Der 30.9.2010 geht in die Geschichte der Stadt Stuttgart als Schwarzer Donnerstag ein; es war ein Tag, an dem Polizei, Politiker und Justiz ihre Unschuld verloren (wenn sie die je hatten). Es war ein Tag, an dem Menschen verletzt und traumatisiert wurden und durch die mangelhafte juristische Aufarbeitung ihr Vertrauen in das Rechtssystem erschüttert wurde.
Der 30.9. – und auch daran soll immer wieder erinnert werden – war auch der Tag eines massenhaften Widerstands, der sich in einer Großblockade im Mittleren Schlossgarten äußerte. Immerhin konnte durch diesen Widerstand verhindert werden, dass der größte Teil des Parks zu diesem Zeitpunkt eingezäunt und dann geschreddert wurde. Noch einen weiteren Sommer konnte die Bevölkerung im Park verbringen, konnten Bäume und Kleintiere dort leben. Dank der engagierten Blockade!
„Und am Ende alles vergebens“, sagen viele. „Nein“, war die Antwort der Blockierer am vergangenen Mittwoch, 30.9.2015, am Baustellentor auf dem Kurt-Georg-Kiesinger-Platz. „Dieser 30.9.2010 hat gezeigt, was Menschen vermögen, wenn sie zusammenhalten, wenn sie sich gemeinsam gegen Unrecht wehren, wenn sie sich in den Weg stellen. Die große Anzahl der Blockierer, die vor fünf Jahren im Park waren, hat ein deutliches Zeichen gesetzt.“
Zum Gedenken an den 30.9.2010 hatten sich am letzten Mittwoch ab 7:00 Uhr etwa 30 DemonstantInnen und Protestierende eingefunden, die mit Bannern, Plakaten und Flyern auf das Unrecht am Schwarzen Donnerstag aufmerksam machten. Sie blockierten das Baustellentor, so dass die LKWs am Einfahren gehindert wurden und umkehren mussten. Schon bald stellte sich Polizei ein, die die BlockiererInnen mit guten Worten von der Zufahrtsstraße abbringen wollte. Aber an diesem so wichtigen, denkwürdigen und mit Emotionen beladenen Tag wäre es unklug gewesen, mit polizeilichen Maßnahmen eine Demonstration verhindern zu wollen. So fuhren die Polizisten weg und ließen die Protestierenden bis zu deren Weggang um 9:15 Uhr unbehelligt.
An die zahlreich zu ihren Arbeitsstätten eilenden Passanten wurde der Tunnelblick mit dem Thema „Schwarzer Donnerstag“ verteilt, es gab Ansprachen zu den Themen 2. Bürgertribunal, Hambacher Forst und Landraub. Und auch wenn keiner der Passanten stehenblieb, um den Reden zuzuhören, so wurde doch – im Vorübergehen - klar, dass hier Polizeigewalt und fehlende Aufarbeitung des 30.9. im Mittelpunkt standen.
Vom 30.9. wurde der Bogen weiter gespannt und vom Thema „Parkraub“ kam man schnell zum Landraub in vielen Ländern der Erde, wo mit Gewalt, Vertreibung und juristisch dubiosen Verträgen den Völkern Land enteignet wird. Öffentliches Land in Investorenhand – um dort Monokulturen zu errichten oder Industrieanlagen zu bauen. Auch Landraub ist ein Fluchtgrund. In Stuttgart hat Landraub das Ziel, dass öffentliches Erholungsgebiet, Feinstaubfilter und Lebensqualität der Bürger durch ein gigantisches Investorenprojekt ersetzt werden. Landraub geht stets auf Kosten der Bevölkerung, ihrer Lebensgrundlage, der Gesundheit und der Natur. Was wir in anderen Ländern als Verbrechen erkennen, soll in Stuttgart legal sein? Am 30.9.2010 haben die Bürger durch eine Massenblockade ein deutliches „Nein“ gesagt.
Einer der Protestierer am letzten Mittwoch berichtete vom Widerstands-Camp im Hambacher Forst und von der massiven Zerstörung der Lebensgrundlage der dortigen Menschen, die durch den Braunkohletagebau geschädigt und ihres Landes beraubt werden. So ist eine Demonstration mit Blockade am Baustellentor nicht nur ein stummes Ausharren, sondern stets mit Informationen und Berichten von anderen unnützen Großprojekten und menschenschädigenden Bauvorhaben verbunden.
Am vergangenen 30.9. morgens wurde in einer Rede auch auf das 2. Bürgertribunal eingegangen, das mit seinen 300 Besuchern gezeigt hatte, dass die Widerstandsbewegung den Schwarzen Donnerstag nicht vergessen hat und die juristische Aufarbeitung als Priorität für die Stuttgarter Justiz ansieht. Besonderes Lob bekamen die Organisatoren des Abends; die Rolle von Dieter Reicherter wurde herausgehoben, ohne den die Bewegung nicht weiterhin so kraftvoll die Aufarbeitung des 30.9. fordern könnte und ohne den der 30.9. nicht nach wie vor in der Öffentlichkeit so präsent wäre. Er ist einer der Motoren, die Mut machen, die Arbeit in den diversen Gruppen der Bewegung fortzusetzen.
Bevor sich die Gedenk-Blockade auflöste, wurde auf den jetzt ins Kino kommenden Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ hingewiesen, der die unrühmliche Rolle einseitiger Justiz und Politik zum Inhalt hat. Das Geschehen liegt mehr als 50 Jahre zurück - haben wir also nichts damit zu tun? Ist „der Staat“ toleranter, gerechter und in seinen Handlungen transparenter geworden, wenn es um den Umgang mit kritischen Bürgern geht? Leider nicht, bedenkt man, dass auch Dieter Reicherter und andere in unserer Bewegung Hausdurchsuchungen, Ermittlungen und Anklagen über sich ergehen lassen mussten. Was zeigt, dass die Justiz nach wie vor ihre Mittel der Einschüchterung nutzt. Nicht wenige in der Bewegung sind deshalb eingeknickt, haben ihre Kraft verloren und auch resigniert. Es ist verständlich, denn kaum einer ist zum „Widerstandskämpfer“ geboren.
Fünf Jahre sind eine lange Zeit, das wurde am letzten Mittwoch frühmorgens am Bauzaun deutlich. Man dachte auch an all die Mitstreiter, die früher am Nordflügel, am Südflügel, am GWM, im Park so konsequent vor Ort gewesen waren. Sie alle haben dazu beigetragen, dass – auch wenn Großblockaden derzeit nicht mehr unterstützt werden – Demonstrationen am Bautor und die Wahrnehmung des Versammlungsrechts weiterhin ein Thema sind. Sei es mit dem „Frühstück am Bauzaun“ jeden Dienstagmorgen oder die „Gedenkblockade zum 30.9.“ am vergangenen Mittwoch.
(Text/Fotos: Petra Brixel)