Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
eigentlich wollte ich hier darüber berichten, dass das Bündnis Bahn für Alle, in dem ich aktiv bin, am 20. September, also vier Tage vor der Bundestagswahl, eine Sonderzeitung herausbringen wird, die der Taz beiliegt. Wir werden in dieser Zeitung auf vier Seiten unter anderen ein „Siebenpunkteprogramm für die Verkehrswende“ vorstellen. Und dabei u. a. deutlich machen, dass Elektroautos keine Perspektive weisen; dass vielmehr eine echte Elektromobilität umgesetzt werden muss. Und das heißt: Ausbau und komplette Elektrifizierung der Schiene.[1]
Doch jetzt hat mich vor wenigen Minuten eine beunruhigende Meldung erreicht. Und davon soll zunächst die Rede sein. Heute am späten Nachmittag ist in Nordhessen eine Autobahnbrücke – genauer: die „Fuldabrücke Bergshausen“ – eingestürzt. Bereits erodierte Teile der Brücke haben sich aus der Verankerung im Beton gelöst und stürzten in die Fulda. Unklar ist, ob es Tote oder gar Verletzte gab. Erste Mutmaßungen bei Twitter laufen darauf hinaus, dass dies die Folgen eines nächtlichen Schwertransports mit Übergewicht sein könnten. Es handelt sich um eine Brücke im Verlauf der A44, in der Nähe des Autobahndreiecks Kassel-Süd und damit um einen neuralgischen Knoten im deutschen Autobahnnetz. Der VW-Konzern, der ein Werk in Kassel-Baunatal hat, befürchtet, dass damit die Konzernlogistik zwischen Baunatal und den VW-Werken in Salzgitter, Braunschweig und Wolfsburg erheblich gefährdet sein könnte. Der grüne hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir war bereits vor Ort. Bundesverkehrsminister Dobrindt und Al-Wazir haben angekündigt, eine gemeinsame Soforthilfe in Höhe von 135 Millionen Euro für die betroffenen Spediteure stemmen zu wollen. Die Höhe orientiert sich wohl an der Bundeshilfe für die von Insolvenz bedrohte Airline Air Berlin, die vor ein paar Tagten beschlossen wurde. Die Bundeswehr hat angekündigt, mit dem Einsatz von Ponton-Brückenteilen in der Lage zu sein, bis spätestens 22. September eine eingleisige Befahrbarkeit der Brücke wieder herstellen zu können. Wobei das sicher ein „politischer“ Termin ist; da dürften dann Dobrindt und vielleicht sogar die Kanzlerin zwei Tage vor der Wahl als Autobahn-Retter auftauchen. Zwischenzeitlich sollen den Lkw-Spediteuren, die Umwege auf sich nehmen müssen, die Mautkosten im gesamten hessischen Autobahnnetz erlassen werden.
Nun sind wir als Schienenfreunde natürlich gegenüber dem Straßenverkehr eher zurückhaltend. Andererseits scheint doch angebracht, dass wir eine kurze Solidaritätsadressse zu Gehör bringen – ich glaube, Werner Sauerborn hat dazu einen kurzen Text vorbereitet… STOPP! Ende der FALSCHmeldung. SCHLUSS mit dem halb Joke-halb-Ernst-Bericht.
Einige hier auf dem Schlossplatz dürften es geahnt haben. Es geht um anderes – es geht bei dem fiktiven Unfallbericht zu Kassel um den realen schweren Unfall in RASTATT. Um einen Vergleich, was bei einem Autobahnunglück passieren würde und was bei einem Schienenunglück nicht passiert.
Denn Vergleichbares zu dem, was ich über den fiktiven Unfall in Nordhessen berichtete, ereignete sich in Rastatt. Nur eben „nur“ auf der Schiene. Weswegen es dann in der Berichterstattung, in den Reaktionen aus der Politik und in den realen Folgen für den Verkehr massive Unterschiede gibt.
Am 12. August gab es – offiziell um 11.03 Uhr – die Uhrzeit dürfte jedoch manipuliert sein – bei Rastatt den Einsturz der Decke eines Tunnelbaus unter der Rheintalbahn. Die Gleise der Bahn sackten um bis zu einem halben Meter ab. Die Rheintalbahn ist eine Aorta des europäischen Nord-Süd-Eisenbahnverkehrs, vor allem des Schienengüterverkehrs.
