Rede von Dr. Eisenhart von Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher für das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der 323. Montagsdemo am 30.5.2016
Die Entschwärzung des Kanzleramts
Liebe Anwesende, Freundinnen und Freunde,
im ungleichen Kampf David gegen Goliath hatte es einen besonderen Reiz, das Kanzleramt kraftvoll vor den Kadi zu bringen mit dem Bemühen, die massive Einflussnahme der Bundesregierung auf den Weiterbau von Stuttgart 21 als rechtswidrig zu entschwärzen.
Schon vor dem Prozesstermin am 26. Mai und durch das Prozessergebnis haben wir letzte Woche und heute eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit erreicht. Der Kampf ums Recht mit dem Kanzleramt geschah auf Augenhöhe. Die treibende Kraft seid Ihr. Unser aller Erfolg gelang in drei Etappen:
Ende August 2014 gab uns das Kanzleramt teilweise stark geschwärzte Vermerke an Ex-Kanz-ler-amtschef Ronald Pofalla und an Kanzlerin Angela Merkel heraus. Dann gelangen nach umfassender Klagebegründung im Juni 2015 weitere Entschwärzungen der fünf Vermerke (siehe die Website strafvereitelung.de), speziell der Vermerk vom 5. Februar 2013 an die Kanzlerin ergibt, dass geheime Unterlagen für Staatssekretär Odenwald publik wurden und nach aktuellen Berichten die Bundesvertreter im Bahn-Aufsichtsrat wegen der Kostenentwicklung „auf einen Ausstieg aus dem Projekt drängen“.
Wir waren also damals dicht am Ziel. Allerdings hat dies die Kanzlerin alarmiert und ihre Gegenreaktion ausgelöst, indem sie selbst und führende Wegbegleiter Mitte Februar auf allen Medien das Machtwort verkündeten, S21 wird gebaut, auch wenn es für die Bahn unwirtschaftlich ist.
Jetzt ist der zentrale Vermerk vom 5. Februar noch weiter entschwärzt: Wir wissen nun, dass der stärkste Widerstand gegen den Weiterbau von S21 aus dem Verkehrsministerium kam, denn Staatssekretär Odenwald fürchtete, der Weiterbau werde auf Kosten anderer wichtiger Infrastrukturvorhaben gehen. Das sagen wir auch. Neu ist ferner: Das Kanzleramt setzte im Wissen um den Willen der Kanzlerin alles daran, „das Scheitern des Projekts auf der Zeitschiene zu verhindern“, weshalb sich das Verkehrsressort und der Aufsichtsrat „zügig“ auf den vom Bahnvorstand für den Weiterbau von S21 vorgestellten Finanzierungsweg einlassen sollten, die Schulden der Bahn auf zehn Jahre zu strecken. Damit wollte man erkennbar kaschieren, dass die Bahn sich mit dem Weiterbau schädigt. Staatssekretär Odenwald wurde dann bis Mitte Februar 2013 auf die gewünschte politische Linie gebracht.
Solche entscheidungsbezogenen Aktivitäten gegenüber dem Aufsichtsrat und weisungsähnliche politische Einwirkungen, die den führenden Staatssekretären im Aufsichtsrat die sachfremde, linientreue Entscheidung abverlangten, erweisen sich als klare Anleitung zum Rechtsbruch.
Übrigens hat das Kanzleramt verbliebene Schwärzungen mit Verschwiegenheitspflichten zur Rolle namentlich genannter Aufsichtsräte im Bahn-Aufsichtsrat begründet. Das war für mich vielsagend genug und die Bewertungen im letzten Vermerk nicht so bedeutsam, so dass ich auf die frei gegebenen Schwärzungen zugegriffen habe, um damit jetzt wirksam zu werden. Wer weitere Entschwärzungen durchsetzen will, kann es beantragen und darauf klagen, ich informiere ihn gerne, nur wären damit Kostenrisiken und ein jahrelanger Prozess verknüpft.
Zum Zweiten komme ich zu den Terminen des Bahn-Aufsichtsrats am 8. Juni und am 15. Juni, erst in außerordentlicher, dann in ordentlicher Sitzung.
