Auf nach Bonn! „Die Schiene ist das Ziel !“
von Wolfgang Kuebart
Die fünf Waggons - „Silberlinge“ genannt - und zwei Plattformwage mit der elektrischen Zugmaschine E 94 („Deutsches Krokodil“) der Gesellschaft für den Erhalt von Schienenfahrzeugen (GES), bildeten einen der wenigen Züge, die sich am Samstag, 18. Oktober 2014, trotz Lokführerstreiks ihre Reise durch Deutschland bahnten.
Überpünktlich kam der Zug um 11:25 Uhr im Bonner Hauptbahnhof auf Gleis 1 an. Zu den verwunderten Wartenden am Bahnsteig gesellten sich 300 gut gelaunte Fahrgäste mit Transparenten, Fahnen und Buttons. Die Musikgruppen „Lokomotive“ und „Capella Rebella“ füllten die historische Bahnhofshalle mit fetzigen Klängen, wie sie die Halle wohl noch nie zu hören bekommen hatte. Dem Gepäckabteil wurden zahlreiche Objekte entnommen: von den Aluminiumrohren des Tunnelbohrrads bis zum Bollerwagen mit Demonstrationsutensilien.
Man versammelte sich auf einem freien Platz neben dem Bahnhofsgebäude, wo sich die Tunnelrad-Bauer ans Zusammenfügen des fünf Meter hohen Blickfangs der Demo machten. „Stuttgart 21 zerstört das Land - Korrumpiertes EBA zerstört die Bahn“, so wurde der Bogen von den Ereignissen in Stuttgart hin zum in Bonn beheimateten Eisenbahnbundesamt (EBA) geschlagen.
Schließlich startete der Demozug in Richtung Rathaus am Marktplatz, angeführt von dem von Rosanna hergestellten Frontbanner mit der Aufschrift „Die Schiene ist das Ziel! - Politik und Wirtschaft, Hände weg vom EBA (Eisenbahnbundesamt)“. Es ging mitten hinein in die Innenstadt, in der die Bonner Bürger ihre Wochenendeinkäufe tätigten. Ist jemandem aufgefallen, dass der erste Weg durch die Gangolf-Straße führte? Immer wieder bildeten sich am Rande des Demozuges kleine Gesprächsgruppen, in denen unsere Stuttgarter Demonstranten den verwunderten Bonnern erklärten, was der Grund für so viel Stuttgart21 in der Bonner Innenstadt bedeutete. „Bonn ist die Stadt des Eisenbahnbundesamtes. Das Eisenbahnbundesamt hat all die unsäglichen Ausnahmegenehmigungen für Stuttgart21 abgesegnet. Ja, Stuttgart21 ist überall, sogar in Bonn.“
Auf dem Bonner Marktplatz war eine LKW-Bühne errichtet, doch bis zu der Kundgebung ab 13:00 Uhr war noch Zeit, um sich mit etwas Nahrhaftem einzudecken. Da die Gruppe mit dem Tunnelbohrrad etwa eine dreiviertel Stunde für den Aufbau des Rades brauchte und der Demozug in dieser Zeit schon losging, erlebten die Bonner sozusagen zwei Demozüge: einen mit Musik, Frontbanner, vielen Fahnen und Transparenten und einen weiteren etwas später mit dem riesigen Rad, das dann langsam durch die Einkaufsstraße gedrehte wurde.
Dem Conférencier einer Truppe von Cheerleaderinnen wurde auf seine Frage "Seid ihr nicht eben schon mal hier vorbeigekommen? Warum seid Ihr denn überhaupt hier?" einer der speziell für diese Demo geschaffenen Flyer zusammen mit dem Leporello "Die wahre Vernunft fährt oben" in die Hand gegeben.
Auf dem geschäftigen Marktplatz warteten bei Ankunft des Tunnelbohrrades zwischen den Marktständen auf der einen Seite und der Bühne auf der Seite vor dem historischen Rathaus die K21-Demonstranten.
Bis zum Beginn der Kundgebung sang der schon zweimal bei einer Montagsdemo in Stuttgart aufgetretene und in Köln ansässige Liedermacher Gerd Schinkel. Es gab viel Applaus, auch Oben Bleiben-Rufe fehlten nicht. Christoph Reinstadler moderierte die Kundgebung auf der Bühne. Ihm war auch ein spontaner Kommentar auf einen Vorgang kurz vor Beginn der Kundgebung zu verdanken. Aus einem Fenster im 3. Stock eines Hauses am Marktplatz hatten Studenten ein riesiges Plakat gehängt mit der Ansage „Bonner Studenten für S21“. Was Reinstadler dazu veranlasste, den Bogen von S21 zur Bildungspolitik zu schlagen: „Statt in Stuttgart 21 zu investieren, sollte man lieber das Geld für die Hebung des Bildungsniveaus Bonner Studenten verwenden.“
Ein paar Bonner Bürger gesellten sich als Zaungäste zu den 300 Demonstranten, die Café-Besucher am Rande des Platzes konnten nicht umhin, die Reden mitzuhören. So bekamen nicht wenige mit, wie Wolfgang Kuebart von den Ingenieuren 22 in seiner Rede den Bogen von den Stuttgarter Verhältnissen zum Grund für den Besuch in der Stadt des EBAs und des Bundesrechnungshofes schlug. Leider konnte der Redner Carl Waßmuth - Mitglied von "Bahn für alle" und "Gemeingut in BürgereInnenhand "- aus Berlin, bedingt durch den Lokführerstreik, selbst nicht auftreten. Seine kurz vor der Demo elektronisch eingetroffene Rede wurde von Mike Pflugrath vorgetragen (abgelesen vom Tablet). Thema: "Die formelle Privatisierung der Bahn - Folgen und Konsequenzen". Hier wurden die Entwicklung der Bahnreform und die zweifelhafte Rolle des EBAs vertieft. Da auch der Sänger Klaus der Geiger verhindert war, konnte umso ausgiebiger den Liedern von Klaus Schinkel zugehört werden.