Mir liegt der private Bericht eines Menschen vor, der nah dran war; die Person will naturgemäß anonym bleiben. Danach gab es im Untergrund ungewöhnliche Druckverhältnisse. Entweder einen zu starken Gegendruck oder auch einen „stark verminderten Gegendruck“, was mit einem in der Nähe befindlichen ehemaligen Fußgängertunnel zusammenhängen könnte. Jedenfalls beschloss der Führer der Tunnelbaumaschine um rund 25 Zentimeter „aus der Längsachse heraus“ auszuweichen. Das reichte bereits aus, um den Einsturz auszulösen, da offensichtlich die Vereisung über dem Tunnelbau diese relativ kleine Abweichung nicht mit erfasst hatte. In dem Bericht heißt es: „Nur die schnelle Reaktion des Personals hat Schlimmeres verhindert. DB Netz weiß das; die beteiligten Personen sind gehalten, dies für sich zu behalten.“
Ein Freund, Klaus Gietinger – er hat auch hier auf einer Montagsdemo bereits geredet – saß an diesem Tag und ungefähr zu dieser Zeit in einem ICE in Karlsruhe, er wollte nach Baden-Baden. Die Abfahrt seines ICE, der fünf Minuten verspätet war, wurde in Karlsruhe kurzfristig gestoppt. Zunächst für ein paar Minuten, dann hieß es 30 Minuten. Am Ende ging gar nichts mehr.
Das Seltsame dabei ist: Der ICE wurde in Karlsruhe bereits um 10.19 Uhr gestoppt. Also deutlich vor der behaupteten Zeit von 11.03 Uhr. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass der Einbruch bereits früher als berichtet stattfand oder begann; dass er sich möglicherweise über einen deutlich längeren Zeitraum hinzog. Und dass die Deutsche Bahn AG hier etwas zu verbergen hat.
Doch zurück zu unserem „theoretisch-fiktiven“ Vergleich Kassel-Rastatt. Die Auswirkungen des Unglücks in Rastatt sind wesentlich größer als die Auswirkungen, die ein beschriebener Brückeneinsturz bei Kassel gehabt hätte:
- Pro Tag werden aktuell 20.000 bis 30.000 Bahnreisende auf Busse verladen, um die Streckensperrung zu überbrücken. Viele Reisende springen spätestens da von der Bahn ab.
- Pro Tag müssen 200 Güterzüge umgeleitet werden; oft werden sie auf bis zu 600 km längere Umwege gelenkt. Viele Güterzugverbindungen finden dann erst gar nicht mehr statt.
- Der ÖBB-Nachtzug Hamburg-Zürich, den die österreichische Nachbarbahn im Dezember 2016 eingerichtet hatte, um wenigstens auf dieser Verbindung den Wegfall der deutschen Nachtzüge wettzumachen – dieser Nachtzug fällt seither komplett aus. Die Deutsche Bahn AG, hier DB Netz, ist nicht bereit oder in der Lage, für den Nachtzug Ausweichrouten einzurichten.
- Der private, neu eingerichtete Autoreisezug eines engagierten Schienenverkehrsunternehmens auf der Strecke Hamburg – Lörrach fiel wochenlang ebenfalls komplett aus. Nur durch Eigeninitiative von Profis und Beschäftigten konnte vor ein paar Tagen eine Ausweichroute für diesen Zug gefunden werden. DB Netz hat nach meiner Kenntnis wenig entsprechende Bemühungen erkennen lassen, hierfür eine Lösung zu finden.[2]
- Dutzende Firmen – Speditionen, die Schienengüterverkehr machen, sind ernsthaft existenziell bedroht. Damit sind hunderte Arbeitsplätze in diesem Bereich bedroht.
- Am 6. September veröffentlichten Dutzende Speditionsunternehmen, Umwelt- und Verkehrsverbände (darunter BUND und VCD) einen dramatischen Appell in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; sie wählten die Form einer bezahlten Anzeige, weil die Medien kaum oder nicht über die katastrophale Lage bei der Rheintalbahn berichten.
