358. Montagsdemo gegen S21 am 13.2.2017 - Video
Rede von Dieter Reicherter, ehemaliger Staatsanwalt und Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart, auf der 358. Montagsdemo am 13.2.2017
Parkräumung und wohlfeiler Sonntag
Liebe Freundinnen und Freunde,
fünf Jahre ist es bereits her, dass wir am 14.2.2012 zum zweiten Mal nach dem 30.9.2010 aus dem Schlossgarten vertrieben wurden, diesmal endgültig. Beim Blick zurück fallen mir viele Dinge ein: das kalte Wetter mit Nieselregen, ähnlich ungemütlich wie neulich bei unserer Spontan-Demo in Berlin vor dem Bahntower anlässlich des Rücktritts von Rüdiger Grube; fest entschlossene Menschen, die durch ihre Anwesenheit zeigten, dass sie mit den anstehenden Baumfällungen und überhaupt mit der Durchsetzung des Lügenprojekts S21 nicht einverstanden waren; eine Freundin, die sich beim Sturz von einem Baum, auf den sie geklettert war, um ihn symbolisch zu beschützen, nicht unerheblich verletzte, weil Polizisten ihr beim Herabsteigen nicht halfen.
Ich denke aber auch an die Vorgeschichte dieses Polizeieinsatzes. Am 20.12.2011 hatte das Innenministerium Baden-Württemberg den Rahmenbefehl Nummer 2 zu „Einsatzmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Bauprojekt Stuttgart 21“ erlassen. Darin ist eine Lagebewertung enthalten, wonach es „wahrscheinlich erscheint, dass sich der Protest im Wesentlichen auf die Umweltaktivisten, insbesondere die Parkschützer, konzentriert und eine Zunahme extremistischer Einflüsse nicht ausgeschlossen werden kann“. Auch wurde angeordnet, dass das Landeskriminalamt alle drei Wochen „unter Einbeziehung der Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, des Polizeipräsidiums Stuttgart, der Landespolizeidirektionen sowie der Sicherheitsbehörden des Bundes ein Gesamtgefährdungslagebild zum Bauprojekt Stuttgart 21, insbesondere hinsichtlich entsprechender Versammlungen und Protestformen, relevanter Veranstaltungen, potentieller Störer sowie gefährdeter Personen und Objekte“ erstellen solle.
Der verantwortliche Innenminister für dieses streng geheime Papier, Reinhold Gall von der SPD, saß mir nur zwei Tage später bei einem Treffen der Landesregierung mit Vertretern unserer Widerstandsbewegung gegenüber. Und das kam so: Auf Veranlassung der Staatsrätin Gisela Erler hatte die Landesregierung einige Menschen aus unserer Bewegung auf den 22.12.2011 zu einem Gespräch über die anstehende Parkräumung eingeladen. Die Hintergründe für dieses Treffen sollte ich erst Jahre später eher zufällig bei meiner Akteneinsicht im Innenministerium erfahren. Dort existierte nämlich (und existiert bestimmt immer noch, im Zweifel noch dicker geworden) eine Akte des Ministeriums mit dem passenden Titel „Beschwerden Reicherter, Dieter“. Und was ich in dieser Akte fand und wie das Treffen verlief, werde ich Euch gerne morgen erzählen.
Gern hätte ich den Herrn Innenminister schon damals gefragt, ob eigentlich dieses Treffen entsprechend dem Rahmenbefehl Nummer 2 auch im Gefährdungslagebild des Landeskriminalamts aufgelistet werde so wie das Parkgebet, das als gleich gefährlich wie eine Großdemo mit 10000 Menschen eingestuft ist, habe dies aber damals gelassen. Ich konnte ja noch nicht ahnen, dass wegen des Rahmenbefehls ein halbes Jahr später mein Haus bei einer Durchsuchung auf den Kopf gestellt werden würde. Wie Ihr seht, habe ich die Durchsuchung gut überstanden, weil ich mich nicht einschüchtern lasse. Die Folgedurchsuchung bei einem unschuldigen Polizeibeamten führte hingegen bei diesem zu derart massiven psychischen Folgen, dass er dienstunfähig und inzwischen in den Ruhestand versetzt wurde. Zwar wurden die Ermittlungen gegen ihn später eingestellt, doch entschuldigt hat sich bis heute niemand bei ihm. Und erst in der letzten Woche hat die Einsicht in seine Akten beim Landeskriminalamt den schlagenden Beweis geliefert, wie die Polizei getreu dem Rahmenbefehl selbst Kommentare auf der Parkschützerseite gesammelt und für ihre Zwecke ausgewertet hat.
