Rede von Dr. Ralf Laternser, Dipl. Geologe: auf der 346. Montagsdemo am 14.11.2016

Dauerbaustelle Engelbergtunnel – und täglich grüßt der Anhydrid!

Liebe Montagsdemonstranten,

Heute will ich Euch aus aktuellem Anlass eine Zusammenfassung zum Thema Tunnelbau und S21 geben. Denn Stuttgart 21 ist nicht nur ein Immobilienprojekt – es ist vor allem auch ein völlig überdimensioniertes Tunnelprojekt. (Eine hervorragende Übersicht der fast unüberschaubaren Tunnelbaustellen findet sich auf der Seite der netzwerke-21.de.)
Hier nur aktuellsten: In Untertürkheim ruht der Tunnelbau seit September, weil ein überraschender Wassereinbruch aus einem überraschend vorhandenen Hohlraum in 5 Tagen mehr Wasser über die Tunnelbauer ergoss, als für den ganzen Tunnelabschnitt im wohl immer noch fehlerhaften Grundwassermodell insgesamt berechnet und dann genehmigt wurden.

Aber so überraschend ist dieser Hohlraum geologisch überhaupt nicht, denn nach dem dort bekannten geologischen Schichtaufbau befindet er sich genau an der Grenze zwischen durch Wasser ausgelaugtem – und festem – Gips, für die derartige Hohlräume typisch sind. Wenn es einen Grund zu einer sehr exakten und nicht standardmäßigen weiträumigen Vorerkundung gegeben hätte, dann wohl hier. Da hat die Bahn mal wieder Glück gehabt, dass das nicht unter Gebäuden passiert ist. Solche Ungenauigkeiten können in anderen Gesteinsschichten fatale Folgen haben.

Die Tunnelbohrmaschine SUSE (Sinnlos Unter Stuttgart Euros verschwenden) hatte für ca. 5 Wochen einen Defekt – oder es gab andere, nicht kommunizierte Probleme unter Tage. Zudem hatte das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG Feuchtigkeit im – nach Bahnangaben absolut trockenen – Anhydrit-gefährdeten S21-Tunnel nach Cannstatt entdeckt.

Und damit komme ich schon zur Dauerbaustelle Engelbergbasistunnel (EBT). Hier quillt auf einer relativ kurzen Strecke der Anhydrit im noch vergleichsweise neuen Tunnel seit Jahren unaufhörlich, sodass 2018 wieder umfangreiche Sanierungsarbeiten für schätzungsweise 110 Millionen Euro nötig werden. Verkehrsminister Winfried Hermann spricht von „erheblichen Folgen“ auch für das Jahrhundertprojekt. Denn auch der S21-Tunnel in Feuerbach soll jetzt mit einem zusätzlichen Gitternetz umgeben werden, erklärte der Minister, damit „das Gestein wasserdicht wird“.

Und jetzt sind wir schon mitten im Thema: Beim extrem aufwendigen Tunnelbau sind sich normalerweise die Planer und Verantwortlichen darüber einig, dass der Aufwand und das Risiko in einem vernünftigen Verhältnis zu den verkehrlichen Verbesserungen und dem wirtschaftlichen Gewinn steht muss.

Nirgends weltweit sollen gerade lokal so viele Tunnelkilometer gegraben werden wie in Stuttgart, denn nur eine absolut unverhältnismäßige Anzahl an Tunnelkilometern für eine eher überschaubare Großstadt machen diese fragwürdige querstehende Bahnhofsverkleinerung erst möglich. Ein so immenser finanzieller und technischer Aufwand lohnt sich eigentlich nur für überquellende Millionenstädte, um dabei ein Nahverkehrssystem signifikant auszubauen, um Pendlern den Zugang zur Stadt zu erleichtern und die Stadt vom erdrückenden Autoverkehr zu entlasten.

Ein gutes Beispiel hierfür ist das aktuelle Crossrail-Projekt in London, das pro Jahr 200 Millionen Passagiere im Großraum London befördern soll. Dieses in Wirklichkeit größte Bahnprojekt Europas ist ein städtisches Nahverkehrsprojekt und nicht – wie in Stuttgart – ein von Stadt und Region praktisch unkontrolliertes Großprojekt eines unzuverlässigen Großkonzerns, von dem man sich – wenn man Glück hat – zwei Mal im Jahr ein paar Stunden durch Powerpoint-Präsentationen beeindrucken lässt.