- Die betroffenen Unternehmen und Verbände hatten gleich nach dem Unglück konkrete Vorschläge unterbreitet, mit denen die Behinderungen und Schäden hätten minimiert werden können. Dazu heißt es in der Erklärung: „Es ist für viele Experten nicht nachvollziehbar, warum die Vollsperrung nicht durch den Bau einer behelfsmäßigen, einspurigen Ersatzstrecke unmittelbar nach der baubedingten Beschädigung der Rheintalbahn vermieden bzw. deutlich verkürzt werden konnte.“ Dies ist übrigens der Bezug zu der in meinem fiktiven Bericht behaupteten Bundeswehr-Aktion, mit Pontonbrückenteilen die Autobahn bei Kassel kurzfristig einspurig wieder in Betrieb nehmen zu wollen.
Wie sieht jetzt bei all dem die Antwort der Politik aus? Welche Reaktionen gab es bei der Kanzlerin Merkel, bei Verkehrsminister Dobrindt, bei Bahnchef Lutz und vor allem: bei Herrn Ronald Pofalla, im Bahnvorstand der Chef des Infrastrukturbereichs bei der Deutschen Bahn AG? Dazu heißt es in der heutigen (11. 9.) Ausgabe der Frankfurter allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Auch Spediteur sind systemrelevant“: „Bei Air Berlin war die Bundesregierung mit Soforthilfe schnell zur Stelle. Die wirtschaftlich nicht minder bedeutsamen, aber öffentlich weniger diskutierten Verluste im Gefolge der Rheintalbahn-Sperrung versuchen die Verantwortlichen in Berlin auszusitzen […] im Zweifel bis nach der Bundestagswahl. […] Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und der Deutschen Gesellschaft für kombinierten Güterverkehr (Kombiverkehr) […] nicht einmal geantwortet. Auch der gleichlautende Brief der Kombiverkehr an die scheidende Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) blieb bis dato ohne Reaktion. […] Eine Anfrage dieser Zeitung, warum es bis dato keine Reaktion gibt, ließ das Bundeswirtschaftsministerium unbeantwortet. Verkehrsminister Dobrindt lässt verlauten, das Schreiben [wohlgemerkt: ein mehr als drei Wochen altes Schreiben! W.W.] werde ‚derzeit bearbeitet‘. Im Übrigen habe die Deutsche Bahn ein umfassendes Krisenmanagement aufgesetzt…“
Und zu Herrn Pofalla schreibt das Handelsblatt am 30. August unter der Überschrift „Wo bleibt eigentlich der Chef?“: „Als sich die Gleise am 12. August auf der Rheintalbahn verbiegen, weil die Erde unter ihnen wegrutscht, da weilt Ronald Pofalla entspannt im Urlaub. Die Wettbewerber der Deutschen Bahn verlangen schon wenige Stunden darauf, dass Pofalla das Desaster umgehend zur Chefsache macht. Sonst, so drohen sie, werde die Angelegenheit binnen kürzester Zeit ein Fall für den Bundesverkehrsminister und für die EU-Verkehrskommissarin. Ein gelernter Politiker wie Pofalla lässt sich von derartigen Ankündigungen nicht einschüchtern. Der 58-jährige CDU-Mann vom Niederrhein macht das, was Politiker in solchen Fällen tun: aussitzen. Mit Erfolg…“
Das heißt: Die offizielle Politik duckt sich weg. Herr Pofalla hat sich medial vertunnelt. Der Infrastrukturchef der Bahn hat sich zusammen mit Sibylla-Augusta eingegraben.