Morgen bei der Demo wird dann sicher Gelegenheit sein, über Verlauf und Sinn, besser gesagt Unsinn, der Parkräumung vom 14.2.2012, zu reden. Dabei wurde vor allem mit den Bewohnern des Zeltdorfes und ihrem Hab und Gut nicht eben pfleglich im Sinne einer bürgernahen Polizei umgegangen. Mir fällt auch noch das später veröffentlichte Foto des damaligen Oberstaatsanwalts Bernhard Häußler ein, der getarnt wie ein Verbrecher oder soll ich sagen wie Sherlock Holmes hinter den Polizeilinien das Geschehen beobachtete.
Doch nun zurück zur Gegenwart: Den Rücktritt des Bahnchefs Rüdiger Grube habe ich schon erwähnt. Einer mehr, der im Strudel des Wahnsinnsprojektes Stuttgart 21 auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt wurde. Hoffen wir, dass ihm endlich ein Fachmann für den Bahnverkehr ins Amt folgt. Und hoffen wir, dass dieser die längst fälligen Schlüsse aus dem Murks zieht.
Man denke nur an die enormen Risiken vom Bauen im Gipskeuper, insbesondere auf die mögliche Funktionsunfähigkeit der Tunnel und damit des Bahnknotens Stuttgart. Der von der Bahn beauftragte Sachverständige hat bei der Besichtigung des Cannstatter Tunnels Wasser festgestellt. Das spricht doch schon völlig dagegen, dass die Bahn das trockene Bauen im Gipskeuper beherrscht. Und an die auch vom Bundesrechnungshof erwähnte Möglichkeit, dass der Tiefhaltepunkt nie eine Betriebserlaubnis erhalten wird, mag man gar nicht denken.
Lieber halte ich es mit Papst Franziskus, der in seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ zu Großprojekten unter anderem folgendes ausgeführt hat: „dass in dem Moment, in dem mit wachsendem Kenntnisstand neue Elemente zur Beurteilung auftauchen, eine neue Bewertung unter Teilnahme aller betroffenen Parteien stattfinden müsste. Das Ergebnis der Diskussion könnte die Entscheidung sein, ein Projekt nicht weiterzuführen, es könnte aber auch dessen Veränderung oder die Entwicklung von Alternativvorschlägen sein.“ Und so habe ich schon in meiner Rede in Berlin gesagt, auch der Papst sei für den Umstieg 21.
Ich fürchte, wir brauchen päpstlichen Beistand auch noch zur Wiederherstellung der durch die Arbeiten für S21 gesetzeswidrig gestörten Sonntagsruhe. Nach unserem Landesgesetz über Sonntage und Feiertage sind nämlich „öffentlich bemerkbare Arbeiten, die geeignet sind, die Ruhe des Tages zu beeinträchtigen“, verboten. Wer dagegen verstößt, zum Beispiel durch Autowaschen, wird bestraft. Nur in besonderen Ausnahmefällen darf das Amt für Öffentliche Ordnung in Stuttgart für Einzelfälle oder das Innenministerium für allgemeine Fälle von diesem Verbot befreien. Denn die Sonntagsruhe ist auch durch das Grundgesetz und die Landesverfassung besonders geschützt. Vor einer Ausnahmegenehmigung müssen zwingend die Kirchen gehört werden.
Eine solche Genehmigung hat die Bahn nicht und die Kirchen wurden nie gehört. Trotzdem behaupten die Bahn und die Stadt Stuttgart, die Arbeiten für S21 an Sonn- und Feiertagen seien zulässig, denn das Eisenbahnbundesamt habe die Arbeiten genehmigt. Genau dieses Eisenbahnbundesamt erklärt aber fortlaufend, das stimme gar nicht. Und auch die Landesbergdirektion, die für die Genehmigung von Arbeiten in Tunneln zuständig ist, sagt klar und deutlich, dass sie keine Ausnahmen von der Sonntagsruhe genehmigt habe.
