Zur Eröffnung der Erörterung Planfeststellungsabschnitt 1.3
Wir schreiben das Jahr 2014. Wieder einmal wird die Erörterung eines Planfeststellungsverfahrens eröffnet, doch es handelt sich nicht etwa um ein in sich geschlossenes Projekt, dessen Fertigstellung eine weitere Ergänzung eines durch und durch nützlichen Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur der Stadt Stuttgart, des Landes Baden-Württemberg und der nationalen und internationalen Verkehrswege der Bundesrepublik Deutschland bedeutet. Nein, es handelt sich hier um den Teilabschnitt eines im Laufe der Erörterungen immer umstrittener gewordenen Projektes, eines Teilabschnittes, der selbst keinerlei eigenständige Funktion besitzt und ohne den der Rest der Abschnitte gar nicht verwendungsfähig wäre.
Hierin offenbart sich die erste Ungeheuerlichkeit: Während wir bereits im fünften Baujahr des Gesamtprojekts sind, werden hier in den nächsten zwei Wochen ganz grundsätzliche Fragen erörtert. Neben dem Wie geht es vor allem auch noch einmal um das Ob. Dies verdanken wir der Tatsache, dass bei der Feststellung jedes Abschnitts die Gesamtrechtfertigung des Projektes zur Disposition steht. Ursprünglich hatte sich die Vorhabenträgerin aus der Abschnittsbildung einen Vorteil bezüglich Planung, Genehmigung und Durchführung erhofft, wohl wissend, dass die Aufteilung in lauter kleine, unselbständige Teilabschnitte die Achillesferse des Gesamtprojekts ist.
Die nächste Ungeheuerlichkeit offenbart sich in der Art und Weise, wie diese Planfeststellungsabschnitte auf den Weg gebracht wurden. Um die eigentlich rechtswidrige Aufteilung zu kaschieren, beschloss der Vorstand der Deutschen Bahn 2002 vor Beginn der Erörterungen der Abschnitte, das Projekt erst zu beginnen, wenn alle Planfeststellungsbeschlüsse vorliegen. Klammheimlich wurde dieser Passus im Planfeststellungsbeschluss für PFA1.1 2005 „vergessen“, obwohl im Erörterungsbericht in der Gesamtabwägung 2003 vorgeschlagen worden war, ihn in die Nebenbestimmungen aufzunehmen.
Sehen wir uns das Desaster heute an, wissen wir, warum. Die Projektkosten wurden klein gerechnet, die Leistungsfähigkeit der neuen Infrastruktur hoch gerechnet, während man der alten Infrastruktur jegliche Zukunftsfähigkeit absprach. So hob man das Projekt über alle parlamentarischen und rechtlichen Hürden. Als mit näher kommendem Baubeginn der Widerstand der Bevölkerung ungemein zunahm, wurden mit der sogenannten Schlichtung, mit dem Stresstest, mit Volksabstimmung und Filderdialog die Bevölkerung weitestgehend ruhig gestellt. Währenddessen werden seit 2010 trotz gegenteiliger Beteuerungen Fakten geschaffen, die einem einzigen Ziel dienen: den Point-Of-No-Return zu erreichen, ab dem die Zivilgesellschaft erpressbar wird, weil sie das Projekt, koste es, was es wolle, zu Ende bauen muss.
Heute sehen wir mehr als vier Jahre nach Baubeginn auf eine immer länger werdende Liste von Mängeln, es wird zunehmend unwahrscheinlicher, das Projekt in einem tragbaren Rahmen zu vertretbaren Kosten abschließen zu können. Systemische Mängel (Leistungsfähigkeit, Brandschutz, Gleisneigung, Notfallkonzepte) stellen völlig unabhängig vom Baufortschritt die vorgesehene Inbetriebnahme grundsätzlich in Frage. Man will offenbar diese Mängel abschließend erst nach Baufertigstellung beurteilen, wenn es zu spät ist. Auch dieses Vorgehen ist eigentlich rechtswidrig.
Eisenbahnbundesamt, Bundesverkehrsministerium und Bundesregierung müssten sich dem Projekt in den Weg stellen. Doch sie verstecken sich hinter der Formel, dass es sich um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn handelt, um dann aber in entscheidenden Momenten Einfluss auf die Mitglieder des Vorstands der DB Netz AG zu nehmen oder Ausnahmebestimmungen zu erlassen, die es erlauben, systemische Mängel im Projekt zuzulassen. Die Bundeskanzlerin versteckt sich hinter den Fachleuten, während die Fachleute sich auf Anweisungen aus der Bundesregierung berufen.
Mit dem Rückbau der Verkehrsinfrastruktur des Knotens Stuttgart werden in absehbarer Zeit Nachbesserungen erforderlich, die bedeuten, dass ein Teil des Schienenverkehrs um Stuttgart herumgeführt werden muss, weil der Tiefbahnhof realistisch nicht erweiterbar ist. Dies wird auch an den Einzelheiten des Abschnitts 1.3 deutlich werden. Diese Entwicklung beobachten wir Ingenieure22 mit größter Sorge. Wir sind für eine moderne, fortschrittliche Verkehrsinfrastruktur. Dieses Projekt mit seinen bisher offensichtlich gewordenen Planungs- und Ausführungsmängeln wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
Wir beantragen daher, dem Projekt eine Zwangspause zu verordnen, in der noch einmal alles auf den Prüfstand kommt und einer Neubewertung unterzogen wird, bevor der bisher verbauten halben Milliarde Euro weitere 10 Milliarden hinterhergeworfen werden. Andernfalls wird dieses Projekt schweren Schaden nicht nur an der vorhandenen Infrastruktur sondern viel mehr noch an unserem Ingenieurswesen und unserer Zivilgesellschaft anrichten.