Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder e.V., auf der 263. Montagsdemo am 9.3.2015
Entschuldigt den etwas derben Titel meiner Rede, es reimt sich halt:
Drittes Gleis – wieder Scheiß
Zu Beginn wage ich einen Blick in die Kriminalgeschichte von Stuttgart 21. Alles begann mit einem Überfall auf die Bürgerinnen und Bürger vor 21 Jahren. Eine rein schwäbische Fünferbande (Dürr, Rommel, Wissmann, Teufel, Schaufler) schlug 1994 erbarmungslos zu. Bereits ein Jahr später kam das öffentliche Schuldbekenntnis von Heinz Dürr:
„Die Art der Präsentation [von S21] im April 1994 war ein überfallartiger Vorgang. Gegner und Skeptiker sind nicht im Stande gewesen, die Sache zu zerreden. Ein Musterbeispiel, wie man solche Großprojekte vorstellen muss“. (Zitat aus den SN, 14.2.1995)
Die Zuversicht der Bande, von der übrigens keiner mehr in seiner damaligen Banden-Position ist, hat sich zerschlagen. Das Projekt dümpelt trotz des Überfalls seit Jahrzehnten vor sich hin.
Heute gibt es wohl kaum noch einen Menschen, der von einem, wie es im Bandenjargon hieß „einzigartigen Jahrhundertprojekt“ spricht. Es klemmt überall: GWM, Nesenbachdüker, 14.Planänderung beim Tiefbahnhof, die Tunnelbohrmaschinen in Wangen und am Filderportal standen monatelang still, weil man sie angeblich einjustieren musste, usw.; überall stockt es, aufwärts geht´s nur bei den Kosten, und das krasseste: für einen ganz wichtigen Abschnitt, nämlich den Filderabschnitt, gibt es bis heute keine brauchbaren Pläne, geschweige denn ein Baurecht.
Vor nunmehr 13 Jahren (2002) beantragte die Bahn die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für diese sogenannte‚Antragstrasse‘ auf den Fildern.
Das Eisenbahnbundesamt (EBA) reagierte über Jahre hin immer wieder knapp: „nicht genehmigungsfähig“, vor allem, weil Fern- und Regionalzüge aus Sicherheitsgründen nicht durch die zu engen reinen S-Bahntunnel fahren dürften.
Und dann, 2010, kam einer aus dem bayrischen Freundeskreis und sprach eine fragwürdige, zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigung dafür aus. Was Verkehrsminister Ramsauer machte, war verantwortungslos.
Weil das Projekt dennoch weiterhin Widerstand auslöste, versuchte man die Bevölkerung mit einem sogenannten ‚Filderdialog‘ zu besänftigen. Doch auch dies misslang – trotz aller Tricksereien. Die Teilnehmer sprachen sich unerwartet für den Erhalt der Gäubahnführung über die Panoramastrecke hinab zum Stuttgarter Bahnhof aus.
Im Widerspruch zur angeblichen Absicht, die Bevölkerung mitreden zu lassen, wischte man deren Votum vom Tisch und präsentierte nun nach 10 Jahren Antragstrasse erstmals die Variante ‚Bahnhof Plus‘. Vom Werbetechnischen aus gesehen nicht schlecht – etwas Brauchbares wird weggewischt und ein Ersatzmurks wird kühn mit ‚Plus‘ bezeichnet. Diese Plusvariante kostete aber über 200 Millionen mehr, und so zog man eben nach einer weiteren Schamfrist, Ende 2014, wieder die alte Antragstrasse aus dem Hut und ging damit nach 13 Jahren in ein öffentliches Erörterungsverfahren.
Alle Projektpartner hielten sich vornehm zurück, schienen also mehr oder weniger dahinterzustehen. Der Geschäftsführer der DB Stuttgart-Ulm, Manfred Leger, frohlockte gar zu Erörterungsbeginn: „Wir schaffen einen Verkehrsknoten mit unheimlichen Vorteilen“.
Aber: Ein von Leinfelden-Echterdingen bestellter Gutachter aus Dresden bestätigte, was alle denkenden Menschen schon lange wussten, diese Infrastruktur könne man nicht empfehlen, Verspätungen der S-Bahn nähmen zu. Das Erörterungsverfahren wurde, nicht zuletzt mit Hilfe der hervorragenden Arbeit der S21-Kritiker aus unseren Reihen zum Fiasko für die Bahn. Die Politik hatte sich vornehm zurückgehalten und als sich das Fiasko abzeichnete, schwenkten sie wieder mehrheitlich auf den sehr fragwürdigen Bahnhof Plus unter der Flughafenstraße um, der vergleichbar schlecht ist wie die Antragstrasse. Es wurde immer hektischer und in der Not bastelte man den jetzt vorliegenden Schnellschuss ‚Drittes Gleis‘.
Die Projektpartner ersetzen mit der sogenannten ‚Kompromisslösung Drittes Gleis‘ werbewirksam ein Murksprojektdurch ein anderes. Es ist wie im Tollhaus.
Hier die wesentlichen Nachteile des faulen ‚Kompromisses‘ :
- 1. Der Mischverkehr zwischen Rohr und Flughafen bleibt erhalten und damit eine massive Beeinträchtigung des S-Bahnbetriebs. Die S-Bahnen fahren in 10 bzw. 20 Minutenabständen und müssen zwischen Rohr und Flughafen dreimal halten. Wenn sie nun, wie so häufig, einige Minuten verspätet sind, passt kein durchfahrender Gäubahnzug mit dem nötigen Sicherheitsabstand mehr in die Lücke. Verspätungen schaukeln sich auf.
