Tunneltaufe mit Protest am 21. März 2014
und Prozess dazu am 22. 1. 2016 am Landgericht
Der zweite Teil eines Berufungsprozesses
Als am 22. Januar 2016 am Stuttgarter Landgericht – unter dem Vorsitzenden Richter am LG, Müller - in einem Berufungsprozess gegen Wolfgang D. verhandelt wurde, ging es um drei Anklagepunkte. Wegen des ersten Anklagepunktes („Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ nach § 113 StGB) war Wolfgang D. verurteilt worden (Siehe Bericht). Die Anklagepunkte zwei und drei bezogen sich auf eine K21-Protestaktion am 21. März 2014 und sollen im Folgenden dargestellt werden.
Tunneltaufe mit Demobegleitung
Der 21.3.2014 war nicht irgendein Tag mit irgendeiner Anti-S21-Demo, sondern es fand an diesem Tag eine Tunneltaufe im Zusammenhang mit einem Tunnelanstich am Inneren Nordbahnhof statt. Viele S21-GegnerInnen waren an jenem strahlend sonnigen Tag gekommen, um ihren Protest kund zu tun. Ihre Proteste hallten rund um das Gelände, auf dem sich die Gäste der Tunnelbetreiber des gegenseitigen Wohlwollens versicherten. Draußen trommelten die „Mönche“, und der Liedermacher Thomas Felder hielt eine alternative Tunnelrede.
Abfahrt der Gäste inmitten von Protest
Es war eine friedliche Protestveranstaltung, auch wenn die Polizei – wie durch Zeugen im Prozess dargestellt – meinte, die Demonstranten stünden kurz vor der Erstürmung des Geländes, da an einem Zaunelement gerüttelt wurde. Als die geladenen Veranstaltungsteilnehmer im Anschluss an den Tunnelanstich nach und nach zu ihren Fahrzeugen gingen um wegzufahren, wurden sie von einer Gruppe von Demonstranten begleitet, die sich am Rande des Parkplatzes nahe der Wagenhallen aufhielten. Sie wollten bis zuletzt ihren Protest gegen das S21-Projekt zeigen. Wolfgang D. schilderte am Landgericht die Situation so: „Ich wollte mich mit meinem Banner hinstellen und zeigen, dass ich mit dem Verhalten der Herren nicht einverstanden bin. Immer wieder gingen Leute von uns auf den Parkplatz und stellten sich vor die abfahrenden Autos. Die Polizei machte den Autos eine Gasse, wir wurden angesprochen und zur Seite begleitet.“
Einstellung des Verfahrens wegen „Schwächen“ im Polizeieinsatz
Was dann geschah, wurde am 21.1.2016 am Landgericht durch Polizeizeugen, den Angeklagten und seinen Rechtsbeistand dargestellt. Wie bei Gerichtsverhandlungen gewohnt, zeigte sich in den Aussagen der Zeugen, wie unterschiedlich die Wahrnehmung von Vorgängen ist und wie unterschiedlich die Einschätzung von „Gewalt“. Es ging bei der Beweisaufnahme auch um fehlende Ansagen der Polizei, um fragwürdige Einkesselung von Demonstranten und um ein „merkwürdiges“ Kompetenzverhalten des Anti-Konflikt-Teams. Alles zusammen erschien dem Richter und den Schöffen am Ende der Beweisaufnahme dann offensichtlich so undurchsichtig, dass die Anklagen von zunächst „gefährlicher Körperverletzung“ bzw. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ nach § 154,2 StGB eingestellt wurden. (Teileinstellung bei mehreren Taten. … (2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.“)
Es war wohl alles nicht so rechtmäßig
Grundlage für die Einstellung waren die Überlegungen des Richters, dass es Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einkesselung der Demonstranten gab („…ob die Einkesselung nicht hätte angekündigt werden müssen …“), Zweifel an der rechtmäßigen Auflösung der Spontanversammlung auf dem Parkplatz („… ob die Spontanversammlung anerkannt und ihre Rechtswidrigkeit hätte geprüft werden müssen…“) und dass im Falle des Widerstands gegen den Vollstreckungsbeamten die Zwangsandrohung erst hätte angekündigt werden müssen.
