Rede von Dipl.-Ing. Peter Dübbers, Freier Architekt BDA, auf der 372. Montagsdemo am 12.6.2017

Der Bonatzbau und die Erbärmlichkeit des Denkmalschutzes

Liebe Freundinnen und Freunde unseres Kopfbahnhofs!

Letzte Woche hat eine Reihe von Artikeln und Kommentaren in unserer Lokalpresse für erheblichen Wirbel gesorgt. Es ging und geht um die vermeintliche Neuigkeit: Hotelaufstockung über der Kolonnade des Bonatzbaus am Arnulf-Klett-Platz. Auslöser war eine Pressemitteilung der Düsseldorfer „ME AND ALL“-Hotelkette vom Dienstag 6.6.17. Ich will Euch Ausschnitte daraus vorlesen, denn die Ankündigung ist – wie schon der Name der Kette – gespickt mit englischen bzw. amerikanischen Begriffen und für mein Gefühl damit nicht gerade ein Ausbund an Seriosität.

Aber das Wichtigste kommt gleich am Anfang: „[…] Mit der DB Station & Service AG wurde der Vertrag für ein me and all hotel mit 153 Zimmern in Stuttgart unterzeichnet.“ … sind damit schon mal wieder vollendete Fakten geschaffen?

Und weiter im Text: „Mittendrin und dabei. Wie es das Konzept der me and all hotels vorsieht, wird auch das Hotel in Stuttgart in bester Lage eröffnet: Der Bonatzbau, das historische Empfangsgebäude des Stuttgarter Hauptbahnhofs, erhält durch das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ eine neue Haupterschließungsebene und wird so direkt an die neu entstehende unterirdische Verkehrsstation angebunden. Im Zuge dieser Maßnahme wird das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk umfassend modernisiert usw. […]  Vor allem im Inneren erfährt das Empfangsgebäude eine erhebliche gestalterische und funktionale Aufwertung. Das stadtbildprägende Äußere des Bahnhofsgebäudes bleibt dabei erhalten. Reisende und Besucher erwartet ein vielfältiger Branchenmix mit zahlreichen Einkaufs- und Verweilmöglichkeiten. Die oberen drei Ebenen beherbergen zukünftig das me and all hotel. Architekt ist, wie für das gesamte Projekt „Stuttgart 21“ die Ingenhoven Architects GmbH.

Rund um den Bahnhof soll perspektivisch eine verkehrsberuhigte Zone entstehen, sodass Gäste des me and all hotels entspannt zu Fuß in die Stuttgarter Innenstadt und die Szenenviertel gelangen können.

Ein Hotel für (Business-) Gäste und Stuttgarter. Gleichzeitig wollen wir natürlich auch hier wieder die Bürger der Stadt ins Hotel einladen und mit unserem Local Hero Konzept lokale DJs und Künstler in das Hotel einbinden. Dafür ist dieser Standort im Herzen der Landeshauptstadt ideal, […] aufgrund der Lage direkt im Drehkreuz Stuttgart Hauptbahnhof wird dieses me and all hotel erstmals einen Konferenzbereich vorsehen. Zehn Boardrooms können für Meetings für bis zu zwölf Personen gemietet werden. Die angrenzende Lounge sieht zudem Co-Working-Bereiche vor. Abends werden hier After-Work-Partys, Lesungen und Wohnzimmerkonzerte stattfinden. [...]

Ein me and all hotel stellt die optimale Nutzung für den historischen Bonatzbau dar. Mit der Lindner Hotels AG haben wir einen dynamischen Partner an unserer Seite, der das Gesamtpaket aus urbaner Modernität und Lokalkolorit schnürt“, bekräftigt […] der Leiter der Geschäftseinheit Vermietung/Marketing/ServiceStore bei der DB Station & Service AG. […] So wird das historische Bahnhofsgebäude in Zukunft ein attraktives Entrée zur Stuttgarter Innenstadt und zum neuen Stadtquartier bilden. […] me and all hotels […] NICHT NUR BESSER. ANDERS.“

Jetzt aber genug mit dem noch weiter gehenden, überheblichen Geschwafel !

Eingangs habe ich von der „vermeintlichen“ Neuigkeit der Hotelaufstockung gesprochen, weil tatsächlich schon am 22. September 2015 die Planung des Umbaus im Bonatzbau in öffentlicher Sitzung des Gemeinderats (UTA) durch die DB-AG vorgestellt wurde. Am 10. November 2015 war in der STZ in der Visualisierung einer Schnittperspektive vom Büro Ingenhoven durch den gesamten Tiefbahnhof die Hotelaufstockung genau zu erkennen – wenn vielleicht auch nur für das geübte Auge des Ingenieurs und Architekten.