- 2. Das Überwerfungsbauwerk im Rohrer Wald ändert an diesemProblem nichts, es ändert nur etwas am Waldbestand.
- 3. Ein schon lange gewünschter, dichterer S-Bahn-Takt ist nicht möglich.
- 4. Lärm und Erschütterungen in Leinfelden-Echterdingen nehmen zu.
- 5. Mehr Gäubahnzüge werden im ‚Kompromiss‘ avisiert. Das klingt gut, eignet sich aber nicht als Finanzierungsdeal. Und: Jeder Zug mehr über den Flughafen verschärft alle Probleme.
- 6. Ein funktionierendes Notfallkonzept für die S-Bahn ist ohne die Nutzung der Gäubahn-Panoramastrecke nicht möglich. Bleibt sie funktionstüchtig oder nicht?
- 7. Die fragwürdige, zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigung, muss weiterhin zugrunde gelegt werden.
- 8. Das dritte Gleis muss im eingleisigen, störanfälligen Gegenverkehrsbetrieb gefahren werden, mit zusätzlichen höhengleichen Kreuzungen.
- 9. Das Naturdenkmal Langwieser See muss in einer gigantischen Schleife über landwirtschaftlich genutztes Plieninger Gebiet umfahren werden.
- 10. Der unsichere, bahntechnisch problematische, 27 Meter unter der Messe liegende Fernbahnhof bliebe mit all seinen, im Erörterungsverfahren zu Tage getretenen z.T. lebensbedrohlichen Nachteilen bestehen.
- 11. Die Zeitschiene für S21 kann niemals eingehalten werden. Man muss wohl mit mehreren Jahren Verzögerung rechnen und den entsprechenden Mehrkosten.
- 12. Somit werden die ohnehin ständig steigenden Kosten zusätzlich durch die Verzögerungen demnächst rasant an der 7 Mrd. Grenze vorbeischießen.
usw.
Wie sagte Herr Leger (DB) noch im September 2014 so schön: „Ich habe die Aufgabe, das Gesamtprojekt Stuttgart-Ulm bis Ende 2021 fertig zu stellen. Dieser Termin steht für mich so unverrückbar wie eine Weltmeisterschaft. Gleichzeitig will ich S21 für unter 6 Milliarden Euro bauen.“ Ist der wirklich so einfach gestrickt?
Die Forderung nach einem Vaihinger Regionalhalt im sogenanntenKompromiss ist lobenswert. Ich bin allerdings sehr unsicher, was dahintersteckt.
Man braucht ihn wohl auf jeden Fall, da sich die Planer wohl ziemlich sicher sind, dass der Flughafenanschluss später fertig wird als der Rest von S21. Dann nämlich müssen die Gäubahnzüge dort über Jahre Endstation machen. Wenn tatsächlich alles wie bisher geplant fertig gebaut würde, wäre der Vaihinger Halt allerdings in Zukunft unsinnig, da ja alle Züge aus Süden vorher schon zum Flughafen abzweigen. Minister Hermann deutete an, man wolle die Panoramastrecke funktionstüchtig erhalten. Das käme unserer Lösung entgegen.
Völlig unklar ist auch, wie es mit dem laufenden Planfeststellungsverfahren zur Antragstrasse im Regierungspräsidium und im EBA weitergehen soll. Weiter machen– Abbruch – neues Verfahren mit neu zu erstellenden Plänen, oder will man sich durchtricksen mit einem Änderungsverfahren im Handstreich?
Wir fordern den Erhalt der Gäubahnführung nach Stuttgart auf der Panoramastrecke und einen bequemen Umsteigebahnsteig in Vaihingen, um einfach mit der S-Bahn zum Flughafen zu gelangen. Damit vermeidet man die wesentlichen oben genannten Filderprobleme auf einen Schlag.
Schlussbemerkungen: 21 Jahre nach dem Überfall der Fünferbande fand am Freitag wieder ein überfallartiger Vorgang statt. Im Handstreich wurden uns Dinge verkauft ohne die vielen offenkundigen Unklarheiten auszuräumen und ohne auch nur die Ergebnisse des Dresdner Gutachtens abzuwarten und öffentlich zu bewerten.
Wir fordern wenigstens eine unabhängige verkehrswissenschaftliche Untersuchung unserer Variante und ruhig auch der Variante Drittes Gleis. Wir müssen doch, bevor wir loslegen, egal wie, erst mal wissen, ob unser System stabil funktioniert. Allerdings müsste der Untersuchungsraum über die Filder hinausgehen, denn sehr oft kommen S-Bahnen schon ordentlich verspätet auf die Fildern. Es wird auch nach zwei Jahrzehnten endlich Zeit, einmal die gewünschten und die prognostizierten Verkehrsströme auf den Fildern zu ermitteln.
Die Stuttgarter Zeitung spricht bei dem Dritten-Gleis-Kompromiss von einer Allianz der Vernunft. Na ja, die Vernunft scheint bei dieser Mischung aus Unklarheiten, aus Dilettantismus und Verdrängen nicht ganz vorne zu stehen.
Dieser sogenannte Kompromiss Drittes Gleis ist wohl vorrangig ein taktisches Vorgehen, um das Gesicht zu wahren, mit kleinen Ansätzen in unsere Richtung.
Die einzige Variante allerdings, die auf den Fildern keine Tunnel braucht, ist unsere Gäubahnerhaltsvariante.
Nur diese Variante und wir bleiben oben!!