Aber jetzt weg von London zu Stuttgart 21 – einem eigenwirtschaftlichen Fernverkehrsprojekt der DB AG: Bei Stuttgart 21 fehlt nämlich ein vergleichbares städtisches Verkehrskonzept wie in London fast vollständig, und es gab auch nie ein Verkehrskonzept als Ausgangspunkt dieses Projekts. Dieser völlig unausgegorenen Idee muss nun ganz Stuttgart angepasst werden, mit unzähligen Tunnelkilometern, oder besser gesagt, einem unglaublichen Tunnelgewurstel zu unabsehbaren Milliardenkosten. Tunnel überall, durch alles durch, runter und rauf – völlig ohne Rücksicht auf Geologie, Bürger oder etwa auch Kosten oder Ressourcenverbrauch.

Und was man im Vergleich zu anderen Tunnelprojekten als Geologe nachdrücklich erwähnen muss, sind die enormen zusätzlichen Risiken, die in Stuttgart noch dazu kommen. Ich meine nicht die fahrlässig schrägen Bahnsteige, Mischverkehre und das zu befürchtende weitere S-Bahn-Chaos, ich meine die geologischen Risiken, die in Stuttgart immens sind – es ist hier besonders der quellfähige Anhydrit zu nennen.

Viele der S21-Tunnel müssen durch Anhydrit-Schichten gebohrt und gesprengt werden – diese bei Wasserzufuhr quellfähigen Schichten – was zu fatalen Auswirkungen für Bauwerke führen kann – und für die Menschen, die dort leben. Von den vielen Problemen beim sehr kostspieligen Tunnelbau ist der Anhydrit wohl das häufigste und langfristig unbeherrschbarste, dem man begegnen kann. Jeden möglichen Tunnelkilometer im Anhydrit sollte man als verantwortlicher Planer und Tunnelbauer möglichst vermeiden – und das wird in der Regel auch beherzigt!

Seit 1960 wurden in Deutschland und der Schweiz nur ca. 12 km Tunnelstrecke in 8 Tunneln durch Anhydrit getrieben. Der geologisch und planerisch ignorante Gegensatz dazu ist die Planung von Stuttgart 21. In diesem völlig überdimensionierten Tunnelprojekt sollen unglaubliche 15 km Tunnelröhren im Anhydrit gebohrt werden – also mehr als in Deutschland bisher insgesamt und vielfach direkt unter bebauten Gebieten.

Von diesen acht Tunneln seit 1960 mussten fünf nach der Fertigstellung saniert werden. Bekanntestes Beispiel bei uns ist der Engelbergbasistunnel, der trotz vorsorglichen Planungen und nachträglichen Sanierungen täglich weiter aufquillt. Ständige längere Reparaturen mit Sperrungen für den Verkehr sind die Folge. Bei Stuttgart 21 wäre eine solche Sanierung gleichbedeutend mit einer Vollsperrung des Tunnels für längere Zeit, was den Kollaps für den Bahnknoten Stuttgart bedeuten würde.

Statistiker der Hochschule Konstanz haben berechnet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Tunnelsanierung bei S21 bei mindestens 75 Prozent liegt. Der Kollaps des Bahnhofs ist also wahrscheinlicher, als dass er störungsfrei betrieben werden kann. Das aktuelle Gutachten des Bundesrechnungshofes (BRH) moniert, dass die Bahn aus Kostengründen die Tunnelwände dünner kalkuliert und Sicherungen gegen das Quellgestein nur für einen kleinen Teil der kilometerlangen Tunnelröhren kalkuliert hat.

Der normale Durchschnitt für Kostensteigerung bei Bahnprojekten, so der Bundesrechnungshof weiter, liegt im langjährigen Durchschnitt bei 24 Prozent. Die Bahn hat bei ihrer Projektkostenrechnung für Stuttgart 21 aber ausgerechnet im schwierigsten geologischen Untergrund nur eine Preissteigerung von 17,5 eingerechnet!

Erst neulich musste unterm Killesberg eine – gegen den Widerspruch von uns Projektkritikern – als absolut sicher genehmigte Tunnelbaumethode im Anhydrit durch eine neue „noch sicherere“ Methode ergänzt werden. Kosten für diese eine örtliche Nachbesserung: 144 Millionen – deutlich mehr als die schönrechnenden Einsparungen an Tunnelwandstärke gebracht haben. Insoweit ist Stuttgart 21 – wenigstens für die Tunnelbauer und das Büro Wittke – ein lohnendes Forschungspilotprojekt mit dauerhaft quellenden Einnahmen. Was diese Einsparungen, und die noch nicht länger erprobten, zusätzlichen Schutzmaßnahmen durch die zukünftigen Tunnelkilometer Anhydrit-Schichten kosten würden – und vor allem befürchten lassen – lässt sich zumindest erahnen.

