Rede von Hannes Rockenbauch auf der 356. Montagsdemo am 30. Januar 2017
Herzlich willkommen auf unserer spontanen Grube-Abschiedsparty (an diesem Tag ist Bahnchef Rüdiger Grube zurückgetreten, Anmerkung der Redaktion).
Mein Auftrag für den heutigen Abend ist: Eine Regierungsbilanz von einem Jahr Grün-Schwarz. Ich habe gedacht: cooler Job, diese Rede ist ziemlich schnell vorbei oder erinnert ihr euch an irgendwas, was die umgesetzt hätten? Oder an irgendwas wofür diese Regierung noch steht? Ich bin ja gewissenhaft, also habe ich mir überlegt: Vielleicht muss man Regierungen nicht an ihren Leistungen messen, sondern an dem was sie mal versprochen haben und dann gebrochen haben. Das ist aber auch nicht so leicht. Weil was sollen denn die Grünen – nach dem sie schon fast alles mit der SPD was mir wichtig war gebrochen haben – denn noch alles brechen wenn sie jetzt mit den Schwarzen regieren? Glaubt irgendjemand von euch, es wird jetzt besser mit der CDU in der Regierung? Ich glaube das nicht.
Zwei Beispiele gebe ich euch um das klar zu machen:
Bildungspolitik: die Einführung der Gemeinschaftsschulen, die ich für richtig halte, wird jetzt ausgebremst; statt Lehrer einzustellen werden Lehrerstellen gekürzt. Und plötzlich gibt es wieder Studiengebühren, für ausländische Studierende aus nicht-EU Staaten und für Menschen die ein Zweitstudium beginnen wollen. Mit grüner oder sozialer Politik hat das nichts mehr zu tun.
Sicherheit: Die Grünen machen plötzlich zusammen mit der CDU eine Umsetzung von Teilen der AfD-Politik. Oder wie ist das anders zu nennen dass jetzt Abschiebungen im Winter zunehmen und sogar noch nach Afghanistan. Plötzlich werden mit Hilfe von Ministerpräsident Winfried Kretschmann Staaten - die heute noch Homosexuelle verfolgen und foltern - zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Und das Sicherheitspaket von Innenminister Thomas Strobl (CDU) macht es plötzlich möglich, dass wir alle - verdachtsunabhängig und präventiv - überwacht werden. Liebe Freundinnen und Freunde stellt euch das mal nach unseren Erfahrungen mit dem 30.9. vor: Die brauchen dann keine Wasserwerfer mehr, sondern die können gleich durch ihre totale Überwachung schon präventiv alle Aktivisten wegsperren. Ich höre an dieser Stelle lieber auf, weil mit dieser Landespolitik ist es zum Verzweifeln, das ist alles noch kein richtiger Stoff für eine Montagsdemo-Rede. Ich bin da schon am Überlegen gewesen, was soll ich denn dann heute erzählen? Dann ist mir eingefallen: ich könnte ja genau darüber reden, was ich immer zu den Menschen, die zu mir kommen, sage, die mich fragen „Hannes, wenn du da im Rathaus sitzt: wie machst du das denn eigentlich dass du nicht verzweifelst?“ Dann sage ich: Ich hatte in meinem kurzen politischen Leben das Glück, mitzuerleben, hier in meiner Heimatstadt, zu was es führen kann, wenn sich Menschen aufmachen, beharrlich und mit guten Argumenten für eine Sache kämpfen die wichtig ist. Das hat uns und mir richtig Mut gemacht. Ich meine da zum Beispiel unsere Bewegung. Dann sagen die Leute oft: „das ist gerade das falsche Beispiel! So eine kreative und kompetente Bewegung die so viele Leute mobilisiert hat; und jetzt bauen sie diese Grube da hinten!“ Dann sage ich immer: Jetzt stellen Sie sich mal vor: wir wären nicht angetreten, um unsere Bäume und unseren Bahnhof zu retten, sondern die Welt! Einige von euch denken vielleicht jetzt: Der Rockenbauch spinnt doch jetzt! Ich glaube, so schlecht wäre das gar nicht mal darüber zu diskutieren. Warum fällt es uns denn so schwer mit all unseren Argumenten bei der Politik Gehör zu finden? Warum bleibt denn nach all den Wahlversprechen so wenig von sozialer und ökologischer Politik übrig?
Unser Ministerpräsident, Herr Kretschmann, hat dazu letzten Herbst zum Thema Luftreinhaltung ziemlich ehrlich Aufklärung geleistet: Ich zitiere: „Meine Aufgabe als Ministerpräsident eines Automobillandes ist es, eine strategische Debatte zu führen, die zwei Leitplanken beachtet: Die Klimaschutzvereinbarungen gelten, aber unsere Wettbewerbsfähigkeit muss erhalten bleiben. Es geht um Hunderttausende Arbeitsplätze“.
