Die Bahn, ihre Prozessgegner und wir – was folgt aus „vertagt, verklagt und unverzagt“?

Dr. Eisenhart v. Loeper, RA & Sprecher Aktionsbündnis gegen S 21, auf der 354. Montagsdemo 16. Januar 2017

Liebe mit-bewegende Freundinnen und Freunde,

es freut mich, dass Ihr da seid und ich mit Euch sein darf. Dieses „wir sind wieder hier“, ist mehr als die Summe von uns allen einzeln, das ist nach meinem Empfinden ein Ereignis, das kommunikativ im Hier und Jetzt beginnt. Ihr bewegt mich und mein Bewegt-Sein kommt zu Euch, dafür danke ich Euch.

Ja, vor wichtigen Weichenstellungen wieder gefragt und gefordert zu sein, darum geht es. Wir sind gemeinsam stark, in der Aufgabe wachsend, um kreativ das Beste zu geben, um sinnerfüllt den Irrweg S 21 in den Umstieg zu wenden.

So war es uns vergangenes Frühjahr gelungen, den Bahn-Aufsichtsrat zur Überprüfung der Kosten von Stuttgart 21 zu veranlassen. Das Ergebnis ist das 167 Seiten starke Gutachten von KPMG und Ingenieurbüro Basler. Als es Anfang Oktober den Aufsichtsräten zuging, sollten sie unter Strafandrohung nichts davon weitergeben. Glücklicherweise gibt es Menschen mit Zivilcourage, die sich nicht einschüchtern lassen. Dieser scheinbare Rechtsbruch war unerlässlich im öffentlichen Interesse und im Sinne wissenschaftlich qualifizierter Aussagen zu S 21. Wäre das Gutachten geheim geblieben, hätten die staatliche Kontrollaufgabe und unsere Demokratie schon an dieser Stelle erneut versagt.

Die Schweizer Ingenieure Ernst Basler und Partner verdienen unsere Anerkennung. Sie publizierten mutig wahrheitsgemäß, dass die S 21-Tunnel mit Anhydrit „unüblich hohe Risiken für die Betriebstauglichkeit“ erzeugen, die bautechnisch nicht beherrschbar sind. Als wir dies transparent machen konnten, gelang uns in den Medien der bundesweite Durchbruch, besonders im SWR und in der ARD zu bester Sendezeit.

Dem Bahn-Aufsichtsrat stand nun das Wasser mit S 21 so sehr am Hals, dass er sich im Dezember bis zum 30. Januar vertagte. Zeitverzug, Ablenkungsmanöver mit einem aufgeblasenen Tunneldurchstich folgten, dann Baubesichtigungen, von Ing22 und vielen Aktiven sehr gut gekontert. Die Bahn wollte ihr Debakel vergessen machen. Nicht mit uns!

Zugleich hat die Bahn zum Befreiungsschlag ausgeholt: sie hat ihre Projektpartner Stadt, Land, Region und Flughafen GmbH auf 65% aller restlichen Milliarden Mehrkosten des Projekts verklagt. Das ist ungeheuerlich. Ihr Kalkül ist, die erneut explodierenden Milliardenkosten auf Stadt und Land abzuwälzen, eine drohende Verjährung zu unterbrechen und sich vom Vorwurf strafbarer Untreue zu entlasten.

Da wird es spannend: Lässt sich dieser Schachzug der Bahn durchkreuzen oder ist ein baldiger fauler Kompromiss zur Erledigung des Streitfalls zu befürchten?

Vorweg sei gesagt: Wir haben Stadt und Land wiederholt davor gewarnt, sich durch das Weitermachen und Treiben-Lassen von S 21 einer gefährlichen Zwangslage auszusetzen. Sie droht, weil die Bahn-Verantwortlichen aktienrechtlich und strafrechtlich ihren Konzern nicht wissentlich schädigen dürfen. Sie könnten und müssten das Projekt deshalb beenden, zumal es insgesamt nicht finanziert ist. Dann bleibt die Wahl zwischen einer Bauruine und der Übernahme der Milliardenkosten. Allein der Umstieg aus S 21 schafft dann den Ausweg aus dieser Sackgasse. Die Projektpartner sollten daher der Bahn signalisieren, nicht unsinnig über Milliarden S 21-Mehrkosten zu prozessieren und endlich über sinnvolle Alternativen zu S 21 zu verhandeln.