Bislang schert das aber unsere Behörden nicht. Im Gegenteil, das Amt für Öffentliche Ordnung erteilt Ausnahmegenehmigungen vom allgemeinen Sonntagsfahrverbot für Lkws mit der Begründung, diese Fahrten seien zur Versorgung der S21-Baustellen nötig. Dumm nur, dass diese Bauarbeiten illegal sind und kein Alibi für sonntägliche Lkw-Fahrten abgeben können, schon gar nicht durch Wohngebiete. Und noch dümmer, dass nach der Straßenverkehrsordnung überhaupt nur die Beförderung von verderblichen Lebensmitteln wie z.B. Milch, frischem Fleisch und Fisch sowie Obst und Gemüse an Sonntagen erlaubt werden darf. Von Bauarbeiten steht da nichts. Zur Begründung beruft sich die Stadt Stuttgart jetzt darauf, ein Stillstand der Bauarbeiten sei unverhältnismäßig und zu teuer. Einer unserer Mitstreiter hat darauf den Begriff des wohlfeilen Sonntags erfunden, dass also unsere Sonntagsruhe und das Grundgesetz für den Götzen Mammon verscherbelt werden, weil das Projekt S21 bei Einhaltung der Gesetze und beim Ruhen der Bauarbeiten an Sonntagen noch viel teurer würde.
Aber die Missachtung der Gesetze hat System nach dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Denn einschreiten und bestrafen müsste das Amt für Öffentliche Ordnung. Das tut aber nichts und behauptet, das Eisenbahnbundesamt habe die Arbeiten genehmigt. Und das EBA dementiert. So schließt sich der Teufelskreis.
Beim Teufel müssten jetzt eigentlich die Kirchen ins Spiel kommen. Doch auch die Neujahresbotschaft des Evangelischen Landesbischofs July, der die Verletzung der Sonntagsruhe zugunsten von S21 kritisiert, wird von den Behörden und der Politik nicht zur Kenntnis genommen. Selbst Ministerpräsident Kretschmann, angeblich gläubiger Katholik mit einem Amt in seiner Kirche, setzt sich trotz einer Bitte des Aktionsbündnisses nicht für die Belange der Kirchen und Ruhesuchenden ein.
Da bleibt uns nur noch die Hoffnung, dass Franziskus ein Machtwort spricht. Denn er will wie wir:
oben bleiben!
Rede von Petra Brixel, SeniorInnen-Gruppe der Parkschützer, auf der 358. Montagsdemo am 13.2.2017
Guten Abend!
Ich bin Petra Brixel von der SeniorInnen-Gruppe der Parkschützer. Wir SeniorInnen haben den Gedenktag 14.2. vorbereitet und ich möchte euch und Sie ganz herzlich einladen, morgen um 17 Uhr in den Mittleren Schlossgarten – oder was davon übrig geblieben ist – zu kommen, um jener Nacht der Parkräumung vor 5 Jahren zu gedenken.
Es gibt in dieser Stadt zwei Daten, die schmerzlich in das Gedächtnis vieler Menschen eingegraben sind: der 30.9.2010 und der 14.2.2012. An beiden Tagen hat sich die Macht der Stärkeren gezeigt, wo eigentlich die Stärke des Rechts hingehört hätte.
Mit dem Begriff „Parkräumung“ verbinden sich zwei Tatsachen: Einmal wurde der Mittlere Schlossgarten von den Menschen, die ihn besetzten, um ihn zu beschützen, geräumt. Und anschließend wurde die menschenfreie Fläche von den Bäumen geräumt. Es war also eine doppelte Parkräumung.
Aber – bei allem Zorn angesichts der Aussichtslosigkeit gegenüber einer polizeilichen Übermacht und bei aller Trauer um den Verlust des Parkes dürfen wir nie vergessen, dass es 1000 Menschen gab, die in jener witterungsmäßig ekelhaften Nacht ausgehalten haben, sich von der Polizei haben wegdrängen und wegtragen lassen. Ja, es gab einen massenhaften friedlichen Widerstand im Park. Die Bäume wurden nicht so einfach aufgegeben. Das dürfen wir uns immer zugute halten.
Diese 1000 Menschen haben vor 5 Jahren ein starkes Zeichen gesetzt, und wer damals dabei war, wird auch die Kraft dieser Gemeinschaft gespürt haben. Schon Wochen zuvor hat sich die Stärke der Parkschützer-Bewegung gezeigt. So wurde die Verteidigung des Parkes äußerst ernsthaft, höchst detailliert und gleichzeitig kreativ vorbereitet. Es war ein Hochrüsten auf beiden Seiten: die Polizei mit ihren militärisch geprägten Einsatzplänen auf der einen Seite und die Parkschützer auf der anderen Seite mit ihren Vorbereitungen, die dem Ziel dienten, der Polizeigewalt möglichst lange Widerstand zu bieten.
