Rede von Dieter Reicherter, ehemaliger Staatsanwalt und Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart, auf der 381. Montagsdemo am 14.8.2017
Rastatt ist überall
Liebe Freundinnen und Freunde,
ganz überraschend wurde ich heute Vormittag noch gefragt, ob ich euch und auch für die interessierten Medien etwas aus Sicht des Strafrichters zum Versagen der Deutschen Bahn AG in Rastatt und eventuell auch der Aufsichtsbehörden sagen könnte. Dieser Bitte habe ich gern entsprochen, schon um die juristische Lage richtig darstellen zu können und einer vorschnellen Strafanzeige, zu der wir bereits aufgefordert wurden, eine Absage zu erteilen. Wir sind nämlich keine Prozesshansel, die vorschnell zur Staatsanwaltschaft rennen. Vielmehr sind unsere Anzeigen fundiert, wenn wir welche erstellen, so wie bei den Anzeigen gegen die Verantwortlichen des Bahnvorstands und des Aufsichtsrats wegen Untreue.
Das Versagen der Bahn beim Tunnelbau in Rastatt und möglicherweise des Eisenbahnbundesamts liegt aber auf einer anderen Ebene. Zum guten Glück ist es zu keiner Gefährdung von Fahrgästen gekommen. Nach Presseberichten zeigten Sensoren die Veränderungen der Schienen an, worauf die Züge gestoppt wurden. Wäre das anders gewesen und ein Zug in die verbogenen Schienen gefahren oder gar verunglückt, hätte es sich um einen strafbaren sogenannten gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr gemäß Paragraf 315 des Strafgesetzbuches gehandelt. Eine Bestrafung nach dieser Vorschrift setzt aber voraus, dass tatsächlich jemand oder eine Sache konkret gefährdet wurde, also eine Schädigung eintrat oder zumindest wahrscheinlich war. Eine sogenannte abstrakte Gefahr reicht für diesen Tatbestand nicht aus. Zwar kann schon Schlamperei und Unfähigkeit als sogenannte Baugefährdung gemäß § 319 des Strafgesetzbuches strafbar sein, aber auch nur dann, wenn Leib oder Leben eines Menschen konkret gefährdet waren. Wäre ein solcher körperlicher Schaden eingetreten, sähe das mit der Verantwortung der Bahn und vielleicht auch des Eisenbahnbundesamts anders aus. Bei beiden auch für den Fall, dass der vorbeugende Gefahrenschutz vernachlässigt wurde oder gar die Bauaufsicht unzureichend war.
Was uns allerdings bei diesem Tunneleinbruch von Rastatt zu denken geben muss, sind erschreckende Parallelen zum Projekt Stuttgart 21. Die Rede ist von einem Wassereinbruch im Tunnel. Man erinnert sich, dass die Bahn für die Arbeiten im Gipskeuper bei Stuttgart 21 beteuert hat, die Tunnelarbeiten würden im Trockenen verlaufen und ein Wasserzutritt sei ausgeschlossen. Übrigens hat der vom Bahnaufsichtsrat beauftragte Sachverständige bei einer Tunnelbesichtigung festgestellt, dass im Cannstatter Tunnel Wasser eingetreten war. Das aber nur nebenbei. Wahrscheinlich hat er geträumt. Das Eisenbahnbundesamt ist sicher deswegen untätig geblieben.
Aufgefallen ist mir noch, dass nach der Mitteilung der Deutschen Bahn AG zur Sperrung in Rastatt die Züge jetzt vorzeitig in Offenburg bzw. Karlsruhe wenden. Und da sind wir bei Stuttgart 21 wieder an unserem Tiefhaltepunkt. Von einem Bahnhof dürfen wir rechtlich nicht reden, denn in dieser Tiefhaltestelle sind Wendemanöver nicht möglich. Das bedeutet, sollte das Projekt Stuttgart 21 jemals fertiggestellt werden, dass bei einem ähnlichen Vorfall Stuttgart möglicherweise komplett vom Bahnverkehr abgeschnitten wäre. Mangels Wendemöglichkeit ist dann die Tiefhaltestelle nicht mehr erreichbar und damit womöglich ganz Stuttgart nicht, je nachdem wo der Schienenverkehr unterbrochen würde. Diese Gefahr besteht natürlich nicht nur für die Dauer der Bauarbeiten, sondern auch für den späteren Betrieb der Strecke. Man erinnert sich: Das Jahrhundertbauwerk ist eisenbahntechnisch auf 100 Jahre ausgelegt. Übrigens muss die keine 30 Jahre alte Neubaustrecke nach Mannheim demnächst für ein halbes Jahr gesperrt werden, weil sie schon aufwendig saniert werden muss.
Was lernen wir aus alledem? Erstens: die Bahn kann es nicht, noch nicht einmal sofort einen Ersatzverkehr organisieren. Und zweitens: Was in Rastatt passiert ist, kann jederzeit auch in Stuttgart geschehen. Nicht immer muss es so glücklich ausgehen wie in Rastatt, wo die Veränderungen an den Schienen rechtzeitig bemerkt wurden und die Züge gestoppt werden konnten.
Und ob es wirklich zutrifft, dass Gottes Segen auf Stuttgart 21 liegt und der Allmächtige demzufolge ein Unglück verhindert, wollen wir lieber nicht testen. Vielmehr wollen wir einfach –
Oben bleiben!
Und dazu kommt noch, dass es sich hier in Rastatt um nur zwei Ebenen handelt. In Stuttgart aber gibt es bis zu vier sich kreuzende Ebenen: Düker, Bahn, Straßenbahn, Straße. Ohne die zahlreichen Versorgungsleitungen, die dazwischen verlaufen!
Die „Glücksritter bei der Bahn“ haben „ohne Plan B..ein riskantes neues Verfahren unter einer Schlagader des europäischen Schienenverkehrs ausprobiert – unverzeihlich!“ (Klaus Gebhard, http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-21283.html).
Die Folgen: Unabsehbar.
Die Notlösung: „Geplant sei, die Oströhre des Tunnels auf 50 Metern Länge komplett mit Beton auszufüllen. Diese Stabilisierung sei Voraussetzung, um die Bahnstrecke zu reparieren. Weil die teure Tunnelbohrmaschine nicht geborgen werden könne, müsse sie aufgegeben werden.“ http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/rheintalstrecke-sperrung-haelt-weiter-an-15152374.html