Offener Brief an „Aufbruch Stuttgart“

Sehr geehrter Herr Backes, sehr geehrte Freunde eines Aufbruchs in Stuttgart,

ohne für alle Bürger/-innen sprechen zu können, die sich gegen Stuttgart 21 engagieren, gehen wir davon aus, dass die große Mehrheit von uns die proklamierten Ziele Ihrer Initiative, insbesondere die Ihrer Aktion am 17. September, teilt und viele sich auch dort beteiligen werden.

„Weg von der autogerechten zur menschengerechten Stadt“ – das ist uns von Anbeginn an ein handlungsleitendes Anliegen. Auch die Forderung, die autobahnartige Schneise zwischen Bohnenviertel und City zu überwinden, vertreten wir seit langem. Die Hochkultur, der sie mit der Forderung nach einem „attraktiven Kulturquartier … aktuell Priorität einräumen“, liegt uns ebenso am Herzen – als Teil eines vielfältigen kulturellen Angebots.

Oper, Ballett und Staatstheater werden aus öffentlichen Mitteln hoch subventioniert. Mit 160€ werde jede Eintrittskarte von den Steuerzahlern – darunter viele, die die Angebote nie nutzen werden – subventioniert, schrieb kürzlich Rupert Koppold in Kontext. Daraus resultiert eine besondere Verantwortung, etwas zurückzugeben und kritisch über den Tellerrand der Kulturmeile hinauszublicken, auf die Stadt als Ganzes, auf die Interessen aller Bürger/-innen.

Hier muss jedoch Ihr angestrengtes Wegschauen beim Thema Stuttgart 21 ins Auge fallen, das ja geradezu ihr Gründungskonsens zu sein scheint. Es ist, als wollten Sie das Monster im Wohnzimmer nicht wahrnehmen. Stuttgart 21 ist aber eine Schicksalsfrage für diese Stadt, an der niemand vorbeikommt, der „weg von der autogerechten zur menschengerechten Stadt“, der einen Aufbruch für Stuttgart will. Wie soll eine Abkehr von der Autofixierung dieser Stadt gelingen, wenn durch die Verkleinerung des Bahnhofs ca. 30% Schienenverkehr auf die Straße verlagert werden und eine Erweiterung der Bahnhofskapazität auf Generationen unmöglich ist. Wie sollen die Bürger für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel gewonnen werden, wenn S-Bahn und Stadtbahn jetzt schon an Zuverlässigkeit einbüßen und in ihrer Entwicklung langfristig behindert werden. Wie sieht die Perspektive einer „menschengerechten Stadt“ aus, wenn durch Bau, Unterhalt und Betrieb von Stuttgart 21 zusätzlich Unmengen von Klimagasen und Feinstaub immitiert werden, die jetzt schon die Gesundheit der Bürger/-innen bedrohen und einen erklecklichen Anteil an den ins Haus stehenden Fahrverboten haben. Man könnte fortfahren mit dem unzureichenden Brandschutz, dem Überschwemmungsrisiko, den Gefahren durch riskantes Bauen à la Rastatt u. v. m.

Ein Wort noch zu dem in der Tat zu lösenden Problem Interimsoper. Nachdem den Bürger(inne)n mit Stuttgart 21 schon große Teile des Mittleren Schlossgartens genommen wurden, ist eine weitere Großbaustelle im Oberen Schlossgarten durch Überbauung des Eckensees nicht zumutbar; zumal dadurch auch das Stadtklima weiter negativ beeinflusst würde. Wir bitten Sie, diese Überlegung fallenzulassen. Sie werden hier auf unseren entschiedenen Widerstand treffen.

Bei einem Verzicht auf Stuttgart 21 böte das Baufeld des Tiefbahnhofs sehr kurzfristig sehr gute Möglichkeiten für eine Interimslösung. Dies kann Teil des Umstiegskonzepts sein, mit dem wir sozusagen einen sanften Ausstieg aus Stuttgart 21 durch Umnutzung des baulichen Status quo vorschlagen. Umstieg21 ist unser Aufbruch Stuttgart.

Es hinterlässt einen zweifelhaften Eindruck, wenn offensichtlich die Dethematisierung von Stuttgart 21 Ihnen die Türen geöffnet hat bei den Spitzen der Politik in Stadt und Land und in den Medien. Wie sonst lässt sich die ungewöhnliche versammlungsrechtliche Großzügigkeit der Stadt und die freundliche Kooperation von Landeskultureinrichtungen und stadteigenen SSB erklären?

Der gute Ruf der Stuttgarter Hochkultur resultierte auch immer aus ihrer kritischen Distanz zu „den Mächtigen“. Dies sollte so bleiben!

Gewiss, Streit kann lähmen. Aber eine gute und ehrliche Streitkultur kann auch Probleme lösen. Hierzu könnte Aufbruch Stuttgart viel beitragen.

Wir laden Sie daher herzlich ein zu einer öffentlichen Diskussion im Rathaus oder gern auch in der Oper zur Frage: „Ist das möglich: Aufbruch Stuttgart mit Stuttgart 21?“ und wollen hierzu gern in den nächsten Tagen Kontakt zu Ihnen aufnehmen.

Dr. Eisenhart von Loeper und Dr. Norbert Bongartz

 

 

 

 

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