Von Reinhart Vowinckel
An alle Gegner von S21 und all dessen, was S21 möglich machte und macht!
Zurzeit läuft in zwei Kinos (Bollwerk und Metropol) ein Spielfilm, den sich jeder von uns anschauen sollte. Sein Titel: „Der Staat gegen Fritz Bauer". Er wird später auch im Fernsehen laufen; das ist jedoch kein Grund, nicht ins Kino zu gehen. Solche Filme schaut der Staatsbürger sich zwei- oder dreimal oder auch öfter an, weil er aus ihnen etwas lernen kann wie aus einem guten Schul- oder Lehrbuch.
Wer ist oder war Fritz Bauer? Das werden sich die meisten fragen. Nun, Bauer war ein Stuttgarter des 20. Jahrhunderts, und er wäre sehr wahrscheinlich auch gegen den Wahnsinn gewesen, der hinter dem Tiefbahnhofprojekt steckt, hätte er in unserer Zeit gelebt. Denn er war gegen Doping, also gegen Größenwahn in all seinen Erscheinungsformen. So war er auch gegen Weltmeister im Taschenformat wie unseren ehemalige Oberbürgermeister Manfred Rommel, nach dem der Stuttgarter Flughafen benannt wurde, während nur ein Zimmer im Stuttgarter Amtsgericht den Namen Bauers trägt.
Fritz Bauer war ein politischer Mensch und ein einsamer dazu. Der Staat Bundesrepublik war gegen ihn, wie der Film zeigt, nicht Bauer gegen den Staat. Ganz besonders Politik und Justiz im „Ländle", dem er als sozialdemokratischer Amtsrichter und Jude entstammte und während des Dritten Reichs nach Skandinavien entfloh, mögen ihn bis heute nicht. Das bezeugt die Größe des nach ihnen benannten öffentlichen Raumes (Gerichtssaal versus Flughafen), dessen jeweilige Größe im umgekehrten Verhältnis zur Bedeutung der so geehrten Persönlichkeiten steht.
Nach dem Krieg meinten allerdings mindestens 60 Prozent der Deutschen, Hitler habe zwar auch Fehler gemacht, aber er habe das Richtige gewollt. Dieses vermeintlich „Richtige" war: Deutschland muss „Weltmeister" werden, der Meister der Welt: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen." Dem entgegen hatte 1945 der in einer jüdischen Familie aufgewachsene Dichter Paul Celan in seinem berühmt gewordenen Gedicht „Todesfuge" geschrieben: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland." Nur dass die Täter und damals auch die geistigen Mittäter davon noch nichts wissen wollten und es auch nicht mussten. Und sie saßen zuhauf auch in der völlig ungeschoren gebliebenen deutschen Justiz, für die der Kollege Bauer nichts als ein „Nestbeschmutzer" oder gar „Vaterlandsverräter" war. Und ich habe mich ein Leben lang gefragt: Hätte ich es besser gemacht, wäre ich damals im Alter meiner Eltern gewesen? Die Weimarer Republik hat ihren Bürgern noch nicht das geboten, was uns die Bundesrepublik bietet, dank der Schöpfern des Grundgesetzes und seiner Mentoren wie Fritz Bauer.
Es war Fritz Bauer, der, von der hessischen Landesregierung zum Frankfurter Generalstaatsanwalt berufen, die Durchführung der berühmt-berüchtigtenen Frankfurer Auschwitzprozesse in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erzwang; praktisch im Alleingang wie vor ihm der Hitler-Attentäter Georg Elser seine Bombe bastelte und seinen Anschlag vorbereitete. Durch die Auschwitz-Prozesse wurden den Deutschen meiner Generation die Augen für das Wesen des Nationalsozialismus geöffnet. Die Generation der Unbelehrbaren, die Generation unserer Eltern, wurde damit zum Schweigen verurteilt. Es war maßgeblich Fritz Bauer, der Überlebenden des Holocaust Gehör verschaffte. Er nahm die historische Rolle des Augenarztes der Deutschen wahr und stach ihnen den „braunen Star" des Größenwahns. Dabei ging es ihm nicht um die Bestrafung der Täter, sondern um die Wiederherstellung der Würde der Opfer und der Würde des deutschen Volkes. Nicht Mitleid wollte er wecken, sondern Betroffenheit und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Welche Bedeutung die Herstellung von Öffentlichkeit und Transparenz der verdrängten Vorgänge im NS-Staat hatte, hat das Verfassungsgericht in der Zeit der Vorbereitung dieser Frankfurter Tribunale im Jahr 1958 in einem grundlegenden Urteil zur Meinungsfreiheit in zwei Sätzen auf den Punkt gebracht:
„Dem deutschen Ansehen hat nichts so geschadet wie die grausame Verfolgung der Juden durch den Nationalsozialismus. Es besteht also ein entscheidendes Interesse daran, daß die Welt gewiß sein kann, das deutsche Volk habe sich von dieser Geisteshaltung abgewandt und verurteile sie nicht aus politischen Opportunitätsgründen, sondern aus der durch eigene innere Umkehr gewonnenen Einsicht in ihre Verwerflichkeit (Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Jahr 1958, Abs. 53)."
Nicht Bauer bekämpfte die Bundesrepublik, sondern sie bzw. ihre Usurpatoren ihn, worauf der Filmtitel hinweist. Und das erinnert mich an die Kriminalisierung von Sitzblockaden, die wir uns noch immer wie Schafe gefallen lassen.
Sitzblockaden verstoßen, wie das Verfassungsgericht bestätigt, nicht gegen das Grundgesetz.
Mit ihrer Deutung als Straftat wird jedoch die Behauptung erhoben, sie seien eine Form der „Auflehnung gegen die Rechtsordnung". Tatsächlich ist es jedoch, wie ich an anderer Stelle nachgewiesen habe, genau umgekehrt. Die Geschichte der Kriminalisierung von Sitzblockaden als angeblichen Gewaltakten ist eine Geschichte der Rechtsbeugung durch den Bundesgerichtshof und damit der „Auflehnung gegen die Rechtsordnung" und deren anwaltlicher Duldung . In dieser Sache dem Recht zur Geltung zu verhelfen ist eine mindestens ebenso wichtige demokratische Aufgabe wie die Verhinderung des Tiefbahnhofs.