Ich erinnere an die vielen Bezugsgruppen, die sich Gedanken machten, wo und wie sie die Nacht im Park verbringen würden. Ich erinnere an Menschen, die sich anketteten, einbetonierten und in Bäumen saßen. Ich erinnere an die Versorger, die sogar ein Toilettenzelt aufstellten. Man wusste ja nicht, wie lange die Besetzung des Parkes dauern würde. Man wusste nicht, mit welcher Strategie die Polizei kommen würde. Man wusste nicht, wie gewalttätig die Polizei sein würde. Man war auf alles vorbereitet und fest entschlossen, die Bäume so lange es ging, zu beschützen.
Jeder, der diese Nacht im Park verbracht hat, hat eine ganz eigene Geschichte zu erzählen.
Es sind Geschichten, auf die eine Stadt wie Stuttgart eigentlich stolz sein müsste! Stolz auch, dass ihre Bürger und Bürgerinnen sich gegen die Rodung des Park einsetzten. So sieht bürgerschaftliches Engagement aus! Für diese Bürger war der Park das Symbol für Nachhaltigkeit, Entschleunigung und Wertschätzung der Natur. Sie setzten sich dafür ein, dass ein Stück Stuttgarter Heimat nicht der Investorengier zum Opfer fällt.
Hatten diese 1000 Menschen je die Hoffnung, dass sie den Park retten würden? Eher nicht, denn sie wussten doch, dass die Polizei immer in der Übermacht sein würde. Selbst wenn wir 5000 gewesen wären, 10 000, dann wäre die doppelte Polizistenzahl gekommen. Sie waren militärisch vorbereitet, diesmal wollte sich der neue Polizeipräsident nicht vorhalten lassen, etwas sei aus dem Ruder gelaufen. Es sollte eine perfekte Räumung geben, die dann in der Polizeischule als vorbildliche Aktion gelehrt werden könnte.
Und anschließend? Es wäre angemessen gewesen, wenn man nach einer emotional hoch belasteten Nacht und nach der Fällung der jahrhundertealten Bäume den Menschen so viel Achtung entgegen gebracht hätte, dass man sie dann in Ruhe lässt. Aber nein – nun musste die Justiz ran. Diese Stuttgarter Justiz, die dermaßen willfährig ist, dass sie sich nicht zu schade war, mehr als 150 Parkschützern wegen Nicht-Beachtung einer polizeilichen Anweisung – nämlich den Park zu verlassen – Bußgeldbescheide zu schicken. So etwas nennt man „nachtreten“.
Hat die Bußgeldbehörde, also das Ordnungsamt, die Bußgeldbescheide verschicken müssen? Nein! Denn nach § 47 des Ordnungswidrigkeitengesetzes liegt die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit im Ermessen der Behörde. Sie kann das Verfahren auch einstellen. Hat sie aber nicht gemacht. Denn das Stuttgarter Ordnungsamt sieht es als seine Pflicht an, Vergehen im Zusammenhang mit S21 an das Gericht weiterzuleiten. Aber auch dieses kann nach § 47 das Verfahren in jeder Lage einstellen. Aber wie käme auch der Staatsanwalt dazu, Verfahren gegen Baumschützer einzustellen.
Es kam dann zu Gerichtsverhandlungen, wo alle Baumschützer verurteilt wurden. Und das einzig Gute daran war, dass in der juristischen Aufarbeitung jener Nacht noch einmal die ganze staatliche Perfidität deutlich wurde. Arme Stuttgarter Justiz, die so gnadenlos ist. Zumindest wenn es um S21 geht.
Ich will nicht jammern. Ich möchte euch aufrufen, morgen in den Park zu kommen. Und zwar um 17 Uhr zur Lusthausruine. Hier wollen wir mit Redebeiträgen, mit Liedern, mit Gedichten, mit Musik und Geschichten am offenen Mikrofon an jene Parknacht denken, die zwar für den Mittleren Schlossgarten das Ende bedeutete, die den Widerstand gegen S21 aber nicht beenden konnte. Wir wollen uns daran erinnern, wie stark wir damals waren.
Nach der angemeldeten Versammlung machen wir einen Demozug durch die Königstraße bis zum Schillerplatz. Dort wird es eine Abschlusskundgebung geben und um 19 Uhr ist unser gemeinsames Gedenken beendet. Wir wollen auch morgen zeigen, dass wir weiterhin oben bleiben!
Unterstützerkonto der Parkschützer: Inhaber: Umkehrbar e.V. / IBAN: DE02 4306 0967 7020 6274 00 /
BIC: GENODEM1GLS. Es können keine Spendenbescheinigungen ausgestellt werden.