Rede von Dr. Christoph Engelhardt auf der 266. Montagsdemo am 30.03.2015
Kein weiteres Wegducken zum Leistungsrückbau!
Liebe Mitstreiter,
heute Mittag haben wir die 20.000 Unterschriften für das 4. Bürgerbegehren zum Leistungsrückbau Oberbürgermeister Fritz Kuhn übergeben. Ein Riesen-Dank an alle Unterschriftensammler! Nun heißt es: „Kein weiteres Wegducken zum Leistungsrückbau!“
Der Gemeinderat hat jetzt zu entscheiden, ob er den Finanzierungsvertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kündigt oder einen Bürgerentscheid dazu zulässt. Der Tiefbahnhof schafft einen Engpass, er schadet dem Gemeinwohl und darf nicht von der Stadt mitfinanziert werden.
Warum müssen aber wir Bürger uns darum kümmern? Weil diese krasse Fehlplanung zunächst über Jahre verschleiert wurde und dann nach ihrer Aufdeckung Politik, Justiz, Behörden und zum Teil auch die Medien beide Augen vor dieser unangenehmen Wahrheit verschlossen, sie haben sich weggeduckt. Wenn wir derart von allen Institutionen verlassen wurden, müssen wir Bürger unser Schicksal selbst in die Hand nehmen und mit dem 4. Bürgerbegehren einen Bürgerentscheid fordern.
Aktuell wird für Millionen Euro im Stuttgarter Untergrund gebohrt, aber kein Bahnhof, sondern nur ein Denkmal geschaffen. Ein Denkmal für den Unverstand unserer Gesellschaft, ein Denkmal für den größten Schildbürger-streich aller Zeiten. Dem soll der Bürgerentscheid ein Ende setzen.
Aber wie kam es dazu?
► Schon 1999 wies Klaus Arnoldi vom VCD anhand der Bahn-Gutachten nach, dass Stuttgart 21 nicht mehr leisten soll als der Kopfbahnhof.
Damals antwortete der Projektsprecher Hans Dieterle mit der bloßen und vollkommen unhaltbaren Behauptung, S21 würde die Leistung verdoppeln.
Und die Medien versäumten, nach einem Beweis für diese bloße Behauptung zu fragen wie auch später noch so oft. – Wegducken nutzt aber nichts, die Wahrheit hat den längeren Atem!
► Die Behauptung der Leistungsverdopplung ist heute noch genauso falsch und unverschämt wie vor 16 Jahren, aber am Ulmer Hauptbahnhof wird immer noch damit geworben.
Jetzt in der Filder-Anhörung sagt die Bahn, sie steht dazu, es müsste nur „genauer erläutert“ werden. Diese Erläuterung bleibt sie aber schuldig. Die Leistungsverdopplung ist eine krasse Unwahrheit, da hilft auch kein Wegducken!
► 2006 verlangte der VGH nach einer „besonderen Rechtfertigung“ für den Bahnhof. Worauf der Gutachter Prof. Martin klarstellte, im Tiefbahnhof wären 51 Züge pro Stunde „real sinnvoll fahrbar“.
Dass auch das nicht stimmt, stellte Martin selbst sieben Jahre später klar mit der Aussage, dass die „praktische“ „Kapazität“ eher bei 42 Zügen liegt. Wir sehen hier wie die unabhängige und wahrheitsverpflichtete Wissenschaft den Bach runtergeht.
Die Professoren Martin, Heimerl und Schwanhäußer machten ja außerdem mehrere „auftragsgemäße“ Fehlannahmen und Heimerl verlagerte für die Auslegung von S21 den Verkehr in die Nacht.
Auf die Herausforderung zu einer Diskussion ihrer Fehlannahmen antworten die Herren Professoren nicht. – Aber Wegducken hilft nicht, wir klären diese Punkte zur Not vor Gericht!
► Dann kam die Schlichtung, wo der Leistungsnachweis so gründlich fehlte, dass der Stresstest nötig wurde. Für den kündigte die Bahn sogar an, die Prämissen so lange anzupassen, bis das Ergebnis stimmt.
Ministerpräsident Kretschmann erklärte dann schon am Tag nach Erscheinen des Audits, dass das Stresstest-Gutachten seriös und wissenschaftlich nicht anzuzweifeln sei. Da hatte er das Audit noch gar nicht lesen können.