Natürlich tat sich die Staatsanwaltschaft schwer, die Anklage wegen Körperverletzung einzustellen (der Angeklagte soll bei der Einkesselung in einer spontanen Abwehrhaltung den Beamten absichtlich mit dem Ellenboden gegen den Oberkörper geschlagen haben und nur durch eine Schutzweste, die den Schlag abfederte, soll Schlimmeres verhindert worden sein), denn „… dass nicht der Eindruck entsteht, die Körperverletzung, so die denn stattgefunden hat, sei rechtmäßig gewesen.“
Auch die Staatsanwaltschaft stimmt der Einstellung zu
Mit dieser Einschränkung „…so sie denn stattgefunden hat …“ signalisierte selbst die Staatsanwaltschaft, dass der als Druck auf die Schutzweste empfundene Schlag – der keine Einschränkung der Dienstausübung zur Folge hatte – vielleicht doch kein vorsätzlicher und gefährlicher Angriff war, sondern die reflexartige Reaktion eines Menschen, der eine nicht angemeldete Einkesselung befürchtete, der er entgehen wollte. Immerhin löst ja der Begriff „Einkesselung“ unangenehme Assoziationen aus und ohne eine zeitliche Ansage kann die unbestimmte Dauer einer Einkesselung Panik hervorrufen.
Nach dem Antrag des Richters, die „amtsgerichtlich festgestellte Tat nach § 154,2 vorläufig einzustellen“, dem alle am Prozess Beteiligten zustimmten, erging der Beschluss des Gerichts: „Das Verfahren wird hinsichtlich der Tatziffer 3 gemäß § 154,2 StGB eingestellt, da die zu erwartende Strafe neben der im Übrigen zu erwartenden Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.“
Einstellung verhindert Aufarbeitung
Durch diese Einstellung wurden nun aber einige Problemfelder im Zusammenhang mit Demonstrationen nicht weiter aufgearbeitet.
Ein Komplex war z. B. die Einkesselung von Demonstranten, um diese abzuschirmen bzw. um – in vorauseilendem Gehorsam - mögliche Aktionen zu verhindern. Da eine solche Gewahrsamnahme eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist und Grundgesetz Art. 2 (Die Freiheit der Person ist unverletzlich) und GG Art. 8 (Versammlungsrecht) berührt, ist so eine polizeiliche Maßnahme mit viel Bedacht anzuwenden, nur im äußersten Ernstfall und vor allem nach Ankündigung.
Einkesselung ohne Ansage
Dazu ein Auszug aus der mündlichen Beweisaufnahme beim Prozess:
Rechtsbeistand Jänicke: Wurde die Gewahrsamnahme angekündigt?
Polizeizeuge: Die Umschließung selber wurde nicht angekündigt.
J: War es von Ihrer Seite so gedacht, dass den Personen nicht erlaubt sein sollte, den umschlossenen Bereich zu verlassen?
P: Es war nicht anders möglich, als das kurzfristig zu tun.
J: Es war also eine freiheitsbeschränkende Maßnahme?
P: Ja, für diesen Moment ging es nicht anders. Es war nur kurzfristig und in dem Fall das geringste Mittel.
J: Hätte die Situation auch stattgefunden, wenn Sie angekündigt hätten, wir schließen euch nun für zweieinhalb Minuten ein?
P: Der linke Flügel musste geschlossen werden, um zu verhindern, dass die Demonstranten hier durchkommen. Hätten wir das angekündigt, wären die Leute vielleicht gewalttätig geworden.
(Anm.: Die Unterstellung, dass „Leute vielleicht gewalttätig werden könnten“ darf nicht für die Aushebelung des Grundgesetzes, d.h. die Einschränkung der Bewegungsfreiheit herhalten.)