Uups! Das muss ich hier nachtragen. Der Name der Tunnelbaumaschine, die in Rastatt das Unglück verursacht hatte, heißt so: Sibylla-Augusta. Und am 1. April 2017, knapp 20 Wochen vor dem Rastatt-Desaster, gab es in der Badischen Zeitung einen Jubel-Bericht über dieses Ungetüm aus dem Hause Herrenknecht. Der Reporter, Ralf Burgmaier mit Namen, berichtete von vor Ort – und schrieb, er habe „einen Besuch in der Zukunft machen“ dürfen. Er durfte Sibylla-Augusta höchst selbst besuchen. Der Bericht klingt dann auch einigermaßen intim. Wir erfahren, dass das 1,7-Tonnen schwere Maschinen-Weib den „Namen der Gattin des legendären Rastatter Markgrafs, dem ‚Türken-Louis‘, erhalten“ habe. In der Badischen Zeitung ist des Weiteren zu lesen: „Wenn Sibylla-Augusta besonders gut drauf ist, schafft sie 20 Meter Vortrieb am Tag.“ Das würde übrigens ausreichen, um die Rheintalbahn im Untergrund an einem Tag zu queren.
Burgmaier ergänzt dann: In einem solchen Fall würde Sibylla-Augusta dann „2000 Kubikmeter Rheinkiesel und Sand ins Freie“ pumpen. Am 12. August war es offensichtlich deutlich weniger Vortrieb. Dann aber auch deutlich mehr Rheinkiesel – wenn auch im Tunnelbau selbst hernieder rieselnd.
Der Badische-Zeitungs-Mann Burgmaier macht dann einen 4000-Jahres-Spagat. Er schreibt einerseits, die Tunnelbaumaschine sei – so wörtlich – „ein Vorgeschmack auf das posthumane Zeitalter.“ Hier liegen offensichtlich höchst begrenzte Lateinkenntnisse vor; gemeint ist das Zeitalter, in dem menschliche Arbeit ganz durch Maschinen ersetzt sein würde. Wobei der Begriff „posthuman“ – also nach der Zeit der Menschen – dann auch wieder aufschlussreich, eine Freudsche Fehlleistung ist.
Und dann heißt es da, es handle sich bei dem Tunnel unter Rastatt „um ein Bauwerk mit pharaonischen Ausmaßen“. Also: Ein Spagat zwischen dem posthumanen Zeitalter und dem Sklavenhalter-Zeitalter und das Ganze irgendwie als eine Kombi. Dabei ahnte der Berichterstatter mit dem Verweis auf die „Pharaonen“ möglicherweise bereits im April, was Sibylla-Augusta dann im August drohen könnte. Denn nach dem Einbruch im pharaonenhaften Tunnelbau am 12. August beschloss DB Netz – möglicherweise war es auch Pofalla auf Mallorca, der dies beschließen ließ –, dass Sibylla-Augusta im Untergrund unter Rastatt zurückzulassen, zu begraben sei.
Und das ist genau das, was die Pharaonen über einen längeren Zeitraum hinweg praktizierten. Die Wissenschaft nennt dies „Nebenbestattungen“, den „Brauch, neben dem Grabeigentümer auch weitere Personen, etwa dessen Gemahlin, zu bestatten.“ Da diese „Neben-Bestatteten“ zum Zeitpunkt des Todes des Herrn und Gebieters noch lebten, wurden sie zwecks Nebenbestattung getötet. Oder auch, so die charmante Tour, lebendig begraben.
Dieses Brauchtum der Nebenbestattungen gab es nicht nur im alten Ägypten. Dies gab es in Peru bei Indigenen (Moche). Es gab dies in der Mongolei, auch in Russland bei den Skythen. Und – rund 800 bis 650 vor Christus – gab es Vergleichbares auch bei den Kelten in unserer Region. Ein solches Keltengrab mit Nebenbestattung wurde laut Wikipedia entdeckt – man glaubt es nicht – hier ganz in der Nähe, in Waiblingen-Hegnach, in der Nähe von Ludwigsburg.
Jetzt haben wir also Vergleichbares bei Rastatt – die nebenbestattete Sibylla-Augusta. Übrigens, wie vor tausenden Jahren, auch mit viel Beiwerk und Schmuck versehen: das nebenbestattete Maschinchen ist 18 Millionen Euro teuer. Was aber eher ein Spottgeld ist verglichen mit dem gesamten Schaden, der mit dem Rastatt-Unglück verbunden ist. Allein die nunmehr neuen Baumaßnahmen dürften sich nach meinen Informationen von Bahninsidern einschließlich der Kosten für die zeitlichen Verzögerungen auf mehr als eine Milliarde Euro belaufen.
