Offener Brief von Hans-Joachim Aderhold (Architekt) an alle Entscheidungsträger zu Stuttgart 21
Probleme in Stuttgart-Wangen und trotzdem keine Umweltverträglichkeitsprüfung
In Stuttgart-Wangen gibt es Probleme beim Tunnelbau. Die Deckschicht zwischen dem Mineralwasser und den Tunneln soll nun um vier Meter verringert werden: siehe Artikel in der Stuttgarter-Zeitung vom 18.02.15. Das Eisenbahn-Bundesamt sieht keine Probleme und hält eine Umweltverträglichkeitsprüfung für nicht erforderlich. (Zu den schon zuvor aktenkundig gewordenen Tatsachen in diesem Bereich siehe die Anlage unten.)
Offenbar widerspricht das Vorgefundene bei den Tunnelbauarbeiten in Stuttgart-Wangen dem zuvor „Erforschten” und den in die Abwägungsvorgänge eingestellten Behauptungen. Das wiegt um so schwerer, als es sich hier um einen der heikelsten Punkte des gesamten Projektes Stuttgart 21 handelt. Vor allem fehlt hier der vollständige Mineralwasserschutz seines Hauptstromes. Ein Schutzgebiet wurde nicht ausgewiesen.
Aktiv in das Anhörungsverfahren des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Grundwassermanagement eingebracht habe ich mich nur deshalb, weil ich mich dafür verantwortlich machte, dass jüngeres, aber bisher offiziell verschwiegenes Wissen um die Hauptströme des Mineralwassers, wie sie Dr. Wilhelm Schloz und Dr. Rupert Prestel publiziert haben, endlich öffentlich und ihrer Bedeutung entsprechend gewichtet werden. Um dies überhaupt tun zu können, musste ich bis zu diesem Verfahren warten.
(Dr. Andreas Zielcke hat in seinem Beitrag “Der unheilbare Mangel” in der Süddeutschen Zeitung (19.10.2010 aktualisiert 04.05.2011) die Widersprüche und Verfahrenstricks im bisherigen Genehmigungsverfahren zu Stuttgart 21 mit chirurgischer Präzision analysiert. Er hat diese Frage erschöpfend archivalisch geklärt und dafür den Preis “Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen” einer Journalistenvereinigung erhalten. Davon, dass BürgerInnen sich gegen Stuttgart 21 legal hätten wehren können, kann danach keine Rede sein. Auch den politischen Gremien wurden wesentliche Tatsachen bei ihren Beschlüssen vorenthalten. Noch im März 2011 sahen sich die Grünen im Bundestag genötigt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, weil die Deutsche Bahn Unterlagen zu Stuttgart 21 als Geschäftsgeheimnisse behandelt.)
Es gab dazu auch einen ausgedehnten Mailverkehr vor allem mit dem zuständigen Referatsleiter Michael Trippen. Meine Eingabe, die Antwort des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau im Regierungspräsidium Freiburg (LGRB) sowie meine grundsätzliche, weiterführende Replik darauf wurden auf die Website des Regierungspräsidiums Stuttgart gestellt.
Bemerkenswert ist, dass das Regierungspräsidium Stuttgart es dann aber offenbar unterlassen hat, die in der Stellungnahme des LGRB aufgeworfenen Fragen, soweit sie nach meiner Replik bekräftigt und nicht – wie vom LGRB beabsichtigt – widerlegt wurden, zu klären. Im Bericht an das Eisenbahn-Bundesamt wurde darauf nicht eingegangen. Auch das Eisenbahn-Bundesamt hat von sich aus nichts zur Klärung dieser Fragen beigetragen. Auch keines der von mir per Mail benachrichtigten Ministerien hat in irgendeiner substanziellen Weise auf das Vorgetragene reagiert.
Aus meinen Eingaben geht u.a. hervor, dass wesentliche, wissenschaftliche Ansprüche erfüllende Erkenntnisse zu den Mineralwasserströmen, wie sie durch die Arbeit von Dr.Schloz/Dr.Prestel aufgezeigt wurden, ersetzt wurden durch einen offenbar eher theoretisch abgeleiteten Kompromiss, der die Wirklichkeit aber nicht zutreffend abbilden kann.