J: Sie haben also nicht kommuniziert, dass die Betroffenen umschlossen werden sollen. Alle Demonstranten haben aber das Recht, ihrem Freiheitswillen Ausdruck zu geben und sich davonzumachen. … Sie tun so, als hätte mein Mandant die Pflicht gehabt, sich einschließen zu lassen ohne zu wissen, wie lange. Alles, was er gemacht hat, interpretieren Sie als Widerstand. Ich frage nochmals: Ist es nicht vorstellbar, dass er aus Freiheitswillen rauswollte?"
Eine weitere Aufarbeitung dieses Anklagepunktes wurde abgebrochen wegen der Einstellung des Verfahrens nach § 154,2 StGB.
Strafantrag durch Mitglied des Anti-Konflikt-Teams
Auch der zweite Anklagepunkt im Zusammenhang mit der Tunneltaufe am 21.3.2014 wurde eingestellt. Es ging um den angeblichen "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", ein Vorwurf, den der Anti-Konflikt-Manager mittels seines Strafantrags zur Verhandlung gebracht hatte. Da es sich hierbei um die Rolle des Anti-Konflikt-Teams handelte, wäre die Thematik interessant gewesen. Man hätte in diesem Prozess am 21.1.2016 vor dem Landgericht die Chance gehabt, der Funktion und Kompetenz des Anti-Konflikt-Teams in Baden-Württemberg nachzugehen. Durch die Einstellung – gut für den Angeklagten, schlecht für die Aufklärung - bleibt die Problematik der Rolle des Anti-Konflikt-Teams weiterhin bestehen. So soll im Folgenden das Spannungsfeld, in dem sich Demonstranten, Einsatzbeamte und das Anti-Konflikt-Team befinden, am Beispiel von Wolfgang D. aufgezeigt werden.
Als Einsatzbeamter im Anti-Konflikt-Team – kann das gut gehen?
Im Mittelpunkt der Zeugen-Vernehmung stand hier Polizeihauptkommissar F., der mal als Einsatzbeamter, mal als Mitglied des polizeilichen Anti-Konflikt-Teams seit mehr als fünf Jahren mit K21-Demonstrationen bestens vertraut ist. Nur noch selten sieht man ihn inzwischen vor Ort, da er derzeit im Polizeipräsidium tätig ist. Doch am 21.3.2014 gehörte er zum Polizeiaufgebot bei der Tunneltaufe und stand als Anti-Konflikt-Manager auf dem Parkplatz an den Wagenhallen.
Als Zeuge – er hatte Strafantrag gegen Wolfgang D. wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ gestellt - sollte er die Situation bei der Demo schildern. Er berichtete, dass sich nach der Veranstaltung zum Tunnelanstich die meisten Demoteilnehmer entfernt hatten und noch 40 bis 50 Personen übrig geblieben und in Richtung Parkplatz gegangen seien. Die Polizei habe eine Kette gebildet und „die Herrschaften“ auf die Seite gedrängt. Das habe kurzfristig gewirkt und Fahrzeuge konnten sukzessive den Parkplatz verlassen. Es sei ihm aufgefallen, dass sich der Angeklagte immer wieder an den Blockadeaktionen beteiligt habe. Der Angeklagte sei vor ein Auto getreten und er (Anm.: Herr F.) habe ihn mehrmals gebeten, zur Seite zu gehen. Diese kommunikative Argumentation habe er mit einem Schieben begleitet. Der Angeklagte habe zunächst dagegen gedrückt und sei dann weggegangen.
Angeklagter oder Radfahrer – wer stand vor dem Fahrzeug?
Die Prozessteilnehmer schauten sich daraufhin ein Polizeivideo an, das die Situation auf dem Parkplatz zeigte. Diskutiert wurde, ob der Angeklagte D. Herrn PHK F. aktiv schiebt oder gegen dessen Drücken auf seinem Standpunkt beharrt. Da im Gerichtssaal Situationen nicht nachgestellt bzw. nachgespielt werden, oblag es der Interpretation des Gerichts, wie „schieben, drücken, stemmen oder beharren“ zu bewerten seien. Dass „Widerstand gegen Staatsgewalt“ nicht unbedingt aktiv sein muss, sondern auch ein einfaches Beharren sein kann, haben andere Prozesse gezeigt. So soll das hier nicht weiter thematisiert werden, vor allem, da auch der Richter durch die Einstellung des Verfahrens am Ende keine Antwort gegeben hat. Auch soll hier nicht diskutiert werden, dass der Angeklagte D. gar nicht ursächlich dafür verantwortlich war, dass das Fahrzeug nicht fahren konnte, sondern ein – auf dem Video gesehener – Radfahrer, der vor dem Auto stand.