Das Desaster von Rastatt ist für unseren Widerstand gegen Stuttgart 21 in dreifacher Hinsicht lehrreich:
Erstens. Rastatt zeigt: Die Spitze der Deutschen Bahn AG besteht aus gnadenlosen Ignoranten und aus zynischen Russisch-Roulette-Spielern. Die Bohrungen unter der Rheintalbahn waren von vornherein riskant. Der Abstand zwischen der Tunneldecke und dem Gleisbett war mit 4,5 Metern ausgesprochen gering. Es gab keine Sperrung der Strecke während der Unterfahrung – die ja nur, siehe der Verweis auf die 20-Meter-pro Tag-Leistung von Sibylla-Augusta – rund einen Tag oder maximal ein Wochenende gedauert hätte. Es gab keine Konzentration dieser spezifischen Bauarbeiten auf Nachtstunden mit wenig oder keinem Schienenverkehr. Damit wurde objektiv ein Einsturz und damit eine Eisenbahn-Katastrophe am helllichten Tag als Möglichkeit in Kauf genommen. Eben: abgrundtief + bodenlos!
Zweitens. Rastatt zeigt mit dem Abtauchen der verkehrspolitisch Verantwortlichen und der Bahnspitze: „Schiene“ geht der Frau Kanzlerin Merkel, geht der Frau Wirtschaftsministerin Zypries, geht den Herren Dobrindt, Lutz und Pofalla sowas von am Arsch vorbei!
Ein schwerer Schaden bei Dutzenden Unternehmen – kapitalistischen Firmen – so what? Das sind doch nur Schienenunternehmen!
Ein schwerer Schaden für die Schiene als Ganzes, fast einem Rufmord gleichend? So what? Es geht ja nicht um Daimler, VW, BMW, Porsche oder Air Berlin!
Eine Schweizer Regierung, die sich in Berlin beschwert? So what? Warum haben die den Gotthardt-Tunnel für den Schienenverkehr und nicht für den Straßenverkehr gebaut?
Es gäbe die Gefahr, dass sich der modal split im gesamten Schienenverkehr nochmals erheblich von der Schiene weg und hin zur Straße verschiebt? So what? Oder auch: Warum auch nicht? Bei den Ex-Bahnbossen Dürr, Mehdorn und Grube, die alle drei aus der Daimler-Kaderschmiede an die Bahnspitze gelangten, gilt: „Daimler“ steht ja nicht allein für Pkw-Verkehr. Daimler ist europaweit der größte Lkw-Bauer. Und die größte europäische Lkw-Speditionsfirma ist … Schenker, eine Tochter der Deutschen Bahn AG. Da lässt sich sagen: Passt! Oder auch: abgrundtief + bodenlos!
Drittens. Rastatt steht wie ein Menetekel für Stuttgart 21 im Allgemeinen und für die S21-Tunnelbauten im Besonderen:
- Diese zynische Risikobereitschaft bei großen Tunnelbaumaßnahmen gab es in Rastatt. Und es gibt sie in Stuttgart.
- Der Abstand zwischen der Tunneldecke und dem Gleisbett war in Rastatt doppelt so groß wie beim vergleichbaren Abstand bei einigen Tunnelabschnitten in Stuttgart, also zwischen der jeweiligen S21-Tunneldecke und dem Kellerboden bzw. den Fundamenten einiger Gebäude.
- Wenn es stimmt, dass die Deutsche Bahn AG bzw. DB Netz bzw. die beteiligten Baufirmen in Rastatt übersehen haben, dass es nahe der Unglücksstelle einen ehemaligen Fußgängertunnel gab, der nicht oder unzureichend verfüllt wurde, was heißt das dann für Stuttgart? In Rastatt handelt es sich um eine relativ kurze Tunnelquerung unter der Rheintalbahn in einem kaum bebauten Gebiet. In Stuttgart haben wir ein riesiges Gebiet mit insgesamt 60 Kilometern langen Tunnelbauten, ein Areal, in dem seit hunderten Jahren gebuddelt wurde, in dem es unterirdische Bauten gab und gibt, die nicht oder wenig bekannt sind, die nicht oder unzureichend verfüllt wurden; gibt es alte und neue Hohlräume usw.
