Rede von Dr. Eisenhart von Loeper, RA und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, auf der 315. Montagsdemo am 21.3.2016
Bahn-Aufsichtsrat lässt Kosten und Haftung prüfen – und was kommt dann?
Liebe Anwesende, Freundinnen und Freunde,
es gab bei uns das Zusammenspiel dreifacher Zugänge und Einwirkungen, bevor sich letzte Woche einiges im Bahn-Aufsichtsrat bewegte:
Mitte Dezember hatten wir vor dem Bahntower das erste Vieregg-Gutachten demonstrativ dem Pressesprecher der Bahn übergeben und letzte Woche sind viele von uns erneut nach Berlin gereist, um uns dort einzubringen – erstmals auch mit einer Szene, die Grube, Kefer und Pofalla hinter Gittern zeigte und vor strafbarer Untreue warnte. Es gab, auch finanziell, Eure stärkende Hilfe und die fachliche Mitwirkung über die Ingenieure22, die Netzwerke bis zum Aktionsbündnis, um beide Gutachten der Verkehrsberatung Dr. Vieregg-Rössler vorzulegen. Die Botschaft war klar: Ausstieg aus Stuttgart 21.
Denn es sind Projektkosten von 10 Milliarden Euro zu erwarten und der Umstieg auf den verbesserten Kopfbahnhof käme etwa sechs Milliarden Euro billiger als der Weiterbau. Diese Faktoren ließen sich bündeln zu einer dritten Einwirkung: Wie schon vor drei Jahren und mit der damaligen Erfahrung im Rücken haben wir im Januar und Februar diesen Jahres sämtlichen 20 Aufsichtsräten individuell eindringlich per Einschreiben klar gemacht und mit Regierungsvertretern Gespräche geführt, dass wir als Freunde der Bahn und juristisch flankiert alles für das Ziel einsetzen. Der Aufsichtsrat ist gut beraten, wenn er nicht erneut durch Weiterbau von S21 die eigene Zukunft aufs Spiel setzt, indem er öffentliche Mittel in Milliardenhöhe strafbar veruntreut.
Siehe da, es hat Unruhe ausgelöst und gewirkt: die Sache wird ihnen langsam zu heiß. Die Bahn-Aufsichtsräte wollen ihre persönliche Haftung nicht riskieren. Laut Stuttgarter Zeitung sollen die Wirtschaftsprüfer von PwC (PricewaterhouseCoopers) deshalb bis zur nächsten Sitzung im Juni eine gutachtlich vertiefte Darstellung der Kosten und Risiken zu S21 vorlegen. Wir sagen Vorsicht, das kann nur Sinn machen, wenn sie intensiv und seriös auf die Gutachten von Dr. Vieregg eingehen, nämlich auf die Kostensteigerungen im Zentrum des Tiefbahnhofs, durch Neuplanungen im Filderbereich und durch bahnseits früher schon eingestandenen Zeitaufschub der Planungen von 32 Monaten.
Natürlich befürchten viele, das werde eine neue Mogelpackung –
oder aber es kommt etwas Licht in den Tunnel, weil auch die neuen Aufsichtsräte und die Staatssekretäre sich ihre Zukunft nicht wegen Stuttgart 21 verbauen und sich auch nicht den Stress schlafloser Nächte antun wollen. Sie wissen jedenfalls, dass wir am Ball bleiben.
Genau deshalb wird nun der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Felcht gutachtlich auch die Haftungsrisiken untersuchen lassen, denen sich die Bahn-Aufsichtsräte nicht folgenschwer aussetzen wollen. Ich vermute, dass hierzu auch unsere schriftlichen Hinweise einbezogen werden, denn die Rechtsauskünfte erfordern eine gesicherte Faktenbasis und der Anwalt haftet selbst für falsche Auskünfte. Die Sympathie der Aufsichtsräte für Stuttgart 21 stößt hier an ihre Grenzen.