„Einer von uns muss zum Augenarzt“, hatte Rechtsbeistand Jänicke nach dem Anschauen des Videos gesagt, wobei er darauf anspielte, dass sein Mandant eher neben als vor dem Auto stand und PHK F. selber durch seinen Einsatz dem Auto die Weiterfahrt versperrt hatte. PHK F. wollte möglicherweise eine Blockade des Fahrzeugs im Vorfeld verhindern, indem er gegen ihn drückte. Es war – lt. Video - tatsächlich der Radfahrer gewesen, der das Auto zum Halten gebracht hatte und er entfernte sich erst, nachdem sich Herr D. wegbegeben hatte.
Die Doppelrolle des Anti-Konflikt-Teams
An dieser Stelle soll die Funktion des Anti-Konflikt-Teams in den Fokus kommen, denn diese „sanfte Waffe“ der Polizei ist nicht nur bei allen K21-Demos anwesend, sondern unter ihnen auch meistens PHK F. Im Folgenden wird der Dialog wiedergegeben, den Rechtsbeistand Jänicke mit PHK F. führte, der an jenem Tag die Weste des Anti-Konflikt-Teams trug.
Rechtsbeistand Jänicke: Warum trugen Sie zu diesem Zeitpunkt die Weste des Anti-Konflikt-Teams?
PHK F. (Anti-Konflikt-Team): Es ist meine eigene Entscheidung. In der Regel ziehe ich diese an.
J: Welche Erlasse oder Vorschriften gibt es dazu? Was berechtigt Sie zum Tragen der Weste?
F: Ich trage sie aufgrund von Dienstvorschriften.
J: Gibt es für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs und das gleichzeitige Tragen der Weste eine Regelung?
F: Es gibt keine. Das wäre auch dumm. Wir erklären ja unsere Maßnahmen. Wenn wir im Anti-Konflikt-Team eine Weste tragen, heißt das nicht, dass wir vom unmittelbaren Zwang ausgeschlossen sind.
J: Gehört diese Art des Abdrängens zu den Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs, die gelehrt werden auf der Polizeischule?
F: Meine Ausbildung ist 35 Jahre her. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Ich sollte eigentlich reden. Ich habe auch zu Herrn D. gesagt, er soll gehen. Ich habe außerdem geschoben. Deutlicher kann man es nicht sagen. Wenn er diese Ansage verstanden hätte, wäre er heute nicht hier.
J: Sie halten Schulterdrücken für ein normales Mittel?
F: Es ist so gewesen. Ob das normal war, ist Sache des Gerichts.
J: Haben Sie in der Situation wahrgenommen, dass zu dem Zeitpunkt des gegenseitigen Drückens das Fahrzeug durch ganz andere Umstände behindert wurde? (Anm.: durch den Radfahrer.)
F: Das ist drei Jahre her, ich kann das nicht mehr beurteilen.
J: Sie waren so sehr auf Herrn D. konzentriert, dass Sie den Wegfall der Notwendigkeit Ihrer Maßnahme gar nicht bemerkt haben. Außerdem: Was wäre passiert, wenn sich Herr D. auf den Boden gesetzt hätte? Wäre das auch Widerstand gewesen? Wo ist die Grenze zum Widerstand?
Der Richter klinkte sich hier in den Dialog ein, da PHK F. dem Gedankengang von Rechtsbeistand J. nicht folgen konnte.
Richter zu PHK F.: Sie haben es jedenfalls als Widerstand empfunden.
