Rede von Klaus Gebhard, Parkschützer, auf der 303. Montagsdemo am 28.12.2015
Die Untertunnelung des Fernsehturms und die sich daraus ergebenden Risiken
Werte Marathonläufer und -steher,
heute will ich Ihnen eine Initiative vorstellen, die den Schutz des Fernsehturms vor dessen bevorstehender Untertunnelung durch den Fildertunnel zum Ziel hat. Der im Februar nächsten Jahres 60 Jahre alt werdende Stuttgarter Fernsehturm war und ist der erste seiner Art und damit ein weltbekanntes Aushängeschild baden-württembergischer Ingenieurskünste. Völlig zurecht wurde er dafür von den vorhergehenden Generationen zu unserem Stadt- und Landeswahrzeichen gekürt. Doch in Zeiten des Bahnprojekts Stuttgart 21 kehrt sich diese Wertschätzung in eine unglaubliche Risikobereitschaft werteblinder Technokratenplaner um, die sich auch noch der bedingungslosen bis fanatischen Unterstützung hiesiger Minderwertigkeitskomplex-Politiker sicher sein können.
Bis heute wissen nur die wenigsten der Stuttgarter und erst recht der Baden-Württemberger, dass unser Fernsehturm untertunnelt werden soll. Und schon gar niemand weiß, dass dies obendrein auch noch in der Schicht des quellfähigen Gipskeupers à la Staufen geschehen soll. Wie auch? Wurde es ihnen doch trotz aller wiederholten Transparenzbeteuerungen der Projektbetreiber nie offen und ehrlich gesagt. Im Gegenteil: Erst dieser Tage hat der offizielle Bahnprojektsprecher Jörg Hamann in der SWR-TV-Sendung „Zur Sache Baden-Württemberg“ vor einer Viertelmillion Zuschauer im Land wider besseres Wissen gar bestritten, dass sich unter dem Fernsehturm überhaupt quellfähiger Gipskeuper befindet! Nach Ausstrahlung der Sendung hat er dem SWR gemeldet, dass ihm da ein Versprecher unterlaufen wäre. Wohlgemerkt: das hat er dem SWR gemeldet, nicht aber im SWR!
Dieses verbreitete und nun auch noch fälschlich bestärkte Unwissen aufzuklären und gleichzeitig Unterschriften gegen diese riskante Tunneltrassierung zu sammeln, sind die beiden Ziele der neu gegründeten Fernsehturmfreunde-Initiative, die zu unterstützen ich Sie bitte.
Wie sehen die Risiken für unseren Fernsehturm konkret aus?
Gipskeuper – genau gesagt: unausgelaugter anhydritführender Gipskeuper – quillt bei versehentlich hergestelltem Wasserkontakt mit brachialer Kraft um bis zu 60% in seinem Volumen auf. Unter dem Fernsehturm beginnt in 185 Meter Tiefe eine solche Gipskeuperschicht. Genau durch diese örtlich bis zu 90 Meter dicke Schicht sollen die beiden 9,5 km langen Röhren des Fildertunnels gebohrt werden. Da nun der Fernsehturm so lang und schmal ist, wäre bei einer einseitigen Anhebung seines Fundaments um nur wenige Zentimeter infolge einer Gipskeuperquellung schnell Gefahr in Verzug. Wer im Physikunterricht aufgepasst hat, weiß, dass man dies eine Hebelwirkung nennt. Mit jedem Zentimeter, den sich der Boden unter dem Turmfuß heben würde, würde sich dessen Spitze um das gut Achtfache aus dem Lot neigen.
Eine gewisse Orientierung über mögliche Dimensionen von Gipskeuper-Bodenhebungen können bereits eingetretene Schadensfälle geben. Traurige Berühmtheit hat das schöne Städtchen Staufen im Breisgau erlangt. Dessen gesamter Altstadtkern wurde durch eine nun schon 8 Jahre andauernde Gipskeuperquellung in 100 Metern (!) Tiefe um sage und schreibe über einen halben Meter angehoben! Und diese Hebungen dauern noch immer an. Jedes Jahr kommen weitere 3,5 cm dazu. Und ein Ende ist trotz aller versuchten Gegenmaßnahmen nicht in Sicht.
