Rede (Langfassung) von Klaus Gebhard, Gründer der Parkschützer, auf der 328. Montagsdemo am 4.7.2016
S-Bahn-Ringschluss von den Fildern ins Neckartal: Längst überfällig!
Der Ist-Zustand im Filder-/Neckarraum
Der Siedlungsraum „Filder“, früher von ertragreicher Landwirtschaft auf den fruchtbaren Böden geprägt, hat in den zurückliegenden Jahrzehnten einen gewaltigen Strukturwandel erlebt. Beginnend mit dem Bau des Stuttgarter Flughafens sowie der Autobahn A8, haben sich rings um die dortigen Dörfer und Kleinstädte mehr und mehr Arbeitgeber in sich ausdehnenden Gewerbegebieten angesiedelt. Mit diesen wuchs sowohl die Zahl der Fildereinwohner als auch die der Pendler stark an. Über Jahrzehnte unbemerkt ist längs und südlich der Ost-West-Achse der A81 und der A8 zwischen Herrenberg und Kirchheim-Teck eine veritable zweite Großstadt mit inzwischen 440.000 Einwohnern sowie zahlreichen Firmen herangewachsen.
Betrachtet man den bisher erreichten Stand des Schienenausbaus, fällt sofort dessen flickenteppichartiger Zustand auf, der auch noch mit kapazitätsausbremsenden eingleisigen Abschnitten geschlagen ist. Der Schienenausbau im Siedlungsraum dieser „vergessenen zweiten Großstadt“ hat nicht annähernd mit der Aufsiedlung und dem Straßenausbau Schritt gehalten.
Autopendler, die etwa von Bernhausen zu den Daimlerwerken in Sindelfingen wollen, können dank A8 und Autobahnkreuz Vaihingen in einem Rutsch an ihr Ziel gelangen. Auf der Schiene ist dies seit Jahrzehnten nur mit Umsteigen in Stuttgart-Rohr möglich. Und während die Bernhausener Berufspendler immerhin noch einen S-Bahn-Anschluss vor Ort haben, geht es schon einen Nachbarort weiter östlich in Sielmingen oder Neuhausen/Filder nicht mehr ohne Bus- oder Park-and-ride-Zubringer. Die attraktivitätsausbremsende Wirkung von ein- oder gar mehrmaligen Umsteigenotwendigkeiten darf insbesondere mit Blick auf unpünktliche Bahnen nicht unterschätzt werden. Im Verbund mit hohen Preisen und einem kleinkarierten Zonensystem führen diese trotz allem Ärger über Dauerstau auf den Straßen gleichwohl zu einer höheren Attraktivität der Fahrt mit dem eigenen Wagen, mit allen bekannten umwelt- und gesundheitsgefährdenden Folgen.
Offizielle Schienenausbaupläne für den Filder-Neckarraum
Wie verzagt und visionslos der Schienenausbau auf den verkehrlich hoch belasteten Fildern offiziellerseits betrieben wird, zeigt exemplarisch der angekündigte Ausbau der dortigen S-Bahn-Linie S2. Gerade einmal um 4 km soll die bisher in Bernhausen endende Strecke über Sielmingen bis Neuhausen/Filder verlängert werden. Und obwohl diese Strecke weitestgehend oberirdisch über flaches Land auf der alten Trasse der stillgelegten Filderbahn geführt werden soll, wird sie in einigen Abschnitten nur eingleisig geplant! An eine Weiterführung dieser Linie von Neuhausen bis hinunter ins 12 km entfernte dicht besiedelte Neckartal denkt auf offizieller Ebene so gut wie niemand. Der für den S-Bahn-Betrieb und Netzausbau zuständige Verband Region Stuttgart (VRS) steckt lieber mehr als einen ganzen Jahresetat in das Projekt Stuttgart 21, von dem die Fildergemeinden gar nichts haben, da die ICEs und IREs auf dem Weg zu ihrem nächsten Halt in Ulm an allen Fildergemeinden nur vorbei brausen werden. Ja schlimmer noch: Auf dem S-Bahn-Streckenast von Rohr zum Flughafen sollen nach dem Willen der S21-Versteher auch noch die Gäubahnzüge zwangseingefädelt werden – eine weitere Erosion der ohnehin schon schwer ramponierten Pünktlichkeit im S-Bahn-Verkehr wäre unvermeidlich. Und schließlich macht diese politisch erzwungene Mischverkehrsnutzung einer für reinen S-Bahnverkehr ausgelegten Trasse zugleich alle Hoffnungen auf eine S-Bahn-Taktverdichtung für alle Zeiten zunichte. Von der Bahn an Anlieger zu bezahlende Lärmschutzfenster machen diese gravierenden Rückschritte im schienenverkehrsmäßig ohnehin schon untererschlossenen Filderraum in keiner Weise wett.