Vertiefen wir uns aber in die von der Bahn herbeigeführte Prozesslage, dann gleicht deren Klage dem vergeblichen Versuch Münchhausens, sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen. Das kann nach menschlichem Ermessen aus drei Gründen nicht gelingen:

  • Erstens dürfte die Klage schon an der dreijährigen Verjährungsfrist scheitern, worauf auch die Ing22 hinweisen. Hier zählt, wann der angebliche Anspruch der Bahn gegen die S 21-Partner auf Zahlung von Mehrkosten entstanden ist und wann er hätte geltend gemacht werden können. Entgegen der Bahn entstand der fragliche Anspruch nicht erst 2013. Jetzt schlägt ihr ins Gesicht, dass sie im Dezember 2012 ihre Mogelei über die Projektkosten mit 1,1 Mrd. Euro als selbst verschuldet eingestanden und ihre Trickserei der Kosten drei Jahre zuvor mit 891 Mio. Euro begonnen hat. Verjährungshemmende Verhandlungen können der Bahn bei dieser Berechnung nichts nützen, ihre Klage dürfte daran scheitern.
  • Zweitens enthält der Finanzierungsvertrag (FinV) von 2009 eine Regelungslücke zu Mehrkosten jenseits von 4,5 Mrd. Euro. Um die Projektpartner an den Mehrkosten zu verpflichten, beteuert die Bahn jetzt, sie habe S 21 nie gewollt. Dann müsste sie schleunigst die Reißleine ziehen. Wird die vertragliche Kostenobergrenze überschritten, müssen die Projektpartner nach der „Sprechklausel“ verhandeln, und zwar nicht begrenzt auf Kostensteigerungen, sondern auch über Projekt-alternativen. Die bloße „Sprechklausel“ als „Zahlklausel“ umzukehren, ist absurd. Hinzu kommt, dass das Gesellschaftsrecht nach § 707 BGB ausdrücklich keinem Partner zumutet, seine Einlage gegen seinen Willen erhöhen zu müssen. Freiwillige Mehrleistungen sind also gerichtlich nicht durchsetzbar.
  • Drittens dürfte die Klage auch deshalb nicht erfolgversprechend sein, weil zahlreiche Fakten der Vertragsentwicklung von 2009 bis 2016 ergeben: die Bahn-Verantwortlichen haben ihnen bekannte Mehrkosten pflichtwidrig vertuscht und schwere Funktionsmängel des Projekts verschwiegen. Solche Vertragsbrüche zu Lasten der Vertragspartner zu begehen, jetzt aber zu allem Übel hohe Mehrkosten zu verlangen, verbietet sich als unzulässige Rechtsausübung und wegen Schlechterfüllung des Vertrags. Diese schwerwiegenden Einwände im Prozess einzubringen und aufzuarbeiten, entspricht unserem Interesse.

Die Antwort auf diesen Schlamassel bleibt weiterhin: raus aus diesem absurden Projekt! Umstieg 21! 4 bis 6 Mrd einsparen! Den Verkehrsgau durch quellenden Anhydrit auf bis zu 20km Tunnelstrecke vermeiden!

Mit unseren Geologen haben wir letzte Woche im Verkehrsministerium herausgearbeitet, dass über die von Basler identifizierten Tunnelstrecken hinaus auch der geplante Tunnel nach Degerloch in beträchtlichem Maß von Quellprozessen des Anhydrit mit Sanierungsbedarf und wiederkehrenden Streckensperrungen betroffen sein kann. Die Entscheider müssen sich diesen Tatsachen stellen, ohne sie zu verbiegen.

Wir bleiben wachsam dran, ob das zur Schadensvermeidung geschieht. Geht der Bahn-Aufsichtsrat trotz unserer Hinweise darüber hinweg, wird das eine erneute Strafanzeige wegen milliardenschwerer Untreue bei der Staatsanwaltschaft Berlin unter ihrem neuen Justizsenator herbeiführen.                             Versagt die Politik der herrschenden Parteien, werden sie von uns im beginnenden Bundestagswahlkampf sicher vielfach unangenehm mit ihrem Versagen konfrontiert werden. Statt machtbesessener Parteien und profilloser Köpfe müssen im Interesse aller baldmöglich Einsicht und Umstieg bei S 21 Einzug halten. Es bleibt viel zu tun. Packen wir es an.

Dran bleiben, Oben bleiben!

 

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3 Antworten zu Die Bahn, ihre Prozessgegner und wir – was folgt aus „vertagt, verklagt und unverzagt“?

  1. herrmann sagt:

    das ist ja sehr aufschlußreich. was uns die bahn alles vorenthalten hat. hoffentlich siegt endlich die vernunft, bevor noch mehr milliarden vergraben werden. verfolge schon seit jahren die entwicklung. dran bleiben, oben bleiben!!!

  2. Toni sagt:

    Ist mit Einreichung der Klage überhaupt noch eine Planrechtfertigung als Geschäftsgrundlage für die „alten Verträge“ gegeben ?

    Mit Einreichung der Klage dürfte sich auch die Frage der Planrechtfertigung erneut stellen und (spätestens) auf entsprechenden Antrag hin vom Gericht zu überprüfen sein.