Spitzenreiter in Sachen Gesamthebemarge ist die Autobahn A81 bei Oberndorf am Neckar. Dort hat sich die Fahrbahn über einer relativ oberflächennahen, dafür aber weit dünneren Gipskeuperzone in 20 Jahren gar um insgesamt 2 Meter gehoben! Und auch der in derselben Geologie gebaute neue Leonberger Engelberg-Basistunnel steht dem kaum nach. Während der Bauarbeiten hob sich dessen Sohle infolge nicht gelungener Wasserabdichtung in kürzester Zeit um 1,30 Meter! Und auch nach Eröffnung dauern die unkontrollierten Quellungen weiter an und verschieben mit beängstigender Kraft bis zu 3 Meter dicke Tunnelwandsegmente gegeneinander – mit der Folge ständiger teurer Nachsanierungen, wie sie erst jetzt wieder für die nächsten beiden Jahre zur Freude der Autofahrer angekündigt wurden.
Doch orientieren wir uns wegen der halbwegs vergleichbar großen Tiefe der Gipskeuperquellungen in Staufen lieber an dessen Fallzahlen. Wie gesagt, hob sich der Boden dort aufgrund einer bis heute anhaltenden Gipskeuperquellung in 100 Meter Tiefe um bislang gut 50 cm. Wenn wir nun wegen der mit 185 Meter knapp doppelt so großen Tiefenlage des Gipskeupers unter dem Fernsehturm annehmen, dass statt 50 cm wie in Staufen „nur“ 15 cm Hebemarge unter seinem Fuß ankommt, würde sich die Turmspitze bereits um 1,24 Meter aus der Lotrechten neigen!
Das mag auf den ersten Blick nach nicht viel klingen. Doch hinzu käme noch die stets gegebene Auslenkung durch den Wind bis hin zu Sturmstärken! Was der geniale Konstrukteur Fritz Leonhardt für einen perfekt im Lot stehenden Turm an Windauslenkungen plus Sicherheitsreserve einkalkuliert hat, kann sich bei einer dann sich ja aufaddierenden Schiefstellung plus Windauslenkung schnell zu unhaltbaren Werten summieren, die einen sicheren Aufzugbetrieb nicht länger erlauben oder gar zu einer erneuten und dann endgültigen Turmschließung führen würde! Von der rufschädigenden weltweiten Blamage eines selbst demolierten „Schiefen Turms von Schwaben“ gar nicht zu reden!
Zweifler dieses Szenarios müssen sich einmal klar machen: Wäre diese Gefahr für den Turm und die angrenzend untertunnelten Wohngebiete nicht real, sondern nur eine Angstphantasie der Fernsehturmfreunde, würde die Bahn niemals den extrem teuren Umstand des derzeit gerade stattfindenden 4 km langen Rückzugs ihrer Tunnelbohrmaschine in Kauf nehmen. Stattdessen würde sie die Maschine in einem Zug bis in den Talkessel Stuttgarts hinabbohren lassen. Genau dies ist jedoch nicht der Fall! Die Tunnelbohrmaschine wird seit Erreichen der heiklen Übergangszone in den quellfähigen Gipskeuper aus ihrer 4-Kilometer-Röhre umständlich wieder zurückgezogen, um die anstehende 1,15 km lange Übergangszone ab dem Südrand von Degerloch vorsichtig unter permanenter menschlicher Sichtkontrolle und aus nächster Reaktionsnähe Meter für Meter mit konventionellen Baggern ausbrechen zu können.
Unter keinen Umständen darf von dort ab auf den nächsten 4,3 Gipskeuper-Kilometern an irgend einer unbemerkten Stelle längs der zwei zu bohrenden abwärtsgeneigten 11-Meter-Röhren Grund- oder Bergwasser in den quellfähigen Gipskeuper eindringen. Wie gern das überaus fließfreudige sowie spalten- und rissefindige Element H2O entlang schräger Röhren, Schläuche oder Wände abwärts läuft oder sickert, kann jeder täglich unter der Dusche studieren. Dies darf weder während der Bohrarbeiten noch in den nächsten 10, 50, ja 100 Jahren Bahnbetrieb je geschehen!
Wer will dafür garantieren – und haften?! Seriöse Geologen werden dafür ihre Hand nicht ins Feuer legen. Lediglich der bei jeder Gelegenheit aus seinem Freudensteiner Versuchsstollen hervorgeholte Bahn-Dauerbeauftragte für Geologiefragen, Herr Professor Walter Wittke, schwört in jede Kamera und jedes vorgehaltene Mikrofon, dass „alles sicher beherrschbar ist“. Allerdings nicht ohne seit neuestem hinzuzusetzen, dass er gar kein Geologe, sondern lediglich Bauingenieur sei. Ist das schon eine vorsichtige Absetzbewegung des obersten Narkotiseurs der obrigkeitsgläubigen Schwaben?
