Bahnverkehr in einer Automobilgesellschaft
Liebe K21-Mitstreiter,
mein Name ist Manfred Niess, ich bin Koordinator des Klima- und Umweltbündnis Stuttgart – kurz KUS – und seit 2005 Feinstaubkläger.
Wir vom Klima- und Umweltbündnis denken, was den Klimawandel angeht, global, wir handeln aber vorwiegend kommunal, regional und teilweise auch national.
Um den Klimawandel zu stoppen, braucht es – neben Energieeffizienz und Energieeinsparung – vor allem eine Energie- und Verkehrswende. KUS kämpft seit Beginn für einen Kopfbahnhof – aus verkehrlichen Gründen, weil wir einen Rückbau der Bahnverkehrsinfrastruktur nicht akzeptieren – und aus Umweltgründen: eine unterirdische Durchgangsstation, die das Dreifache an Energie braucht im Vergleich zu einem oberirdischen Kopfbahnhof, passt, angesichts des dramatischen Klimawandels nicht mehr ins 21. Jahrhundert.
Zur Erinnerung: Entgegen dem weltweiten Trend sind die C02-Emissionen in der Bundesrepublik 2015 gestiegen, auch im Verkehrsbereich! „Nur mit einer anderen Mobilität werden wir unsere Klimaziele erreichen“ sagte die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger.
Wir sehen manche Entwicklungen in Deutschland mit großer Sorge: Präsident Eisenhower warnte am Ende seiner Amtszeit vor dem „militärisch-industriellen Komplex mit einer engen Verflechtung der Militärindustrielobby mit den Regierungen“ und diese Lobby bestimmt auch heute noch in starkem Maße die Politik in den USA.
In Deutschland gibt es einen automobil-industriellen Komplex mit einer engen Verflechtung der Autoindustrie mit den Regierungen: Herr von Klaeden kann problemlos aus dem Staatsministerium in den Vorstand von Daimler wechseln und Cheflobbyist werden; und auch diese Lobby bestimmt die Politik weitgehend, mit teilweise fatalen Konsequenzen.
Wenn der BMW-Vorstand klagt, dass die Autoindustrie die NO2-Werte bei Dieselfahrzeugen im realen Fahrbetrieb nicht einhalten könne und sie einen Conformity Factor 2.1 bräuchten – was im Klartext heißt, die Autos dürfen die Werte um das Doppelte überschreiten – dann setzt die Regierung Merkel dank Herr von Klaeden und Co. dies in Brüssel durch.
Was haben Deutsche Bank und die Automobilindustrie gemeinsam? Angestellte der deutschen Bank sitzen zurzeit fast mehr im Gerichtssaal als an ihrem Arbeitsplatz. Die Automobilindustrie holt in diesem Bereich mit atemberaubender Geschwindigkeit auf. Man kommt mit der Aufzählung der Skandale kaum nach, nach dem VW Dieselgate und dem
- Abgasskandal kommen immer weitere Ungeheuerlichkeiten ans Licht:
Audi-Skandal: die Audis erkennen am Lenkradeinschlag, ob sie auf dem Rollenprüfstandstest sind. - Es gibt den Thermofensterskandal: Autos schalten ihre Abgasregelung bei 17° (Opel) bzw. 10° (Daimler) einfach ab, angeblich zum Schutze von Bauteilen des Motors. Bauteile des menschlichen Körpers wie Herz, Lunge, Gehirn, müssen nach der automobilindustriellen Logik nicht geschützt werden. Laut WHO sind Dieselabgase krebserregend, wie Tabak und Asbest.
- Jetzt gibt es den CO2–Verbrauchsskandal: die Autos verbrauchen im Durchschnitt 42% mehr als vom Hersteller angegeben: ein kapitaler Betrug am Autokäufer. Handwerkern würde für solch einen Betrug die Lizenz entzogen und sie müssten im Wiederholungsfall ins Gefängnis.
Wie sieht unsere automobilgeprägte Gesellschaftsrealität aus? „Glücklicherweise hat es keine Toten gegeben“, ließ VW nach Diesel Gate verkünden. Meine Herren VW-Vorstände, es gibt wegen Luftschadstoffen laut Umweltbundesamt in Deutschland jedes Jahr 47.000 vorzeitige Todesfälle. Die Luft in den Städten gehört allen, aber die Automobilindustrie bestimmt den Giftgehalt.
Prof. Knoflacher, ein international bekannter Verkehrswissenschaftler, fasst dies in den Worten zusammen: „In allen Gesellschaften hat der Schutz der Gesundheit höchste Priorität – nicht jedoch in der Realität der automobilen Gesellschaft.“
Was den gesundheitlichen Aspekt angeht, bin ich von Medienvertretern schon gefragt worden, warum ich nicht aus dem Kernerviertel wegziehe. Das ist eine erstaunliche Frage, sie bedeutet logisch zu Ende gedacht: die Leute sollen wegziehen, damit Autos mit giftigen Abgasen freie Fahrt in der Stadt haben. Sollte es nicht eher umgekehrt sein: Weniger Autos in der Stadt, damit die Menschen dort leben können?
Ein letztes Beispiel einer automobil-verzerrten Realität: Herr Dr. Lang, Vorsitzender von Haus und Grund, (Sie kennen ihn – ehemals Finanzbürgermeister unter Schuster; unter seiner Ägide wurde die TWS verscherbelt und mit dem sensationellen Cross Border Leasing wurden Teile der Stuttgarter Infrastruktur an die Amerikaner verkauft) sorgt sich um das Image der Stadt, das durch den Titel „Feinstaubhauptstadt Deutschlands“ seiner Meinung nach in den Schmutz gezogen wird. Er hat eine geniale Lösung des Feinstaubproblems: Abriss des Hauses am Neckartor, um das Feinstaubproblem aus der Welt zu schaffen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Der Vorsitzende von Haus und Grund schlägt vor, ein wunderschönes Jugendstilhaus abreißen zu lassen. Nun, es ist eine feine juristische Lösung: Wo kein Haus ist, kann es auch keinen Kläger geben – so einfach sieht dies Herr Lang.
Noch ein Wort zur Lösung des Luftschadstoffproblems: In den Medien liest man, die E-Mobilität könne das Luftschadstoffproblem lösen. Gemeint sind damit im Sinne der Automobilindustrie: elektrische Autos. Für KUS gibt es die E-Mobilität schon lange: die Bahn, die S-Bahn und die Stadtbahn –erprobte E-Mobilität, für die wir im Rahmen des Umweltverbandes seit unserer Gründung kämpfen.
Wie ist der Zustand dieser E-Mobilität? Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist mit der einstmals zweithöchsten Pünktlichkeit Deutschlands heute eine Verspätungsruine. Die S-Bahn wankt im Dauerchaos von einem Krisengipfel zum nächsten und jetzt ist auch noch die direkte Stadtbahnlinie zum Charlottenplatz unterbrochen. Um das Feinstaub- und Stickoxidproblem zu lösen, muss diese Schienen-E-Mobilität Priorität bekommen.
Wer zur Verkehrswende und zu Feinstaub mehr wissen möchte, den laden wir gerne zu unserer Veranstaltung mit Jürgen Resch am kommenden Donnerstag, den 24.11.16, um 19 Uhr im Württembergischen Kunstverein ein.
Wir bleiben mit einer schadstoffarmen Schienen-E-Mobilität oben!