Rede von Jürgen Klaffke, Kaktus-Gruppe in der IHK, auf der 384. Montagsdemo am 4.9.2017
Tiefe Gruben sind keine schwarzen Löcher – über den Umgang mit der Wahrheit in Rastatt, Stuttgart und anderswo
Liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofs!
Danke, dass ich heute wiederum zu Euch sprechen darf. (Das mit dem Du und Sie haben wir ja schon geklärt und das geschriebene Wort zählt auch diesmal.)
Es ist einfach toll zu sehen, dass auch auf der 384. Montagsdemo wieder so viele Freunde und Freundinnen des Kopfbahnhofs versammelt sind. Angesichts der augenblicklichen Politikperspektive ist das ein immer wieder erfreulicher Pool von Vernunft, der heute – gerade in Stuttgart – so selten geworden ist. Toll!
Das war jetzt die positive Auslegung des Wortes „toll“. Die negative Auslegung erleben wir gerade in Rastatt. Das hat die Bahn aber toll hinbekommen! Ohne Netz und doppelten Boden – nicht mal mit einem Plan B – voll in den GAU! Übrigens: ist Euch aufgefallen, dass die Stuttgarter Zeitungen zunächst von einer PANNE in Rastatt gesprochen haben? Ey, sind die panne? Nicht ganz, dann am Samstag heißt es in den ‚Stuttgarter Nachrichten‘: „Das Debakel und seine Folgen“. Immerhin, vielleicht dämmert den Redakteuren langsam etwas. Wir wünschen es Ihnen!
Über die Fakten und rechtlichen Auswirkungen können uns unsere Ingenieure und Juristen am besten informieren, aber über das Geld und die Konsequenzen müssen wir trotzdem reden. Denn das Desaster von Rastatt wird uns Millionen, wenn nicht sogar mehr als eine Milliarde Euro zusätzlich kosten.
Naja, werden jetzt einige denken, die Projekte der Bahn sind eigentlich wie schwarze Löcher: keiner kennt sie genau, man weiß nie, was als nächstes passiert und sie verschlingen alles, was ihnen in den Weg kommt – und damit auch das Geld für die Kosten.
Das ist aber nicht richtig. Erstens gibt es konkret benennbare Auftraggeber und damit konkret benennbare Verantwortliche für diesen gigantischen Murks.
Zweitens ist Geld nie weg! Meistens befindet es sich lediglich in den falschen Händen! Wir hätten für all unsere Probleme – ob soziale oder verkehrliche oder was auch immer – genügend Geld, wenn nicht z.B. Stuttgart 21 und die Deutsche Bahn AG unser Geld, das wir vernünftig ausgeben wollen – genau dieses Geld in die Hände einiger weniger umleitet. Dabei ist die Bahn kein Einzelfall, aber hier wird zur Zeit alles getoppt, was nicht funktioniert. Und das mit zu erwartenden Fehlbeträgen von über 10 Mrd. Euro! Denn das ist immer das Prinzip wie von Rastatt und S21: Je mehr Fehler passieren, desto mehr verdienen einige Profiteure auf unserer aller Kosten! Und das ist der Skandal: Denn es ist genug für alle da!
Und immer mehr wird deutlich, dass nicht nur die Deutsche Bahn AG, sondern auch Politik und Wirtschaft entweder gepennt oder mitgespielt haben. Fast könnte man meinen, gerade unsere ansässige Industrie hat durch ihre Erfolge in den letzten Jahrzehnten regelrecht die Bodenhaftung verloren. Sie tun so, als lebten sie in ihrer eigenen Welt fernab von der Realität.
Ich hatte als kleiner Junge Mitte der 50-er Jahre die Gelegenheit, mit meinem Großvater auf der Rheinstrecke im Südschwarzwald mit einem Zug zu fahren, der von einer E-Lok gezogen wurde. Das war ein Erlebnis und alle fanden das toll. Das war übrigens damals eine ganz moderne Fahrt auf der Strecke der heutigen Rheintalbahn. Und alle dachten: das ist die Zukunft.