Was zur nachhaltigen Verkehrsentlastung des Filderraums tatsächlich notwendig ist
Die Filderschutzgemeinschaft fordert ihn schon lange, noch einmal verstärkt seit dem Filderdialog: Den Ringschluss der S-Bahn hinunter ins nur 12 km entfernte Wendlingen im dicht bevölkerten Neckartal. Weil der eigentlich für S-Bahn-Planungen zuständige VRS weiterhin fast all seine Ressourcen in das aufgabenfremde Projekt Stuttgart 21 steckt, haben sich in bürgerschaftlicher Eigeninitiative eine Gruppe Ingenieure und ein Baubürgermeister i.R. daran gemacht, mögliche Trassierungen für den überfälligen S-Bahn-Lückenschluss zu erkunden. Anhand von ausgiebigen Kartenstudien, Luftbilderauswertungen und Vor-Ort-Begehungen wurden schließlich zwei verschiedene Varianten ermittelt.
Die im Wortsinn naheliegendste, weil östlich von Neuhausen schnurstracks entlang der Autobahn A8 nach Wendlingen hinab führende Variante 1 hat, von Bernhausen ab gemessen, eine Länge von 12,7 km. Zwei Kilometer länger ist die Variante 2, die wir wegen ihres Bogens um Köngen herum auf den Namen „Köngen-Turn“ getauft haben. Sie verspricht die nachhaltigste Entlastung auf der dauerüberlasteten Ost-West-Straßenverkehrsachse der „übersehenen Großstadt“ zwischen Herrenberg und Kirchheim/Teck.
Der „Köngen-Turn“
Diese auf den ersten Blick beinahe etwas „abwegig“ wirkende Streckenführung mit ihrer von Norden her eingefädelten Zufahrt zum Wendlinger Bahnhof eröffnet auf den zweiten Blick tatsächlich die faszinierendsten Verbindungsoptionen zwischen Vaihingen und Wendlingen, ja großräumiger gedacht und besehen sogar zwischen Herrenberg bzw. Böblingen und der Filderebene einerseits und Kirchheim/Teck, Plochingen und Nürtingen – eventuell sogar Neuffen – andererseits.
Die Strecke von Vaihingen bzw. Rohr wird angesichts von 440.000 Einwohnern der „vergessenen zweiten Großstadt“ selbstverständlich durchgängig zweigleisig ausgebaut. Das betrifft auch den aus wenig vorausschauender Sparsamkeit nur eingleisig gebauten bestehenden S-Bahn-Tunnel unter dem Flugfeld des Echterdinger Flughafens hindurch, der in Anbetracht des zu erschließenden Fahrgastpotentials unbedingt mit einer zweiten Röhre nachgerüstet werden muss. Die Verlängerung der beiden S-Bahn-Linien geschieht bis Neuhausen auf derselben Trasse, die derzeit in Planung begriffen ist – nur eben durchgängig zweigleisig und mit dem Unterschied, dass sie am dortigen Ortsrand nicht endet, sondern schon weitergedacht ist. Dazu wird Neuhausen entweder mit einem kurzen Tunnel samt ortsmittiger Haltestelle unterfahren oder auf seiner Nordrandseite umfahren. Bei letzterer Streckenführung ließe sich etwa auf Höhe der Neuhausener/Denkendorfer Raststätte ein Zubringer-Verkehrsknoten einrichten, zu dem vertaktete Busverbindungen aus Ostfildern, Denkendorf, Neuhausen und Wolfschlugen geführt werden. Damit kämen diese Filderorte erstmals in den Genuss sinnvoller Anschlüsse.
Kurz vor der A8-Autobahnbrücke über das tief eingeschnittene Sulzbachtal im Osten von Neuhausen vereinen sich die beiden möglichen Neuhausenvarianten wieder. Die Bahn hat dort mittlerweile den für die Stuttgart 21-ICE-Trasse nach Wendlingen benötigten neuen Eisenbahnviadukt über das Sulzbachtal fertig gestellt. Es bietet sich förmlich an, diesen nagelneuen 2-gleisigen Viadukt für die Ringschluss-S-Bahn-Linien zu nutzen. Nicht im Mischverkehr von ICE und S-Bahn, wie vom VRS vorgeschlagen, sondern durch Verzicht auf Stuttgart 21. Dieser große, fertige, umgenutzte Viadukt würde folglich die Ausstiegskostenrechnung aus S21 nicht belasten!
