Sein Briefwechsel mit S21-Projektchef Manfred Leger zeigt, wie wenig die Bahn bereit ist, offensichtliche Schwachstellen von Stuttgart 21 zu diskutieren oder gar zuzugeben. Und die Politik, die die Bahn kontrollieren müsste und verantwortlich ist für das, was aus Steuergeldern gebaut werden soll, lässt die Bahn einfach gewähren.
Rede von Dr. Christoph Engelhardt, Gründer von Wikireal.org, auf der 272. Montagsdemo am 18.5.2015
Liebe Mitstreiter,
die Bahn ist nackt, sie hat zur Kritik an Stuttgart 21 keine Argumente mehr. Das hat sie jetzt in der Anhörung im Bundestag gezeigt, wo sie auf die imAntrag der Opposition detailliert begründeten Mängel keine schriftlichen Stellungnahmen abgab und nur die falsche Behauptung aufstellte, es gäbe nichts Neues.
Gleichermaßen falsch hat auch Projektchef Manfred Leger in seiner Antwort auf meinen offenen Brief jetzt nach einem Monat die schweren Vorwürfe einfach übergangen mit der Formel, es gäbe „wie ja auch die Anhörung im Verkehrsausschuss“ gezeigt habe, „keine neuen, noch offenen Fragen“.
Das ist natürlich trickreich: „Keine neuen, noch offenen Fragen“. – Uns würde ja vollauf genügen, wenn die Bahn endlich die alten noch offenen Fragen beantwortet, und seien sie auch nur zwei Monate alt, wie die zuletzt aufgedeckten offenen Fragen zum Brandschutz. Oder seien sie zwei Jahre alt, wie die gefährliche Unterdimensionierung der Fußgängeranlagen und der Betrug der Bahn dazu am Finanzierungspartner Stadt Stuttgart. Oder seien sie drei Jahre alt, wie der Nachweis der Auslegung des Bahnhofs auf lediglich 32 Züge.
Projektchef Manfred Leger hat sich selbst Lügen gestraft. In dem Interview, auf das sich mein offener Brief bezog, hatte er noch groß getönt, dass er sich "offen auseinander" setzen wolle mit den "Bürgern, die sich sehr genau mit den Dingen beschäftigen". Jetzt kommt nur die freche Absage an jegliche Diskussion nach dem Motto, was kümmern mich meine unaufrichtigen warmen Worte an die Presse. Jetzt verweist Leger auf die Volksabstimmung, die die Frage, „ob“ S21 gebaut werden solle „abschließend geklärt“ habe.
Herr Leger sei daran erinnert, ebenso wie Ministerpräsident Kretschmann: Die Volksabstimmung ist nicht das letzte Wort. – Selbst die EU verlangte zuletzt von der Schweiz, ihre Abstimmung zur Zuwanderung zu wiederholen. Und – bei S21 war die Entscheidung durch Falschaussagen herbeigeführt worden.
Zurück zu Leger, er lässt die schwerwiegendsten Vorwürfe einfach auf der Bahn sitzen: Unwidersprochen können wir vom gefälschten Stresstest, dem illegalen vom VGH schon bestätigten Kapazitätsrückbau sprechen, und davon, dass die Bahn argumentativ nichts auf der Pfanne hat, wie die Nichtbeantwortung des Nachforderungskatalogs zeigt! Unwidersprochen können wir von dem Betrug zur Leistungsfähigkeit, zur Dimensionierung für die Fußgänger, zum Brandschutz und zur Gleisneigung sprechen!
Können wir uns angesichts dieser schweren unausgeräumten Vorwürfe gefallen lassen, dass es jetzt einfach heißt, das ist doch nichts Neues? – Das ist doch eine bodenlose Frechheit! Würden wir einem Anlagebetrüger es durchgehen lassen, wenn er vor Gericht sagt: „Das ist doch nichts neues, dass ich betrüge! Also lasst mich weiter betrügen!“ Reicht das als Verteidigung aus?
Kann sich unsere Presse und Politik das gefallen lassen? Kann sich das die Opposition im Bundestag gefallen lassen? Auch in der Anhörung im Verkehrsausschuss wurden von den Regierungs-Experten keine schriftlichen Stellungnahmen eingereicht, sondern einfach falsch behauptet, dass es „seit 2010“ „nichts Neues“ gäbe.
Die Spin-Doktoren der Bahn sind geschickt: Da die Bahn die Kritik nicht entkräften kann, sagt man einfach vollkommen wahrheitswidrig, es gäbe nichts zu entkräften. Und das Gros unserer Gesellschaft lässt sich tatsächlich so einfach einseifen.
Fragt nicht mich, warum Bahn und Bundesregierung in der Anhörung nicht noch schärfer angegangen wurden. Im Antrag waren die offenen Fragen im Detail begründet worden. In den Stellungnahmen war schon manches weniger scharf und wesentliche Erwiderungen auf die haltlosen Behauptungen der Betreiber müssen erst noch gegeben werden. Z.B.:
Als es hieß, es gibt nichts Neues, hätte man nur auf den Antrag verweisen müssen, dort war das Neue dokumentiert und muss immer noch abgearbeitet werden.