Liebe Leute, ich könnte ihn anschreien und sagen: Herr Kretschmann! Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze! Mit dem Schreien kommt man nicht weit, das haben wir gelernt, aber trotzdem macht Kretschmann zweierlei ziemlich deutlich und ziemlich klar: Erstens, wenn Politiker Klimaschutz und Gesundheit dort enden lassen, wo es angeblich um Bedrohung von Arbeitsplätzen geht, dann können das nicht unsere Repräsentanten sein. Und zweitens – und da wird es jetzt ziemlich trickreich: Wir müssen anerkennen: Kapitalismus ist nicht einfach eine Wirtschaftsform sondern ist vor allem eine Herrschaftsform. Und auch noch eine ziemlich brutale Herrschaftsform. Sie sorgt dafür, dass wenig Menschen immer reicher werden und viele immer ärmer. Und nebenbei zerstört sie unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Wir haben also gar keine andere Wahl - finde ich - als uns die Frage zu stellen: Wir retten wir jetzt nun die Welt? Und wo sind die Hunderttausenden, die gegen so eine menschen-ungerechte Politik und menschen- und naturverachtende Politik auf die Straße gehen? Das Gute ist: wir alle sind schon da, aber wo ist der Rest? Ich rede jetzt an all diejenigen, die auch schon mal mit uns auf der Straße waren in diesem unglaublichen Sommer im Jahr 2010.
Liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter, Bürger dieses Landes, dieser Welt, alle die ihr schon mal in Stuttgart demonstriert habt: Wo seid ihr? Wollt ihr ernsthaft warten bis auch bei uns ein Sexist, Rassist und Klimaleugner regiert? Wir sollten uns da nicht in falscher Sicherheit wiegen, dass so etwas nur in den USA passieren kann. Unsere Trumps heißen Petry, Gauland und Höcke. Ich glaube es lohnt sich, einen Blick auf die USA zu werfen: Dort, wo die Not groß ist, da ist auch schon immer ein Funken des Neuen und die Rettung ist nicht fern; ich finde es unglaublich, dass gerade in den USA jetzt Millionen für eine fortschrittliche, menschenfreundliche und ökologische Agenda auf die Straße gehen. Ich finde, daran sollten wir uns auch in Deutschland ein Beispiel nehmen. Und deswegen – liebe Freundinnen und Freunde – sollten wir mutig sein, sollten wir optimistisch sein; denn eins ist doch klar: Trump, aber auch Stuttgart 21 sind der letzte verzweifelte Auswuchs eines kranken Systems, das immer noch nach mehr Wettbewerb, Konkurrenz und Ausbeutung von Mensch und Natur trachtet, um noch mehr Wachstum herauszupressen aus dieser Welt. Was wir brauchen - liebe Freundinnen und Freunde – das sind Alternativen.
Dumm nur, dass diese Alternativen nie in Koalitionsvereinbarungen stehen. Wir sollten eigentlich Regierungen nicht an dem messen, was sie versprechen oder brechen oder was sie leisten, sondern an dem, von dem sie gar nicht mehr reden! Wenn sie aber von einer alternativen solidarischen und ökologischen Entwicklung unserer Gesellschaft gar nicht mehr reden: Dann müssen wir das tun! Dann müssen wir diejenigen sein, die mit all unseren Ideen, unserer Kreativität Neues erfinden. Genau das haben wir doch schon einmal getan in einer Zeit, wo alle uns gesagt haben, gäbe zu diesem schwachsinnigen Kellerbahnhof keine Alternativen. Da haben wir uns hingesetzt und haben Alternativen entworfen! Und ich glaube es wird Zeit, dass wir das nicht nur beim Bahnhof tun, sondern ein bisschen größer denken.
Was würde denn eurer Meinung nach in so einer alternativen Koalitionsvereinbarung drin stehen? Das ist kein leichter Job, da sind wir uns vielleicht auch gar nicht so einig untereinander. Aber ich glaube es würde sich lohnen, dass wir darüber diskutieren und vielleicht auch streiten. Frech wie ich bin, habe ich ein paar Ideen mitgebracht, was in so einer Koalitionsvereinbarung eigentlich drin stehen müsste.
Für mich gibt es zwei entscheidende Grundsätze, an dem sich jedes kleine konkrete Ziel messen lassen müsste in so einer alternativen, ökologischen und sozialen Koalitionsvereinbarung.
