Die Rede von Verkehrswissenschaftler Prof. Dr. Heiner Monheim, Professor für Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier und Mitbegründer des VCD, auf der 245. Montagsdemo
Vom Fluch der Großprojekte bei der Bahn
Die deutsche Bahnpolitik der letzten Jahrzehnte hatte zwei kontrastierende, unheilvolle Konstanten.
Einmal den Rückzug aus der Fläche. Mit zahlreichen Stilllegungen ehemals dichter Schienennetze vor allem in den ländlichen Regionen. 31.000 km Schiene wurden vom Netz genommen. Und im verbliebenen Bestandsnetz wurden zahlreiche Bahnhöfe und Haltepunkte geschlossen. Aber der Rückzug betraf beileibe nicht nur die sog. „Pampa“, nein, auch viele Mittel-und Großstädte wurden vom Fernverkehr abgehängt, weil der InterRegio-Zug (IR) als attraktives Erfolgsprodukt schrittweise vom Netz genommen wurde. Im europäischen Vergleich ist es ein Unding, wie viele deutsche Ober-und Mittelzentren heute ohne Fernbahnanschluß sind, während sie alle hervorragend ans Autobahnnetz angebunden wurden, durch milliardenschwere Investitionen in den Straßenbau.
Zum Rückzug der Bahn gehören auch die vielen Desinvestitionen. Immer mehr Weichen wurden herausgerissen, immer mehr Überholgleise abgebaut, immer mehr Güterbahnanschlüsse gekappt. Das alles sollte Kosten sparen. Stattdessen hat es die Leistungsfähigkeit des Bahnsystems systematisch ruiniert. Es hat das System extrem labil und verspätungsanfällig gemacht. Und es hat dazu geführt, dass die Bahn weder im Personen-noch im Güterverkehr adäquat am Verkehrswachstum des Personen-und Güterverkehrs teilhaben konnte. Und Kosten hat es letztlich auch nicht gespart, denn die Bahn wurde trotzdem immer teurer und verschuldeter.
Die andere Konstante ist seit den 1980er Jahren die Konzentration der Bahninvestitionen in wenige Großprojekte der Hochgeschwindigkeit, also vor allem die Neu-und Ausbaustrecken Hannover – Würzburg (1991), Mannheim – Stuttgart (1991), Berlin – Hannover (1998), Köln – Rhein/Main (2002), Nürnberg – Ingolstadt – (München) (2006). Im Bau sind die Großprojekte Nürnberg – Ebensfeld – Erfurt, Erfurt – Halle / Leipzig und Wedlingen-Ulm als mit S 21 verbundenes Neubauprojekt. Hinzu kommen die paar Großprojekte im Bereich der Bahnhöfe, also der HBF Berlin und S 21. Man kann die Städte Frankfurt und München nicht laut genug dafür rühmen, dass sie den Unsinn der 21er Projekte mit unterirdischen Großbahnhöfen nicht mitgemacht haben, sondern sich stattdessen für kleinteilige, kostengünstigere Investitionen in die Ertüchtigung der bestehenden Hauptbahnhöfe entschieden haben. K 21 wäre für Stuttgart auch eine solche Option gewesen, die viele Kosten gespart hätte, schnell umsetzbar gewesen wäre, den Bahnhof erhalten hätte und der Bahn ermöglicht hätte, andere wichtige Aufgaben engagiert wahrzunehmen.
Wenn man sich also fragt, was das deutsche Bahnsystem dringend braucht, ergeben sich ganz andere Prioritäten:
Zunächst sind alle wichtigen Knoten im Bahnnetz dringend auszubauen. Ein gutes Beispiel für die schlimmen Versäumnisse ist der Kölner Knoten, dessen Kapazität vorne und hinten nicht ausreicht, um wichtigen Verbindungen des Fernverkehrs, Regionalverkehrs und Nahverkehrs aufzunehmen. Knoten meint in diesem Zusammenhang nicht nur die Gleise im HBF selber, sondern die gesamte Infrastruktur und Logistik um Umfeld von ca. 20 km um den jeweiligen HBF. Vergleichbare Kapazitätsprobleme haben fast alle größeren Bahnknoten wie Hannover, Hamburg, Nürnberg, Düsseldorf, Dresden, Magdeburg, Karlsruhe, Osnabrück, Mainz usw……
Der zweite Schwerpunkt muß der Ausbau und Neubau von S-Bahnsystemen sein. Wo in der Vergangenheit in S-Bahnen investiert wurde, gab es sofort erfreuliche Zunahmen im Schienenverkehr. S-Bahn meint normalerweise Taktverkehr innerhalb eines oberzentralen oder mittelzentralen Verflechtungsbereiches mit sehr leistungsstarken, hochkapazitären, modernen Niederflur-Wendezügen mit vielen breiten Türen. S-Bahnen brauchen viele Haltestellen, weil sie die Regionen gut erschließen sollen. Die stürmische Siedlungsentwicklung der letzten Jahrzehnte macht solche S-Bahnsysteme immer dringlicher. Und das Karlsruher Modell oder das Chemnitzer Modell beweisen, dass auch kleinere Großstädte durch solche S-Bahnen gigantische Zuwächse im Schienenverkehr erreichen können. Aber von dem Bedarf für solche modernen S-Bahnsystem sind deutschlandweit mal gerade 10 % realisiert.
