Fünf Jahre nach der Volksabstimmung
Einen schönen guten Abend zusammen,
ich freue mich, wieder einmal bei dieser einzigartigen Demokratiebewegung reden zu dürfen. Unser Engagement ist einfach unglaublich. Egal ob unsere juristische Hartnäckigkeit oder fachliche Kompetenz, die wir erst wieder vor zwei Wochen bei der Anhörung im S21-Ausschuss im Gemeinderat demonstrieren konnten. Wir lassen einfach nicht nach, nein wir legen sogar noch eins drauf z.B. mit Umstieg21.
Wir wissen, dass wir uns auf unsere Argumente verlassen können, bei allen Fachthemen stecken wir Bahn und S21-Befürworter in die Tasche, und wir erleben, dass die Geschichte uns immer wieder recht gibt. Ich bin mir sicher, es gibt niemanden, der in den letzten fünf Jahren frisch zu einem S21-Befürworter geworden ist, im Gegenteil.
Aber warum werden wir dann nicht mehr? Dafür gibt es sicherlich viele Gründe, aber ein Grund ist auf jeden Fall, dass diese verdammte Volksabstimmung selbst nach fünf Jahren noch wirkt. Die Volksabstimmung hat zwar nichts geklärt oder befriedet, aber das Engagement vieler Aktiver hat sich 2011 in Resignation verwandelt, weil sie unseren Widerstand nicht mehr als legitim empfanden.
Ich finde ja, dass es jetzt nach fünf Jahren endlich Zeit wird, die Volksabstimmung auf der Müllhalde der Geschichte zu entsorgen. Ich habe das Gefühl, euch muss ich das nicht sagen, dass die Volksabstimmung eine Farce war.
Aber für viele, die früher Seite an Seite mit uns „oben bleiben“ gerufen haben, braucht es endlich eine offensive Auseinandersetzung mit der Volksabstimmung. Als Demokratiebewegung sind wir eine lernende Bewegung und deswegen muss sich auch eine so erfolgreiche Demokratiebewegung wie die unsere, mit ihren Rückschlägen auseinander setzen. Die Volksabstimmung zum Ausstiegsgesetz ist auch für mich persönlich meine bitterste politische Erfahrung. Deswegen ist das heute vielleicht die schwierigste all meiner Reden. Aber wir sind mit unserem unglaublichen Widerstand ja nicht dafür bekannt, dass wir uns wegducken, wenn es schwierig wird. Also packen wir es an.
Ich sehe fünf Hauptargumente, die wir alle parat haben sollten, wenn uns mal wieder jemand dumm kommt mit der Volksabstimmung:
- Politischer Widerstand ist auch gegen breite Mehrheitsentscheidungen legitim – eigentlich in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit und ein klarer Unterschied zu autoritären Regimen. Aber scheinbar vergessen das einige immer wieder. Ich frage dann immer ganz naiv, wie war das denn mit den Mehrheiten zu Beginn der ganzen Anti-AKW-Bewegung?
- Argumente kann man nicht abwählen! Oder verlangt jetzt ernsthaft irgend jemand, dass nach der Wahl von Trump in den USA jede Umweltorganisation sofort ihre Arbeit einstellen sollte, weil die Mehrheit den Klimawandel abgewählt hat? Aber Spaß beiseite, all unsere scherwiegenden Argumente, angefangen von der illegalen Mischfinanzierung, der fehlenden Gleisentwidmung, der unzulässigen Bahnsteigneigung und dem völlig ungenügenden Brandschutz sind auch nach der Volksabstimmung gültig! Wir leben zum Glück in einem Rechtsstatt und geltende Gesetze zum Schutz von Leib und Leben können nicht einfach abgewählt werden.
- Die Volksabstimmung war undemokratisch organisiert. Es gab keine echte Transparenz und keine Augenhöhe zwischen uns als zivilgesellschaftlichem Bündnis und auf der anderen Seite dem Bündnis aus einem der größten Unternehmen Deutschlands mit der Mehrheit der Parteiapparate und der von ihnen kontrollierten Institutionen, die mit Steuergeld in den Abstimmungskampf eingriffen. Allein der Regionalverband mit 1,2 Mio., dem doppelten unseres kompletten Budgets, oder der Brief von OB Schuster an alle Stuttgarter Haushalte.
Liebe Freundinnen und Freunde, so kann man Abstimmungsergebnisse erkaufen. Aber nicht nur das, wer nicht dafür sorgt, dass Fakten die Basis von Abstimmungen sind, der eröffnet den Populisten und Angstmachern die Bühne, denn nichts anders haben die S21-Befürworter doch gemacht: „Weiter ärgern oder weiterbauen“, „1,5 Mrd. Euro verschwenden für Nix“. - Es wird immer behauptet, die Mehrheit hätte für S21 gestimmt. Genau das ist aber falsch, die Mehrheit hat gegen ein mögliches Ausstiegsgesetz gestimmt. Dass diese Klarstellung keine Spitzfindigkeit ist, wird klar, wenn wir den Menschen folgendes Gedankenspiel vorschlage: Würde Stuttgart 21 gebaut, wenn bei genau gleichem Abstimmungsverhalten die Fragestellung gelautet hätte „Sind Sie für den Bau von S21?“. Die Antwort ist klar nein, denn wenn bei dieser Fragestellung genauso viele Menschen mit ja gestimmt hätten wie bei der Volksabstimmung, wäre Stuttgart 21 durch die Volksabstimmung gefallen, da die S21-Befürworter das nötige Quorum verfehlt hätten.