Während Variante 1 auf der okkupierten S21-Trasse längs der Autobahn vollends auf direktem Weg ins Neckartal hinabführt, überquert Variante 2 in etwa auf halbem Weg ins Neckartal die Autobahn A8 und wendet sich dann ein kurzes Stück nordwärts. Auf diese Weise kann Köngen mit seinen 10.000 Einwohnern einen eigenen S-Bahn-Halt an seinem nordwestlichen Ortsrand erhalten, den auch die Bewohner des nur 3 km entfernten Denkendorf per Park-and-Ride mitnutzen könnten. Die zweite Hälfte des „Köngen-Turns“ taucht sodann in einen kurzen Tunnel ab, mit dessen Hilfe
a) der Ort geräuschlos passiert werden kann, und
b) in dessen Verlauf möglichst viel Höhe abgebaut werden soll.
Denn die Filderebene fällt bei Köngen in einer markanten und nicht unbeträchtlichen Geländestufe steil zum Neckar hin ab. Um die sich an den Tunnel anschließende, direkt hinter dem Köngener Paketpostzentrum vorbeiführende S-Bahn-Brücke über den Neckar möglichst unauffällig durch den Talgrund führen zu können, ist dieser kurze Abstiegstunnel nötig. Diese Brücke gabelt sich Y-förmig in zwei Äste auf. Ein Ast fädelt nach der Neckarüberquerung nordwärts in Richtung Wernau-Plochingen in die Neckartalbestandsstrecke ein, während sich der südliche Ast dem nahegelegenen Wendlinger Bahnhof zuwendet. Zoomt man hier nun zurück auf die anfängliche Großraumbetrachtung, wird der Mehraufwand des Bogens um Köngen in einem kurzen Tunnel mit anschließender Y-Brückenkonstruktion plötzlich plausibel und rechtfertigbar:
Die beiden heute von S-Vaihingen her kommenden S-Bahn-Linien S3 bis Flughafen und S2 bis Bernhausen können gemeinsam bis Köngen-Nord geführt werden, von wo ab sie sich dank Y-Brücke verzweigen: Eine Linie nach Norden über Wernau nach Plochingen mit Umsteigemöglichkeiten vom und ins Filstal; die andere S-Bahn-Linie nach Süden über Wendlingen und Oberboihingen nach Nürtingen. Oder gar, wenn die „Tälesbahn“ elektrifiziert würde, bis hinauf nach Neuffen, was bis zum unmittelbaren Fuße der Alb noch einmal eine Einwohnerschaft von 20.000 Menschen ans S-Bahn-Netz anschließen würde.
Voilà: Die Ost-West-Schienen-Autobahn
Die elektrisierendste Option aber, die sich erst durch die Zufahrt nach Wendlingen von Norden her eröffnet, ist die Möglichkeit, ohne Zugwende und ohne Umstieg von den Fildern her kommend auch noch weiter nach Kirchheim/Teck fahren zu können! So ist dank der „Köngen-Turn“-Lösung eine neue S-Bahn-Linie S10 denkbar, die von Kirchheim kommend erstmals über Wendlingen hinauf auf die Fildern durch mehrere angeschlossene Fildergemeinden zum Flughafen, und von dort weiter nach Echterdingen, Leinfelden, Rohr und über die Rohrer Kurve weiter nach Sindelfingen/Böblingen bis Herrenberg verkehrt.
Mit diesen drei sich eröffnenden S-Bahn-Linienführungen (S2, S3 und S10) wäre erstmalig der gesamte südliche Metropolraum ökologisch und leistungsstark getaktet verbunden! Das Gebiet von Kirchheim/Teck mitsamt dessen Einzugsgebiet Lenninger Tal, das Plochinger Filstal, das Nürtinger und Wendlinger Neckartal wären endlich mit den mittleren Fildergemeinden und dem Flughafen, den großen Arbeitsplätzekonzentrationen in Vaihingen, Sindelfingen, Böblingen-Hulb bis Gärtringen und Herrenberg direkt und komfortabel per Schiene verbunden!