Und was im Umland der Großstädte die S-Bahn leisten kann, das erledigt in der Fläche rund um die Mittelzentren die attraktivierte Regionalbahn. Auch hier gibt es hervorragende Beispiele, wie Regionalbahnen mit neuen Leichttriebwagen mit vielen Türen, mit Taktverkehr und vielen neuen Haltepunkten fast das gleiche leisten können, wie die großstädtischen S-Bahnen.
Wenn man beide Aufgaben zusammen betrachtet, sind im deutschen Bahnnetz ca. 6000 neue Haltepunkte nötig, um die insgesamt erforderlichen ca. 250 S-Bahn-und Regionalbahnsysteme attraktiv und leistungsfähig zu machen. Nur so bekommen wir eine kundengerechte, attraktive Bahn, die zur heutigen Raum-und Siedlungsstruktur passt.
Doch um dieses verkehrs-und klimapolitisch dringende Thema kümmern sich die Bahnen und Bund und Länder viel zu wenig, weil sie mit den paar unsinnigen Großprojekten, allen voran S 21, beschäftigt sind.
Weil die Bahn und die Verkehrspolitik von Bund und Ländern die falschen Prioritäten setzt, die Bahnen nicht ausbaut und statt dessen nur in die paar Großprojekte und ansonsten weiter in den Fernstraßenbau investiert, wurde aus dem Bahnland Deutschland ein Autoland – und dadurch letztlich auch ein Stauland. Im Stau pervertiert die automobile Mobilitätsverheißung zur Immobilität. Da halfen selbst die gigantischsten Straßenbauprogramme nicht mehr weiter.
Dank solcher Fehlsteuerungen wurde das erklärte Ziel der Bahnreform, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, nicht erreicht. Stattdessen gab es massive Verlagerungen von der Bahn zum Auto, Lkw und Flugzeug. Einziger kleiner Erfolg war die Regionalisierung, denn sie erlaubte eine partielle Renaissance des Nahverkehrs, trotz der Reduktion der Regionalbahnnetze.
Künftige Bahnpolitik muss es schaffen, dass die durchschnittliche Bahnfahrleistung eines Durchschnittsbürgers von 800 km im Jahr auf 2000 km steigt. Für solche Wachstumsraten gibt es gute Vorbilder bei attraktiven Regionalbahnen (z.B. die Usedomer Bäderbahn) und innovativen Orts-und Stadtbussystemen. Dafür braucht Deutschland ein ICE/IC-Verkehr flächendeckend im Halbstundentakt, der alle Oberzentren untereinander verbindet. Hinzu kommt eine Renaissance des IR mit 20 neue Linien im Stundentakt, die alle Mittelzentren untereinander verbinden. Die Hochgeschwindigkeit als Standard wird ad acta gelegt, in Mittelgebirgslagen reichen 160 km/h, im Flachland 200 km/h als Spitzengeschwindigkeit, im Regionalverkehr 100 bis 160 km/h je nach Umfeld. Die Trassen werden landschaftlich integriert, Tunnel und Brücken nur da gebaut, wo es nicht anders geht. 6000 km Strecken werden im ersten Schritt reaktiviert. Hinzu kommen ca. 6000 neue Bahnhöfe und Haltepunkte. Im Deutschlandtakt fährt mindestens alle 30 Minuten ein Zug. Parallel dazu wird ein einfaches, durchgängiges Tarifsystem etabliert, das Deutschlandabo als Bürgerticket (BahnCard 100 für Alle). Die Bahn stellt wieder sehr viel mehr Personal ein, Ziel sind 300 000 Bahn-Mitarbeiter.