In der Stellungnahme des Vorhabenträgers (Deutsche Bahn) zu häufig wiederkehrenden Einwendungen im Planänderungsverfahren Grundwassermanagement (ebenfalls eingestellt auf der Website des Regierungspräsidiums Stuttgart) heißt es unter Randziffer 37: „Die Modellfortentwicklung erfolgte schrittweise in enger Abstimmung und Kontrolle mit bzw. durch den Arbeitskreis Wasserwirtschaft (AWW), welchem Vertreter des Vorhabenträgers und der von ihr beauftragten Planungsbüros, des Eisenbahn-Bundesamtes, der Landeshauptstadt Stuttgart, des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau sowie der Wasserwirtschaftsverwaltung des Landes Baden-Württemberg angehörten und welcher von dem Landesgutachter Wasserwirtschaft Herrn Prof. Dr. h.c., Dr. Ing. E.h. Kobus geleitet wurde.“ Damit sind alle miteinander verkuttelt: Prüf-, Genehmigungs- und spätere Kontrollbehörde mit der Deutschen Bahn und ihren Gutachtern. Was müsste denn noch vorliegen, damit die Sorge der Befangenheit akzeptiert würde? Ist nicht, wer einen solchen Sachverhalt durchgehen lässt, selbst befangen? Alle Befangenheitsanträge wurden jedoch abgelehnt.
Der Anhörungsbericht des Regierungspräsidiums Stuttgart an das Eisenbahn-Bundesamt lässt diese zuvor thematisierten heiklen Punkte außer Acht oder bagatellisiert sie. Der Anhörungsbericht ist meines Erachtens so formuliert, dass man über weite Strecken meinen könnte, die vieltägige Anhörung und die dabei aufgeworfenen Fragen habe es nicht gegeben.
Zum Nachlesen bei Bedarf ganz unten im Anhang folgende Anlagen:
1-Eingabe (meine Eingabe vom 7.12.2013 mit Ergänzung vom 11.12.2013, die Stellungnahme des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau vom 18.12.2013 dazu und meine Replik vom 30.12.2013 darauf mit zwei von vier Abbildungen) HIER
2-Mails (mein Mailverkehr mit Herrn Trippen und Frau Bühler vom 18.7.-21.11.2013 mit Anlage) HIER
Hans-Joachim Aderhold
Anlage (fachliche Erläuterungen dazu ganz unten):
10-facher Grundwasserandrang am Zwischenangriff in Stuttgart-Wangen führt bisher offenbar zu keinerlei bauaufsichtlichen Konsequenzen (sprich Einstellung der Baumaßnahmen und Neuanschauung der bereits im Anhörungsverfahren zum Grundwassermanagement vorgetragenen, aber nicht berücksichtigten Sachverhalte):
Im Anhörungsverfahren zum Grundwassermanagement hatte ich den Schwerpunkt auf die im Verfahren fehlerhaft angenommenen Mineralwasserströme als solche gelegt und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den neuralgischen Punkt bei Stuttgart-Wangen hingewiesen sowie vehement auf die Befangenheit der maßgeblichen Beteiligten durch die Installation der beiden jahrelang tätigen gemeinsamen Arbeitskreise.
Die Tunnelplanung bei Wangen hatte ich als abenteuerlich bezeichnet. Nach Bahnangaben rechnete man hier beim Bau des Zwischenangriffs mit einem Grundwasserandrang von 0,2-0,4 Liter/Sekunde (ursprünglich geplant waren bis zu maximal 1 Liter/Sekunde). In den Planungsunterlagen der Bahn heißt es dazu: “Der geplante Zwischenangriff kommt – mit Ausnahme des Eingriffsbereiches des Schachtbauwerkes in das ergiebig quartäre Grundwasservorkommen – überwiegend in Grundwassergeringleitern bzw. -hemmern mit sehr geringen Grundwasserfließgeschwindigkeiten und geringem hydraulischem Gefälle zum liegen..” (Mit ähnlicher Begründung wurde vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau im Regierungspräsidium Freiburg auch eine Unterschutzstellung des Mineralwasservorkommens in diesem sensiblen Bereich durch Ausdehnung der Schutzzone für entbehrlich gehalten!!)