So, und nur so, macht auch die Investition in die Rohrer Kurve Sinn: Nicht für jede Menge Nachteile durch Mischverkehr auf einer reinen S-Bahn-Strecke, sondern für eine kreuzungsfreie leistungsfähige S-Bahn-Verbindung analog der Funktion des Vaihinger Autobahnkreuzes. Erst dadurch wird das Umsteigen auf eine autobahnenparallele S-Bahn-Schienenverbindung attraktiv! Nur so bietet sich die Chance, die endlosen Pendlerstaus zu reduzieren.
Der Gewinn der Ringe
Das Ringschluss-Konzept, das uns vorschwebt, sieht so aus: Am westlichen Filderrand bekommt der Vaihinger Bahnhof einen zusätzlichen Bahnsteig, an dem die überregionalen Fahrgäste aus den Gäubahnzügen bequem in die S-Bahnen Richtung Flughafen umsteigen können. Die Schnellzüge, die im Osten über die Neubaustrecke von Ulm her kommen, halten in Wendlingen. Von dort aus können die Passagiere mit Fahrtziel Flughafen vom selben Bahnsteig aus in die S-Bahn zum bereits existierenden S-Bahnhof direkt unter dem Abflugterminal umsteigen. Dieser Umstieg in Wendlingen ist allemal bequemer als die Weiterfahrt zu einem neuen Flughafen-Fernbahnhof (nomen est omen!), der in 27 Meter Tiefe liegen soll und von dem aus man erst einmal an die Oberfläche kommen und dann mitsamt seinem Gepäck noch einen viertel Kilometer zu Fuß zum Terminal laufen muss! Dasselbe gilt für die Bahnfahrgäste aus dem Raum Tübingen, Reutlingen, Nürtingen.
Die Passagiermehrheit der stets gut ausgelasteten REs und IREs aus Richtung Tübingen will allerdings gar nicht zum Flughafen. Nicht ohne Grund halten fast alle diese Züge auch in Plochingen, Esslingen und Bad Cannstatt.
Lückenschluss contra Flächenfraß
14 Kilometer Schienenlückenschluss, wie vorgeschlagen, würden all die geschilderten Optionen eröffnen und könnten die ewige Spirale aus Straßenausbau und Fahrbahn-Vermehrung und doch immer nur neu generiertem Verkehrszuwachs endlich stoppen. Der anhaltende Flächenfraß durch die Straße – wie die geplante Fahrbahn-Vermehrung der A8 zwischen Flughafen und Wendlingen von 6 auf 8 Fahrspuren –, würde durch Investition in eine Ost-West-Schiene obsolet werden.
Das dabei eingesparte Geld wäre eine gute Anschubfinanzierung für das natürlich nicht ganz billige S-Bahn-Ringschluss-Projekt. In Anbetracht der für 4 km S-Bahn-Verlängerung bis Neuhausen gehandelten Beträge muss für den S-Bahnringschluss mit gut einer Milliarde Euro gerechnet werden. Doch diese Geldausgabe wäre für alle davon profitierenden Teilgemeinden der vergessenen Großstadt südlich von Stuttgart tausend Mal mehr wert, als fern am Horizont ab und an einen ICE von Stuttgart-Flughafen über die Alb an allen Orten vorbei nach Ulm fahren zu sehen.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Doch ein Letztes muss auch jedem glasklar vor Augen stehen: Mit Stuttgart 21 bleibt dies auf Jahrzehnte hinaus ein unrealistischer Traum! Land, Stadt und Region haben sich auf Jahre und Jahrzehnte hinaus mit dem Fass-ohne-Boden-Projekt Stuttgart 21 selbst gefesselt und geknebelt. Um aus dieser tragischen Selbst-Gefangenschaft herauszukommen, braucht es politischen Druck; politischen Druck gegen Stuttgart 21 ebenso wie politischen Druck für die Lösung der realen Verkehrsprobleme vor unserer Haustür! Mit Stuttgart 21 wird es für die Einwohner der „vergessenen Großstadt“ keinen verkehrlichen Befreiungsschlag geben können, werden die Straßen voll und die Luft wie die Ackerböden von giftigen unsichtbaren Schadstoffen stark belastet bleiben.
Nutzen Sie deshalb mit uns zusammen die sich immer deutlicher abzeichnenden Schwächen, Verzögerungen und Verteuerungen des Projekts Stuttgart 21. Sie sind unser Hebelansatzpunkt, um das völlig fehlgeplante Unsinnsprojekt aus den Angeln zu heben. Seien Sie mit dabei bei unserem Projekt „Raus aus der Grube, Umstieg jetzt!“