Rede von Sarah Händel, Mehr Demokratie e.V., auf der 386. Montagsdemo am 18.9.2017
Volksabstimmungen werden dieses Land verändern
Seit mehreren Wochen ist Mehr Demokratie e.V. mit einem 2 x 4 Meter großen Spiegel in der Bundesrepublik unterwegs. Den großen Spiegel stellen wir auf den Marktplätzen auf, oben drüber in großen Buchstaben die Frage „Wer ist der Souverän?“
Die Menschen sollen sich daran erinnern, dass sie es sind, die diese Demokratie gestalten können. Dass sie es sind, auf die es in der Demokratie ankommt. Denn ich frage mich regelmäßig: Wo ist das demokratische Selbstbewusstsein von uns Bürgerinnen und Bürgern? Wieso lassen wir uns damit abspeisen, dass wir nur alle 4 Jahre unseren Auftritt haben und dann wieder aufs Abstellgleis gestellt werden? Wieso fordern wir unsere eigene Beteiligung an der Macht so zaghaft ein? Wieso ist unser Ruf nach Mitbestimmung nicht viel lauter, vielfältiger und einiger?
Aber wir stellen diese Frage nach dem Souverän nicht nur den Bürgern, wir stellen sie auch denen, die in den Bundestag wollen. Wir laden sie ein vor unseren Spiegel und fragen sie: Wenn ihr gewählt seid, und dann am Koalitionstisch über unsere Zukunft verhandelt, denkt ihr dann auch daran, die Menschen an dieser Zukunft zu beteiligen? Denkt ihr daran, endlich nicht nur über die Menschen zu bestimmen, sondern auch herauszufinden, wo sie stehen?
Im Wahlkampf werben alle Parteien um unser Vertrauen. Doch wo bleibt eigentlich das Vertrauen der Parteien in die Menschen? Darin, dass wir mündig und in der Lage sind, uns eine eigene politische Meinung in Sachfragen zu bilden?
Die Gespräche am Infostand verlaufen sehr unterschiedlich: Die Kandidaten der Linken sind mit voller Kraft für bundesweite Volksabstimmungen, die Grünen sind ebenfalls schon lange dafür und die SPD ist nach leichter Verunsicherung nach dem Brexit auch wieder auf Kurs. Die FDP hat sich mit dem Thema kaum richtig befasst und dann haben wir da natürlich noch die CDU-Kandidaten. Sie preisen die direkte Demokratie auf lokaler und Landesebene – obwohl sie bei jeder Reform auch dort zu ihrem Glück gezwungen werden müssen. Aber wenn es zur Bundesebene kommt, dann werden die Themen zu komplex, dann sind die Bürger zu anfällig für Fake News und Manipulation durch die Medien, dann werden die Vorzüge des Parlamentarismus über den Klee gelobt und das Struck'sche Gesetz zitiert, dass kein Gesetz aus dem Bundestag rauskommt, wie es reingeht – was natürlich nicht immer zutrifft!
Liebe CDU'ler: wir wollen nicht die Errungenschaften der Parlamentarischen Demokratie klein reden. Sie hat Deutschland zu einer stabilen Demokratie gemacht, die auch eine AFD im Bundestag nicht ins Wanken bringen kann. Doch jedes System hat seine Stärken und Schwächen. Und die Schwächen unserer parlamentarischen Demokratie sind in den letzten Jahren immer offensichtlicher geworden oder stören zumindest immer mehr Menschen: Der Lobbyismus verhindert nötige Reformen, wichtige Debatten werden nicht mit der Bevölkerung geführt und es hat sich eine Grundstimmung der Alternativlosigkeit ausgebreitet. Der Druck steigt, unser System zu verändern, es auszubauen, es zu beleben.
Doch welche Ideen gibt es denn, die Demokratie zu vertiefen? Denn das ist auch eine Meinung, die ich immer wieder höre am Infostand. Da sagen die Leute und auch nicht wenige der Politiker: Ja, wir müssen was tun, damit die Demokratie gestärkt wird, aber Volksentscheide sind da doch nicht der wichtigste Schritt. Stattdessen müssen wir die Parteien wieder attraktiver für die Menschen machen, wir müssen ein Lobbyregister einführen, das Wahlalter auf 16 Jahre senken, mehr politische Bildung anbieten und mehr Bürgeranhörungen machen.