Jetzt stellt sich jedoch heraus, dass es die 10-fache dieser angenommenen Menge ist: Netzwerke-21.de
Trotzdem wird – wenn auch wegen dieser Tatsachen verlangsamt – weitergebaut. Es gibt offenbar keine wirksame Bauaufsicht zur Einstellung der Baumaßnahmen und überfälligen Neuanschauung der bereits vorgetragenen, aber nicht berücksichtigten Sachverhalte. Wahrscheinlich hat man mit einer solchen Fehlerhaftigkeit in den Grundlagen für die Genehmigung des Grundwassermanagements tatsächlich nicht einmal als Eventualität gerechnet und dem von der Vorhabenträgerin (Deutsche Bahn) beauftragten Gutachter vollumfänglich vertraut.
Das Eisenbahn-Bundesamt schaut in der hier entscheidenden Grundfrage weg und verweist auf die Verantwortung der Bahn. Auch das Regierungspräsidium Stuttgart wäscht seine Hände in Unschuld. Es hat die in der Anhörung vorgetragenen Hinweise in seinem Bericht an das Eisenbahn-Bundesamt nicht entsprechend gewichtet und die Planung der Bahn durchgewunken.
Auch von politischer Seite hört man dazu wenig, sieht man davon ab, dass ich selber Sprecher des OV Winterbach von Bündnis 90/Die Grünen bin. Man sollte nicht glauben, dass wir in einem Rechtsstaat und im 21. Jahrhundert leben!
Inzwischen teilte die Deutsche Bahn mit, den Untergrund in Wangen mit Injektionsarbeiten gegen den starken Wasserandrang verdichtet zu haben. Nun sind in diesem sensiblen Bereich auch noch Sprengungen geplant: Stuttgarter-Zeitung und Stuttgarter-Nachrichten vom 06.02.15.
Hier noch einige fachliche Erläuterungen:
Zwischenangriff bezeichnet einen behelfsmäßigen Tunnel bis an die Stelle, von der aus der oder die eigentlichen Tunnel gegraben werden sollen. Die Höhe des Grundwasserandrangs benennt das beim Graben durch die Gesteinsschichten in den Rohtunnel einströmenwollende Grundwasser. Dabei kommt es im Fall von Wangen weniger auf die absoluten Werte an, sondern auf die grobe Fehlerhaftigkeit zwischen Einschätzung (maßgeblich für die Genehmigung) und tatsächlichem (möglicherweise nicht genehmigungsfähigem) Sachverhalt. Im Fall von Wangen geht es aber um viel mehr: Die falsche Einschätzung der dortigen Gesteinsdurchlässigkeit legt nahe, dass auch die Grundannahmen der Planer zu den Mineralwasserströmen nicht stimmen. (Das Stuttgarter Mineralwasser kommt nach der 2009 erfolgten, aber bis heute nur unzureichend beachteten Publikation von Dr. Prestel/Dr. Schloz maßgeblich von Südosten und nicht – wie behauptet – aus dem Gäu. So würde auch erklärbar, warum es in diesem Bereich stellenweise Grundwassertemperaturen von deutlich über 20 Grad geben soll – nämlich bei mangelhafter Deckschicht zwischen Mineral- und Grundwasser durch den mächtigen warmen Mineralwasserzustrom verursacht.) Insoweit könnten die (auch früheren) Planungsgrundlagen zum Grundwassermanagement (blaue Rohre und Infiltrationsbrunnen) im Ganzen Makulatur sein, weil sie die Mineralwasserströme fehlerhaft einschätzten.
Diesen Brief als PDF -Download gibt es HIER
Die Bahn kann machen was sie will! Keiner beaufsichtigt sie und sie kann tricksen, täuschen und lügen, so wie es bei diesem Projekt von Anfang an war! Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Vor was soll die Bahn Angst haben?? Justiz und Politik stehen hinter dem Projekt, komme was da will.
Sollte die Bahn wirklich gravierende Schäden an Grund- und Mineralwasser anrichten, würde behauptet dies sei „ höhere Gewalt“ und SO nicht vorhersehbar gewesen. Alle warnenden Stimmen wird man als „nicht beweisbar“ abtun.
Wir haben eben keinen Sozialstaat mehr, sondern eine Neoliberale Regierung, die alles der Wirtschaft und dem Profit unterordnet!
Ich kann mich nur dem Brief meines Vorgängers anschließen, was hier geschieht ist eine Schande. Aber das Murphysische Gesetz wird die Lügen an den Tag bringen: denn was passieren kann, wird passieren. Und wenn dann der große Naturschaden in Stuttgart da ist werden wir GEGNER dafür Sorgen, daß die Verantwortlichen dieses Projekts zur Rechenschaft gezogen werden.
MfG
Gerd Jungmann