Der Stresstest war dann doch so fehlerhaft, dass ein Finaler Simulationslauf nötig war und dessen zahlreiche Fehler wurden noch rechtzeitig zur Volksabstimmung als der „größte technisch-wissenschaftliche Betrugsfall der deutschen Geschichte“ veröffentlicht. Und diesen Satz kann ich bis heute immer wieder ungestraft wiederholen, – im Stern, in der Zeit, im Spiegel.
Kretschmann aber verteidigt unter anderem auch diesen falschen Leistungsnachweis in der Volksabstimmung damit, dass in der Demokratie die Mehrheit zählt und nicht die Wahrheit.
Herr Ministerpräsident, Wegducken geht nicht. Auch in der Demokratie kommen wir an den Wahrheiten nicht vorbei, besonders wenn es um einen Schaden für das Gemeinwohl geht.
► Der VGH entschied zuletzt 2014 und bestätigte die Kapazität von nur 32 Zügen, sah darin aber keinen „schweren Nachteil für das Gemeinwohl“. Die Rechtskraft des Urteils von 2006 wog schwerer.
Bei dem 4. Bürgerbegehren gibt es aber keine Rechtskraft, auf die man verweisen kann. Und wer sich von den Gutachtern bisher wegduckte, den können wir jetzt als Zeugen benennen.
► Bei der Anhörung auf den Fildern blamierte sich die Bahn bis auf die Knochen, was ich ausführlich in meinen Artikel in der Januar-Ausgabe der Eisenbahn-Revue International beschrieben habe. Nach diesem Debakel wurde die Fortsetzung unseres Vortrags vom Regierungspräsidium unterbunden. Aber es wurde verfügt, dass der brisante Nachforderungskatalog beantwortet werden sollte.
Den dafür angekündigten Termin im Februar hat die Bahn gerissen und ist nun seit 6 Monaten die Aufklärung ihrer Widersprüche schuldig. Jetzt versucht sie über die Variante „3. Gleis“ ein neues Spiel aufzumachen. Aber beim 4. Bürgerbegehren kann sich die Bahn vor Gericht nicht einfach wegducken.
► Stuttgart 21 ist auch für die Fußgänger unterdimensioniert – noch gravierender als für die Züge. Diesen Nachweis und den Vorwurf, dass mit dem Stuttgarter Gemeinderat ein Finanzierungspartner dazu getäuscht worden war, bezeichnete das Kommunikationsbüro vor zwei Jahren als „haltlos“, kündigte aber eine „detaillierte Prüfung“ an.
Auf das Ergebnis dieser Prüfung warten wir bis heute, auch in der Filder-Anhörung. Beim 4. Bürgerbegehren können sich Bahn und Gemeinderat aber auch hier nicht weiter wegducken. Wir fordern gegebenenfalls vor Gericht die Klärung der Dimensionierung der Fußgängeranlagen ein.
► Neu ist die Situation beim Brandschutz. Grundlage sind Züge, die im Tiefbahnhof gar nicht fahren können. Von den dagegen geplanten kürzeren Zügen stehen bei Doppelbelegungen immer wieder vier Züge an einem Bahnsteig. Dann sind aber 50 % mehr Personen zu evakuieren, als bisher vorgesehen. Der Bahnhof wird zur Todesfalle.
Das Eisenbahn-Bundesamt sagte jetzt, man könne man ja noch zur Inbetriebnahme klären, ob am Ende nur weniger Züge fahren dürften als bisher geplant. Mit dem 4. Bürgerbegehren ist Schluss mit einem solchen unverantwortlichen Wegducken. Für die Kapazität des Bahnhofs dürfen nur solche Betriebsprogramme angesetzt werden, für die auch die Evakuierung sichergestellt ist.
► Beim 4. Bürgerbegehren müssen sich die Beteiligten nun endlich den Fakten zur Leistungsfähigkeit stellen, so oder so. Der Leistungsrückbau ist klar mit den Unterlagen der Bahn und ihrer Gutachter belegt. Ein Gerichtsverfahren bietet die hervorragende Chance zur Aufklärung und der Gemeinderat kann schlecht weiterhin beide Augen verschließen. Ich danke den Stuttgarter Bürgern für ihr Engagement für ihre verkehrliche Zukunft und für diesen Auftrag zur Aufklärung einer der größten Fehlplanungen in unserer Geschichte.