    Denn selbst, wenn die Bahn mit ihrer Forderung nach Übernahme von ca. 1,5 Mrd. € durch die Projektpartner durchkommen sollte, so ist es ja noch lange nicht so, dass damit eine funktionierende Fertigstellung der S21 Schräghaltestelle sichergestellt ist.

    Das das Problem der 6-fach (10-fach) überhöhten Gleisneigung ist der Bahn ja 2010 bereits bekannt und wurde abgetan mit der Behauptung, das wäre schon lösbar aber steht in keinem Verhältnis zum dafür erforderlichen Kostenaufwand.

    Als notwendiger Nachweis für eine Planrechtfertigung ist natürlich die Einhaltung der Sicherheitsstandards erforderlich und wie will die Bahn diesen Nachweis bei abschüssigen Gleisen erbringen, die unten in Weichen zusammenlaufen.
    Drohen hier Flankenfahrten und Entgleisungen im Tunnel ?
    Wie kann ein sicherer Halt eines Zuges auf abschüssigem Gleis z.B. im Winter im Fall von Gleis-Doppelbelegungen gewährleistet werden ?

    Wie kann die ab 2022 geforderte Barrierefreiheit bei Längs- + Querneigung hergestellt werden ?

    Notwendige Voraussetzung für eine Planrechtfertigung ist auch ein Finanzierungsnachweis und die Einreichung der Klage könnte vom Gericht als Nachweis gegen eine Finanzierbarkeit des S-21-Projekts gedeutet werden.

    Die Feststellung einer nicht vorhandenen Planrechtfertigung (ist hier nicht die Bahn positiv mit dem Nachweis einer bestehenden Planrechtfertigung beweisbelastet ?) könnte zum Wegfall der Geschäftsgrundlage für die alten Vereinbarungen zw. der Bahn und den Projektpartnern führen und es dürfte sich die Frage stellen, ob bis zum Nachweis der Planrechtfertigung überhaupt noch weitere Zahlungen von den Projektpartnern an die Bahn und deren Planer geleistet werden dürfen, oder ob diese Zahlungen stattdessen besser bei einem Gericht bis zur Klärung der Frage der Planrechtfertigung hinterlegt werden sollen ?

  3. Alexander Abel sagt:

    Das grösste Problem bei S21 sind nicht die Kosten, die sind nur die Achillesferse, an der das Projekt bzw. seine Betreiber und Förderer angegriffen werden können, und deshalb ist die Auseinandersetzung von Herrn Loeper mit dem Kostenaspekt sehr verdienstvoll.
    Das Hauptproblem ist aber aus meiner Sicht und Interessenlage der verkehrliche Aspekt.
    Die Schieneninfrastruktur ist schon heute
    völlig ungenügend. Das beweist das Dauerver- kehrschaos,das uns im ÖPNV von Quelle zu Ziel gerechnet Durchschnittsgeschwindigkeiten auf Radfahrerniveau beschert, weshalb viele Mobilitätshungrige auf das Auto ausweichen und damit den Strassenverkehr auch noch zum erliegen bringen.
    Wenn S21 – wie von den Prolern behauptet –
    tatschächlich die Schienenkapazität verdoppeln und für einen zuverlässigen Bahnverkehr/ÖPNV sorgen würde, müsste man sich überlegen, ob dieser Effekt die Milliarden wert/ nicht wert ist.
    Dem stehen aber die Anhydritproblematik und die hoffnungslos unterdimensionierten Zulaufstrecken entgegen, und die Schienenkapazität liesse sich mit dem Kopfbahnhof + einigen Ergänzungen auch verdoppeln.
    S21 wird – auch die Anhydritproblematik ausgeklammert – die Schienenkapazität aber halbieren, und das mit einem finanziellen Aufwand von 10 Mrd €!
    Stuttgart wird mit S21 die Lebensfähigkeit verlieren. Wenn seine Arbeiter erst ihre Arbeitsplätze nicht mehr erreichen können, werden so Leute wie Zetsche merken, dass sie sich verkalkuliert haben. Wer kauft noch ein Auto, wenn er sich damit nicht mehr bewegen kann? An dem Punkt bin ICH heute schon! Und spätestens wenn in den Tunnels der erste tödliche Unfall passiert ist, werden viele heute noch Bahnreisende die Bahn meiden wie der Teufel das Weihwasser. Dann kann Grube Konkurs anmelden und Hartz-IV beantragen gehen.
    Nicht der depperte Lärm (Lärm ist kein Argument und eine „Waffe“, gegen die man sich leicht schützen kann) sondern S21 wird sich dann als garnicht mehr lächerlicher sondern selbstmörderischer Schwabenstreich herausstellen und in die Geschichte eingehen.

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