60 Jahre später müssen wir feststellen, dass die Bahn es immer noch nicht geschafft hat, alle überregionalen Strecken zu elektrifizieren. Oder wollte sie etwa gar nicht? Ist das Spiel der Bahn noch ausgeklügelter und damit noch perfider? Das muss man sich einmal klar machen: die deutsche Wirtschaft brüstet sich mit ihren globalen Erfolgen und im eigenen Land gibt es noch nicht einmal Ausweichstrecken, die den Eisenbahnverkehr im Falle einer Störung aufnehmen können, geschweige denn, dass es überall zweigleisige Strecken gibt.
Fortschritt sieht anders aus! Ich gehe jede Wette ein, dass die vom GAU betroffenen Spediteure und sonstigen Firmen schon an ihren Schadensersatzansprüchen basteln. Und das wird teuer werden, wenn mehr als 8.000 Güterzugladungen nicht bestimmungsgemäß transportiert werden können. Das wäre schön, wenn diese Kosten in einem schwarzen Loch verschwinden könnten. Tun sie aber nicht! Wir werden die Kosten übernehmen müssen – direkt oder indirekt.
Und nun, was tun wir jetzt?
Es ist erstens nie schädlich, wenn die Wahrheit verbreitet wird. Keine Wahlveranstaltung ohne Umstieg 21. Morgen haben wir eine große Gelegenheit, die Wahrheit über Raststatt und S21 kundzutun.
Und zweitens kann noch mehr getan werden: Es wird Zeit, wieder die Politik und die Wirtschaft in den Fokus zu rücken. Da ist die Politik. Ihre Aufgabe wäre es, von der Bahn Schaden abzuwenden, indem sie das Treiben der Bahn-Verantwortlichen kontrolliert. Was denn sonst? Aber Dobrindt ist abgetaucht – und keiner tut was?
Und die Wirtschaft meint mit einem „Weiter so“ läuft alles bestens? Dieselgate, Rastatt–GAU, S21 – was muss noch passieren? Oder schlimmer: was wird noch passieren?
War`s das? Nein! All diese Vorfälle sind eine Chance immer wieder und unermüdlich für den Kopfbahnhof zu kämpfen.
Nehmen wir die IHK – Region Stuttgart. Da gab es vor vielen Monaten eine Veranstaltung der IHK, auf der die Deutsche Bahn AG in Gestalt der Herren Leger und Sturm, Geschäftsführer der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH über das Kosten- und Risikomanagement bei Stuttgart 21 referiert haben. Sie haben sich in aller Breite über das Risikomanagement der DB AG bei S21 ausgelassen. Wie immer hatte die Bahn alles im Griff. Und die getreuen Vertreter der IHK-Wirtschaft waren alle zufrieden. Diese Veranstaltung, so wurde in Gesprächen geäußert, hat sogar anderen Firmen aufgezeigt, was sie selbst noch alles im Risikomanagement tun können.
Und Rastatt? Stimmt! Ist ja gar nicht Stuttgart 21. Also kann das, was in Rastatt passiert ist, gar nicht bei S21 passieren! Oder? So wie der Abgasbetrug kein Betrug ist und die Wohnungsnot in Stuttgart auch nur ähh?? Herrliche Aussichten.
Doch wir Kakteen wollen es wissen. Wir werden nämlich die IHK auffordern, ein unabhängiges Risikogutachten zu möglichen Schadensfällen beim Bau von S21und hinterher (wenn es denn ein hinterher gibt) einzufordern. In diesem Zusammenhang ist Klaus Steinke zu erwähnen: er ist bei uns in Sachen S21 unermüdlich. Muss auch mal erwähnt werden. Und dann müssen die getreuen Abnicker Farbe bekennen: Ob sie so etwas wollen oder nicht für nötig erachten. Aber dann sehen wir frohgemut weiter.
Ob das allerdings in der nächsten Vollversammlung im September behandelt wird, ist angesichts der Tagesordnung (und des Willens der Verantwortlichen) fraglich. Aber wenn nicht, dann haben wir auf jeden Fall eine gute Grundlage weiterzumachen.
Es gibt immer was zu tun – für den Umstieg, für ein Obenbleiben. Ich danke Euch.