Wahrhaftig „außerordentlich“ ist, wie der Bahnvorstand schizophren die öffentlichen Interessen am Güterverkehr, bei den Nachtzügen und beim geplanten Stellenabbau – im Grunde die ganze Bahn mutwillig schädigt.
Das passt genau zur Brisanz der Entwicklung bei Stuttgart 21. Wie Ihr wisst, hat der Bahn-Aufsichtsrat in seiner letzten Sitzung Mitte März 2016 auf die von uns veranlassten Gutachten des Sachverständigen Dr. Vieregg reagiert, dass die Kosten von S21 auf 10 Milliarden Euro steigen werden und dass der Ausstieg mindestens vier Milliarden Euro günstiger kommen wird als der Weiterbau. Dazu und zu seiner persönlichen Haftung soll der Aufsichtsrat jetzt fundierte gutachtliche Bewertungen erhalten. Klar ist, dass er die Gutachten von Dr. Vieregg nicht mit blanken Behauptungen der Bahn wegwischen kann. Danke deshalb auch an die Ingenieure 22 für ihr vertiefendes, begründetes Schreiben an die Aufsichtsräte.
Alle bisherigen Strafanzeigen gegen die tatverdächtigen Bahnmanager, Aufsichtsräte und ihre Pofallas wurden ja nicht wegen fehlender Untreue abgewiesen, sondern „weil ihnen nicht bewusst gewesen sein muss, dass die Ausstiegskosten aus dem Projekt geringer seien als die Kosten der Fortführung“. Das ist ein schlechter Witz angesichts der Tatsache, dass das Verkehrsressort die Berechnung der Bahn für „nicht belastbar“ erklärte und die Weiterbau-Entscheidung politisch herbeigenötigt wurde.
Ende April hat sich der Berliner Justiz-Senator Heilmann (CDU) in einem nichtssagenden Schreiben über allen dringenden Untreueverdacht hinweggesetzt. Seine Parteiinteressen waren ihm wichtiger als der Rechtsstaat. Vielleicht wird das die Berliner bei ihrer Wahl am 18. September noch interessieren.
Mit der Offenlegung aller Fakten auf der Website strafvereitelung.de erzeugen wir Transparenz, „Glasnost“, einen generalpräventiven Warneffekt: Die Aufsichtsräte können sich nicht ungestraft ein zweites Mal auf Unwissenheit berufen. Sie sind klug beraten einzulenken. Wir wünschen ihnen und uns, dass sie diesmal im Juni 2016 richtig entscheiden und den Umstieg einleiten. Wir werden das wachsam beobachten und dann darauf reagieren.
Zum Dritten: Über das zweite Stuttgarter Bürgerbegehren gegen die verfassungswidrige Mischfinanzierung von Stuttgart 21 wird am 14. Juni beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt. Solcher Verfassungsverstoß macht die S21-Verträge nichtig, das darauf gestützte Urteil wäre für die Stadt bindend, das Projekt stünde vor dem Ende. Das Prinzip ist, wer als Hoheitsträger die Aufgabe inne hat, muss auch die Kosten tragen und darf sich nicht von Fremdfinanzierungen abhängig machen. Die Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Mannheim haben die Mitfinanzierung der Stadt dennoch für zulässig gehalten, weil sich die Bundesaufgabe für das Schienennetz mit kommunaler Planungshoheit überschneide. Das Bundesverwaltungsgericht hat so etwas bisher aber nur einmal zugelassen, als die Bahn im Interesse einer Gemeinde deren Aufgabe zur Schülerbeförderung übernommen hatte und mitfinanzieren ließ, was mit S21 nicht vergleichbar ist. Der Bahnrechtsexperte Prof. Urs Kramer hat uns neuerdings in einer Fachzeitschrift Rückendeckung für unsere Sache gegeben. Die Verhandlung am 14. Juni wird also spannend werden. Auch wenn treffende Argumente und die Hauptvertretung durch unsere Berliner Kanzlei für uns sprechen, hängt aber viel vom richterlichen Vorverständnis ab.
Zum Schluss: Im Kampf für den Umstieg auf den modernisierten Kopfbahnhof halten wir brennende Eisen im Feuer, wir schaffen Signale für den Umstieg – wie mit Euch letzte Woche mit der Plan B-Gruppe, wir bleiben eisern dran, OBEN BLEIBEN!