„Macht die Mauer auf!“, hörte man am letzten Montag, 10. November, in der Königstraße. Mit „Mauer“ war eine Polizeikette gemeint, die sich in Höhe des Abgangs zur Klett-Passage über den Gehweg erstreckte. Ziemlich locker, wie man feststellte, denn viel taten die PolizistInnen nicht angesichts des ankommenden Demozuges der 246. Montagsdemo. So war die Mauer auch bald durchlässig, denn wohlweislich war die Polizei nicht auf Konfrontation aus.
Ähnlich wie nach der 245. Montagsdemo am 3. November, durften die DemonstrantInnen nur bis zum Schlossplatz gehen (hier Schwabenstreich). Aber was ist eine Kundgebung ohne ordentlichen Demozug? Das gehört zusammen und zwar nicht nur 750 Meter, sondern richtig! Also lief man geradeaus weiter durch die Königstraße bis zur Schillerstraße vor dem Hauptbahnhof. Das deutsche Grundgesetz sagt dazu in Artikel 8: "(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln."
Da um 19 Uhr nur wenige Passanten beim Shopping gestört werden und die DemonstrantInnen absolut friedlich waren, verlängerten sie ihre Route bis zum Arnulf-Klett-Platz. 900 sollen es gewesen sein, so hörte man bei der 246. Montagsdemo am 10. November. Dass es zwar insgesamt nur 800 polizeilich gezählte Demo-TeilnehmerInnen gab, das gehört eben zu den Schmankerln, die so eine Montagsdemo zu bieten hat. Als ich am letzten Montag einen jungen Polizisten auf diese zahlenmäßige Diskrepanz ansprach, erklärte er mir, dass sich auf der Königstraße noch 100 Passanten angeschlossen haben. Zu schön um wahr zu sein.
Auch bei der 246. Montagsdemo durfte man nach dem Schwabenstreich auf dem Schlossplatz nur in die Bolzstraße marschieren, „wo die Demo dann endet“. Man rieb sich die Augen, denn die Einschränkung der Demofreiheit wurde hier wie unter einem Spotlight deutlich. Den Demozug am Montagabend weg von den Straßen nehmen, weg von der Königstraße, unsichtbar machen? Der Rückzug einer friedlichen Demonstration von der gewählten Route (Friedrichstraße, Th.-Heuss-Str., Schillerstraße) ist ein Verschließen der Augen vor der Realität. Fakt ist: Eine Mehrheit Stuttgarter Bürger ist gegen das Projekt S21. Fakt ist: Es gibt jeden Montag Hunderte von Menschen, die mit einer Kundgebung und einem anschließenden Demozug ihr Nein zu S21 bekennen und bekräftigen wollen.
Diese Demonstranten mögen nur 0,15 % der Bevölkerung sein, aber sie haben den Artikel 8 des GG hinter sich. Dass diese Menschen nicht zwischen 18:00 und 19:30 Uhr shoppen oder mit dem Auto umherfahren wollen, ist das Recht der Minderheit und muss lt. GG respektiert werden. Nun lesen wir auf dem „Demofahrplan“, dass für die Adventszeit die Montagsdemos viermal in und vor dem Bahnhof angemeldet sind. Angesichts des 250. Jubiläums der Montagsdemos und angesichts des brennenden Themas – nach wie vor geht es um das Unrechtsprojekt S21 -, wäre es an der Zeit, die Demonstranten dort demonstrieren zu lassen, wo das Problem seinen Anfang nahm: am und im Bahnhof.
Erlaubt werden sollen aber die Demos nur in der dunklen Lautenschlagerstraße, und wie lang dann der Demozug sein darf, kann man sich denken. „Das geht gar nicht,“ würde jemand in Berlin sagen. Recht hätte sie in diesem Fall. Und wir dürfen gespannt sein, wie das Verwaltungsgericht entscheidet. Aber selbst wenn das Verwaltungsgericht die Demonstranten in die dunkle Lautenschlagerstraße abschieben will – die Demonstranten werden nicht aufhören zu beweisen, dass es sie gibt. „Ihr werdet uns nicht los!“, heißt seit Langem einer ihrer Slogans.
Zurück zur letzten Montagsdemo. Nachdem bei der 245. Montagsdemo die DemonstrantInnen ungehindert, ungeschützt und friedlich (!) durch die Königstraße gezogen waren, sorgte die Polizei dafür, dass bei der 246. Montagsdemo zwischen Schlossplatz und Königstraße eine Polizeikette stand. Mal ehrlich – hatte die Einsatzleitung tatsächlich geglaubt, dass sich 800 bzw. 900 Demonstranten in der Bolzstraße in Luft auflösen? Deshalb konnte man die Polizeikette auch nur symbolisch nennen, denn der Demozog war bald jenseits der Kette. Ganz friedlich ging es bis zur nächsten Polizeikette, die vor dem Abgang zur Klett-Passage stand. Auch hier war der Übergang zur anderen Seite der Kette “fließend“. Hatte man verhindern wollen, dass die Demonstranten durch die Klett-Passage in den Bahnhof gehen? „Bei der letzten Demo wurde der Bahnhof gestürmt,“ erklärte mir ein Polizist. So hatte man ihm wohl seinen Einsatz begründet. Das konnte nicht der Stuttgarter Bhf. gewesen sein, denn der wurde nicht gestürmt.
Eine symbolische Polizeikette angesichts von 800 oder 900 Demonstranten? Die Situation war skurril und vor allem lächerlich. Aus der Fürsorgepflicht ihren Untergebenen gegenüber hätte die Einsatzleitung die zumeist jungen PolizistInnen so schnell wie möglich abziehen müssen. Das aber passierte viel zu spät. Wir brauchen Polizei zur Verbrechensbekämpfung wie Drogenfahndung, Aufklärung von Missbrauch etc., aber nicht bei unrealistischen Aktionen wie zwei symbolischen Polizeiketten quer über eine Einkaufsmeile.
Diese Stadt bzw. ihre Protagonisten wie Ordnungsamt, Ordnungsbürgermeister und Polizei sollten sich der Realität stellen und zur Kenntnis nehmen, dass es jeden Montagabend in Stuttgart Menschen gibt, die ihre Rechte auf Demonstration wahrnehmen wollen, laut Grundgesetz Artikel 8. Mit den Montagsdemos wollen sie ihrem Anliegen Ausdruck verschaffen. Und zwar nicht in dunklen Hinterhöfen, sondern auf dem Silbertablett der City. Und das ist zu unterstützen, zu schützen und nicht zu behindern, ist die Aufgabe und Pflicht von Ordnungsbürgermeister, Polizei und Justiz. Diese Realität gilt es anzuerkennen und zu respektieren. Eine Kundgebung mit langem Demozug, jeden Montagabend, sichtbar, hörbar, auf den Hauptstraßen der Stadt, bis das Projekt S21 gestoppt ist.