In einem Brief an unseren Baubürgermeister Peter Pätzold habe ich damals angefragt, ob für die Genehmigung dieser – über den Planfeststellungsbeschluss hinausgehenden Planänderung – die Stadt Stuttgart zuständig sei. Jahrelang wurde ja von OB Schuster das Versprechen aufrechterhalten, dass sich an der Hauptfront zum Arnulf-Klett-Platz nichts ändern würde.

In seinem ausführlichen Antwortschreiben bestätigte Herr Pätzold: „Die beabsichtigte Hotelaufstockung auf dem Empfangsgebäude ist durch den gültigen Planfeststellungsbeschluss nicht genehmigt. Dazu ist ein Planfeststellungsänderungsverfahren im Abschnitt S21–1.1 notwendig. Dies wird aktuell von der DB vorbereitet. In diesem Zusammenhang erfolgte eine Vorabstimmung mit der Stadt Stuttgart. Einbezogen waren auch die Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt und das Landesamt für Denkmalpflege. Eine denkmalschutzrechtliche Zustimmung für die beabsichtigte Änderung wurde in Aussicht gestellt, da die Hotelaufstockung eine nicht erhebliche Beeinträchtigung für das Erscheinungsbild des Kulturdenkmals darstellt. […] Die DB beabsichtigt, beim EBA eine erneute Planfeststellungänderung zu beantragen. Im Rahmen dieses Verfahrens wird die Stadt als Träger Öffentlicher Belange gehört.“

Seine Reaktion auf meine ebenfalls vorgebrachte Frage zum Urheberrecht war: „Es ist Ihnen bekannt, dass Fragen des Urheberrechts gesondert behandelt werden müssen. Ich rate Ihnen, sich an die verfahrensführende Stelle, das Eisenbahnbundesamt, zu wenden.“

Das habe ich Ende November 2015 schriftlich getan und dabei die Auskunft von Herrn Pätzold zitiert. Weiter habe ich zu der Planänderung erläutert: „[…] Die bisherige Decke der Räume über der Säulenhalle soll entfallen, so dass die Fassadenwand einen nach oben offenen Lichthof vor den Hotelzimmern begrenzt. Das ist vielleicht von innen her ganz hübsch – von außen widerspricht es jedoch völlig den gestalterischen Prinzipien des Bonatzbaus: Das Geschoss über der Säulenhalle bildet mit seiner weitgehend geschlossenen Wandfläche einen hohen Architrav, einen massiven Balken, der sich zwischen den Kuben von kleiner und großer Schalterhalle über die Säulenhalle spannt. Wenn nun der Blick durch die Fensteröffnungen auf die zurückgesetzte, gläserne Hotelfassade, oder – je nach Standort – in die Wolken fällt, verliert der Balken völlig seinen massiven Charakter und wird zur Attrappe, zum ‚Potemkin´schen Dorf‘. Das kann und darf aber nicht das Ergebnis eines denkmalgerechten Umbaus sein!

Hier ist neben dem Denkmalschutz eindeutig das Urheberrecht angesprochen. […] Anders, als bei meinem Urheberrechts-Verfahren gegen die DB AG, bei dem ich 2010 unterlegen bin, kann bei der Hotel-Aufstockung keinesfalls von einer notwendigen Funktionsanpassung im öffentlichen Interesse die Rede sein (Umwandlung des Kopfbahnhofs in einen tieferliegenden Durchgangsbahnhof mit der angeblichen Notwendigkeit des Abrisses beider Seitenflügel).

Wie schon Herrn Pätzold gegenüber, muss ich als Verteidiger des Urheberrechts meines Großvaters Paul Bonatz gegen diese Verfälschung des Baudenkmals Einspruch erheben. Ich bitte Sie dringend, dem entsprechenden Planfeststellungsänderungsantrag der DB AG nicht zuzustimmen.“ Eine wie auch immer geartete Reaktion des EBAs habe ich in den anderthalb Jahren seitdem nicht erhalten!

Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob neben dem Intercity-Hotel ein zweites Hotel im Hauptbahnhof sinnvoll ist – wie im UMSTIEG 21 vorgeschlagen, könnte die Zimmerkapazität locker auch in einem zeitgemäß wiederaufgebautem Nordflügel untergebracht werden – würde es auch die Möglichkeit geben, das untere der beiden Aufstockungs-Geschosse an die bestehende Fassade anzuschließen und nur das obere mit einer vorgelagerten Terrasse hinter der historischen Attika zurückzusetzen. Die bestehenden Fenster mit ihrem Achsabstand von 4 m wären für die Hotelzimmer ausreichend und der massive Charakter des Architravs damit bewahrt.

Die Shopping Mall auf Höhe der heutigen Kopfbahnsteighalle und ein Geschoss darüber mit den riesigen Bodenöffnungen nach unten zur neuen Erschließungsebene, verbunden mit dem Wegfall der Treppenanlage in der großen Schalterhalle soll heute hier nicht Thema sein, denn wir wollen ja ohnehin

OBEN BLEIBEN !

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