Dieses Gedankenspiel soll klar machen, aus der Volksabstimmung gibt es nur ein Rechtsverbindliches, es gibt eben kein Ausstiegsgesetz. Mir ist klar, dass wenn wir so offensiv argumentieren, dann werden uns die S21-Befürworter entgegenhalten, das sei juristische Haarspalterei, denn die Volksabstimmung hätte zumindest einen symbolischen und damit politischen Auftrag erteilt, S21 weiterzubauen. - Das bringt uns zu unserem fünften und wichtigstem Argument: Der Volksabstimmung fehlt die Geschäftsgrundlage: „Der Verfassungsrechtler Prof. Wieland hat es bereits 2012 beim Bekanntwerden der Kostensteigerungen auf den Punkt gebracht: „Baden Württemberg hat unter der Prämisse abgestimmt, das der Kostendeckel von 4,5 Mrd. Euro nicht überschritten wird.“ Da diese Summe nicht mehr gelte, sei die Regierung nicht mehr an die Volksabstimmung gebunden. Ich füge dazu, so wie die Bahn AG die Menschen bei den Kosten und der Leistungsfähigkeit betrogen hat, darf die Volksabstimmung keine politische oder moralische Legitimation entfalten. Überlegen Sie doch mal, wenn wir das als Demokraten zulassen würden, dann wäre damit für alle zukünftigen Volksabstimmungen Lug und Betrug Tür und Tor geöffnet. Und trotzdem tun genau das unsere politisch Verantwortlichen von Kretschmann bis Kuhn. Ihre perfide Argumentation laut: Die Kostensteigerungen seien ja kein Betrug, denn alle Argumente der Kostensteigerungen seien dank der S21-Gegener schon vor der Abstimmung bekannt gewesen. Die Mehrheit hätte sich halt entschieden, der Bahn zu glauben. Das sei nun mal in der Demokratie das Recht eines jeden.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich weiß ja nicht, ob Kretschmann und Kuhn immer nur aus dem hohlen Bauch heraus entscheiden, aber ich bin doch der Meinung, politische Sachentscheidungen bedürfen einer fundierten, transparenten und überprüfbaren Sachgrundlage! Es kann doch nicht sein, dass die Menschen erst mal raten müssen, welche Sachlage jetzt eigentlich gilt. Wer so etwas behauptet, macht aus Sachentscheidungen ja beliebige Glaubens- oder Vertrauensfragen.
Ganz unabhängig von Lug und Trug: Natürlich kann man den Realitätsgehalt von komplexen Sachgrundlagen immer anzweifeln und im Notfall ist man hinterher immer klüger. Ja und in einer Demokratie klüger zu werden, ist doch auch keine Schande. Seine Politik nicht an neusten Erkenntnissen auszurichten, ist es schon.
Ich habe da mal eine Frage an Sie, Herr Kretschmann: Jetzt stellen Sie sich doch mal vor, Sie bauen mit einem Bauunternehmen Ihr neues Traumhaus. Höchster Komfort und energetische Standards sind vertraglich gesichert. Doch als ihr Bauunternehmer die Bodenplatte gießt, teilt er ihnen mit, dass sie jedes Fenster, jede Tür und das Dach sowieso extra bezahlen müssten, weil ihr Finanzdeckel schon verbraucht sei. Und als ob das nicht schon genug wäre, steht der Unternehmer auch noch grinsend da und teilt Ihnen mit, das sei aber alles kein Problem, er hätte so einen Murks zwar nie gebaut, aber man müsse sich keine Sorgen machen, sie würden jetzt einmal weiterbauen und dann die Mehrkosten gerichtlich von Ihnen einklagen. Was würden Sie tun Herr Kretschmann???
Sich an so eine Entscheidung zu klammern, deren Sachgrundlage schlicht nicht mehr gegeben ist, das kann man nur noch mit Weltfremdheit oder in ihrem Fall Machtgeilheit erklären.
Ich fasse zusammen: Von der sogenannten Volksabstimmung geht weder eine rechtliche noch eine politische oder gar moralische Verpflichtung zum Weiterbau von S21 aus. All diejenigen, die das wissentlich weiter behaupten, schaden der weiteren Entwicklung unserer Demokratie.
An all diese haben wir eine klare Botschaft: Wir werden wir nicht aufhören, gegen diesen Wahnsinn zu demonstrieren! Wir werden wieder und wieder kommen! Ihr werdet uns nicht los, wir euch schon: Wir werden oben bleiben!