Prof. Martin sagte, auch zur Leistung gäbe es nichts Neues. Er selbst hatte jedoch seine 51 Züge in der Stunde auf 42 zurückgenommen, bei 1,6 Min. Haltezeit, da bleiben bei realistischen Haltezeiten nicht mehr als 32 Züge übrig. Das ist so neu wie die Bestätigung des VGH der S21-Kapazität von nur 32 Zügen.
Dr. Kefer verwies erneut auf den Stresstest und seine Auditierung als Leistungsnachweis. Dabei haben seine Leute zuletzt in der Filder-Anhörung die methodischen Fehler und sogar die Unfahrbarkeit faktisch eingestanden!
Dr. Kefer verwies auch auf die EBA-Formel für die Zahl der zu evakuierenden Personen. Es genügt aber nicht, die richtige Formel zu verwenden, man muss auch die tatsächlich geplanten Züge einsetzen und nicht solche, die es gar nicht geben kann!
Manfred Leger verwies darauf, dass die Kosten durch PricewaterhouseCoopers geprüft worden seien. Diese Wirtschaftsprüfer hatten aber schon weitere Kostensteigerungen in Milliardenhöhe aufgrund der Nachträge identifiziert!
Aber immerhin: Prof. Martin hat uns auch eine Einladung ausgesprochen! Dass er „gerne bei Gelegenheit außerhalb dieses Gremiums über diese Dinge sprechen“ würde. Dieses Angebot nehmen wir an! Organisieren wir eine Diskussion mit Prof. Martin und mit Herrn Leger, der sich ja „offen auseinandersetzen“ will.
Das Schauspiel im Verkehrsausschuss mit der billigen Ausflucht, es gäbe nichts Neues war unwürdig. Die Lobhudelei mit ungerechtfertigten Genehmigungen, die man aber erhalten hat, mit explodierten Kosten, die im Plan sein sollen, und mit unhaltbaren Terminen, von denen die nächste Verschiebung nur noch nicht veröffentlicht wurde, erinnert an das Märchen: „Des Kaisers neue Kleider“.
Diese Parallele war schon vor einem knappen Jahr hier auf der Mo-Demo und im Dezember 2012 anlässlich der Kostenexplosion gezogen worden. Der nackte Kaiser, dem nur noch die Hofschranzen aus Angst vor Verlust von Geld und Macht die Kleider schönreden, die überhaupt nicht da sind, dieses Bild drängt sich gerade jetzt bei Stuttgart 21 auf.
Die Verantwortlichen der Politik und bei der Bahn geben nur noch hohle und unübersehbar falsche Phrasen zum Lob des Projekts von sich und die Fachleute verweigern sich jeder Sachdiskussion der faktisch offenen Fragen mit dem hohlen Wort, es gäbe „nichts Neues“.
Das Projekt steht mit dem Rücken zum Abgrund, wir müssen nur noch pusten, dann fällt die Fassade der Hofschranzen in sich zusammen. Oder aber ein Kind sagt, „der Kaiser ist nackt.“ Vielleicht ein Kind aus der Schweiz oder aus den USA. Wir hier, wir Kinder von der Montagsdemo, wir genießen längst Narrenfreiheit und dürfen ungestraft sagen, dass dieses Projekt der „größte technisch-wissenschaftliche Betrugsfall der deutschen Geschichte ist“. Ein Ruf aus dem Ausland könnte die Farce enttarnen, ein Ruf, der da sagt, „die Bahn ist nackt!“
Und wenn ihr mich fragt: Die Bundesregierung ist es auch. Die Verweigerung der Bahn-Fachleute für die Regierungsparteien, die schweren Täuschungsvorwürfe zu entkräften, macht die Täuschung zum Prinzip der Bundesregierung auch bei Stuttgart 21. Die Bundeskanzlerin ist nackt! Das Prinzip Lüge ist tatsächlich nichts Neues, nicht bei Stuttgart 21, ebenso wenig wie beim No-Spy-Abkommen oder der BND-Affäre.
Der CDU-Abgeordnete Alexander Funk hatte die Anhörung eingeleitet mit: „Niemand hat die Absicht, einen unsicheren Bahnhof zu bauen“. Arno Luik hatte umgehend auf die Parallele hingewiesen zu Walter Ulbrichts fatalem Satz: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, zu dem die Bundesregierung selbst schreibt: Niemand weiß, was Ulbricht zu dem Satz verleitet hat, der ihn zu einem der „größten Lügner der Geschichte“ machte.
Es ist Zeit, dass die Bundesregierung einmal an sich selbst herunterschaut!
Danke, gute Rede!
S21 benoetigt dringend ein NO-LIE-Abkommen. Dies scheint jedoch verfasungswidrig zu sein.