Heutzutage alles im Griff?
Auf der Internetseite des Bahnprojekts wird immer wieder beschwichtigend darauf hingewiesen, dass in Stuttgart ja bereits zwei Eisenbahntunnel erfolgreich im Gipskeuper gebaut wurden, ohne dass es dabei zu Quellungen und Hebungen gekommen sei. Dies trifft in der Tat auf die in den 70er Jahren gebaute S-Bahn-Röhre unter dem Hasenberg sowie für die direkt darunter liegende und so gesehen praktisch an gleicher Stelle liegende S-Bahn-Wendeschleife an der „Schwabstraße“ zu.
Der Öffentlichkeit soll mit dem auffällig häufig bemühten Verweis auf diese eine geglückte Gipskeuperdurchbohrung suggeriert werden, dass die Bahn und die Tunnelbaufirmen seither die Gipskeuperproblematik dank unablässigen Hinzulernens technisch „im Griff“ haben. Doch die Chronologie der geglückten und missglückten Tunnelbohrungen unterstützt diese beruhigende Erzählung nicht. Ihr zufolge hätten ja mit den immer weiter entwickelten Kenntnissen über den Gipskeuper keine neuen Schadensfälle mehr auftreten dürfen. Oder mindestens hätten diese die Ausnahme bleiben müssen.
Das Gegenteil ist aber der Fall: Eine in der sog. „Schlichtung“ präsentierte Graphik des Tübinger Geologen Dr. Jacob Sierig zeigt: Zeitgleich und nach dem zur Beruhigung wieder und wieder angeführten Hasenberg-Tunnelbau gab es in den 40 Jahren bis heute sechs weitere Verkehrstunnelbauten im quellfähigen Gipskeuper, die allesamt trotz unablässigen technisch-wissenschaftlichen Fortschritts zu Quellungen und Bodenhebungen samt teuren und anhaltenden Sanierungsmaßnahmen führten – drei davon sogar im Meisterland des Tunnelbaus: in der Schweiz! Zuversicht erlaubende „Beherrschungs-Fallbeispiele“ sind also die singuläre Ausnahme, und der Fortschritt im Umgang mit dem Gipskeuper hört, kaum eingetreten, leider bereits in den 70er Jahren wieder auf!
Ein alarmierendes Ausweichen der Bahn auf kritische Fragen
Dass auch die Planer der Bahn vor der bisher noch auf keinem S21-Streckenast begonnenen Aufgabe, 15 Kilometer Tunnelröhren in quellfähigem Gipskeuper unter einer Großstadt bauen zu müssen, einen Heidenrespekt, oder auf gut schwäbisch „Mores“ haben, zeigt auch eine höchst erstaunliche Passage auf der Internetseite des Bahnprojekts Ulm-Stuttgart. Dort wird unter „Häufig gestellte Fragen“ eine verräterische Nicht-Antwort auf eine 2014 ausgesprochene Empfehlung des „Landesamts für Geologie“ gegeben. Die Frage besorgter, offenbar zeitunglesender Bürger lautet: Das geologische Landesamt Freiburg rät von Bohrungen ab, die in den tiefen Schichten des Gipskeupers liegen, z.B. für Erkundungsbohrungen für Erdwärme. Wie steht die Deutsche Bahn dazu?
Die jeden aufs Höchste alarmieren müssende Antwort der Bahn darauf: „Bohrungen zur Erkundung von Erdwärme in Schichten des unausgelaugten Gipskeupers sind beim Bauvorhaben Stuttgart 21 nicht vorgesehen.“ Man darf gespannt sein, ob oder wann die Bahn diese im Grunde alles verratende Antwort von ihrer Stuttgart-21-Werbeseite herunternimmt…?! Wir haben jedenfalls vorsichtshalber schon mal einen Screenshot gesichert.
Der Stuttgarter Fernsehturm – das Opfer eines Lineals?