Erstens: Auf einer endlichen Welt kann es kein unendliches Wachstum geben. Und deswegen kann ein Projekt wie Stuttgart 21, das zu einem milliardenschweren Bau- und Immobilienprojekt verkommen ist und einfach blind auf Wachstum setzt, nie ein nachhaltiges Projekt sein. Das sage ich jetzt auch an die Adresse von Teilen der Grünen. Winfried Kretschmann habe ich kurz nach der Volksabstimmung in der Villa Reizenstein getroffen und gesagt: Herr Kretschmann, jetzt muss es doch weiter gegen Stuttgart 21 gehen. Dann hat er gesagt: Wenn das ein unterirdisches Atomkraftwerk gewesen wäre, über das die Bürgerinnen und Bürger abgestimmt hätten, und die hätten das jetzt befürwortet, dann wäre ich zurückgetreten. Aber das ist doch nur ein Bahnhof! Stuttgart21 ist nicht nur ein Bahnhof, sondern ist der Umbau unserer Infrastruktur in unserer ganzen Stadt, auf Wettbewerb und Wachstum ausgelegt und kann nie nachhaltig sein und damit kann keine ökologische Verkehrspolitik funktionieren.
Der zweite Grundsatz: Es ist genug für alle da; es ist nur falsch verteilt! Oder was sollen wir anderes dazu sagen, wenn jetzt acht, neun oder auch zehn Männer so viel besitzen wie 3,6 oder auch 3,7 Milliarden Menschen auf der Welt. Diese zwei Grundsätze sollten uns die Gewissheit geben: statt auf Wettbewerb und Wachstum zu setzen, sollten wir ganz gemütlich und ganz lässig auf solidarische und ökologische Lösungen setzen. Denn es ist ja genug für alle da. Ich bin überzeugt, wenn wir uns ernsthaft zusammensetzen, ist so eine fortschrittliche Agenda gar nicht so schwer zu machen. Da könnte man ein Regierungsprogramm, eine Koalitionsvereinbarung nennen: Her mit dem schönen Leben! Stellen Sie sich doch mal vor: die Diskussion, ich glaube die könnte richtig Spaß machen. Was könnte denn da konkret drin stehen?
Vorschlag: Man würde beginnen mit solchen Sätzen wie:
Jeder Mensch sollte von seiner Arbeit leben können. Teilhabe und Menschenwürde dürfen nicht davon abhängen, ob er arbeitet oder nicht. Deswegen wollen wir ein Grundeinkommen.
- Oder: Jeder Mensch ist uns willkommen und sollte volle demokratische Teilhabe genießen, egal wo er geboren ist.
- Oder: Wasser, Boden, Luft sind keine Waren – genau so wenig wie Wohnen, Bildung, Gesundheit oder kulturelle Teilhabe. Sie sind Menschenrechte und sollten allen Menschen zur Verfügung stehen.
- Unsere Infrastruktur von Bahn bis Strom über Telekommunikation sind für uns Menschen da, und nicht für Profite. Wir wollen, dass sie kostenlos sind.
- Freie Märkte gibt es nur, wenn Monopole und Großunternehmen und die Finanzindustrie gebrochen werden.
- Wir wollen dass in alle Produkte die sozialen und ökologischen Folgen eingepreist sind. Stellen Sie sich mal vor, was da los wäre in unserem Land mit unserer Automobil- und Waffenindustrie.
Zuletzt noch: Mensch, Natur und demokratischer Wille haben Vorrang vor wirtschaftlichen und privatwirtschaftlichen Interessen. Mir würde so eine Diskussion unter dem Motto: Her mit dem schönen Leben! Spaß machen, darüber zu diskutieren. Ich hoffe, dass wir alle jetzt erst richtig loslegen. Ich glaube es wird Zeit, dass wir mit all unserer Fantasie und unserem Witz an so eine Erfindung herangehen und vielleicht auch für diese neue Welt kämpfen.
Es wird Zeit, dass wir für eine Stadt, für eine Gesellschaft kämpfen, in der alle Stuttgart21 als dasjenige sehen was es wirklich ist: ein fossiles, aus dem letzten Jahrtausend bestehendes Projekt was unnötig und schädlich ist und keiner braucht. Ich bin mir sicher, wenn wir uns auf diesen Weg machen, dann sind wir nicht allein, es gibt schon so viele in unserer Stadt und in unserem Land die sich um so eine fortschrittlichen Agenda bemühen und mit uns zusammenarbeiten würden. Lasst uns diese Kämpfe verbinden. Lasst uns allen Zweiflern und all denjenigen, die uns vielleicht dann als Träumer beschimpfen eines sagen. Ein Versprechen, das wir Tunnelparteien und allen Weltzerstörern gegeben haben: Schaut auf Schuster, schaut auf Mappus, schaut auf Kefer und ganz aktuell schaut auf Grube: Ihr werdet uns nicht los – wir euch schon. Und deswegen: dranbleiben und oben bleiben!