Während sich der Demozug vom Bahnhof weg zum Marktplatz bewegt hatte, war die Mitorganisatorin der Veranstaltung, Nina Picasso, mit einigen Demoteilnehmern zur Geschäftsstelle des Eisenbahnbundesamtes gefahren, um dort einen dicken Umschlag mit Informationen in den Briefkasten zu werfen. Da dieses Amt sich außerhalb der Innenstadt befindet, wollte man den Besuch am Gebäude nicht mit dem gesamten Demozug machen (siehe dazu auch Bilder auf BAA).
Mit den Bonner Robin-Wood´lern ging es dann zum Bundesrechnungshof, wo ein riesiges Banner auf die Verantwortung dieser Behörde im Falle Stuttgart21 hinwies (siehe Bilder auf BAA).
Die ausgiebigere Demo nach der einstündigen Kundgebung ging wieder in die Bonner Innenstadt, wo mehr Gespräche mit Bürgern geführt und mehr Flugblätter verteilt werden konnten. So wurde manchem Bonner Bürger zumindest ansatzweise klar, dass bei Stuttgart21 mit der Volksabstimmung das Thema nicht vom Tisch ist und dass trotz Baubeginns weder alles abschließend geplant noch genehmigt ist. Das führte dann auch zu manch ungläubigen Staunen.
Das Tunnelbohrer-Rad wurde auf diesem langen Demozug an der Spitze mitgeführt, genauso wie die Musikkapelle und das Frontbanner. Was ein „Polizeiaufgebot“ anging, so war nichts mit Stuttgart Vergleichbares zu erkennen; nur ein Polizei-PKW mit zwei Polizisten, ein Polizist am Ende des Zuges und zwei KRAD-Fahrer begleiteten den Demozug.
Um 15:00 Uhr traf der Demozug wieder am Bonner Bahnhof ein, viele Teilnehmer nutzten die noch freie Stunde bis zur Abfahrt des Sonderzuges für einen kleinen Abstecher zurück in die Innenstadt und/oder in eines der Straßencafés. Einige genossen ein am Bahnhofsvorplatz stattfindendes wunderschönes Chorkonzert einer koreanischen Musikgruppe.
Und dann traf man sich kurz vor 16 Uhr auf dem Bahnsteig 2 unter der alten Bahnhofshalle, deren Dach notdürftig mit einem Netz gesichert war, weil die Deutsche Bahn für die Reparatur der Holzschindeln kein Geld aufwendet.
Pünktlich um 16:00 Uhr verließ der Sonderzug den Bonner Bahnhof. Die Reisegesellschaft wurde nach dem wunderbar sonnigen Tag mit einem Bilderbuch-Blick auf den Rhein mit herbstlich bunten Waldhängen hoch hinauf zur Loreley belohnt. Später gab es den Blick auf einen Bilderbuchsonnenuntergang. Mannheim lag dann schon im Dunkel der Nacht, vom Rheinufer leuchteten tausendfach die gleißenden Scheinwerfer der Chemieanlagen herüber. Im Restaurationswagen gab es Resist-Bier, andere Getränke, Brezeln und Würstchen.
Neben den betriebsmäßigen inoffiziellen Halten gab es nun immer mehr Halte, bei denen kleine Grüppchen ausstiegen: in Bruchsal, Heidelberg, Vaihingen, Ludwigsburg. Mehr und mehr Mitstreiter verließen die lebendige Gesellschaft. Man winkte sich zu, Oben Bleiben-Rufe hallten durch die Nacht, die Kapelle spielte auf dem Bahnsteig für wenige Minuten, bis es weiterging. „Bis Montag auf der Demo!“
Alle in Stuttgart Angekommenen waren sich einig: Es hat sich gelohnt, die Reise zu machen!
Dank an alle, die dabei waren! Besonderen Dank an die, die bei Vorbereitungen und Durchführung so viel Zeit und Energie investiert haben! Es war rundrum schön. Wir haben uns bewegt. Nun sind wir gespannt, ob wir etwas bewegt haben.
Wolfgang Kuebart
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