Angeklagter D.: Die Autos sind sukzessive angefahren, die Situation hat es mehrmals gegeben. Vorher habe ich auch reagiert. Warum haben Sie nicht andere Demonstranten angesprochen, andere Optionen ausgeschöpft? Und zum Richter gewandt: Man sieht auf dem Video gut, dass es keinen Anlass gibt, ausgerechnet mich wegzuschieben. Herr F. macht einen Schritt nach hinten und verkauft das als offensive Handlung. Aber dass ich ihn wegschieben wollte, trifft nicht zu, es gab kein aktives Handeln meinerseits."
Zunächst war für Wolfgang D. die Demo bei der Tunneltaufe abgeschlossen. Vor Ort konnte er nicht erkennen, etwas Unrechtmäßiges getan zu haben, hatte doch niemand nach seinen Personalien gefragt. Erst später hatte PHK F. aufgrund von Videoaufnahmen seinen „Kontrahenden“ identifiziert und eine Anzeige wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ gemacht.
Einstellung nach § 154,2 StGB
Nach dieser Beweisaufnahme machte das Gericht eine Pause und schlug dann den Parteien (Staatsanwaltschaft und Angeklagtem) eine Einstellung nach § 154,2 StGB vor (s.o., 4. Absatz). Erfreulicherweise kam dem Gericht so manches an dem Polizeieinsatz bei der „Demo Tunneltaufe“ merkwürdig vor, zumindest hätte es noch einige Zeit gebraucht, wären alle Widersprüche und Fragestellungen zur Zufriedenheit auseinandergedröselt, analysiert und bewertet worden. Das Gericht ersparte sich diese Feinarbeit zugunsten einer Einstellung des Verfahrens. Doch leider wurde damit auch kein Licht in die Rolle des Anti-Konflikt-Teams gebracht, was höchst interessant gewesen wäre.
Konfliktmanagement der Polizei
Es wäre nämlich um das Konfliktmanagement der Stuttgarter Polizei gegangen, ein Kapitel, das an keiner Stelle auf der Website des Polizeipräsidiums bzw. auf der Website des Baden-Württembergischen Innenministeriums thematisiert wird. So ist unter den Stichworten „Konfliktmanagement“ bzw. „Anti-Konflikt-Team“ nichts zu finden. Auch das Polizeigesetz Baden-Württemberg gibt nichts her. Laut Auskunft der Pressestelle des Polizeipräsidiums hat das Anti-Konflikt-Team keine Sonderstellung, sondern es sind „ganz normale Polizeibeamte“ die nach dem Polizeigesetz und Versammlungsgesetz handeln. So bleibt der interessierte Bürger mit seinen Fragen allein.
Fragen zur Rolle des Anti-Konflikt-Teams
Welche rechtlichen Grundlagen gibt es für den Einsatz des Anti-Konflikt-Teams? Wo sind diese einsehbar? Welche Einsatzgrundsätze gibt es? Wie sieht das Leitbild des Anti-Konflikt-Teams aus? Welche Ausbildung bzw. Voraussetzungen haben Anti-Konflikt-Manager? Wie werden ihre Befugnisse gegenüber denen der anderen Einsatzbeamten abgegrenzt? Wie denkt sich der Gesetzgeber den Rollenwechsel – mal Einsatzbeamter, mal Anti-Konflikt-Manager? Ist es so gewollt und wird es als unproblematisch angesehen, dass ein Anti-Konflikt-Manager bewusst zwei Rollen inne hat, nämlich als Einsatzbeamter und gleichzeitig als Anti-Konflikt-Manager? Ist den Verantwortlichen bewusst, dass es sich hier um einen Vertrauenskonflikt handeln kann, wenn ein Beamter in beiden Positionen tätig ist?
