojekt Stuttgart 21“ v. 30.7.2013 (abrufbar unter www.bei-abriss-aufstand.de) der Bahn – neben vielen anderen Unwahrheiten und Boshaftigkeiten – Kostenbetrug vor und führte aus: ‚Diese Liste der 121 Risiken ist gleichermaßen Beweis sowohl für den ungeheuren Kostenbetrug der Bahn gegenüber der Öffentlichkeit als auch ihre Unfähigkeit, dieses Großvorhaben Stuttgart 21 ordnungsgemäß umzusetzen.‘“ Das ist wohl alles richtig, spielt hier aber keine Rolle – das UIG ist ja gerade für Kritiker eines solchen Vorhabens gemacht. Es überrascht aber, wie genau die Bahn unsere Kritik mitliest und wie sehr die sich getroffen fühlen. Unser Widerstand ist keineswegs so wirkungslos wie es scheint!

In der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ging es zunächst darum, ob denn die Bahn eine auskunftspflichtige Stelle sei; der Anwalt der Bahn bestritt dies und verstieg sich zu der aberwitzigen Behauptung, die Bahn sei ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das nicht den Pflichten des UIG unterliege, denn die Bahn habe ja keine öffentliche Aufgabe zu erfüllen – Gelächter im Saal, was die Richterin sofort mit einem scharfen Verweis rügte.

Unser Anwalt Eisenhart v. Loeper hielt dagegen und verwies auf das jüngst ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die Bahn wegen ihrer Rolle als öffentliche Einrichtung der Daseinsvorsorge sehr wohl auskunftspflichtig ist.

Eine andere Rolle in der Gerichtsverhandlung spielte sodann der Umfang der einzusehenden Dokumente – das sei nicht zu leisten, so die Bahn; eine ausdruckbare Liste mit besagten 1.700 Risiken gäbe es ohnehin nicht, nur Dateien von Terabyte-Größe; die Bahn habe nicht das Personal, um das alles aufzuarbeiten. Wie aber kann dann die Bahn in einem solchen Daten-Chaos den Überblick über die selber eingestandenen 1.700 Risiken behalten und diese zielgerichtet verfolgen?

Der Richterin war sehr daran gelegen, einen Vergleich zustande zu bringen, und so erklärten sich die Vertreter der Bahn schließlich zu dem Angebot bereit, uns bis Ende Januar Einsicht in ausgewählte umweltbezogene Risiko-Sachverhalte zu gewähren. Natürlich reicht uns das bei weitem nicht; was heißt umweltbezogener Sachverhalt? Sollen wir abgespeist werden mit ein paar Eidechsen-Umsiedlungen und ähnlichem Kleinkram? Was ist mit den Anhydritproblemen in den Tunneln; was mit dem Brandschutz, dem Mineralwasser, der nächsten Kostenexplosion, warum geht der Bau der Stützen nicht weiter und, und…?

Alles Geschäftsgeheimnis, sagt die Bahn, wir wollen nicht, dass die Unternehmen von diesen Risiken erfahren und uns dann überhöhte Preise machen. Da konnte ich nicht mehr an mich halten und hielt Herrn Sturm, Geschäftsführer der DB PSU vor, „wie denn Unternehmer ein Angebot kalkulieren sollen, wenn ihnen maßgebliche Risiken verschwiegen werden? Das ist doch glatter Betrug!“ Das brachte mir einen Ordnungsruf der Richterin ein.

Schließlich gab es folgende Vereinbarung: Die DB PSU gewährt dem Kläger bis Ende Januar Einsicht in Auflistungen von Risiko-Sachverhalten; der Kläger prüft, ob diese seinem Informationsanspruch genügen und welche davon näher eingesehen werden sollen. Solange ruht das Verfahren. Wir werden sehen, was daraus wird.

In der anschließenden weiteren Verhandlung ging es um unsere Klage gegen die Bahn auf Veröffentlichung jener Folie 11, die die Evakuierung aus einem brennenden Zug im Tunnel zeigt, und der zugehörigen Tunnel-Simulation. Die Bahn verwahrt sich mit Händen und Füßen dagegen: diese dürfen auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen, sonst sei die öffentliche Sicherheit gefährdet!

Ei, wie das? Welches Problem hat die Bahn damit, die Evakuierung im Tunnel öffentlich zugänglich zu machen? Offensichtlich geht die doch nicht so glatt und reibungslos, wie es von der Bahn immer hingestellt wird. Dauert die Flucht in die sichere Röhre doch viel länger als die Rauchausbreitung, mit hunderten Toten und Verletzten? Wir wollen das genauer wissen!

Der Anwalt der Bahn verstieg sich in seiner Ablehnungsbegründung sogar dazu, von einem dadurch ermöglichten Terroranschlag zu reden. Was unseren Beistand, Dr. Gert Meisel, zur Gegenfrage veranlasste, ob er hier weismachen wolle, ein Terrorist würde solange im Tunnel hocken, bis da mal ein brennender Zug vorbeikommt, damit er endlich zuschlagen könne? Nun stellen Tunnel In der Tat ein mögliches Ziel für Terroranschläge dar, doch diese Gefahr wird bereits mit dem Bau der S21-Tunnel heraufbeschworen und nicht erst durch das Öffentlichmachen der Tunnelsimulation.

Schließlich bestritt der Anwalt der Bahn, dass es sich bei der Evakuierung aus einem Zug im Tunnel um eine Umweltinformation handele; ein fahrender Zug vielleicht noch, aber ein stehender Zug dann nicht. Woraufhin unser Beistand Dr. Meisel ihn fragte, wie er sich denn einen Zugbrand ohne Rauch vorstelle – Feuer und Rauch sind maßgebliche Umweltbestandteile.

Selbst die Richterin erklärte, die Leute hätten ein berechtigtes Interesse zu erfahren, ob sie bei einem Brand im Tunnel sicher seien. Ob das indessen als Umweltinformation nach dem UIG gilt, blieb offen. Tags darauf hatte sie unsere Klage abgewiesen. Wir warten jetzt auf die Urteilsbegründung, um Revision einzulegen.

Oben bleiben!

Rede von Hans Heydemann als pdf-Datei

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