Und ich sage ihnen dann: alles gute Vorschläge, aber keine dieser Schritte wird diese Republik so verändern wie die Einführung bundesweiter Volksentscheide, denn sie bedeuten eine System-Evolution! Das heißt nicht, dass die anderen Dinge nicht getan werden müssen oder dass Volksentscheide ein Allheilmittel gegen alle unsere Probleme sind, aber die Einführung bundesweiter Volksentscheide würde bedeuten, dass wir uns eine komplette zusätzliche Bühne erkämpft haben, auf der das Ringen um gute Politik ausgetragen werden kann!!
Für die Zivilgesellschaft würde es bedeuten: wir können eigene Gesetzentwürfe einbringen zum Beispiel zu Umwelt- und Klimaschutz, die zeigen, dass der Maßnahmenkatalog weit größer ist, als das, was uns momentan angeboten wird.
Für jeden Einzelnen würde es bedeuten: ich muss mich aufmachen und mit einem Thema beschäftigen, denn meine Stimme ist gefragt und ich soll für meine Gesellschaft Position beziehen – und der größte Anreiz, sich mit Politik zu beschäftigen, ist doch, wenn die eigene Stimme zählt!
Für die öffentliche Debatte bedeutet es: wir sprechen endlich miteinander ganz konkret über politische Inhalte und Argumente und nicht über politisches Personal! Und für die Demokratie würde es bedeuten: endlich wieder politische Auseinandersetzungen mit offenem Ausgang! Man mag es nicht glauben, aber genau dadurch wird Politik auch wieder spannend, aufregend, anziehend!
Und dazu müssen wir einfach nur umsetzen, was im Grundgesetz steht: nämlich, dass in Wahlen UND Abstimmungen die Souveränität ausgeübt wird.
Und es stimmt, damit Volksentscheide gut funktionieren, braucht es Rahmenbedingungen, auf die wir pochen müssen:
- Es braucht ein starkes Bundesverfassungsgericht, das Initiativen, die Grund- und Minderheitenrechte beschränken, früh aus dem Verkehr zieht.
- Wir brauchen Spenden-Transparenzregeln, damit offengelegt wird, welche Interessen hinter welcher Volksinitiative stehen.
- Wir brauchen eine neutrale Abstimmungskommission, die dafür sorgt, dass vor jeder Abstimmung ein faires und ausgewogenes Informationsheft an alle Haushalte geht.
- Und wir können eine Re-Finanzierung durch den Staat einführen, die funktioniert wie bei der Wahl: für jede Stimme im Volksentscheid bekommt die Initiative einen festen Centbetrag ausgezahlt, weil sie – wie die Parteien – bei der politischen Willensbildung mitgeholfen hat.
Ich sage: Die anstehende Wahl ist eine wichtige, und ich persönlich finde, jeder und jede sollte daran teilnehmen. Doch danach sollten wir uns zusammentun und von der neuen Regierung einfordern, dass unsere Stimme auch zwischen den Wahlen zählt.
Deswegen startet ‚Mehr Demokratie‘ zusammen mit vielen Bündnispartnern am Tag nach der Wahl eine große Unterschriften-Kampagne. Und ich bitte Sie alle: beteiligen Sie sich! Lassen Sie uns zusammenhalten, damit wir baldmöglichst bekommen, was in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte: das Recht auf Mitsprache auch bei den großen Fragen! – DANKE!!
Glückwunsch, nur wenige Tage nach deiner Rede haben wir nun erstmals eine Absolute Mehrheit im Bundestag für bundesweite Volksentscheide, denn nur die CDU mit weniger als 1/3 ist dagegen und die CSU müsste ja eigentlich auch dafür sein:
https://www.mehr-demokratie.de/hintergrund/volksabstimmungen/positionen-der-parteien/
Jetzt steht also eigentlich nichts mehr im Wege für die einführung von direkter Demokratie oder?