Rede von Prof. Dr. Ferdinand Rohrhirsch bei der 301. Montagsdemo

Rede von Prof. Dr. Ferdinand Rohrhirsch, Philosoph, Theologe und Führungskräftecoach, auf der 301. Montagsdemo am 14.12.2015

Vertrauensmissbrauch – führt zum Verlust der Glaubwürdigkeit und endet beim Entzug der Solidarität

Lieber Siegfried Busch, ich bin ein treuer Besucher Ihrer Internetseite „metropolis21.de“, in der Sie sich kritisch mit dem Projekt Stuttgart 21 auseinandersetzen.

Sie hatten mich vor einiger Zeit gefragt, ob sich in meiner Haltung zu Stuttgart 21 und zur Bahn AG etwas verändert hat, ob ich mich womöglich mit dem umstrittenen Bahnhofsprojekt abgefunden
oder gar ausgesöhnt habe.

Jedes Mal, lieber Herr Busch, wenn ich über Ihre Frage nachdenke, dann steigen in mir, neben Wut und Fassungslosigkeit, viele gute Argumente gegen Stuttgart 21 auf, und ich frage mich – und das ist dann auch meine Antwort auf Ihre Frage: Wie sollte es denn überhaupt möglich sein, nicht gegen dieses Irrsinnsprojekt zu sein?

Stuttgart 21, dieser von Politik und Bahn AG gewünschte „Primark“ der Mobilität, und was ist das anderes, als eine riesige Tasche mit viel heißer Luft und etwas Krempel drin. Aber immerhin – alles stylisch verpackt.

Wie könnte ich dieses Bahnhofsprojekt gut finden, das alle finanziellen Maßstäbe sprengt und zugleich weniger Leistung bietet, als der vorhandene Bahnhof?

In hohem Maße, rational wie emotional, bin ich mit der Eisenbahn verbunden. Mein Großvater, mein Vater, ich – wenn auch nur für kurze Zeit, wir alle waren bei der Bahn. Doch ganz unabhängig davon halte ich die Eisenbahn für ein hervorragendes, gesellschaftlich äußerst nutzbringendes Mobilitätsinstrument, das besonders den Metropolregionen das verkehrliche Überleben sichern könnte – wenn man das Potential der Eisenbahn nutzen würde.

Nur – so meine Meinung – ist spätestens seit Mehdorn-Zeiten das Gegenteil beobachtbar. Eine geradezu manische Tendenz zur Selbstverstümmelung der Bahn ist feststellbar, die in der gegenwärtigen Mutation zu einer Grube-Kefer-Pofalla-Bahn, einem weiteren, bedauerlichen Höhepunkt zustrebt.

Fahrwege werden kannibalisiert, Flankenschutzweichen herausgerissen, Überholgleise abgebaut (u. a. in Obertürkheim, Uhingen, Geislingen), systemrelevantes Personal reduziert. Und das alles, um einer finanziellen Optimierung willen.

Doch, was soll man auch erwarten, wenn McKinsey und Co. dem Bahnmanagement sagen dürfen, wie Bahn bzw. Bahnbetrieb zu funktionieren hat und zu strukturieren ist.

Hier zeigt sich ein Grunddilemma der Unternehmen, die von Managern geführt werden, die frei sind vom Verstehen und Wissen der Sache, der sie vorstehen. Sie vertrauen nicht den Leuten, die sich vor Ort schon lange um die Sache kümmern und diese kennen. Sie glauben eher denen, die in Anzügen auftreten, geschliffen auf Denglisch schwadronieren und chartoptimiert formulieren.

Nicht nur dann, aber dann besonders, wenn man gesundheitlich angeschlagen ist, merkt man erst, wie sehr die Züge verlottern, vergammeln, heruntergewirtschaftet werden, und wie hochtourig mittlerweile das Karussell der Triebfahrzeug-, Weichen- und Signalstörungen seine Runden dreht. Doch in Werbeblättchen der Bahn, die in den Zügen ausliegen, wird stattdessen alles immer besser.

Da gab und gibt es so viel zu vermelden. Großspurige und großformatige Ankündigungen sind zu entdecken, was demnächst alles auf die Reisenden zukommt. Eine Service-, Leistungs- und Pünktlichkeitsoffensive jagt die andere. Und als Fahrgast weiß man längst: wenn man viel Glück hat, bleibt es wenigstens danach so, wie es vorher war.

Herr Grube, die Ankündigungen der Bahn AG erinnern mich zunehmend an die Prospekte der Möbelhäuser der Region, die in Großbuchstaben allen 15, 20 oder 40% Megarabatt versprechen und dann, mit einem winzig kleinen Sternchen darauf hinweisen, dass das für einige Marken nicht gilt. Und wenn man genau schaut, sind das so viele, dass man sich fragt, für welche Marken gilt dann eigentlich noch der Rabatt?

Großspurige Versprechen werden abgegeben, doch der reale Betrieb wird immer desaströser. Und er wäre noch viel schlechter, wenn nicht mit vollem Einsatz die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner vor Ort, die Lokführer, die Zugbeleiter, der Fahrdienst, die Service-Teams an den Schaltern, das Rangier- und Reinigungspersonal, diese alle, das Letzte aus einer ramponierten Infrastruktur herausholen würden.

