Rede von Peter Erben, Bürgerinitiative Neckartor, auf der 254. Montagsdemo am 5.1.2015
Stuttgart kultiviert ein Problem: Feinstaub
Guten Abend liebe Freundinnen und Freunde des Stuttgarter Kopfbahnhofs.
Ende November vergangenen Jahres kam ein „blauer Brief“ aus Brüssel nach Berlin geflogen. Absender war die Europäische Kommission. Empfänger war die Bundesrepublik Deutschland. Ange•mahnt wird in dem Brief, das Feinstaubproblem endlich entschieden zu bekämpfen.
Seit 10 Jahren, seit dem 1. Januar 2005, ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, Maßnahmen zu ergreifen, die rasch dazu führen, die gesetzlich festgelegten Grenzwerte für Feinstaub einzuhalten. In vielen Städten wurde entsprechend gehandelt. Nur in Stuttgart wird (neben Leipzig) trotz eingeräumter Fristverlängerungen seit Jahren gegen gesetzliche Verpflichtungen der EU verstoßen.
Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Ziel ist der Schutz unserer Gesundheit und es gibt eine gesetzliche Verpflichtung für unsere Behörden, mit geeigneten Maßnahmen dieses Ziel zu verfolgen.
Anstatt das zu tun, veranlassen das Stuttgarter Regierungspräsidium und die Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat seit nunmehr 10 Jahren Maßnahmen, die nach der aktuellen Beurteilung der EU Kommission weder wirksam noch angemessen sind. Im Gegenteil: Die Maßnahmen seien ungeeignet und unzureichend. Die Maßnahmen hätten von Anfang an das wichtigste Ziel der EU-Richtlinie gefährdet. So das Urteil der EU Kommission. Es ist schlichtweg vernichtend. Adressat für das Versagen sind die politisch Verantwortlichen in Stuttgart.
In einer bisher nie gekannten Deutlichkeit stellt die EU in ihrer Warnung klar, dass der Gesundheitsschutz oberste Priorität hat und die Behörden vor Ort keinen Ermessensspielraum für Luftreinhaltemaßnahmen mehr haben. Nach dieser Warnung könnte dann eine Klage beim europäischen Gerichtshof folgen. In dem besagten Brief wird eine Frist zur Stellungnahme angegeben. Bis zum 26. Januar soll diese vorliegen.
Ich bin gespannt, was da an Vorschlägen und Ausreden zu Tage gefördert werden wird. Möglicherweise kommt der Vorschlag der CDU Bezirksbeiräte aus dem Stuttgarter Osten zum Zug: Wenn ich es richtig verstanden habe, schlagen diese vor, die Messstation am Neckartor unter einem Haufen Moos verschwinden zu lassen. Manchmal wäre Hirn im Kopf besser als Benzin im Blut.
Aus Sicht von Verkehrs- und Umweltschutzexperten gelingt die Einhaltung der Grenzwerte nur dann, wenn das Verkehrsaufkommen auf den innerstädtischen Bundesstraßen halbiert wird. Genau das muss passieren und zwar sofort. Und es ist möglich.
Stuttgart 21 hingegen ist eine Megafeinstaubschleuder: Ein Verbrechen war die Fällung hunderter, feinstaub-bindender Bäume rund um den Hauptbahnhof.
Stuttgart 21 heißt:
• Tausende und Abertausende LKW Fahrten
• Tausende dieselbetriebene Baumaschinen
• Rückbau der Schieneninfrastruktur am Bahnknoten Stuttgart
• Ausgedünntes Angebot von S-Bahnen und Regionalbahnen
• Mehrjährige Unterbrechungen von Stammstrecken der SSB.
Stuttgart 21 steht also für mehr Feinstaub und gegen einen reibungslos funktionierenden öffentlichen Nah-und Fernverkehr. Stuttgart 21 verhindert ein modernes Verkehrskonzept, das Mobilität und Luftschadstoffbelastung in Einklang bringt.
Und während das Schienenangebot schrumpft, werden für Stuttgart 21 neue Straßen gebaut:
• Sechsspuriger Ausbau der Wolframstraße als Teilstück des erweiterten City Rings.
• Bau des vierspurigen Rosensteintunnels,
• Bau der dritten Leuze-Tunnelröhre.
Allein dieser Stuttgart 21-Straßenbau führt am Neckartor zu prognostizierten 20.000 Fahrzeugen mehr am Tag. Erinnert Ihr Euch noch an das Versprechen, Stuttgart 21 bringe mehr Verkehr auf die Schiene?
Noch kurz ein Satz zum Heilsbringer E-Mobility: Das klingt schick und modern. Aber entscheidend wird sein, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Moderne nachhaltige Verkehrskonzepte setzen in erster Linie auf den ÖPNV, auf den Fußgängerverkehr und auf den Fahrradverkehr.
Stuttgart 21 war und ist das größte Hemmnis für einen entschiedenen Kampf gegen die gesundheits•schädliche Feinstaubbelastung in der Stuttgarter Innenstadt. Nur wer Stuttgart 21 abbläst, kann ge•eignete Maßnahmen gegen die Feinstaubbelastung durchführen. Und umgekehrt.
Die Menschen haben ein Recht auf Schutz vor krankmachendem Feinstaub.
Oben Bleiben.
Die Rede mit vielen weiteren Zusatzinformationen, die so auf der MoDemo nicht rüber gebracht werden konnten hier:
https://bineckartor.wordpress.com/2015/01/05/die-bi-neckartor-auf-der-254-mo-demo/
Mit Feinstaub befasse ich mich länger als wie mit dem bahnhof. Nicht nur die Massnahmen gegen den Feinstaub, sondern die EU-Regel selbst ist um vieles schräger (zB Nichtberücksichtigung der unterschiedlichen Toxozität) als der geplante Tiefbahnhof.
Feinstaub und S21:
Feinstaub ist nicht gleich Feinstaub.
Die Korngröße bestimmt die Sinkgeschwindigkeit in der Luft und auch die Tiefe des Eindringens in das Atmungsorgan. Mit der Sinkgeschwindigkeit ist die Reichweite vom Emittenzort mit vorbestimmt. Dass es dadurch auch auf die Windverhältnisse ankommt ist wesentlich für den Zusammenhang mit S21.
Die Hauptwindrichtung kommt vom Westbahnhof zum Neckartor, die Nebenwindrichtung übers GENOgebäude. Aus Reichweite und Windrichtung ergibt sich zB Massnahme Hohenheimerstrasse sehr wirksam – Massnahme Schwarenbergstrasse ist Deppenalarm. Der Rosensteintunnel wird Verkehre verlagern. Im wesentlichen aber auf der Windabgewandtenseite des Neckartors. Die Wolframstrasse wird den Feinstaub vom ArnulfKlettPlatz zu Hauptwindrichtungszeiten am Neckartor vorbeiblasen. In Nebenwindzeiten und vorallem bei Windstille die Belastung am Neckartor erhöhen.
Die völlig überzogene Bebauungsdichte und Höhe des Europaviertels (Milaneo) wird in Windnebenzeiten als Windbremse die Probleme verschärfen, also dann wenns eh schon kritisch ist.
Zur Größe sei gesagt, dass unkritischer großer Feinstaub nach unten fällt. Da muss er weggesaugt werden, bevor er vom Verkehr gemahlen, aufgewirbelt und letztendlich in gefährlicher Größe aus dem Talkessel zu Peter Erben vor die Türe verschleppt wird.