15. Juni 2015
An den Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, Dr. Fritz Kuhn!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Fritz Kuhn (und weil das ein sog. Offener Brief ist, dürfen des auch die Vorsitzer der Fraktionen im Gemeinderat lesen und sich dies oder jenes, wie der Volksmund sagt, hinter die Ohren schreiben),
es ist der Siggi, der sich hier an Sie und andere wendet, weil: Der Siggi ist einer, den es vor vielen Jahren von München nach Stuttgart verschlagen hat, lebensumständehalber, und dann manchen Schmäh verzapft, der dann manchmal zur Schmähung wird.
Keine Sorge, der Siggi wird jetzt nicht schimpfen, wo Sie doch grad Geburtstag gehabt haben. Er muss Ihnen da jetzt nicht extra gratulieren (den Siggi kennen Sie ja gar nicht), weil: da waren genug Gratulanten aus allen möglichen Regionen zugegen, auch der Alexander Kotz von der Ihnen durchaus gewogenen CDU, die jetzt auch Geburtstag feiert, den siebzigsten, aber eher bundesweit.
Vergangene Woche hat der Tim Schleider in der Stuttgarter Zeitung (8. Juli) einen Kommentar schreiben dürfen unter dem Titel „Stuttgart setzt weiter auf Spitze“. Es geht um Kulturpolitik (hier speziell ums Ballett der Staatsoper und vom Theaterhaus). In Stuttgart gibt’s überhaupt viel Kultur. Aber was ist schon Kultur?, fragt der Siggi. Wenn er, der Siggi solchene Briefe schreibt, ist das auch Kultur, quasi Literatur. Die Theater, die großen Staatstheater auch, wo's dann hingehn können, die Honoratioren, eher Oper und Ballett, die dann auch nix dafür können. Oder Theaterhaus aufm Pragsattel, hat auch grad Geburtstag gehabt, da geht auch der OB hin, weil er es gern hat, wenn's weniger förmlich zugeht mit die Künstlers, und ohne Krawatte – quasi Tsipras.
Der ehemalige OB Wolfgang Schuster hat die Idee gehabt, die Adenauer-Allee bis zum Charlottenplatz tiefer zu legen, um die beiden Seiten einer Kulturmeile zu vereinigen, was eine schöne Idee wäre, aber dreißig veranschlagte Millionen schienen zu teuer, dafür dann lieber den Bahnhof tiefer legen, was ein bissel teurer kommt, aber „futuristisch“ dreinschaun soll (Erwin Teufel, einstens Ministerpräsident von Baden-Württemberg mit anschließendem Philosophiestudium
Man darf die Autos auch nicht verstecken, weil Stuttgart eine Autostadt ist, quasi Autokultur.
Der Herr Schleider verweist ja in seinem Kommentar darauf, dass Porsche „Hauptsponsor“ des Stuttgarter Balletts ist. Porschefahrer mögen wahrscheinlich die „Spitzenkultur“, auch wenn sie breitbeinig daherkommen mit ihren depperten Cayenne-Platzverdrängern.
Die Daimler-Benz-Bank sponsert das Theaterhaus, dafür hat sie sich dann hingeplanzt mit ihrem Protzbau vor die Industriearchitektur von dem Theaterhaus, praktisch Verdrängungskultur.
Dann gibt’s ja auch eine Streit‑ oder Debattenkultur, die der Siggi noch erwähnen möcht. Weil: Da is es vor wenigen Tagen im Gemeinderat zugegangen wie bei einer losgelassenen Schulklasse im Pausenhof. Es ging, is Ihnen und Euch ja bekannt, um die Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 (wegen Kostenexplosion und Leistungsrückbau). Also, das war dem Herrn Nauke von der StZ ein paar Bemerkungen wert: „Viele Stadträte haben in der Sitzung deutlich gemacht, nicht mit kritischen Fragen belästigt werden zu wollen, während sie mit ihren städtischen Handys und Tablets spielten.“
Interessant is jetzt, dass auf derselben Seite die Anwälte des Bundeskanzleramtes zitiert werden, u. a. mit dem Satz: „Die Frage eines Abbruchs des Projektes ist damit kein abgeschlossener Vorgang, der ein für alle Mal für das Projekt Stuttgart 21 geklärt ist.“ ... Weil nun die Stadträte, also die von den Mehrheiten, lieber mit ihren Handys und Tablets spielen, könnte man von einer Kultur der Regression sprechen, was psychologisch is, wenn Erwachsene sich aufführ'n wie Kinder.
Bitte versteh'n Sie das jetzt nicht als Schmähung, is'n Schmäh, Herr Kuhn, also des Theater im Gemeinderat, da können Sie nix dafür, auch wenn Sie einen „dicken Hals“ bekommen haben bei der Entgegennahme von über 20.000 Unterschriften, also beinah Hals, und öffentlich, und woanders hättens den Rockenbauch verhaun, wenn diese Gemeinderäte nicht so viel kulturelle Contenance hätte, also praktisch zivilisiert. Was man dann eine Kultur des Weghörens und Wegschauens benennen können könnt.
Und jetzt auch noch große Oper mit Opernsanierung. Der Herr Thomas Braun hat gestern in der Stuttgarter Zeitung u. a. den Wasen vorgeschlagen für das Interimsgebäude. Das wär's doch, anstatt den Oberen Schlossgarten zuzustellen. Da könnten dann die Porsche‑ und Mercedes-Breitbandfahrer ihre Limousinen drumrumstellen. Da könntens dann sichtbar die Nähe zur Hochkultur zeig'n.
Und Sie hätten's dann auch nicht weit zum Fassanstich beim Voksfest.
Der Siggi möcht Sie noch auf einen Geburtstag hinweisen, auf die Fünfjahrfeier der Mahnwache am Hauptbahnhof (die Alternative zu der Ausstellung im Bahnhofsturm, die Sie einstens nicht mehr sponsern wollten. Was is draus geworden?). Also ein Ort der Protestkultur, und nicht der schlechteste.
Am 17. Juli!
Beeilen Sie sich!
Ich grüße Sie, und freilich alle jene, die auch in dieses Schreiben hineinschaun
Siggi