Was sagte die Bahn, in Person von Projektvorstand Volker Kefer aktuell zum Problem Anhydrit bei der letzten Lenkungskreissitzung vor einer Woche: „Der Bau der Tunnel ist so weit fortgeschritten, dass größere Risiken durch schwieriges Gestein weitgehend ausgeschlossen werden können“.

Was für eine unverfrorene Lüge! Und diesen Leuten glauben Minister Hermann oder auch Oberbürgermeister Kuhn auch nur ein Wort, z.B zur angeblichen Leistungsfähigkeit des Bahnhofs oder zuverlässig ermittelten Projektkosten?

Das ist ein unverantwortliches, ja sträfliches Wegschauen und Mitmachen beim gefährlichsten Großprojekt Deutschlands. Hoffentlich müssen wir sie an ihre Naivität nicht irgendwann einmal erinnern!

Deshalb ist es jetzt und in Zukunft wichtig, sich weiter einzusetzen für den Ausstieg aus dieser auch geologischen hochriskanten Tunnelbahnhofsplanung – zu einer Bahnhofslösung, die zu Stuttgart passt und den Bürgern wirklich nützt.

Am besten – und absolut anhydritfrei – wäre eine Lösung, bei der der Bahnhof und wir: Oben bleiben!
Schönen Abend noch!

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2 Antworten zu Rede von Dr. Ralf Laternser, Dipl. Geologe: auf der 346. Montagsdemo am 14.11.2016

  1. Schon bei der sogenannten Schlichtung zu S21 (20.11.2010 ) und bei der 65. Montagsdemo (28.02.2011) hat auch Dr. Jakob Sierig vom Geothermiekontor Tübingen darauf verwiesen, dass das Bauen im Gipskeuper schwerwiegende Risiken birgt. Das größte Risiko wäre eine unumgängliche Sperrung eines Tunnels infolge von Schäden, die durch den Gipskeuper verursacht werden können, der unter einer unvorhergesehenen Wasserzufuhr aufquillt und je nach den Verhältnissen immense, schädigende Drücke im Betonbauwerk hervorruft. Unabhängig von der Schadenswahrscheinlichkeit muss die Frage gestellt werden: Was bedeutet eine notwendige Vollsperrung für den Verkehr, wenn der Tunnel A,B,C oder D für Tage, Wochen oder gar Monate gesperrt werden müsste. Herr Dr.J. Sierig wies darauf hin: “Stuttgart ist nur durch den Gipskeuper erreichbar“. Das heißt, alle Tunnel in der Kernzone des Bahnhofes können irgendwann davon betroffen sein. Niemand kann dafür die Hand ins Feuer legen und behaupten, es kann gar nicht geschehen.
    Im Bauwesen ist es üblich, solche Fragen nicht nur aufzuwerfen, sondern sie auch zu beantworten, so gut das geht. Die Frage vom Tisch zu wischen wäre in jedem Fall fahrlässig. Es geht nämlich darum, die Schwere eines Risikos ZU ERKENNEN. Leider wurden zu Beginn dieses Projektes viele Fragen dieser Art überhaupt nicht gestellt. Dies lag nicht daran, dass sie nicht erkennbar gewesen wären. Für den hier besprochenen Fall ist es allerhöchste Zeit und unumgänglich, die Auswirkungen einer Tunnelsperrung auf den Verkehr realistisch zu beantworten. Das ist das Mindeste, was JETZT getan werden muss. Noch gibt es die Alternativen. Bei der Beantwortung der Frage geht es nicht um Meinungen, sondern um Fakten. Konkret: „Welche Verkehrsleistung hat der Stuttgarter Tiefbahnhof in der Zeit, in der ein Tunnel A,B,C oder D von S21 zeitweilig gesperrt werden muss. Natürlich sind dabei die speziellen Randbedingungen, seien es Hilfsmöglichkeiten, seien es Hilfunmöglichkeiten mit einzubeziehen. Es muss heute nicht nur gefragt werden, wie groß ist die Leistung, wenn alles nach Plan läuft sondern auch, wie groß ist die Leistung wenn das spezielle Risiko eingetreten ist. Je nach Art des speziellen Verkehrsbauwerks kann dieses Verhältnis sehr große Unterschiede aufweisen. Für den Tiefbahnhaltepunkt in Stuttgart muss diese Frage JETZT beantwortet werden.

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