Die Fehlentwicklungen der deutschen Bahnentwicklung und die Probleme mit S 21 haben bewiesen, dass Bahnpolitik auf allen Ebenen demokratisch legitimiert werden muss. Zunächst einmal müssen die Parlamente von Bund und Ländern für eine fundierte Bahnpolitik sorgen, die die Bahn wieder zur Nummer eins im Verkehr macht und den klima-, energie-und umweltpolitischen Leistungsauftrag einer Verkehrswende für die Bahn festschreibt. Und die dafür die nötigen Rahmenbedingungen schafft. Auf dieser Grundlage müssen Vorstand und Aufsichtsrat der Bahn neu „formatiert“ werden: Anstelle von Auto-und Luftfahrtmanagern müssen endlich wieder Bahnfachleute in die Spitzenämter berufen werden. In den Gremien müssen auch die Kunden und Umweltverbände ausreichend Mandate erhalten. Künftige Bahnpolitik basiert auf lebendiger Demokratie, in der Zivilgesellschaft, Kunden, Politik und Management gleichberechtigt mitwirken. Planungen werden von Anfang an öffentlich debattiert.
In die Bahnpolitik muss endlich wieder Stetigkeit und Verlässlichkeit gebracht werden, so dass auch die Bahnindustrie sich auf eine lange Periode mit stetiger Expansion einstellen kann.
Das Projekt S 21 wird beendet, statt dessen wird engagiert in sehr viel kürzerer Zeit und mit deutlich weniger Aufwand K 21, der verbesserte Kopfbahnhof, umgesetzt, damit der Knoten Stuttgart so schnell wie möglich leistungsfähig wird. Noch ist der Stop der Tunnelbaumaßnahmen möglich und sinnvoll, weil ja gerade erst mit dem eigentlichen Tunnelvortrieb angefangen wurde. Ein paar Meter von 60.000 geplanten Tunnelmetern, das kann man noch gut beenden. Die vielen Vorbereitungsmaßnahmen in der Wasserführung kann man auch rückgängig machen. Nur die vielen Platanen kann man nicht wieder in alter Größe aufstellen. Statt dessen muss Stuttgart eben – auch mit Hilfe der Bahn-viele neue Platanenalleen pflanze, um den Verlust zu kompensieren und zu einer wirklich grünen Stadt zu werden. Wer jetzt S 21 nicht stoppt, wird von gigantischen Kostensteigerungslawinen überrollt werden, das lehren alle vergleichbaren Großprojekte. Und wer jetzt S 21 nicht stoppt, wird seinen Handlungsspielraum für eine vernünftige Bahnpolitik immer mehr einengen. Statt S 21 zu bauen, müssen die dafür verplanten Milliarden in die dringend erforderlichen Investitionen für den Ausbau der anderen wichtigen Knoten im deutschen Bahnnetz und der 250 S-Bahn•und Regionalbahnprojekte umgeleitet werden.
Das hätte auch eine hohe Symbolwirkung. Dann würde Deutschland endlich wieder eine wichtige Rolle in der europäischen Bahnpolitik übernehmen und die falsche Ausrichtung der sog. TEN (transeuropäischen Netze) auf Großprojekte der Hochgeschwindigkeit beenden. Stattdessen würden dann mit europäischem Geld vor allem die kleinen grenzüberschreitenden Bahnverkehre ausgebaut.
Heiner Monheim war Professor für Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier und Mitbegründer des VCD, der Initiative für eine bessere Bahn, von Bürgerbahn statt Börsenbahn und Bahn für Alle.
Ich war hellauf begeistert von Prof. Monheims Rede und seinen guten und hilfreichen Ideen – bis zu dem Punkt, wo er meinte, künftige Bahnpolitik müsse es schaffen, dass die durchschnittliche Bahnfahrleistung eines Durchschnittsbürgers von 800 km im Jahr auf 2000 km steigt. Wenn das das Ziel unseres Widerstands sein sollte, würde ich sofort alles hinschmeißen. Es müsste eigentlich auch Monheim klar sein, dass das nicht automatisch die gleiche Menge weniger Autoverkehr bedeutet.
Ich kenne nur Erwin Teufel, der morgens mit
der Gäubahn nach Stuttgart fuhr und parallel
der Chaufeur mit der Limousine auf der A 81.
Ich kann nur entweder mit dem Zug oder der
Bahn fahren.
Ein Behinderter bekommt entweder eine Wertmarke für den ÖPNV ODER die Kfz-Steuer
erlassen-habe ich gehört.
Der Wandel kommt zwangsläufig, wenn das Angebot der Bahn besser wird. Und je weniger Ottonormalverbraucher verdient und je teurer Benzin, Kfz-Versicherung und Steuern werden, um so mehr denken besonders junge Leute darüber nach, ob Auto sein muss. Im Notfall gibt es ja auch noch Carsharing für kurzfristige private Mobilität.
