Rede von Barbara Kern, Stuttgarter Wasserforum, auf der 371. Montagsdemo am 29.5.2017

Der längst beschlossene Eigenbetrieb für die Stuttgarter Wasserversorgung ist bedroht!

Guten Abend, liebe unentwegt Standhafte,

wir brauchen einen sehr langen Atem für unsere Kämpfe, auch für unser wichtigstes Lebensmittel: das Wasser.

Sieben Jahre, nachdem der Gemeinderat unser Bürgerbegehren ‚100-Wasser‘ annahm, und dreieinhalb Jahre nach Ablauf der EnBW-Konzession, fand am 10. Mai die zweite Verhandlung zur Rekommunalisierung unserer Wasserversorgung vor dem Landgericht statt.

Es ging um die Frage: Was ist die Stuttgarter Wasserversorgung wert? Stuttgart bietet heute 190 Mio. € (zuvor 139 Mio.), EnBW fordert 480 Mio. € (ursprünglich 625 Mio.)! Noch 2009 hatte die EnBW selbst unser Wassernetz mit 160 Mio. Euro bewertet.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2009 wollten OB Schuster und die EnBW einen gemeinsamen Wasserbetrieb für Stuttgart gründen. Die Stadt sollte 50 % der Wasserinfrastruktur für 80 Mio. € von der EnBW zurückkaufen. Die andere Hälfte und der komplette Betrieb sollten bei der EnBW bleiben. Damit hätte die EnBW auf lange Zeit 100 % Kontrolle über unsere Wasserversorgung behalten! Das Bürgerbegehren 100-Wasser verhinderte dieses Vorhaben.

Die EnBW erdreistet sich nun, die Wertermittlung für die Wasserversorgung hochzutreiben, indem sie der Stadt zukünftige Ersparnisse vorschreibt und diese in den Preis einrechnet. Die Stadt solle keinen Eigenbetrieb gründen, sondern eine privatrechtliche Gesellschaft, die über einen steuerlichen Querverbund mit anderen städtischen Betrieben in der städtischen Holding SVV Steuern sparen könne. Die EnBW hat diese – mögliche – Ersparnis in den Ertragswert einkalkuliert, ebenso wie eine dauerhaft erzielbare kapitalverzinsliche Rente. Die EnBW will – mit richterlichem Segen – der Stadt für den Wasserbetrieb die Geschäftspraktiken der Privatwirtschaft mit all deren undurchsichtigen Geschäftsgebaren aufzwingen.

Hochproblematisch ist, wenn auch Richter die Demokratie missachten und sich gegen das kommunale Recht auf Selbstverwaltung aussprechen, wie hier geschehen! Bürgerbegehren und Gemeinderatsbeschluss müssen nicht der Weisheit letzter Schluss sein, so eine Anmerkung des Richters. Die EnBW und das Gericht greifen in die kommunale Hoheit und in die Daseinsvorsorge von uns Bürgerinnen und Bürgern ein. Das Demokratieprinzip darf nicht durch privatwirtschaftliche Vorschriften für Kommunen ausgehebelt werden!

Der Richter schlug letzten Endes den Preis von 290 Mio. € vor. Bis zum 14. Juli müssen Stadt und EnBW dem Gericht mitteilen, ob sie diesen Preis annehmen. Nach Information der Stuttgarter Nachrichten vom 11. Mai kamen erste Rückmeldungen aus dem Rathaus, dass unter diesen Umständen möglicherweise aus finanziellen Gründen auf einen Eigenbetrieb verzichtet werden müsse.

Was ist nun zu tun? Wir meinen, die Stadt soll den Preis, den die EnBW letztlich fordert, unter Vorbehalt bezahlen, das Wassernetz übernehmen und dann in Ruhe weiter prozessieren. Ein Kredit kostet derzeit fast nichts.

Die Schönauer haben das mit ihrem Stromnetz vorgemacht. Das ist die einzige Methode, die gegen mächtige Konzerne wie die EnBW hilft.

Die Daseinsvorsorge muss als Eigenbetrieb organisiert sein. Im Gegensatz zur GmbH arbeitet ein Eigenbetrieb transparent und nach dem Selbstkostenprinzip. Er arbeitet nicht gewinnorientiert wie die EnBW. Und nur ein Eigenbetrieb ist demokratisch kontrollierbar.

Ein aktuelles Beispiel für die Notwendigkeit eines demokratisch kontrollierbaren Wasserbetriebs: in Stuttgart beziehen wir Trinkwasser von zwei Zweckverbänden: von der Bodensee- und der Landeswasserversorgung. Das Bodenseewasser ist qualitativ besser als das Landeswasser, das derzeit zu 66% aus aufbereitetem Donauwasser besteht – das im Übrigen erst nach Ulm abgegriffen wird und so die Abwässer, die – geklärten – Abwässer dieser großen Stadt enthält.

Bodensee- und Landeswasser konkurrieren in Stuttgart. Der m3 Landeswasser ist für die EnBW einen Cent billiger als der m3 Bodenseewasser. Was passiert nun unter einem profitorientierten EnBW-Wasserbetrieb? Der Anteil Bodenseewasser in Stuttgart wird zurückgefahren, es wird in mehr Stadtteile Landeswasser geliefert. Inzwischen bekommen Stammheim, vermutlich ganz Zuffenhausen und zumindest ein großer Teil von Feuerbach Landeswasser und kein Bodenseewasser mehr. Zahlen müssen alle denselben Preis. Der Gewinn von EnBW steigt.

Wenn wir einen Eigenbetrieb haben, können wir durchsetzen, dass wir entweder alle Bodenseewasser bekommen, was technisch problemlos möglich ist, oder dass das Landeswasser vor Übergang ins städtische Netz weitere Reinigungsstufen durchläuft.
Wasser allgemein ist zunehmend mit Umweltverschmutzung, Arznei- und Röntgenkontrastmittel-Rückständen belastet. Toxikologen fordern, dass Trinkwasser auf weit mehr Stoffe untersucht werden muss als die Trinkwasserverordnung vorschreibt!

Stuttgart sollte als Landeshauptstadt! – nach Zahlung unter Vorbehalt und nach Übernahme der Wasserversorgung – einen Musterprozess führen, um die kommunale Position gegenüber der Privatwirtschaft für nachfolgende Rekommunalisierungen zu stärken. Das kommt auch ihren eigenen weiteren Klagen gegen die EnBW zugute, nämlich die auf Herausgabe des Fernwärmenetzes, der Hochspannungs- und der Hochdruckleitungen.

Redetext von Barbara Kern als pdf-Datei

 

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