Freundinnen und Freunde, damit haben wir etwas bewirkt. Zu wünschen ist, dass die Gutachten zur Wahrheitsfindung beitragen und gesichtswahrend den Weg des Aus- und Umstiegs von S21 ermöglichen. Meine Bitte an uns alle ist, jetzt stärker denn je das gemeinsame Interesse, das Miteinander für die Zukunft aller zu betonen und auf gute Bahn statt Tunnelwahn zu setzen. Günstige Begleiteffekte dafür können aus folgenden Faktoren hervorgehen:
1. Die Staatssekretäre im Aufsichtsrat drängen auf echte Klärung – wie zuerst schon vor drei Jahren, bis damals der harsche politische Druck kam. Dazu dürfte es jetzt aber kaum kommen. Denn unsere Kanzlerin ist mit dem Flüchtlingsthema und seinen Folgen beansprucht. Der Wandel bei S21 hat gerade deshalb jetzt eine Chance, weil die politischen Spitzen aktuell damit nicht mehr Sieg oder Niederlage verknüpfen. Das Kanzleramt wird sich wohl auch keinem weiteren Prozess um Entschwärzungen amtlicher Vermerke aussetzen, zumal der jetzige – vielleicht ergiebig für uns – am 26. Mai beim Verwaltungsgericht Berlin verhandelt wird.
2. Unsere Einwirkungen können ferner Auftrieb erhalten, weil der Bundesrechnungshof in Kürze seine abschließende Prüfmitteilung zum früheren Verhalten der Staatssekretäre im Bahn-Aufsichtsrat abgeben wird. Sobald der Verkehrsausschuss des Bundestags das Ergebnis erhält, will der Bundesrechnungshof auch uns den Informationszugang ermöglichen, wie eine Besprechung vom 16. März in Berlin ergeben hat.
3. Und weil die Dinge im Ungewissen liegen, bleiben wir auch strafrechtlich am Ball. Vor einer Woche haben wir deshalb beim Generalstaatsanwalt Berlin eine neunseitige Eingabe zu bisherigen Verfahrenseinstellungen gemacht: wir dringen im Beschwerdeweg anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit brisanten Fakten aus dem Kanzleramt auf Ermittlungen wegen Untreue. Der bisherige Einwand der Staatsanwälte lautet: wir hätten nichts in der Hand, dass den Beteiligten der Aufsichtsratssitzung geringere Ausstiegskosten im Vergleich zu den Weiterbaukosten „bewusst gewesen sein müssen“. Das ist zu widerlegen:
a) weil die Staatssekretäre die Bahnberechnung der Ausstiegskosten für „nicht belastbar“, also falsch bezeichnet hatten, b) die Aufsichtsräte sich dem nachgewiesenen politischen Druck für den Projekt-Weiterbau gebeugt haben und c) verbleibende Fragen durch staatsanwaltliche Ermittlungen zu klären sind, andernfalls die Staatsanwälte Strafvereitelung begehen. Im Berliner Abgeordnetenhaus hat jetzt die Piraten-Fraktion eine Anfrage an Justizsenator Heilmann zu unseren Strafanzeigen gestellt, die hoffentlich noch politischen Wirbel auslösen und den Justiz-Senator als Aufsichtsbehörde in die Pflicht nehmen wird.
Diese Anfrage und weitere Unterlagen findet Ihr am Stand des Aktionsbündnisses, ebenso die Spendendose und die Kontonummer.
4. Übrigens hat die Anhörung von Sachverständigen im Verkehrsausschuss des Bundestags zur zulässigen Gleisneigung ergeben, dass selbst ein von der CDU eingesetzter Gutachter 2,5 Promille als Obergrenze für sinnvoll hält, womit die sechsfache Gleisneigung des Tiefbahnhofs sich verbietet.
Solche aktuellen KO-Kriterien, die auch beim fehlenden Brand- und Behindertenschutz bestehen, eignen sich, um den überfälligen Umstieg auf den verbesserten Kopfbahnhof einzuleiten.
Klar ist: Wir können S21 nicht weitere Jahre ins Chaos treiben lassen, bis der Bahn die Kohle ausgeht, bis sie uns einen Bautorso überlässt, bis sie Stadt und Land um Milliarden Euro erpressen könnte. Wir brauchen die Wende jetzt. Dran bleiben, oben bleiben!