Liebe Freundinnen und Freunde,
über den langersehnten Bericht des Bundesrechnungshofes kann ich heute leider nicht mehr sagen als das, was wir alle gewiss vermuten: dass Stuttgart 21 mit 10 Milliarden Euro ein unerhörtes Steuerverschwendungsobjekt ist, bei dem sich aber die Herrenknechts und Bilfingers und Heidelberger-Zement und ECE-Manager auf Kosten der Allgemeinheit eine goldene Nase verdienen.
Heute spreche ich über ein „Werk“ – oder „Machwerk“, bei dem es um noch viel mehr Steuergeld geht und das in der Summe genauso gesellschafts- und umweltschädlich ist: der Bundesverkehrswegeplan 2030.
Am 16. März 2016 hat Verkehrsminister Dobrindt den Entwurf dafür vorgelegt. Darin ist festgelegt, welche Verkehrsprojekte der Bund in den nächsten 15 Jahren baut und finanziert; die Länder haben davor lange Wunschlisten eingereicht. Mit ausgeklügelten Prognose- und Bewertungsverfahren werden Kosten-Nutzen-Faktoren errechnet für Bundesstraßen und Autobahnen, Wasserwege und Bahnausbau. Mehr als 260 Milliarden Euro sind vorgesehen – für über 1000 Projekte – die meisten davon für den Straßenverkehr. Damit soll der Weg soll bereitet werden für noch mehr LKW- und Autoverkehr, denn auf Wachstum zielt das Ganze.
Dieser Plan ist von den großen Umweltverbänden, von Fahrgastverbänden und sogar von der Umweltministerin ganz grundsätzlich kritisiert worden und sogar der Bundesrechnungshof beanstandet die Bewertung der Projekte grundlegend – genützt hat das bisher gar nichts. Straßenbau wird so lange „schöngerechnet“, bis er sich angeblich volkswirtschaftlich – also für uns alle lohnt.
In Wirklichkeit lohnt sich so ein Betonkurs nur für die großen Baukonzerne, Speditionen und LKW-Hersteller – und die Mehrheit hat den Schaden: Ganz unmittelbar durch Lärm, Luftschadstoffe und durch Unfälle. Im Gesundheitswesen fallen heute schon jedes Jahr 55 Milliarden Euro „Reparatur“-Kosten dafür an.
Und Schaden nehmen alle, die heute schon unter Klimawandel leiden oder am Raubbau der Energie- und Rohstoffvorräte. Vor allem im globalen Süden, wo Dürren und Überschwemmungen zunehmen, und Landvertreibung; immer mehr Menschen verlieren deshalb in ihre Existenzgrundlage und müssen fliehen.
Wir Linken haben im Bundestag beantragt, dass der vorgelegte Entwurf ganz zurückgezogen und stattdessen ein alternativer Mobilitätsplan erarbeitet wird. Das Mindeste ist ja, dass die Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele der Bundesrepublik umgesetzt werden. Und das geht nur mit weniger Verkehr.
Nun muss man natürlich die Frage stellen, WER denn einen solchen Verkehrswendeplan machen könnte? Da bin ich ganz optimistisch; es gibt viele, die viel bessere Ideen entwickeln, als dieses Betonkopfministerium: Die Umwelt- und Verkehrsverbände haben 50 Alternativvorschläge zu unsinnigen Projekten ausgearbeitet – kein einziger wurde von Dobrindt berücksichtigt.
Ich lese jeden Tag kluge Ausführungen von Bürgerinitiativen, die sich mit guten Argumenten für zukunftsgerechte Lösungen einsetzen – gegen noch mehr Straßenbau oder für bessere Bahnverbindungen. Beispielhaft will ich aus der Stellungnahmen zur geplanten Ortsumfahrung Heinersreuth zitieren: „... die Bürgerinitiative kommt zu grundsätzlich anderen Ergebnissen, das Projekt ist nicht wirtschaftlich und eine Dringlichkeitseinstufung ist nicht gerechtfertigt. ... Vollkommen außer Betracht geblieben ist … die einzige sinnvolle und realistische Alternative – die Verlagerung der Bundesstraße auf die weitgehend parallel verlaufende Autobahn ...“ und weiter: „Ein großer Teil des Schwerlast/Güterverkehrs … benützt die Bundesstraße lediglich zur Mautvermeidung. … (deshalb) würde auch bereits eine Sperrung der B 85 zwischen Unterbrücklein und Bayreuth für den Schwerlastverkehr den Bedürfnissen der Bevölkerung und den Verkehrsanforderungen entsprechen.“ Also: mit ein paar Verkehrsschildern könnten die Anwohner genauso und vor allem sofort entlastet werden – dafür braucht es keine neue Straße.