Warum die Bahn trotz der ausgesprochenen Warnung des Landesamts für Geologie vor Bohrungen im quellfähigen Gipskeuper den Fildertunnel ausgerechnet unter Stuttgarts, ja Baden-Württembergs wertvollstem Gebäude und Aushängeschild für hiesigen Ingenieurs-Pioniergeist hindurchbohren will, ist schlechterdings unbegreiflich. Angesichts jeder Menge Platz links und rechts vom Turm langt sich doch jeder vernünftige Mensch an den Kopf und fragt sich: Warum um alles in der Welt nur diese abenteuerliche Planung?
Nun, auch für dieses Rätsel findet sich auf der Bahnprojektseite möglicherweise die Lösung. Unter dem Suchbegriff „Fildertunnel“ steht ein unscheinbarer Halbsatz, der da lautet: „Der Verlauf des Tunnels orientiert sich an der Luftlinie (..).“
Der berühmteste, weil erste Fernsehturm der Welt: das Opfer eines Lineals?? Auch von diesem freimütigen Bekenntnis haben wir selbstredend einen Screenshot gesichert.
Schlussplädoyer
Werte Mitstreiter, ich fordere Sie hiermit zum Schluss meiner Rede auf, die Fernsehturmfreunde-Initiative eifrig zu unterstützen. Ich weiß, dass einigen unter Ihnen deren Forderung nach einer Verlegung der Fildertunneltrasse weg vom Turm nicht weit genug geht. Doch vor einer Verlegung kommt erst einmal ein Baustopp und eine Neuplanung. Das liegt absolut auch im Interesse aller Stuttgart-21-Gegner. Wenn Sie nach Erreichen dieses gemeinsamen Etappenziels weitergehen wollen, tun Sie das! Eine Unterschrift auf www.fernsehturmfreunde.de oder auf den hier verteilten Flugblättern hindert niemanden an darüber hinausgehenden Aktivitäten.
So sehen das auch eine Vielzahl Ihnen bestens bekannter Stuttgart-21-Gegner, wie etwa Sabine Leidig, Steffen Siegel, Martin Poguntke, Werner Sauerborn, Dieter Reicherter, Wolfgang Kuebart, Jürgen Bartle, Peter Conradi, Peter Dübbers, Thomas Felder, Kostas Koufogiorgos – um nur einige besonders respektierte politische Köpfe der Kopf-bleibt-oben-Bewegung zu nennen. Lassen Sie all diese und meine Wenigkeit nicht im Regen stehen. Der könnte den Gipskeuper nass machen, und dann hätten wir den S21-Salat. Ich danke Ihnen.
Wagenburgtunnel jetzt endlich im Griff? Ziemlich genau an der Stelle , an der 3 Zugröhren den Wagenburgtunnel kreuzen sollen,hebt sich der Boden. Der „natürliche“ Vorgang (1963-1993)betrug an der stärksten Hebungsstelle 1mm im Monat (0 + 392m)(siehe auch Tunnelbau im Gipskeuper bei S21 von der DB Projektbau, Wolfgang Bacharach). Seit der letzten Glättung 2008 jedoch neu weit mehr als 50cm. Da war nur die Erkundungsbohrungen der DB.
Gibt es eigentlich verantwortungsbewusste Menschen am Killesberg und im Kernerviertel, welche sich Erdwärmeerkundungsbohrung vom Regierungspräsidium genehmigen lassen wollen? Da gibts seit kurzem einen Klimavertag .
Wie nah ist eigentlich der Fildertunnel am Hang (Normale auf Erdoberfläche) und wie groß ist der Abstand zum SSBtunnel?
Vorsicht Ironie: Wenn doch aber der Prof. Wittke weis, dass es keine Probleme gibt und die Bahn das auch als Tatsache so nimmt, dann haben doch ein paar penetrante Gegner nicht das Recht dagegen zu schießen. Und was solls, wenn der Turm kippt, es ist doch alles für eine Fahrzeitverkürzung nach Bratislava, da muss man schon mal ein Auge zudrücken.
Genau! Was macht da schon der teure Brandschutzkram!
Die Bahn schafft das – sie befiehlt dem Turm das OBEN BLEIBEN u. Strammstehen u. er hat zu gehorchen! Steuern versenken heißt die spannende Wette: Was bleibt oben, was unten?
Im Ernst: Hab soeben W. Schorlaus Krimi „Die schützende Hand“ (über den NSU, ganz toll, aber SEHR gruselig, weil mit echten Protokollen ganz nah an der Realität!) ausgelesen.
S21 wäre auch ein lohnendes Thema über verbrecherisches Handeln des Staates. Allerdings ohne Leichen.