Geschäftsgeheimnisse der Bahn blockieren demokratische Transparenz

Rede von Dieter Reicherter, Staatsanwalt und Vorsitzender Richter a.D., auf der 375. Montagsdemo am 3.7.2017

Geschäftsgeheimnisse der Bahn blockieren demokratische
Transparenz

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, sagt der Volksmund. Ob ich vergangenen Donnerstag beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim in Gottes Hand war, wird sich in etwa drei Wochen zeigen, wenn das schriftliche Urteil vorliegt. Auf alle Fälle war ich im Termin nicht allein und danke herzlich den anwesenden Unterstützerinnen und Unterstützern sowie meinen Freunden Rechtsanwalt Frank-Ulrich Mann und Dr. Gert Meisel für juristischen Beistand.

Vor viereinhalb Jahren hatte ich einen Antrag auf Akteneinsicht beim Staatsministerium zu den Baumfällungen im Stuttgarter Schlossgarten und allem, was damit zusammen hängt, gestellt. Das Umweltinformationsgesetz gibt nämlich jedem Bürger in Belangen der Umwelt dieses Recht. In der Folgezeit konnten Dr. Gert Meisel und ich im Staatsministerium fünf volle Tage lang Tausende von Dokumenten sichten und einscannen. In einzelne Unterlagen wurde aber die Einsicht verweigert. Ob diese Weigerung zu Recht erfolgt ist, muss jetzt der Verwaltungsgerichtshof entscheiden.

Die verweigerten Dokumente betreffen insgesamt vier verschiedene Sachgebiete. Es geht um angeblich interne Vermerke des damaligen CDU-Staatsministeriums zur Arbeit des Untersuchungsausschusses Schlossgarten 1 und zum Schlichtungsverfahren, außerdem um eine Akte zur Prüfung eines Disziplinarverfahrens gegen den Polizeigewerkschafter Thomas Mohr, der sich öffentlich kritisch zum Polizeieinsatz vom 30.9.2010 geäußert hatte. Und zuletzt noch um Unterlagen zur Kommunikationsstrategie der Deutschen Bahn bei Stuttgart 21.

Erstaunlich, dass das seit sechs Jahren grün geführte Staatsministerium sich verpflichtet fühlt, möglicherweise brisante Unterlagen der schwarzen Vorgänger unter Mappus noch nach mehr als sechs Jahren geheim zu halten. Darunter sind Dokumente, die das Vorgehen von Mappus bei Sitzungen der CDU-Landtagsfraktion und in der Schlichtung vorbereiten sollten. Mir war bislang nicht bekannt, dass Staatsregierung und Partei ein und dasselbe sind. Zu allem Überfluss sprach mir das Staatsministerium auch noch Umweltinteresse ab. Das gab mir Gelegenheit, in der Verhandlung deutlich zu erklären, dass Stuttgart 21 ein umweltschädliches Projekt ist und durch den Weiterbau die Umweltschäden verstärkt werden.

Ein Umweltbezug wurde von der beklagten Seite auch hinsichtlich der Disziplinarunterlagen des Polizeibeamten Mohr bestritten. Ich verwies darauf, dass auch künftig Baumfällungen anstehen, damit auch Polizeieinsätze, und dass kritische Polizeibeamte durch disziplinarrechtliche Ermittlungen eingeschüchtert werden sollen.

Fast schon absurd wurde es aber beim Komplex Kommunikationsstrategie der Deutschen Bahn. Nach dem Gesetz kann eine Behörde die Einsicht in Unterlagen verweigern, wenn sonst Geschäfts-und Betriebsgeheimnisse eines Dritten öffentlich gemacht werden würden. Dieser Dritte ist hier die Bahn, die uns allen gehört und eine Monopolstellung als Infrastrukturunternehmen, somit keine Konkurrenz hat. Das Gesetz schützt aber ausschließlich solche Geheimnisse, deren Bekanntwerden die Wettbewerbssituation unter  kaufmännischen Gesichtspunkten verschlechtert. Der Rechtsanwalt der Bahn erklärte dazu, es gehe um eine Strategie, wie man mit den S21-Gegnern umgehen solle. Das veranlasste mich zur Frage, ob denn die Deutsche Bahn im Wettbewerb mit den S21-Gegnern stehe.

Kleinlaut äußerte der Rechtsanwalt noch, in den Unterlagen seien auch Personen genannt, die das Projekt unterstützten. Vermutlich fürchtete er, diese Personen würden sich heute dafür schämen. Da mir aber eine  Unterstützerliste des Staatsministeriums vom 11.10.2010 vorliegt, möchte ich euch sagen, wer sich eventuell schämen sollte. Enthalten sind so bedeutende Namen wie Dr. Angela Merkel, Dr. Peter Ramsauer, Dieter Zetsche von Daimler und Joachim Gauck, der spätere Bundespräsident.

Nun dürfen wir gespannt sein, ob der Verwaltungsgerichtshof dem Staatsministerium und der Deutschen Bahn Geheimniskrämerei auf Kosten der demokratischen Transparenz durchgehen lässt. Vorsorglich haben wir schon einmal angeregt, die Akten zur Klärung dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Das wird aber sicher Jahre dauern. Bis dahin wollen wir

Oben bleiben!

Rede von Dieter Reicherter als pdf-Datei

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