Zugegeben, ein so gigantisch verschwenderisches und zerstörerisches Ding wie dieser Tunnelbahnhof hier in Stuttgart ist nicht nochmal dabei. Aber in der Summe ist dieser Plan desaströs. Ich nehme mal den Weiterbau der A 100 in Berlin: da sollen 6,9 km Autobahn durch dicht bebautes Stadtgebiet geschlagen werden – für sage und schreibe 1 Milliarde Euro – es ist das teuerste Straßenbauprojekt und das dümmste dazu! Ja, die Zahl der Hauptstadt-Einwohner wächst; aber: seit drei Jahren nimmt die Zahl der Autos ab! Dafür steigen immer mehr in den ÖPNV oder aufs Fahrrad. Und genau dafür muss die Infrastruktur um- und ausgebaut werden. Müsste! Denn Berlin hat kein Geld. Die Milliarde vom Bund gibt´s aber nur für die Autobahn. Und wenn Berlin die nicht baut, wird das Geld für eine Autobahn anderswo eingesetzt. So ein Unsinn!
Die Verkehrsdezernentin von Bremerhafen berichtet, dass sie Geld bräuchte, um Straßen zurückzubauen – stattdessen muss sie Fahrradwege sperren, weil die Stadt kein Geld für die Reparaturen hat. Die Münchener Verkehrsbürgermeisterin hat erklärt, dass sie einen Nahverkehrsbahnhof und S-Bahn-Ausbau braucht, damit ehemalige Kasernen im Umland gute Wohnorte werden; aber 50 Milliarden sollen in neue Straßen fließen – das Nötige wird nicht finanziert.
In der absurd kurzen „Beteiligungsphase“ von 6 Wochen sind über 20.000 Einwände geschrieben worden, von denen niemand weiß, was damit passiert. Die so genannte Bürgerbeteiligung hat mit Demokratie eigentlich nichts zu tun – es geht im Verkehrsministerium nicht um Nachhaltigkeit oder um mehr Lebensqualität, nicht um bessere Bahnangebote oder überhaupt um die Mobilitätsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger. Es geht lediglich darum, den Schein zu wahren und die angebliche Akzeptanz zu erhöhen. Die grundsätzliche Orientierung auf ein Ausbauprogramm für die Verkehrsinfrastruktur – für Konzerne und Profite – steht dabei nicht zur Debatte. Das ist es wohl, was die Kanzlerin meinte, als sie sagte, dass wir eine „marktkonforme Demokratie“ bräuchten.
Diese Haltung, diese Borniertheit ist es, die den rechten Populisten Wasser auf ihre Mühlen schaufelt. Und das ist wirklich bitter: AfD-Anführer oder rechtsradikale Gewalttäter zielen auf „Sündenböcke“ und lenken den Frust auf diejenigen, die nun wirklich gar keinen Einfluss auf die Verhältnisse haben; die Geflüchteten und Vertriebenen. Das dürfen wir alle nicht zulassen!
Und es geht auch anders! Demokratische Verhältnisse – und sozialökologische Verkehrsverhältnisse können zurück gewonnen werden: Der Deutsche Städte- und Gemeindetag wirbt für die Abkehr von der autogerechten Stadt; in Berlin hat ein Bürgerbegehren für die fahrradgerechte Stadt gerade Furore gemacht: in nur dreieinhalb Wochen sind nicht nur die nötigen 20.000 Unterschriften zusammen gekommen, sondern 105.000 – ein demokratischer Push in die richtige Richtung!
Immer mehr Bürgerinitiativen gegen falsche Betonpolitik verstehen und vernetzen sich und halten durch – und für viele ist der Protest, euer Protest gegen Stuttgart 21 ein leuchtendes Beispiel!
Ich sage euch, wenn es gelingt, diesen Wahnsinn hier zu stoppen – nach all den Jahren; wenn Grube endgültig in der Grube sitzt; wenn euer großartiges Umstiegskonzept zum Tragen kommt … dann wird dies ein sehr motivierendes Zeichen setzen landauf landab – und ich danke euch auch deshalb für´s „Oben bleiben!!“