Rede von Matthias von Herrmann, Parkschützer, auf der 321. Montagsdemo am 9.5.2016
Verkehrsknoten Stuttgart – was brauchen wir eigentlich?
'Stuttgart 21 wird zum Spät-Bahnhof.' Diese Überschrift des SWR ist zwar sehr treffend, war aber vermutlich nicht so wörtlich gemeint, wie man sie online lesen konnte. Durchaus ernst gemeint war kurz darauf jedoch die Überschrift 'Ist das Mammutprojekt zu klein geplant?'. Erstaunlich, wie so glühende Tunnelbahnhof-Befürworter wie der S21-Erfinder Prof. Heimerl und der SSB-Technik-vorstand Arnold inzwischen doch merken, dass die Kapazität von Stuttgart 21 nicht ausreicht. Herzlichen Glückwunsch zu dieser revolutionären Erkenntnis!
Nun wäre allerdings zu hoffen, dass der nächste Schritt der Erkenntnis nicht ganz so lange braucht: Der Kapazitätsengpass S21, über den die Herren reden, wird ja gerade erst gebaut! Bislang hat Stuttgart beim Fern- und Regionalverkehr keinen Kapazitätsengpass, sondern einen gut funktionierenden Bahnhof mit üppigen Reserven. Ein massives Kapazitätsproblem besteht allerdings schon – nicht etwa beim Fern- und Regionalverkehr, sondern bei der Stadtbahn.
Schon vor Jahren wurde Bürgermeister Wölfle in einer Schülerdiskussion gefragt, ob niedrigere Ticketpreise denn dazu beitragen könnten, dass mehr Menschen vom privaten PKW auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Herr Wölfle gab die ehrliche Antwort, dass niedrigere Preise nicht mehr Menschen in die Stadtbahnen bringen könnten, weil die SSB schlicht nicht die Kapazität hat, um zu Stoßzeiten in der Innenstadt mehr Menschen zu befördern. Ein trauriges Eingeständnis.
Wie schön wäre es, wenn die Strecken und Haltestellen der Stadtbahn – ganz wie unser Kopfbahnhof – so großzügig ausgelegt wären, dass sie jederzeit ausreichend Platz und Kapazität für zusätzliche Bahnen und zusätzliche Fahrgäste bieten. Wenn die Busse und Bahnen alle fünf Minuten zuverlässig fahren würden, sodass ich mir um Anschlüsse keine Gedanken mehr machen muss.
Es wäre doch schön, wenn die Herren Heimerl, Kuhn und Arnold, wenn Stadt und SSB sich Lösungen für dieses Kapazitätsproblem überlegen würden; also echte Lösungen, solche, die nicht darin bestehen, Leute durch immer höhere Ticketpreise von der Nutzung der Stadtbahn abzuhalten.
Jeder von uns, der zu entsprechenden Zeiten auf den entsprechenden Strecken unterwegs ist, kennt das Problem: In Bussen und Bahnen kommt man sich vor wie in der Sardinenbüchse; an jeder Haltestelle wird die Verspätung größer, weil immer noch mehr Menschen reindrängen und die Türen der schon übervollen Bahn nicht mehr zugehen; Busse lassen Haltestellen aus, weil sie die vielen dort Wartenden ohnehin nicht mehr aufnehmen können … Noch mehr Fahrgäste will man sich in diesen Bussen und Bahnen tatsächlich nicht wünschen.
Hingegen würden wir uns wünschen, dass die SSB daran arbeitet,
- Busse und Bahnen wieder pünktlich und zuverlässig zu machen und allen Fahrgästen ausreichend Platz zu bieten. Genügend Platz auch für Kinderwägen und Fahrräder, sogar im Berufsverkehr!
- Strecken und Haltestellen so auszubauen, dass sie jederzeit genügend Platz und Kapazität für zusätzliche Bahnen und Fahrgäste bieten.
- das gesamte System des öffentlichen Nahverkehrs so komfortabel, attraktiv und preiswert zu machen, dass sich die Frage „Auto oder Bus & Bahn“ erst gar nicht stellt.
Eine solche SSB würde auch viel zur Lösung der anderen drängenden Probleme beitragen, die wir hier in Stuttgart tatsächlich haben: Lärm, Feinstaub, Dauerstau.
Leider sieht die Realität anders aus. Leider ist die Erkenntnis bei Herrn Arnold noch nicht so weit gediehen: Statt dieses reale Kapazitätsproblem anzugehen, akzeptiert er, ebenso wie der oberste SSB-Aufsichtsrat OB Kuhn, dass für S21 auch noch wichtige Stadtbahnstrecken gekappt werden – die eh schon knappe Kapazität wird durch die S21-Baustellen weiter reduziert, der Ausbau der Stadtbahn langfristig massiv behindert, wenn nicht gar verhindert.
Um dazu beizutragen, dass die Erkenntnis bei den Verantwortlichen weiter gedeiht, können Sie mithelfen, die gelben Flyer zur anstehenden Stadtbahn-Unterbrechung zu verteilen, z.B. gleich im Anschluss entlang des Demozuges an Passanten; oder in der Klettpassage und an den betroffenen Stadtbahnhaltestellen an Fahrgäste ... Lassen Sie uns die Stuttgarter Bevölkerung per Flyer informieren, dass Stuttgart 21 der Grund für die nervigen Streckensperrungen ist.
Oben bleiben!