Rede von Peter Grohmann, Kabarettist, Autor und AnStifter, auf der 389. Montagsdemo am 16.10.2017
Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Unruhe- und AnStifter, Obenbleiber, Kopfbahnfreunde,
ich habe eine Frage:
Wessen Stadt? Wessen Land? Wessen Geld? – Danke für Ihre Antwort!
Wir sollten diese drei Fragen auch am Donnerstag auf dem Marktplatz stellen, denn dann sitzen weiter oben in den Wolken, oft in den Wolkenkuckucksheimen, Gemeinderäte und Verwaltung zusammen, um über das Haushaltsjahr 2017/2018 zu beraten.
Wir wollen an diesem Nachmittag, wenn die Gemeinderäte die Hände heben, zum Nachdenken anregen, zum Nachdenken darüber, was uns kaputt und krank macht in unserer Stadt, was uns ärgert, was uns die Stimmung und die Stimmen versaut.
Sollen wir etwa 110 wählen? 110 oder die Notbremse ziehen, rät die Polizei. Beides hat niemand gemacht, als dieser Tage ein Flüchtling in einer vollbesetzten S-Bahn krankenhausreif geschlagen wurde.
Hilfe für Menschen in Not gehört zu den Aufgaben der AnStifter – nicht nur das: Es ist die ganz einfache und erste Pflicht für alle Menschen, ob es nun um Krieg und Vertreibung geht, um den Abbau demokratischer Rechte, um Gewalt hier bei uns im Alltag oder jenseits aller Grenzen.
110 – doch Not ist offenbar eine Frage der Definition. Geldnot – wer hätte die nicht? Zugegeben, es gibt Leute, die wissen nicht wohin mit dem Geld. Es gibt Leute, die werfen die Scheine zum offenen Fenster hinaus.
Nehmen Sie Stuttgart 21. Es ist ja nicht deren Geld, sondern – wessen Geld?
Geldnot betrifft Leute, die heute auch hier sind, und denen es schwer fällt, anständig einzukaufen oder ihren Kindern auf dem Schulausflug etwas Geld, etwas Taschengeld mitzugeben. Menschen, die Probleme haben, eine SSB-Fahrkarte zu kaufen, Theater zu besuchen, im Bioladen einzukaufen, obwohl sie das gern würden. Sie sind zum Einkauf beim Billigheimer gezwungen, Menschen mit Verfallsdatum. Sie können nicht Bio.
Geldnot – dazu kommt die Atemnot bei Feinstaub. Denn die, die kein Geld haben, können sich auch nicht woanders eine Wohnung leisten – abgesehen davon, dass es woanders keine Wohnungen gibt, abgesehen davon, dass diese Stadt über ihre Gesellschaften die Wohnungen meistbietend an Profiteure abgegeben hat. Patricia, ick hör' dir trapsen!
Wohnungsnot, hausgemacht im Rathaus, weil das kommunale Wohneigentum verschachert wurde. Die Liste der Wohltaten mit christlich-sozialdemokratischer und grüner Segnung ist lang:
- Da ist das mangelnde Personal in der Stadtverwaltung.
- Da ist die unhaltbare Situation im Pflegedienst, bei den Krankenhäusern, wo die Krankenschwestern und Pfleger krankenhausreif gemacht werden.
- Da sind die fehlenden Kitaplätze, fehlende Sozialarbeiter, Prävention für die Zukunft.
- Da sind die Kinder, die zu kurz kommen – wessen Kinder?
- Da sind die Schulturnhallen, in die es hineinregnet,
- Klassen, wo der Putz von den Wänden fällt,
- Klosetts, die zum Himmel stinken.
Lieber Bürgerinnen und Bürger, wir klagen, das gebe ich zu, hier auf einem sehr hohen Niveau, wenn wir auf das Elend der Welt sehen, auf die Bürgerkriege, die mit unsere Waffen geführt werden, auf die sterbenden Wälder, auf Hunger und Terror. Ja, wir klagen hier auf einem sehr hohen Niveau. Aber dieses Niveau ist nicht für alle da!
Es gibt Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger, physisch und psychisch Kranke, Behinderte und Alte, Ausgegrenzte und Zurückgelassene, Menschen in der Stadt, die diese unsere Gesellschaft körperlich oder seelisch kaputtgemacht hat, Menschen auf der Straße, die keine Lobby haben, Menschen, die von diesem hohen Niveau nicht einmal träumen können.
Wenn wir also am Donnerstag vereinigt und laut sind, dann sind wir auch laut für jene, die keine Stimme haben, die sprachlos gemacht wurden, die entmutigt und resigniert sind.
Ihnen und Euch allen rufen wir zu: Aufstehn! Kommen Sie am Donnerstag zum Marktplatz, bringen Sie Freunde, KollegInnen, Nachbarn mit.
Schluss mit dem Maulhalten. Laut werden! Wir sind laut, weil wir wissen: Es ist genug für alle da!
Wortmeldungen dieser Art, überall und lauter als bisher, sind wichtig, wo Bürgerrechte beschnitten, Meinungsfreiheit bedroht und Menschen in Not sind.
Am Donnerstag mit den Mieterinitiativen und ver.di, Naturfreunden und dem Wasserforum, mit dem Aktionsbündnis Recht auf Wohnen, den Bürgerinitiativen Neckartor und den Flüchtlingsfreundeskreisen – mit Euch:
Wessen Stadt?
Wessen Geld?
Wessen Welt?