Verspieltes Vertrauen
Ein Anti-Konflikt-Manager genießt a priori mehr Vertrauen als ein „normaler“ Einsatzbeamter. Psychologisch gesehen – und wir haben es bei polizeilichen Vorgängen zu mehr als 50 % mit Psychologie zu tun – strahlt das Anti-Konflikt-Team eine ganze Menge Vertrauen aus. Zumindest wird das mit der Anti-Konflikt-Weste amtlicherseits signalisiert. Die Weste mit der einschlägigen Aufschrift soll sagen: Schaut her, wir tun euch nichts, wir wollen bloß reden. Wir wollen es im Guten, wollen Situationen entspannen und Beschwichtigung; wollen Aggressivität aus einer Situation herausnehmen, eine Brücke zwischen Polizei und Bürger sein.
Nun erlebe ich in der Verhandlung am Landgericht, dass diese Doppelrolle von „Einsatzbeamter in Anti-Konflikt-Weste“ nicht nur für den Polizisten problematisch werden kann, sondern auch und vor allem für den vor ihm stehenden Bürger, in diesem Fall ein Demonstrant. Das Vertrauen, das der Demonstrant dem Anti-Konflikt-Manager entgegenbringt, wird erschüttert, wenn nämlich plötzlich – und in diesem Fall ohne Ansage – ein Mitglied des Anti-Konflikt-Teams unmittelbaren Zwang anwendet.
Handlungsbedarf für Gesetzgeber, Polizeipräsidium und Innenministerium
Der unbedarfte Bürger darf sich schon wundern wegen dieser Verhaltensweise von polizeilichen Einsatzkräften. Hinzu kommt, dass der Anti-Konflikt-Manager dem später Angeklagten eine Strafanzeige wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ ins Haus schickte.
Wir wollen gütig sein und den vorliegenden Vorgang als „Einzelfall“ werten, doch bleibt das Problem bestehen. Es wird Zeit, dass Polizeipräsidium und Innenministerium hier tätig werden, indem sie klare Kompetenzen und Grundlagen für den Einsatz des Anti-Konflikt-Teams schaffen.
Die Grundüberlegung wäre doch, einen Konflikt nicht eskalieren zu lassen – egal, ob bei Demos oder anderswo im polizeilichen Kontext. Dazu braucht es die ehrliche Kommunikation. Vertrauensvolle Kommunikation kann aber niemand machen, der möglicherweise Teil einer Eskalation ist. Die Realität zeigt, dass bei polizeilichen Einsätzen und Maßnahmen eine Eskalation nie ganz ausgeschlossen ist. So sollte eigentlich klar sein, dass Konfliktmanager nicht Teil der Einsatzbeamten sein dürfen. Sie sollten zu einer Einheit gehören, die unbewaffnet ist und nicht die Befugnisse des unmittelbaren Zwangs hat. Denn Anti-Konflikt-Manager können nicht gleichzeitig beides machen: kommunizieren und nebenbei „den Knüppel schwingen“. Das kann nicht funktionieren. In der Praxis würde der Anti-Konflikt-Manager, der nicht mit den Befugnissen des unmittelbaren Zwangs versehen ist, mit Bürgern in einer Konfliktsituation vertrauensvoll kommunizieren. Und erst, wenn dies als aussichtslos angesehen wird, würde sich der Anti-Konflikt-Manager zurückziehen und „das Feld“ den Einsatzbeamten überlassen. So könnte der Bürger dem Anti-Konflikt-Team unvoreingenommen, offen und vertrauensvoll gegenübertreten.
(Text und Foto: Petra Brixel)
Hallo,
ein guter Bericht. Wenn ich die Fragen zum Anti-Konflikt-Team im Bericht lese und die Tatsache, dass ein Polizist, der Frieden stiften könnte – so ist doch die Bezeichnung: Anti-Konflikt-Team zu verstehen ? – nach dem Einsatz eine Anzeige wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ macht, denke ich: Als Erstes wäre für d i e s e Polizisten ein
intensives gewaltfreies Kommunikationstraining notwendig.
Es gibt hierzu tolle Trainings,z.B. nach Rosenberg. Die Polizei könnte ihre Leute aus dem Anti-Konflikt-Team gerne dorthin schicken. Wir würden alle davon profitieren und solche Übergriffe seitens der Stuttgarter Polizei wären künftig Schnee von gestern.
Di 22.3.2016