- Vor allem aber gilt: Der Untergrund in Rastatt war einigermaßen bekannt und relativ berechenbar. Der Untergrund bei den S21-Tunnelbauten besteht auf einer Länge von 16,7 Kilometern aus Anhydrit, aus unberechenbarem Gipskeuper. Also absolut nicht berechenbar.
Oder auch: abgrundtief + bodenlos!
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
Rastatt und Stuttgart verbindet ja einiges. Die Tatsache, dass die Deutsche Bahn AG in Rastatt, in Offenburg und insgesamt bei der Rheintalbahn aufwendige Tunnelbauten machen muss und damit den Bewohnerinnen und Bewohnern etwas weniger zusätzlichen Schienenlärm zumutet, ist ja ein Resultat der massenhaften Bewegung gegen Stuttgart 21 in den Jahren 2010 und 2011. Die Deutsche Bahn AG und die Bundesregierung wollten damals, insbesondere vor der Volksabstimmung, vermeiden, dass es an zwei Fronten eine massenhafte Protestbewegung gibt. Sie machten daher im Rheintal massive und teure Zugeständnisse. Wenn die Deutsche Bahn AG dennoch dann bei den Rheintaltunnelbauarbeiten derart fahrlässig handelte, wie beschrieben, dann wirft das düstere, dunkle Schatten auf das, was uns in Stuttgart hinsichtlich der Qualität der Planungen und Bauausführungen erwartet.
Nein, wir wünschen jetzt natürlich niemandem unter den hier angesprochenen, zynischen Verantwortlichen bei Bahn und Politik eine „Nebenbestattung“. Doch wir sind überzeugt: Die Denke und das Tun dieser Damen und Herren ist von vorgestern. Sie ist durchdrungen vom Zynismus und von der Denkart des Pharaonenzeitalters. Dies orientiert tatsächlich auf ein „posthumanes Zeitalter“, auf eine Zeit, in der menschliche Vernunft, menschliche Gefühle, Respekt vor Umwelt, Klima und Stadtkultur keinen Platz haben.
Es sind hingegen wir, die für Vernunft, für eine Stadt für die Menschen, für den Respekt, die Achtung vor Natur und vor menschlichen Bedürfnissen, die schlicht für Humanismus und dafür stehen, dass die Menschen aufrecht gehen und: oben bleiben!
Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21. Er veröffentlichte Ende Juli das Buch „abgrundtief + bodenlos. Stuttgart 21 und sein absehbares Ende“ (320 Seiten; 16,90 Euro; Verlag PapyRossa, u.a. bei der S21-Mahnwache erhältlich). Winfried Wolf freut sich, wenn er zu Veranstaltungen eingeladen wird, auf denen er das Buch vorstellen kann. Kontakt unter: mail@papyrossa.de
[1] Diese Zeitung wird nach der Bundestagswahl in abgeänderter Form, so dass sie als Appell an die dann neue Bundesregierung gerichtet ist, neu erscheinen – als eine Massenzeitung, die bestellt und vertrieben bzw. verteilt werden kann. Je Ex. zu 10 Cent; also z.B. 100 Ex. = 10 Euro plus Porto &Verpackung.
[2] Hierzu heißt es auf der Website des Unternehmens BTE: „Trotz andauernder Streckensperrung zwischen Rastatt und Baden-Baden ist es uns gelungen, eine alternative Route für den BTE AutoReiseZug zu erarbeiten. Somit können wir unsere Kunden ab 1.9.2017 wieder nach bzw. ab Lörrach befördern. Damit ist der BTE-AutoReiseZug der einzige Reisezug, der zukünftig aufgrund einer ausgeklügelten Transportlogistik die Großbaustelle umfährt. Die Streckenbeschaffenheit der Umleitungsstrecke verlangt jedoch die Reduzierung des Gesamtzuggewichtes. Daher müssen wir leider im Umleitungszeitraum auf die Mitführung des ZugRestaurants verzichten.“
Rede von Winfried Wolf als pdf-Datei