Also hat die DB allen Grund, sich rechtzeitig auf einen zuverlässigen ÖPNV einzurichten, der auch bezahlbar ist. Und das geht nur ohne S21!
Das ist nicht so einfach mit dem entweder oder, was nach aussen hin erscheinen mag.
Ich hatte ein Fahrzeug auf den Namen der Mutter laufen, die körperlich so schwer behindert war, dass auch der ÖPNV in Begleitung so gut wie nicht mehr möglich war oder eine nicht zumutbare Belastung für die Begleitperson. Habe ich einmal das Gebiss von ihr vom Zahnarzt geholt, weil ich ihr die längere Fahrt ersparen wollte und bin in eine Verkehrskontrolle geraten. Da die Mutter nicht dabei war, habe ich mich in einem militärisch scharfen Ton belehren lassen müssen, dass das Steuerbetrug sei und ich mich nicht noch einmal dabei erwischen lassen sollte. Daraufhin habe ich das Fahrzeug auf mich laufen lassen und habe auch auf die Freifahrtberechtigung mit Begleitung verzichtet, weil das eben einfach nicht ging. Und schon gar nicht zu leisten vom behinderten und der Begleitperson bei den zu erledigenden Wegen für den Behinderten.
Bei allen Regelungen, wie wir sie heute haben, steht man im wirklichen Ernstfall am besten immer auf eigenen Füssen und ich vermute, dass genau das so gewollt wird. Wer das nicht kann, den „vergisst“ der Sozialstaat und die Bahn sowieso. Und das dürften die meisten sein, wenn ich mir die Serviceleistungen der Bahn für Behinderte anschaue, die z. B. keinen Rückhalt in der Verwandtschaft vor Ort haben oder überhaupt keinen und voll auf die Bahn angewiesen wären. Ganz zu schweigen von dem Bahnhof den da Bopp und Co. für DEN Fortschritt halten. Bei dem Gedanken wird mir als einem, der lange einen Schwerbehinderten betreuen musste einfach nur noch schlecht. Komme mir hier keiner damit und bei der geplanten Behindertenfalle S21 im Brandfall im besondern, dass die Politik schliesslich nicht jeden einzelnen Fall berücksichtigen kann. Hier stimmt einfach nichts mehr. Nirgends mehr ist ein menschliches Mass zu erkennen. Und schon gar nicht bei den Entweder-Oder Wahlentscheidungen wie ÖPNV plus ein paar Freifahrten im Fernverkehr oder KfZ-Steuerbefreiung.
Überall gilt die Brutalität derer, die wissen wie´s geht, in der Politik und draussen und die Brutalität der Regelungen, die genau auf diese Klientel abgestellt sind, die man damit aber nicht ausgrenzt sondern zum Gesetz erhebt.
Zum Gesetz erhobene brutale Einfältigkeit allerorten, von der man meint, das sei die Ordnung. Berge fallet über uns.
Hallo Herr Neumann,
wie recht Sie doch haben mit der sog. Befreiung. Wir haben jetzt im September unser Auto in Horb angemeldet, mein Mann und ich haben beide die entsprechende Befreiung.
In Balingen war das kein Problem, unsere Versicherung hat die Versicherungsnummer auf Beide angewandt und somit wurden auch Beide als Nutzer im KFZ- Schein berücksichtigt. In Horb stellte man sich richtig stur. Es kann nur ein KFZ- Halter eingetragen werden, somit kann ich nur fahren wenn mein Mann dabei ist, dabei habe auch ich das G mit
80% im Behindertenausweis. Das heißt, wenn ich mit dem Auto alleine unterwegs bin und an einen Sturkopf von Polizisten gerate bekomme ich evtl. richtig Ärger weil die Bürokraten in der Horber Zulassungsstelle so „genau“ sein wollen obwohl es auch anders gehen kann. Mit der Bahn braucht man als Behinderter sowieso nicht fahren, da hat man in vielen Bahnhöfen nicht mal die Chance hat an oder in einen Zug zu kommen, sollte es dann trotzdem gelingen ist es ungewiss ob am Zielbahnhof ein aussteigen möglich ist.
Natürlich hat Prof. Monheim mit der Bemerkung
… von 800 auf 2000km … den richtigen Weg gewiesen, denn VORHER hat er gesagt ‚…nach Beendigung von Stuttgart 21 und Ertüchtigung des Kopfbahnhofers K21 … – denn DANACH wird diese Entwicklung zu mehr Reisekilometern auf der Bahn ja zwangsläufig eintreten…