Wer dauernd ankündigt, dessen Glaubwürdigkeit ist bald erschöpft. Und mit Ihrem Technikvorstand, Herrn Kefer, haben sie in dieser Hinsicht einen perfekten Adlatus an ihrer Seite. Ein Diplom-Ingenieur, der die Sprache eines Juristen nutzt, wenn es darum geht, die Öffentlichkeit zu informieren, und zwar so, dass der Unterschied zwischen Information und Desinformation nicht mehr erkennbar ist.

Es ist immer alles genau berechnet, bis zum Erweis des Gegenteils. Die Sache kostet genau so-und-so-viel. Doch dann kommen, man weiß nicht wie, und meist nach Wahlen, damals eben noch nicht bezifferbare Aufschläge hinzu.

Die Bodenplatte ist freigegeben. (So stets auf der Folie auf S. 26, 20151104-Lenkungskreis_Sitzung_
14.pdf) und dann doch wieder nicht ganz. Und so geht das weiter ...

Als ich vor einiger Zeit in Hamburg war, wurde mir wieder klar, was da in Stuttgart auf die Reisenden zukommen wird: Am Fahrstuhl zum tiefergelegenen Bahnsteig befand sich eine Menschenschlange von ca. 15 Meter Länge, darunter Menschen mit Gehilfen, mit Rollatoren, mit Kinderwagen. Und auf einer Bahnsteigseite war die Rolltreppe defekt. So trafen sich auf der Treppe diejenigen, die hinauf wollten mit denjenigen, die hinab wollten: unter ihnen ältere Menschen, Urlauber mit großen Koffern, eine Kindergruppe, viele Pendler. Das ist nicht wirklich lustig.

Doch Hamburg ist ja noch harmlos. Denn in Stuttgart kommt eine Gleisneigung hinzu, die nur als kriminell bezeichnet werden kann. Herr Grube, diese Gleisneigung könnte dafür verantwortlich werden, dass sie ein Leben lang mit dem hier zu bauenden Bahnhof in Verbindung gebracht werden. Denn hier führen Sie die Physik der Eisenbahn nicht an ihr Limit, sondern darüber hinaus. Für die Bahn AG gelten womöglich nicht alle Gesetze, aber meines Wissens sind die Konstanten der Physik immun gegen Lobbyarbeit.

Vielleicht, Herr Grube, haben Sie das noch nicht richtig verstanden, aber die Neigung der Stuttgarter Bahnsteige wird derart sein, dass sie bei einem Standard ICE der Baureihe 401 mit 410 m Länge von einem Triebkopf zum anderen gehend, einen Höhenunterschied überwinden, der Sie auf das 5m Brett ihres Freibades führt. Und dort angekommen sehen sie nicht den Zug unter sich, sondern sie befinden sich ein wenig über der Schienenoberkante, auf der besagter Zug steht.

Ich weiß, dass ich als Steuerzahler für diesen von Politik und Bahn AG zu verantwortenden Irrsinn zur Kasse gebeten werde. Aber mit meinen freiwilligen Leistungen bin ich nicht mehr bereit, diese, Herr Grube, von Ihnen zumindest gebilligte Pervertierung der Idee von Eisenbahn zu unterstützen. Ich sehe – im Moment – keine andere Möglichkeit, als Ihnen bzw. der Bahn AG mein Mandat zu entziehen. Seit Oktober 1992 war ich – lückenlos – bis zum Januar 2015, BahnCard50 Besitzer. Das sind dann weit über 20 Jahre. Seit 22. Januar 2015 bin ich Bahn-Card frei. Ich will nicht mehr.

Ich bitte die echten Eisenbahner um Verständnis, aber ich will nicht mehr die Repräsentanten einer Bahn unterstützen, die den Ruf der Eisenbahn mit Kenntnislosigkeit, Blendrhethorik und Tatsachenverdrehung beeinträchtigen.

Ich will nichts mehr zu tun haben mit Leuten, die die Bahn kaputtsanieren und gleichzeitig Milliarden in unsinnige Projekte investieren, und die dann, und man fasst es nicht, die Qualität bzw. Attraktivität des Bahnbetriebes über eine WLAN-Erreichbarkeit, bzw. Abdeckung definieren.

Liebe Eisenbahner, lieber Herr Busch, liebe Obenbleiber, dieser Bahn AG kündige ich! Die Eisenbahn muss endlich eine echte Chance in diesem Land bekommen!

Ich danke Ihnen für Ihr offenes Ohr und für ihre jahrelange Standfestigkeit!

www.ferdinand-rohrhirsch.de

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Eine Antwort zu Rede von Prof. Dr. Ferdinand Rohrhirsch bei der 301. Montagsdemo

  1. Jogi sagt:

    Ganz, ganz sarker Vortrag – vielen Dank Prof. Dr. Ferdinand Rohrhirsch!
    Ich kann nur hoffen das viele wissen – die von Herr Rohrhirsch gewünschte Verbesserung der Bahn gibt es nur mit den Linken (sofern „Die Linke“ sich nicht als kleiner Partner auf eine Koalition einläßt – egal ob auf Komunaler-, Landes- oder auf Bundesebene).
    Ebenso wie es nur mit den Linken ein Ende unserer Mitschuld am täglichen töten und des Blutvergiesens in Syrien gibt.

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